Der
Stern der Erlösung
Denn
Name ist nicht
Schall und Rauch sondern
Wort und Feuer. Den
Namen gilt es zu nennen
und zu bekennen:
Ich
glaub' ihn.
Franz
Rosenzweig
An
einer großen Zeitwende steht dies Buch und ist es sich bewußt zu stehen: an der
Zeitwende des Zerfalls, der Auflösung der Philosophie des reinen Denkens, wie
sie von Parmenides bis Hegel die abendländische Welt beherrscht hat. Denn in
diesem Augenblick, wo Leben und Tod in ihren letzten entscheidenden Fragen ins
Zentrum des Bewußtseins treten, zeigt es sich, daß die Kraft zur Lösung des
Lebens und zur Erlösung vom Tode in der Philosophie des reinen Denkens nicht zu
finden ist.
In
Hegels System, in dem die Philosophie auf ihrem Höhepunkt angelangt war: der
alles und Gott selbst einschließenden Ein- und Allheit des Wissens, fand sie
sich zugleich am Ende. „Soll von diesem Gipfel noch ein Schritt weiter
geschehen, ohne zum Sturz in den Abgrund zu führen, so müssen die Grundlagen
verrückt werden, es muß ein neuer Begriff von Philosophie aufkommen.“
Und er kam auf. Mit dem Augenblick, wo
zum ersten Mal ein Denker das Problem seiner eigenen Person, seines
persönlichen Selbst ins Zentrum es Begreifens rückte, war etwas Unbegriffenes,
Unbegreifbares, Undenkbares außerhalb des Denkbaren sichtbar geworden. Mit dem
ersten Augenblick, wo Schopenhauer zum ersten Mal die Frage nach Wert und
Unwert des Lebens für den Menschen, für seine eigene Person stellte, statt nach
dem Wesen der Welt, wie alle bisherigen Denker, wo dann mit Kierkegaard das
tiefe Bewußtsein der eigenen Sünde und eigenen Erlösung herauftauchte, das weit
abseits vom Wesen der Welt, seine persönlichen Lösung suchte, wo zuletzt
Nietzsche jenes von nun an nicht mehr auszulöschende „furchtbare und fordernde
Bild des bedingungslosen Gefolgschaftsverhältnisses der Seele zum Geist“ selbst
darstellte – mit diesem weltgeschichtlichen Augenblick, wo im Mittelpunkt des
Lebens und Denkens die in sich selbst zentrierte, aus eigener Verantwortung
lebende, für sich allein sterbend, völlig einsame, außerweltliche menschliche
Individualität sichtbar geworden war, war der Kreis des alles umfassenden Einen
denkbaren All gesprengt. „Eine eingeschlossene Einheit hatte gemeutert und sich
den Abzug ertrotzt.“
Und erst von jetzt an mit dem Eintritt
dieses Unfaßbaren, Undenkbaren in den innersten menschlichen Problemkreis waren
plötzlich Leben und Tod in ihrer vollen erschütternden Realität da und
verlangten ihre Lösung. Das Leben in seiner ganzen einsam in den Abgrund des
Selbst verwurzelten Tiefe, der Tod in seiner ganzen schauerlichen
Tatsächlichkeit: nicht als der Tod überhaupt, als den ihn die bisherige
Philosophie allein gekannt hatte, sondern als die zahllosen Tode unzähliger einsamer
für sich sterbender Individuen. Dieses konkrete, in seiner Vielheit grenzenlos
vereinsamte Leben gilt es von nun an zu umfassen – den wirklichen und
wahrhaftigen Tod des Individuums gilt es zu überwinden. Denn ihn, der von jeher
das tief beängstigende, aller Philosophie zutreibende Rätsel gewesen war, hatte
dennoch keine der bisherigen Philosophien jemals überwinden können, eben weil
jede ihn nur als den einen abstrakten Tod begriff, den sie in ihrem einen
seienden All auslöschte. „Denn freilich: ein All würde nicht sterben und im All
stürbe nichts. Sterben kann nur das Einzelne, und alles Sterbliche ist einsam.“
Die eindimensionale Form des Systems,
die nur unter der Voraussetzung einer objektiven Welt und eines einen und
allgemeinen Denkens die wissenschaftliche gewesen war, zerbrach so vor der
Fülle des einströmenden individuellen Lebens. Aber die erste Folge jener
Vielzahl sich selbst bewußt werdender, einsamer, aus sich selbst lebender
Denkerindividualitäten war eine ungeheuere Gefahr für die Philosophie
überhaupt: es gibt von nun an keine eine Philosophie mehr – sondern nur noch
Philosophien, Weltanschauungen, in sich geschlossene isolierte Standpunkte:
einen vollendeten Relativismus also des Erkennens. Jeder Denker, jedes bewußte
Individuum trägt von nun an seinen Raum, seine Zeit und seine Wahrheit mit sich
herum.
Aber
wie sich erst am voll erlebten einsamen wirklichen Tod die volle brennende
Sehnsucht nach seiner Überwindung entzündet – anders als es die Philosophie des
reinen Denkens jemals kennen konnte – so entzündet sich erst an diesem
äußersten vollendeten Relativismus, dieser maßlos vereinsamenden Subjektivität
des Erkennens die volle, die innerste Sehnsucht nach ihrer Überwindung in einer
realen gemeinsamen Wahrheit, die zugleich eine erlebte und gelebte Gemeinschaft
des Daseins ist, in der sich alle die getrennten Iche finden und erlösen.
Aus diesem Willen, dieser Sehnsucht
des heutigen Zeitpunkts ist das Buch Franz Rosenzweigs*) geboren – aus dem
Willen, Leben und Tod in ihrer lebendigen konkreten Vielheit, wie sie erst aus
der nachhegelschen Philosophie herauftaucht, zu erfassen und sie in dieser
ihrer wahren Gestalt durch eine übergreifende allgemeine Wahrheit zu
überwinden. Aus diesem Willen zur Erfassung des vollen Lebens in seiner ganzen
Breite, Höhe und Tiefe sagt es dem eindimensionalen Idealismus aller Zeiten,
diesem Todfeind aller lebendigen Ganzheit, Kampf an bis aufs Blut; aus dieser
Sehnsucht wirft es sich allen Mächten des Lebens als den unmittelbar
offenbarenden in die Arme. Und aus der Sehnsucht nach Erlösung in einer
allgemeinen Wahrheit verrückt es seiner Forderung gemäß die gesamten
Grundlagen, drängt es zu einer völlig veränderten Form des Erkennens: zu einem
Erkennen aus den Offenbarungen des Lebens selbst. So brausen Leben und Wahrheit
ihm in einem großen Akkord zusammen; nicht die Wahrheit des Denkens gilt es ja
zu ergreifen – sondern das Antlitz der lebendigen
Wahrheit soll aus Leben und Tod entschleiert werden und beide durch seinen
ewigen Glanz überwinden.
Nur so kann man dies Buch wahrhaft verstehen:
als den Willen, zu den Müttern hinabzusteigen und dort unmittelbares Leben zu
schöpfen für die noch ungestalteten Elemente des Seins, als den Willen, im
vollen brennenden Licht des Tages die Umrisse aller lebendigen Dinge klar zu
schauen und auszusprechen, als den Willen zuletzt, zu den Sternen
emporzusteigen und das Ewige an seinem Ort wieder rein zu enthüllen – und so
allem Tiefsten und Höchsten des Lebens unter dem Menschen und über dem Menschen
seinen unverrückbaren Ort zu weisen, – so daß in seiner klar geschauten Ordnung
unmittelbar sein ewiger Sinn und damit die Erlösung durch die Wahrheit
se(SIC!)bst sichtbar wird.
Nicht das eine denkbare All umgibt uns
als unmittelbares: diese Gewißheit geht voraus. Bevor wir erkennen und denken,
finden wir in uns und um uns Wirklichkeiten. Darum ist nicht jenes eine All die
Voraussetzung unserer Erkenntnis – sondern diese Wirklichkeiten sind es. Und so
wenig die Voraussetzung des Denkens das eine All ist, wo wenig ist die
Voraussetzungslosigkeit des Denkens wie in aller idealistischen Philosophie das
bloße Nichts; sondern zahllose verschiedene, gesonderte „Nichtse“, jedem
Problem das ihm eigene Nichts, liegen unserem Erkennen voran. Jede besondere
Erkenntnis hebt an von dem Nichts der noch ungedachten Wirklichkeit, die ihr zu
Grunde liegt, die ihr vorausliegt als dunkles, ringendes Lebenwollen der
Erkenntnis. Das Nichts ist erfaßt als der Ort, wo dies besondere Problem aufdämmert;
als „der virtuelle Ort für den Anfang unseres Wissens.“
Denn
alles und jedes ist ja für die Erkenntnis anders geworden mit dem Augenblick,
wo das eine denkbare All nicht mehr das allumschließende Ganze ist: nicht nur
in viele einzelne Subjekte des Erkennens ist das All zerschlagen: das Subjekt
des Denkenden, das sich den Abzug aus der Denkbarkeit ertrotzt hat, findet auch
mit Notwendigkeit sich gegenüber eine andere Welt als die denkbare, die bisher
den Denker mit umschloß; und mit seinem Abzug selbst ist aus dem All zugleich
das entwichen, was bisher als äußerster Einheitspunkt von Subjekt und Objekt,
von Innerlichkeit und Welt das eine All zusammenschloß: Gott. So findet sich
der Denker statt jenem einen denkbaren All einer Dreiheit selbständiger
Wirklichkeiten gegenüber, in die das eine All zerfallen ist, deren jede ihm als
ein vollkommen undenkbares, in sich geschlossenes und verschlossenes Ganze
gegenübersteht, der Dreiheit: Gott, Welt, Mensch. Keine dieser drei
Wirklichkeiten ist bisher erkannt, ja auch nur in diesem
Aufsichselbstgestelltsein, dieser innersten, jeder gemeinsamen Voraussetzung
spottenden Isolierung gesehen worden. Jede dieser drei muß zunächst aufgesucht
werden in dem ihr eigenen „Nichts“, muß aus dem Dunkel des vor aller Erkenntnis
liegenden Lebens heraufgeholt werden ins Licht des Erkennbaren, Aussprechbaren.
Denn dies ist eines und dasselbe: das Wort, die Sprache, ist auch Offenbarung.
Daß die stummen, vor aller Sprache liegenden Urworte laut werden, ist dasselbe,
wie daß die Wirklichkeiten sichtbar werden. Und aus der schweigenden Nacht
ihres Nichts steigen die drei letzten großen Urwesen langsam herauf. In einer
tiefen wundersamen Wesensschau wickeln sie sich klar und klarer aus dem
Geheimnis ihres Nichts los, wird das gesuchte „Immerwährende, das nicht erst
des Denkens bedarf, um zu sein“, vor uns enthüllt. Noch richtungslos, noch
stumm, noch ganz in sich verschlossen, erheben sie sich aus dem Schweigen des
vorbewußten Lebens, stehen sie für sich einsam ragend da: der metaphysische
Gott, die metalogische Welt, der metaethische Mensch. Unverbunden, ohne jede
Beziehung zu einander sind sie rein in ihrem Wesen, aus ihrem innersten
glühendsten Kern entwickelt, reine Setzungen des schauenden Geistes. Jedes
setzt sich selbst monistisch als das Ganze. „Wir haben die Teile in der Hand,
wir haben wahrhaftig das All zerschlagen.“ Was soll geschehen, daß sie nicht
Teile bleiben, nicht bloße auseinanderfallende Lebenselemente? Wie sollen die
einander entfremdeten Elemente sich wieder verbinden und Wirklichkeit werden,
die Wirklichkeit, als die wir sie kennen – wahrhaftig seiendes All?
Vielerlei Wege gäbe es, die sie
einschlagen könnten, um zu einander zu kommen, wie es vielerlei Deutungen von
Gott, Welt, Mensch und ihrem Verhältnis zu einander gegeben hat – und doch: in
diesem orgiastischen Durcheinander des Möglichen, dieser wahren Walpurgisnacht
durch einander wirbelnder Gestaltungen kann nur eine die wahre, die wirkliche
sein. Nur die aus ihnen selbst, aus dem innersten Wesen jedes einzelnen
stammende Bewegung auf einander zu kann die Elemente zu jenem sinnvollen
Zusammenhang verbinden, der unsere Wirklichkeit ausmacht. Welches ist dieser
eine Weg, der allein ihrem innersten Wesen entspricht und aus ihm heraus die
elementare innere Zerstückelung des Wirklichen überwindet?
An
der Antwort, die hier gegeben wird, enthüllt sich erst die ganze Tiefe des
Abgrunds, der diese Philosophie von der bisherigen Erkenntnisweise trennt. Kein
Denken kann diese ewig gültige Verbindung leisten; nur die Wirklichkeit selbst
hat sie geleistet und leistet sie immer wieder. Aus der Nacht des vorbewußten
Seins, in der wir die Elemente jedes für sich fanden, aus dem Reich der Mütter,
das das ihre ist, trägt uns nur der eine Strom wieder empor, in dem wir die Elemente
in ihrer einzig und ewig gültigen Verbindung im vollen Licht des Tages finden:
die Geschichte. Aber die Geschichte nun nicht in ihrer bloßen vorliegenden
Tatsächlichkeit – sondern die Geschichte als bestimmter sinnvoller
Zusammenhang, als einmalige Entwicklung, als „der eine Strom der Weltzeit,
der...von Weltmorgen über Weltmittag zu Weltabend die ins Dunkel des Etwas
auseinandergestürzten Elemente des All wieder zusammenführt in dem einen
Welttag des Herrn.“
In dem einen Welttag des Herrn – hier
ist eine Sprache, die nicht mehr die der Philosophie ist. Und hier, zugleich
mit der Frage nach dem Zueinanderkommen der vor dem Anhauch der vollen
Lebenswirklichkeit auseinandergestürzten Elemente des All, wird auch jene erste
Frage wieder laut: Wie kann bei der in zahllose subjektive Anschauungen
auseinandergestürzten Philosophie Wahrheit möglich sein? Wird nicht, was den
objektiven Systemen des Idealismus an Wirklichkeit, an Fülle des Lebens für
ihre Lösung abging, durch ihre größere Objektivität der Wahrheitserkenntnis
aufgewogen? Muß nicht bei dieser Subjektivität der Standpunkte an Stelle jene
Mangels ein noch größerer treten: der des Verzichts auf jede Möglichkeit
objektiver Wahrheit überhaupt?
Rosenzweig sieht die ganze Größe der
Gefahr. Aber indem er sie sieht, hat er schon einen Weg zu ihrer Überwindung
gefunden; denn es ist kein anderer als der, der auch die starren
auseinandergefallenen Elemente wieder zurückführt in die lebendige
Wirklichkeit. Derselbe Weg führt zur Wirklichkeit wie zur Wahrheit. Wohl wird
die hier genommene Wendung selbst bei dieser völligen Umdenkung noch
befremdlich und überraschend erscheinen – und doch nur dem, er nicht die tief
erlebte Übermacht der lebendigen Gestalt für die Erfassung des Sinnes über die
Macht des reinen Denkens nacherlebt.
Zugleich
mit jenem Abgrund, an den die vollendete Philosophie des Wissens geführt hatte,
öffnete sich ein anderer Abgrund, wurde noch ein anderes Versagen deutlich: das
der Theologie. Auch sie war am Rand ihres Weges angekommen. Wie die Philosophie
von nun an auseinander zu fallen drohte in einzelne unter einander unverbundene
Standpunkte, wie sie dadurch endgültig auf objektive Wahrheit zu verzichten
gezwungen schien, so drohte auch der Theologie, indem sie sich ihrer festesten
bisherigen Stütze: die Offenbarung als Wunder zu begreifen, beraubte und an
Stelle der einmalig feststehenden Wahrheit immer ausschließlicher das bloße
Erlebnis setzte, das Fundament der Wahrheit unter den Füssen fortzugleiten. Und
Rosenzweig erkennt es nun als das alleinige Heilmittel der Philosophie wie der
Theologie, daß sie einander zu Hülfe kommen, weil jede das besitzt, was der
anderen fehlt. Denn Philosophie wie Theologie haben durchaus denselben Gehalt:
das Leben von seinen untersten Gründen bis empor zur Erlösung – nur daß für die
Theologie Offenbarung ist, was die Philosophie als Bloße Vorbedingung der
Offenbarung: als ihre erkenntnismäßige Grundlage zu erweisen hat. So wird die
Philosophie, wie sie der Theologie versteht, geradezu zur Weissagung auf die
Offenbarung, zum Alten Testament der Theologie. Und indem sie ihr so die
Begründung der Offenbarung liefert, genau das also, was die Theologie verloren
hatte, wird sie zur neuen auctoritas der Theologie, gibt sie der Offenbarung
dadurch, daß sie sie voraussagt und damit ihre übergeschichtliche Wahrheit
enthüllt, den Wundercharakter zurück, der ihr verloren war. So soll also die
Philosophie der Theologie die subjektive Erkenntniskraft zuführen, die
Theologie aber der Philosophie die große objektive Wahrheit, deren sie
ermangelte und die nun von der Philosophie selbst begründet wird. Denn die
Brücke „von taubblinder Selbsthaftigkeit zur lichtesten Objektivität der
Vernunft“ schlägt allein der Offenbarungsbegriff der Theologie. Jeder Philosoph
also soll von nun an Theologie, d.h. gläubig, und jeder Theologe Philosoph d.h.
Erkennender sein; sie sollen sich vereinen, um die Deutung des Seins, die
allein wahre, lebendige und ganze zu leisten. Und wie in ihrer Vereinigung die
Subjektivität der Standpunktsphilosophie überwunden ist, so ist in der
Gewißheit, die sie geben, auch die Vereinzelung der Elemente des Alls
überwunden – denn nun gehen sie ein, sind sie eingegangen in den großen Strom
des geschichtlichen Heilsprozesses, sind sie verbunden zu All in einem Welttag
des Herrn.
Damit ist zugleich ihre Bahn eindeutig
bestimmt. An dem dunklen Himmel der Ewigkeit strahlt die Lichtbahn auf, die der
Stern der Erlösung beschreibt, die er selber ist. In strenger Dreigestalt, in
der Gestalt des doppeldreieckigen Sterns baut sich aus der aus ihrem innersten
Wesen hervorbrechenden Bewegung der Ur-Elemente auf einander zu das neue All
vor uns auf – eine gewaltige Deutung des Weltsinns, Seelensinns, Gottsinns in
ihrer lebendigen Beziehung: Schöpfung, Offenbarung, Erlösung. Dies sind die
drei großen ewigen Bahnen, an deren Endpunkten sich Gott, Welt, Mensch lebendig
berühren. Wie der Schöpfungsbegriff allein das leisten kann, woran der bloße
Weltbegriff des Idealismus zuschanden werden mußte: das Phänomen des immer
erneuerten Lebens, der lebendig strömenden Gestaltfülle, des geistigen
Bestandes des völlig außergeistigen, völlig undenkbaren Seins zu deuten und
zugleich damit das Wesen Gottes, das über dem Dunkel der immerwährenden Vorwelt
als allzeit erneuernder Schöpferwille aufgeht und sie zur blühenden Lichtwelt
der gestalteten Schöpfung entfaltet, so kann die Offenbarung allein
erschließen, wie der Mensch zur Welt kommt, wie er aus dem taubblinden Selbst
befreit wird zur gottgeliebten Seele, die die Liebe, die sie empfing, wieder in
die Schöpfung und damit die Schöpfung zu Gott zurückträgt. Erst befreit durch
Gottes Liebe vermag sie sich auf die letzte der drei großen Bahnen zu begeben,
die vom Menschen über die Schöpfung wieder zu Gott zurückführt.
In des Menschen Hand also ist die Erlösung
gelegt. Wie die Welt sich vollendet in der Schöpfung, so vollendet sich der
Mensch, das Selbst, im Heiligen, im Knecht Gottes. Das letzte Wort der Erlösung
aber spricht doch Gott. Denn was kommen soll, ist das Reich: die Erlösung, die
Selbstvollendung Gottes. „Gott wird erst in der Erlösung das, was der
Leichtsinn menschlichen Denkens von je überall gesucht, überall behauptet und
doch nirgends gefunden hat, weil es eben noch nirgends zu finden war, denn es
war noch nicht: All und Eines.“
Hier also erst wird das All, das eine
All sichtbar – aber nur sichtbar wird es; es ist noch nicht gefunden; es soll
erst werden. Denn nicht das denkbare All ist es ja, sondern das uns als volle
Wirklichkeit aufgegebene, das durch unsere aus Gott stammende erlösende Liebe
lebendig zu erfüllende. Der Vermessenheit des menschlichen Denkens ist das
Unerreichbare gegenübergestellt als ewig unauflösliche lebendige Gestalt. Die
Gestalt wird nicht gedacht, nicht gerufen: sie offenbart sich.
Und so sinken denn auch alle anderen
Religionen hier neben der lebendigen Offenbarung zu Erkenntnisreligionen herab;
und höher werden die heidnisch-mythologischen Religionen gestellt, die bereits
lebendige Gestalten kannten, als die tiefsinnig mystisch gestaltlose
Erkenntnisreligion des großen Buddha. Gestalt und Leben – diese beiden brennen
im Herzen des Erlösungsbuches, und verworfen wird der Mystiker, weil er das Ich
auf seinem Wege zur Gestalt aufhält.
Alle Erlösung ist hier Gestaltwerdung.
Indem unsere freie Liebestat über die lebendig wachsende Schöpfungswelt kommt,
formt sie bloßes blindes Sein zur lebendigen Überwelt der Gestalt, reift sie
das wachsende Leben dem Reich Gottes entgegen. Nicht wie der Künstler, der
immer nur Bilder des Lebens formt, sondern als lebendige Seele wirkliches Leben
seinem innersten Sinn und damit der Erlösung entgegenbildend. Und das Leben der
Schöpfung kommt unserer Liebe entgegen, wendet sich der Erlösung zu. Raum und
Zeit der Erlösung sind von ihm her bestimmt, von der Schöpfung, in der sie
heimisch sind. Innerhalb des geschichtlichen Prozesses ist damit der Augenblick
eindeutig, unverrückbar festgelegt. Jede Zeit hat ihre besondere Form der
Erlösung. Und an den großen weltgeschichtlichen Erlösungsformen wird denn auch
hier der jeweilige Stand der Weltuhr aufgezeigt. So muß auch für uns der ganze
Erkenntnis- und Erlebnisstand unserer Epoche lebendig durchmessen sein, wenn es
gilt, unsere heutige Wahrheit zu erkennen – zu bekennen. Erst aus jenem Übermaß
der Verlebendigung und Bejahung alles Lebens und des eigenen Schicksals in all
seinen Höhen und Tiefen, erst aus jenem durch und durch lebendigen Verhältnis
zum Wirklichen, wie es allein in Goethe gelang und nur in jenem Augenblick
gelingen konnte – erst aus jener übermenschlichen Einsamkeit der späteren Geister,
jenem riesenhaften Emporschwellen des Individualismus und Relativismus konnte
der gewaltige Wille zur einen Wahrheit hervorbrechen, der allein in Gott wieder
Ruhe finden kann. Erst uns konnte jenes „donec requiescat in te“ wieder
wahrhaftes Leben werden. Der bloße Glaube also genügt nicht – nur „wer Gott mit
dem doppelten Gebet des Gläubigen und des Ungläubigen anruft, dem wird er sich
nicht versagen.“
In
der Geschichte also, in der allein die Erlösung geschieht, wird sie sichtbar
als das Hereinkommen des Ewigen in die Zeit, die sie aus dem amorphen Strom
ihres bloßen Fließens wandelt zur sinnvollen, ewigkeitberührten Gestalt der
Stunde. Denn die Stunde gehört nicht mehr in die Welt der Schöpfung; „erst im
Reich der Erlösung beginnen Glocken sie zu schlagen“. Und so ist alle Erlösung,
wie wir sie aus der Geschichte kennen, eine Erlösung von der Zeit zur
Zeitgestalt; Erlösung zu Stunde und Tag, Woche und Jahr, in denen das Leben der
Zeit der Ewigkeit, dem Reich entgegenreift.
Darum
stellt sich die Erlösung dar im Ring des geistlichen Jahres, wie es aus dem
Offenbarungswunder heraus sich gestaltet. Das Judentum als der Träger des
ewigen Lebens geht voraus. In ihm ist die Ewigkeit bereits selbst eingekehrt in
das unmittelbare Leben selbst, in den Kern des ursprünglichen Daseins glühend
gebannt. Der Jude wird als Jude geboren. Durch seine Geburt gehört er dem
heiligen Volke an, hat er durch diese Zugehörigkeit Teil an der Ewigkeit, der
Erlösung. Denn „es gibt nur eine Gemeinschaft..., die das „Wir“ ihrer Einheit
nicht aussprechen kann, ohne dabei in ihrem Innern das ergänzende „sind ewig“
mit zu vernehmen“. Alle anderen Völker sind sterblich dadurch, daß sie an ein
bestimmtes Land, an eine irdische Heimat gebannt sind, um die das Blut ihrer
Söhne fließt. „Wir allein vertrauten dem Blut und ließen das Land...und lösten
allein aus allen Völkern der Erde unser Lebendiges aus jeder Gemeinschaft mit
dem Toten“. Das Land ist dem Juden „im tiefsten Sinn eigen eben nur als das
Land seiner Sehnsucht, als – heiliges Land“. Die Blutsgemeinschaft also allein
macht den Juden zum Juden, während jeder Christ als der irdischen Heimat
Verhafteter von Geburt Heide ist und zum Christentum erst durch eine innere
Umkehr gelangt; durch die Umkehr, die unter dem Zeichen des Kreuzes steht. So
hat das Judentum das Heidentum außerhalb seiner, das der Christ in sich trägt
und durch die Geschichte hindurch erst in sich überwinden muß und nie völlig
überwinden kann. Darum lebt der Christ immer in der Zeit und in der Welt,
während dem Juden der Anteil am zeitlichen Leben der Mitwelt versagt ist um des
ewigen Lebens willen, das sein Teil ist. Land, Sprache, Sitte und Gesetz, in
deren lebendiger Entwickelung die christlichen Völker leben, sind für den Juden
längst aus dem Kreise des Lebendigen geschieden. Er hat keinen Anteil an jenen
Formen, die das Gestaltungsmittel des Christentum in Leben sind: an Kirche und
Staat. Denn während im Juden das Ewige schon dadurch allein lebt, daß er
fortgezeugt wird, ist der Christ immer auf dem Weg. Das Christentum lebt nicht
fort durch die Zeugung, sondern durch seine immer weitere Ausbreitung im Kreise
des geschichtlichen Lebens: durch die Mission.
Beide,
Judentum und Christentum haben die Ewigkeit herabgezogen in die Zeit durch die
große Gliederung des gesamten Lebens nach dem ewigen Sinn, der in ihnen wohnt:
das Judentum in der Form der alles durchdringenden unsterblichen Dauer seines
Lebens – das Christentum in der Form der Gleichzeitigkeit, die das Prinzip der
Raum und Zeit und alle menschlichen Unterschiede überflügelnden Brüderlichkeit
ist.
Beide
haben nicht die ganze Wahrheit, sondern jedes hat seinen Teil an ihr, und durch
diesen gliedert jedes nach seiner Weise, die Ewigkeit zu erleben, die
gleichmäßig hinfließende Zeit im geistlichen Jahr. Und das Jahr selbst schließt
sich so zum Abbild des Ringes der Erlösung.
Getrennt
also, unter verschiedenen Zeichen, in verschiedenen Erlösungsringen treten Jude
und Christ, die Träger der Offenbarung, unter das göttliche Antlitz. Keines ist
für sich das Ganze. Ein letztes Individuelles im Verhältnis zum Ewigen bleibt
bestehen. Kein noch so reifes menschliches Gebilde ist selbst die Wahrheit.
Gott allein ist die Wahrheit.
In
dieser jubelnden Gewißheit klingt das Buch aus: Gott ist die Wahrheit – nicht
die Wahrheit ist Gott, aber Gott ist die Wahrheit. Wir aber – und so löst sich
die Subjektivität der einzelnen Standpunkte – wir sind die, die ewig nur Teil
haben an der Wahrheit. Nicht als Ganzes, das sie ist und werden soll, nur als
Teil wird sie uns zuteil. Und unsere Aufgabe ist es, diesen Anteil an ihr zu
bewähren: Wahrlich zu sagen zur Wahrheit.
Und
so allein auch geschieht die Überwindung des Todes: durch das Bekenntnis des
einzelnen, bestimmten und vergänglichen, weil immer an ein Stück
individualisierter todgeweihter Wirklichkeit gebundenen Standpunkterkennens
eines Selbst zu seinem Anteil an der übergreifenden göttlichen Wahrheit. Im
Verlassen der sterbenden Individualität durch dieses Bekenntnis zum Ewigen ist
der Tod überwunden; denn nur das Individuum stirbt.
Indem
wir hintreten vor das Antlitz der alles überstrahlenden göttlichen Wahrheit,
ein jeder an seinem Ort und zu seiner Zeit, und unser Wahrlich sprechen zum dem
Anteil an ihr, den sie uns schenkt, hintreten vor Gott in der Gemeinschaft der
Lebendigen, haben wir Tod und Vereinzelung überwunden.
Und
so liegt die Wahrheit nicht am Anfang, nicht in unserem Haben, sie liegt am
Ende, in unserem Bewähren. Das Letzte, was gefordert wird, ist Vertrauen. Aber
Vertrauen ist ein großes Wort... „Es ist das Allereinfachste und gerade darum
das Schwerste.“
Das
weiß der, der dies Buch geschrieben hat, das so voll ist von Glut und Glanz,
von Verheißung und Ewigkeit – aber nur für den, der vertraut, für den, der
glauben will und glauben kann. Es ist der ungeheure Versuch, den Glauben, den
schlichten unmittelbaren Gottesglauben hineinzuziehen ins Leben der Erkenntnis.
Es gibt kein anderes Heilmittel für unseren gegenwärtigen Zeitpunkt. Nur der
Glaube kann uns retten, der Glaube and die Einheit der Wahrheit, die zu beweisen
alle Systeme ohnmächtig waren, und die in unserer Zeit von dem Sturmwind des
Lebens endgültig auseinandergejagt wurde. Aber nicht nur gefordert, nicht nur
gepredigt wird hier der Glaube; er wird geglaubt. Das Buch ist voll vom Licht
der Offenbarung, die es verkündet. Auf seinen Höhepunkten wird seine Sprache
selbst zur Offenbarung. Worte der Liebe findet es wie kein zweites in unseren
Tagen; denn erst hier: als der Weg von Gott zum Menschen und vom Menschen über
die Menschen zurück zu Gott ist die Liebe wieder die geworden, die nimmer
aufhört. So gewinnen alle die ewigen, uralten Namen hier wieder ihr
ursprüngliches Leben, werden Wort und Feuer durch das Bekenntnis zu ihnen.
Und
diesem Glauben, diesem Bekennen leuchtet zuletzt der Stern der Erlösung auf als
das Gottesantlitz selbst. Die ewige Überwelt der Gestalt sendet als letztes
Bild dem Menschen das Wunder des Angesichtes, nicht seines, sondern des
göttlichen Angesichtes entgegen. Denn „die Wahrheit läßt sich gar nicht anders
aussprechen. Erst indem wir den Stern als Antlitz schauen, sind wir ganz über
alle Möglichkeit von Möglichkeiten hinweg und schauen einfach.“
Das
Bild von Sais ist entschleiert – aber das furchtbar zerschmetternde Bild des
Selbst, das sie dem Wissenden zeigt, wurde in der ewigen Überwelt der Gestalt
zum entschleierten Antlitz Gottes. Und so ist der Fluch, der den das Bild der
Wahrheit Enthüllenden trifft, von ihm genommen: nicht sich selbst in äußerster
Steigerung und Verzerrung erblickt er mehr, sobald er sie nicht mehr im Wissen
sondern im Glauben sucht: sondern Gott.
Es
wäre unmöglich und sinnlos, an diesem Buch, das den Elementen der Vorwelt wie
dem Licht der Überwelt Sprache geliehen hat, eine „Kritik“ zu üben, die nicht
seinen eigensten Voraussetzungen entspringt. Wie Rosenzweig einmal sagt, daß
der Schöpfungsbegriff, durch den er die ganze Fülle und das innerste Sein der
Erscheinungswelt und ihre Beziehung zum Göttlichen und Menschlichen
aufschließt, nicht genommen werden dürfe als eine wissenschaftliche Hypothese,
die man nach Beweisen oder Gegenbeweisen annehmen oder ablehnen könne, so kann
auch das ganze strömend reiche weitverzweigte Buch nur angenommen werden
jenseits von aller Beweisbarkeit als Aufschluß, Erleuchtung und Schau letzter
ewiger Zusammenhänge des Seins. Mag es uns noch zu früh scheinen, die Augen
heute nach der unermeßlichen grauenvollen Entfernung von ihr schon wieder zur
vollen Wahrheit aufzuschlagen, zu früh noch, Gott zu schauen, der sich lange in
schweren Nebeln, Wolken und Leichentüchern, in gellenden Blitzen und Donnern
vor uns verbarg – mag darum auch die Einbeziehung der Theologie in die
Philosophie uns zunächst noch zu sehr an die Stütze gemahnen, die der Lahme dem
Blinden gewährt – mag uns ferner des Lebens quellende Fülle, die uns eben erst
aufsprang, unter einem Übermaß von Konstruktion, unter der allzu strengen
Führung der Wahrheits- und Ewigkeitslinien hier oft schon wieder gepreßt und
vergewaltigt erscheinen – jedem dieser Einwände begegnet doch das Buch mit
einem strahlenden, überwältigenden Dennoch. Hier sollte sichtbar gemacht,
gestaltet werden, was unaussprechlich ist in seinem Ursprung wie in seinem
Ende. Die Bahnen des leuchtenden Doppeldreiecks, die vom Ursprung zum Ende
leiten, müssen scharf und fest durch das bewegte Leben schneiden und können
darum, trotzdem sie lebendige Bahnen sind, nicht anders als Leben zerschneiden.
Und vernimmt man das Wort, daß nur der gläubige Mensch heute philosophieren
dürfe, so weht es einen trotz allem wie eine wahrhaftige Lösung und Erlösung
aus der Not dieser unserer Zeit an. Denn es ist ja die lebendige Wahrheit, im
Gegensatz zur Gedankenwahrheit, die Rosenzweig wieder zur Offenbarung hintreibt
– und wo wäre lebendige Wahrheit jemals für den Menschen zu finden als im
Glauben? Wie immer man sich zu ihm stellen möge: dies Buch, geschrieben im
Angesicht des Todes und mit dem Blick auf Gott, entschleiert in ihren Tiefen
die Todwunde, machtvoll ihrer Genesung entgegenringende Wahrheit unserer Zeit.