Das Hiobbuch von Margarete Susman
Bruno,
Balscheit. Margarete Susman: Das Buch
Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes. Zürich: Steinberg Verlag, 1946.
Über die „wahre Ausrichtung“ hat
der Baal Schem Tow verkündet: „Kein Ding der Welt ist außerhalb der Einheit
Gottes gesetzt. Wer aber ein Ding anders
als auf Gott zu tut, trennt es von ihm.“
Daß Margarete Susman ihrer Darstellung des Hioblebens diese Ausrichtung
gibt, wird dadurch bedeutsam, dass es eben der lebendige, heute wie damals
Entscheidung fordernde Gott ist, vor dem das Buch Hiob und das Leben des
jüdischen Volkes in solcher Ausrichtung aus dem bloßen Bereich des Nationalen
order Religiösen hinausgehoben, es wird zum eigensten jüdischen Lebensproblem,
vom heutigen Schicksal gestellt. Durch
diese Ausrichtung ist das Buch zum Bekenntnisbuch geworden. Es geht hier nicht um ein objektives Erfassen
der literarischen Hiobsgestalt und der Probleme des Hiobbuches, wie sie der
Wissenschaft gestellt sind, sondern um das Wesentliche jüdischen Lebens und
jüdischer Wahrheit, jüdischen Welt- und Menschenverständnisses.
Das geschichtliche Ereignis,
welches das hier visierte Judentum geprägt hat – für die Zeit der Entstehung
des Hiobbuches wie für die Gegenwart – , ist die Galuth, die Zerschlagung des
jüdischen Staates, die Entstehung des Diasporajudentums in seiner realen
Machtlosigkeit inmitten der Weltmächte.
Die Frage, die in solchem Schicksal des aus Raum und Zeit ausgewurzelten
Volkes gestellt ist, sieht die Verfasserin darin beantwortet, es sei Bestimmung
des jüdischen Volkes, im reinen „Sinn“ zu leben. Denn anders als das schauende, in
gestalterfüllten Räumen lebende Griechentum hat das hörende, in der offenen,
fließenden Zeit lebende Israel der Zeit einen in der Erlösung gipfelnden
Heilssinn zu geben, weil es eben aus der Vielheit vor die göttliche Einheit
gerufen ist. Mit diesem phänomenalen
Unterschied zwischen Griechentum und Judentum, Schauen und Hören, hat die
Verfasserin wohl den wichtigsten und klarsten Ausgangspunkt für unsere Zeit zu
übersetzen, gewonnen. Dieser wesentliche
Punkt wird im ganzen Buch, das von ihm aus in die Tiefe und Weite geht, nie aus
den Augen verloren. Die Tiefe, in die es
da geht, ist eine Tiefe des Leidens und der schweigenumhüllten Zwiesprache mit
den Geistern der Geschichte, und die Weite hat Platz für die Frage nach der
Menschheitsbestimmung, weil sie auch für Gottes Weltenweite Raum hat.
Es ist natürliche ein etwas
gewagtes Unternehmen, an einem einzigen literarischen Produkt Israels, wie es
da Hiobbuch ist, welches als Teil der Weisheitsliteratur später als Gesetz und
Propheten entstanden ist, die ganze Problematik des Judentums aufzurollen. Darum bleiben auch auf dem sachlichen Felde
der Geschichtsbetrachtung einige Widersprüche anzumelden. So kann ich etwa der hohen Wertung der Galuth
als einer eigentlichen Fortführung der genuinen Lebenslinie Israels, eines
eigentlichen Rückrufes zu den reinen Ursprüngen, in den reinen Sinn, nicht
beipflichten, da die Wertung der natürlichen Lebensgüter durch Gesetzgeber und
Propheten der vorexilischen Zeit hier in eine andere Richtung weist. Doch ist auch bei solcher Kontroverse die
Auffassung der Verfasserin fördernd, denn es wird sich nun gerade erweisen müssen,
wie bei einer anderen Auffassung der vorexilischen Zeit doch auch in dieser das
Leben Israels der nur-natürlichen Wirklichkeit gegenüber ein Nein bedeutet
habe, was in jedem Falle richtig ist.
Wie Hiob, der, anders als seine
Freunde, nie sokratisch objektive Erkenntnisfragen über Gott anstellt, und der
beim Zerreißen der Bande menschlicher Gemeinschaft erst recht seine Verbindung
mit dem lebendigen Gott erfährt, sieht die Verfasserin das Judentum, das auch
nicht nach dem Wesen, sondern nach dem Willen Gottes fragt, als der Menschheit
innersten Kern heute von der zusammengeballten Feindesmacht der natürlichen
Wirklichkeit bedroht, aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßen und gerade
so auf seinen eigensten Platz, unmittelbar vor Gott, gewiesen. Hier kann dann nur noch die Zukunft, die
geeinte Menschheit, das Wirkliche sein, dem nur mit der Hingabe des ganzen
Lebens gedient werden kann.
Es ist der Verfasserin gegeben,
lebendig auf die Sprache der Geister auch unserer Zeit zu lauschen, und da
vernimmt sie, worin die Entleerung unserer Welt, die Lähmung durch das Uebermaß
das Grauens, die Konkretisierung der Schuld bei den auch unter christlichem
Namen heidnischen Völkern bestehen, und auch, welches die Form des heutigen
Judentums in seiner zerschlagenen Hiobsgestalt ist.
Einen wichtigen Ausgangspunkt
für ein ersprießliches jüdisch-christliches Gespräch bietet die Stellungnahme
der Verfasserin zu Christus. Sie
verweist auf Hiob, der nicht fragt, was ist dein Wesen, deine Gestalt, o Gott,
und folgert von da aus, dass dem Judentum eben gerade die Frage nach dem Wesen
Christi, nicht dessen Wesen und Wirken selber, fremd sei, welches gerade die
reinste Wahrheit Israels bestätigt, aber durch dogmatische Fragen nach der
Bedeutung auf eine dem Geist Israels fremde Ebene verbannt wird. Es dürfte durchaus auch im Sinne des
urchristlichen Neuen Testaments liegen, wenn anstatt der Frage, was uns um
Christus dünkt, die andere, was Christus konkret verlangt, tritt. So weist die Verfasserin dem heutigen
Judentum die Aufgabe zu, Volk zu sein, aber nicht im nationalistischen Sinne,
was gerade auch den Zionismus verfälschen müsste, sondern zugleich mehr als
Volk, Darstellung des Menschlichen zur Umbildung der Gemeinschaft.
Von dieser Grundhaltung aus
werden mannigfache Gebiete angerührt, auf die hier nicht im einzelnen
eingegangen werden kann, wie die innerjüdischen Fragen von Emanzipation und
Zionismus, Fragen betreffs das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen und
anderes mehr. Frau Susmans Hiobbuch hat
uns nicht nur über das jüdisches, genauer genuin israelitisches Denken lebendig
gemacht wird, über das Menschen- und Weltverständnis überhaupt, welches es
heute wieder zu entdecken gilt.
Seit Martin Buber aus den
gleichen Quellen seine lebendige Dialogik schöpfte, dem Menschen damit die
höchste Würde der Zwiesprache zuweisend, ist wohl noch nie, noch dazu in einer
literarischen Form, die entscheidungsfordernde Wahrheit mit Schönheit eint, so
aus dem lebendigen Quell Israels geschöpft worden.