Wie
man sich in der Sprache fremd bewegt. Nachwort. Zu den Essays von Margarete
Susman
Nordmann,
Ingeborg. Margarete Susman: Das Nah- und
Fernsein des Fremden. Essays und
Briefe. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag, 1992.
Das Ganze ist in der Tat ein Gedicht
oder eine Abstraktionssinfonie.
Gustav Landauer zu
Margarete Susmans Buch „Vom Sinn der Liebe“
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Mein
ganzes Leben von Kindheit an war ein Erwachen aus einem immer erneuten Traum,
und bei jedem Erwachen war die Welt und war ich selbst eine andere geworden.
Doch konnte ich nie sogleich das Ganze und die Folgen der Wandlung überschauen
und nicht sogleich zu dem anderen Menschen werden, den die neue Wirklichkeit
von mir forderte. Erst später, oft nur um Augenblicke, oft auch erst um Jahre
später, ist mir die jeweilige Forderung der Stunde aufgegangen. (...) Ich habe
nicht nur ein Leben, ich habe viele
Leben gelebt.[1]
Wer sich die Zeit
vergegenwärtigt, die Margarete Susmans Leben umspannt, der ist nicht erstaunt
darüber, daß sie von sich behauptet, sie habe nicht ein Leben, sondern viele
Leben gelebt. Margarete Susman ist 1872 in Hamburg als Tochter einer
großbürgerlichen jüdischen Familie geboren und 1966 in Zürich gestorben. In
Zürich verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend und dorthin kehrte sie als
Emigrantin nach 1933 zurück.
Der erste Weltkrieg und die
Machtergreifung des Nationalsozialismus bewirkten jeweils einen tiefen
Einschnitt in ihrem Leben. Der erste Weltkrieg beendete die rein geistige und
unpolitische Zeit ihres Daseins, der Nationalsozialismus vernichtete alle
ihre Hoffnungen, aus der Begegnung zweier Traditionen, der deutschen und der
jüdischen, eine pluralistische Kultur entstehen zu lassen.
Doch nicht nur die Geschichte
zwang das Leben Margarete Susmans in mehrere Zeiten hinein. Die Aufspaltung in
mehrere Leben war auch ein Gesetz ihrer inneren Verfassung. Sie zeigte sich in
der Vielfalt ihrer Begabungen und Tätigkeiten. Sie war Malerin, Lyrikerin,
Essayistin und Privatgelehrte. Neben dieser offensichtlichen Seite gab es noch
eine tieferliegende, strukturelle. So weist sie ihre Rolle als Gesprächs- und
Briefpartnerin von Philosophen und Dichtern eher in das 19.Jahrhundert, in die
Tradition der romantischen Salons ihrer berühmten jüdischen Vorgängerinnen.
Ihre engagierte Teilnahme an den philosophischen und politischen Fragen ihrer
Zeit in das 20. Jahrhundert. Sie nahm an verschiedenen theoretischen
Strömungen teil, der Lebensphilosophie, der Phänomenologie, dem
Existentialismus, ohne daß man von genau bestimmbaren Entwicklungsetappen
sprechen kann. In diesem Fall ist es nicht der Wechsel der Zeiten, der ihrem
Engagement verschiedene Signaturen aufprägte. Vielmehr wird die Abfolge der
Zeit außer Kraft gesetzt durch ein Vermögen, das sich in die Spannung des
Augenblicks zu stellen vermochte. Die Vielfalt ihrer theoretischen Interessen
verdankte sich der Beweglichkeit ihrer
Vorstellungskraft, die keineswegs mit Relativismus verwechselt werden darf.
Denn ebenso wie sie sich immer wieder von der Besonderheit anderer Autoren
überraschen ließ, war sie interessiert an der Aufrechterhaltung von
Kontinuitäten. Es ging. ihr um eine Balance von Altem und Neuem, nicht um die
„Zuspitzung der Extreme“ (Walter Benjamin). Ihr ganzes Werk durchzieht eine
merkwürdige Mischung aus einer oft altmodischen, vergangenen Traditionen
verpflichteten Denkweise und einer ganz modern anmutenden, konzentrierten
Auffassung eines zeitkritischen Gedankens. Hinter dieser Verwirrung der Zeiten
lassen sich zwei Pole erkennen, zwischen denen sich ihr Denken bewegt hat: Sie
wollte gleichzeitig den Augenblick erfassen und die Ewigkeit denken.
Ebenso
diskontinuierlich war ihr Zugang zur philosophischen Diskussion. Sie begann
zunächst Gedichte zu schreiben. Bevor sie mit ihrem ersten philosophischen
Essay an die Öffentlichkeit trat, hatte sie mehrere Gedichtbände publiziert.
Ihre Vorbilder waren Rilke und Leopardi. Doch hat sie in ihren Gedichten mehr
eine autobiographische Dimension gesehen und nicht die strenge Arbeit am Text.
Am Unterschied zu Ricarda Huch und Else Lasker-Schüler wurde ihr klar, daß für
sie das „Dichten immer etwas (war), das allein mich selbst anging, eine innere
Befreiung, die mit meinem äußeren Verhalten nichts zu tun hatte, und das lag
sicher nicht allein an der größeren Bedeutung jener beiden“.[2]
Die
Erfahrung des 1. Weltkriegs motivierte sie dann, diesen Weg abzubrechen. Sie
wollte als Schriftstellerin eine größere Realitätsnähe und politische
Wirksamkeit. In ihrer Schreibweise blieb sie jedoch Grenzgängerin zwischen
Dichtung und Theorie. Deshalb wurde der Essay für sie zur idealen Form, in der
sich ihre Sprache bewegen konnte. Margarete Susmans geistige Welt war eine Welt
der Bilder. Erfahrungen wurden zu Bildern konzentriert, durch Bilder
interpretiert, die wie Knotenpunkte ihr Werk durchziehen und es strukturieren.
In der ersten Zeit ihres schriftstellerischen Engagements waren alle Erfahrungen
ap die mystische Sehnsucht nach der vollkommenen Einheit und ihre Erfüllung in
der Allmacht des schönen Bildes gebunden:
Ich
schrieb neben den vielen lyrischen Gedichten oft auch lange merkwürdige Epen,
in denen die Menschen so überwältigend schön waren, daß sie, wenn sie sich zum
erstenmal sahen, ohnmächtig einander zu Füßen sanken.[3]
Die sinnliche Präsenz
des Bildes vermittelte ihrer Phantasie das Erlebnis einer unmittelbaren
Beziehung zwischen der eigenen und einer höheren Ursprünglichkeit. Widerstände
und Gefahren durch die Begegnung mit der äußeren Realität und Geschichte
konnten auf diese Weise umgangen werden. Rückblickend hat Margarete Susman die
Realitätsabgewandtheit dieser Zeit als „Leben im Traum” bezeichnet. Trotz
dieser Distanzierung blieb die Faszination durch eine Sprache, die nicht von
einer verabredeten Logik beherrscht ist. Durch die Lektüre Nietzsches erhielt
ihre kritische Haltung gegenüber der philosophischen Begrifflichkeit eine
konkretere Richtung. Sie setzte nun nicht mehr Intuition und Reflexion in einen
Gegensatz, sondern versuchte, verdeckte sprachliche Wirklichkeiten durch das
Abtragen konventioneller Bedeutungsschichten zu erkunden. Auf der Suche nach
einer neuen Genauigkeit wurde die Begegnung mit Georg Simmel zu einer sie
bestätigenden und motivierenden Erfahrung. Seit 1900 besuchte Margarete Susman
als Gasthörerin die soziologischen Vorlesungen von Georg Simmel in Berlin und
war fasziniert von seinem individuellen, keinem System verpflichteten
Denkstil. Simmels mikroskopischer Blick für die Phänomene des Alltags und der
Kultur war in der Lage, die materiellen Verschiedenheiten der Dinge zu
rekonstruieren, welche die Begriffe verflüchtigt hatten. Aber noch ein weiterer
Aspekt muß Margarete Susman besonders angezogen haben: Sein Versuch, gegenüber
den durch Geld-und Warenverkehr zerstückelten Erfahrungen eine individuelle
Gegenwelt in der Kunst aufzubieten. Doch die Wirklichkeit, die authentischer
Ausdruck des Lebens sein konnte, wurde für sie nicht die Kunst, sondern die
Religion. Damit einher ging eine Akzentverschiebung. Während Simmel dazu
neigte, die Kunst zum Ort des geretteten Andersseins zu stilisieren, hielt
Margarete Susman eine derartige positive Formulierung nicht mehr für möglich.
In ihrem 1912 veröffentlichten Essay über den Sinn der Liebe wird die Liebe zur einzigen Realität erhoben, die
auf die Partikularität und Zerrissenheit des Menschen noch eine adäquate
Antwort zu geben vermag. Sie ist einzige, aber unverlierbare Möglichkeit, zu
einem Absoluten in Beziehung zu treten. Das heißt nicht, daß Margarete Susman
an die substantielle Macht der Liebe glaubt. Liebe ist wirklich nur, wenn wir,
während wir sie denken, auf ihre reale Anwesenheit verzichten. Die Liebe „muß
Sehnsucht bleiben ihrem Wesen und dem Wesen des Lebens nach“.[4]
Der Wunsch
nach Liebe wird begriffen als der Rückzug aus dem Selbst und der Welt der
Selbstbehauptung, jedoch nicht als ein in die inneren Kammern verschlossenes
Gefühl. Sie ist eine nach außen gerichtete Bewegung: der Dialog mit dem
anderen.
Margarete Susman
besuchte nun regelmäßig die wöchentlichen Privatkolloquien Simmels in Berlin,
an denen auch Georg Lukács und Ernst Bloch teilnahmen. In ihren Erinnerungen
schreibt sie:
Die
Empfänge des Hauses Simmel, die wöchentlichen >Jours< waren ganz im
gemeinsamen Geist ihrer Kultur gestaltet. Sie waren eine soziologische
Schöpfung im Kleinen: die einer Geselligkeit, deren Sinn die Pflege des höchst
Individuellen war. Das Gespräch hatte dort eine Form, in die kein Mensch sich
selbst mit seinen Eigenarten, Problemen und Nöten mitbringen durfte, die, losgelöst
von aller Schwere, in einer Atmosphäre von Geistigkeit, Liebenswürdigkeit und
Takt schwebte.[5]
Die Rolle, die
Margarete Susman dort einnahm, war merkwürdig doppeldeutig. Aus ihrer
Korrespondenz gewinnt man den Eindruck, daß sie neben Simmel ein geheimes
zweites Zentrum war, neben dem unaufhörlich Einfälle produzierenden männlichen
ein spezifisch weibliches, begabt zu hören und zu verstehen. In dieser Rolle
läßt sich Margarete Susman mit Rahel Varnhagen vergleichen, von der sie später
in ihrem Buch Frauen der Romantik ein
mit ihren eigenen Zügen vernetztes Porträt zeichnen wird. Mit Rahel Varnhagen
gemeinsam hat sie nicht nur die umfangreiche Korrespondenz, sondern auch die
kulturelle Zwischenstellung zwischen Rezeptivität und eigener Berufung zur
Schriftstellerin. Ihre rezeptive Fähigkeit machte sie zur bevorzugten
Rezensentin der Werke ihrer Gesprächs- und Briefpartner. In dieser Tätigkeit
war sie nicht dagegen gefeit, in die Rolle der Muse gedrängt zu werden. Die
heftigen Stilisierungen ihrer Person verdecken nur oberflächlich ihre
problematische Position: daß sie zwar als Rezensentin, der es nie um Polemik,
sondern immer um eine den Gegenstand bewahrende Interpretation ging, gesucht
war, als Frau mit eigenen theoretischen Interessen jedoch kaum auf Resonanz
stieß. Ein Beispiel dafür ist die konfliktreiche Geschichte ihrer Freundschaft
mit Ernst Bloch. Aber auch Georg Lukács und später Gershom Scholem haben sich
gegenüber ihren Schriften sehr distanzierend geäußert. Wie existenziell jedoch
ihr Bedürfnis nach Selbständigkeit war, zeigt die an Virginia Woolf erinnernde
emphatische Begrüßung des ersten eigenen Zimmers:
Nie
vergesse ich den Augenblick, in dem ich zum ersten Mal ein bescheidenes,
kleines Zimmer in einer mir fremden Stadt betrat, das aber mein eigenes Zimmer
war. Frei! Freiheit! rief damals alles in mir. Es war ein Rausch, der mich
überkam, wie er mit dem Begriff der Freiheit verbunden ist.[6]
Ebensowenig wie ihr
rezeptives Vermögen mit Einfühlung verwechselt werden darf, ist ihr
hartnäckiges Beharren auf theoretischer Eigenständigkeit mit dem Versuch der
Durchsetzung eines Standpunkts zu vergleichen. Der Dreh-und Angelpunkt ihrer
Haltung ist ein Verständnis von Individualität, das in seiner kritischen
Sensibilität gegenüber Selbstbehauptung und Konkurrenz einen Gedanken der
Kabbala zu wiederholen scheint: die Nichtbeachtung oder der Verlust auch nur
einer Besonderheit kommt der Zerstörung von Welt gleich. In dieser
Aufmerksamkeit, die wahrnehmen, aber nicht besitzen will, kristallisieren sich
zwei Richtungen, welche die Art und Weise ihres Denkens ausmachen: ihr Sinn für
die in der Sprache aufbewahrten unverwechselbaren Verschiedenheiten und ihre
Affinität für bestimmte Formen des dialogischen Denkens, wie sie ihr vor allem
in der jüdischen Philosophie begegnen sollten.
Die Entzifferung verborgener
Sprachelemente hat bei Nietzsche zur Voraussetzung, daß die stillschweigende
Allianz zwischen Philosophie und Religion sichtbar und rückgängig gemacht wird.
Während jedoch für Nietzsche die strukturelle Identität philosophischen und
religiösen Fragens - die Philosophie funktioniert nach Art ewiger Glaubenssätze
- auf eine sich wechselseitig bestätigende Machtkonstellation verweist, die es
abzuschaffen gilt, wird für Margarete Susman der „Exodus aus der Philosophie”
zum Anlaß eines erneuten Nachdenkens über den Stellenwert religiöser
Erfahrung. Für Nietzsche arbeitet die Kunst an der Subversion der
philosophischen Metaphern, für Margarete Susman ist das Unsagbare mit der
Religion verknüpft. Da sie keineswegs hinter Nietzsches Zeitdiagnose „Gott ist
tot” zurückfallen will, begibt sie sich auf das Terrain einer Paradoxie. Sie
versucht auf dem Boden des Zusammenbruchs transzendentaler Gewißheiten Transzendenz
zu denken. Man kann diese Paradoxie noch zugespitzter formulieren. Gerade der
Zusammenbruch abendländischer Traditionen und Werte machte für Margarete
Susman den Rekurs auf das religiöse Denken zu einer Notwendigkeit, weil es gegenüber
der Philosophie unmittelbarer mit den entscheidenden Fragen menschlicher
Existenz, seiner Endlichkeit und Zufälligkeit, verbunden war. Das hieß jedoch,
daß Religiosität nicht mehr von einer bestimmten Religion, der institutionalisierten
Tradition, sondern von der Erfahrung her zu entfalten war.
Die Hervorhebung der
Erfahrung als das eigentliche menschliche Vermögen gegenüber einer abstrakten
und weltfremden Philosophie rückt Margarete Susman in die Nähe ähnlicher
existentialistischer Versuche, einen Bruch mit der Vergangenheit zu vollziehen.
Vor allem sind hier Martin Buber und Franz Rosenzweig zu nennen. Durch die
Schrecken des ersten Weltkriegs war der Glaube an eine herstellbare Einheit
zwischen einer vernünftigen ethischen Norm und der Wirklichkeit verlorengegangen.
Die Vernunft mußte entweder zu den Fragen schweigen, auf die sie keine gewisse
Antwort hatte; diesen Weg ging Wittgenstein. Oder sie konnte jene Erfahrung
zum Ausgangspunkt dafür machen, ihre Rechtfertigung nicht in der Welt, sondern
in einem letztlich nicht begründbaren Außen zu suchen. Für diesen Weg
entschieden sich Buber und Rosenzweig ebenso wie Margarete Susman. Aber anders
als bei Buber und Rosenzweig hat ihr religiöses Bekenntnis weder einen präzise
benennbaren Ursprung in einem Erlebnis, noch fügt es sich einer Tradition ein.
Es gleicht vielmehr einer komplexen Vernetzung von Lektüren und Gesprächen.
Religiosität bedeutet für Margarete Susman erfahrene Intensität durch Sprache.
Damit kündigt sich eine Besonderheit in ihrem Bekenntnis zum Judentum an.
Margarete Susman ist nicht
religiös erzogen worden. Ihr Vater war in erster Linie Demokrat, ein Anhänger
der 48er Revolution, der sich an den Werten der Aufklärung und des Liberalismus
orientierte. Die Familie war assimiliert, aber nicht in jener bemühten Art, die
leicht zur Überidentifikation neigt. So ist für Margarete Susman bei aller
Affinität für die Werte der deutschen Kultur kennzeichnend, daß sie sich
selbstverständlich in den verschiedenen kulturellen Kontexten bewegte, mit denen
sie sich auseinandersetzte. Vielleicht bot der Ort, an dem sie ihre Kindheit
und Jugend verbrachte, einen Bewegungsraum für diese Selbstverständlichkeit.
Sie ist zwar in Hamburg geboren, aber in Zürich aufgewachsen. In dieser
Richtung lassen sich die wenigen Anmerkungen ihrer Autobiographie
interpretieren, die sie zu ihren Erlebnissen in Hamburg und Zürich macht. Aus
der Hamburger Zeit berichtet sie von einer frühen Erfahrung der Ausgrenzung,
während für Zürich ein Ausspruch des Vaters steht, daß sie dieses Land lieben
müsse, weil es politische Flüchtlinge aufnehme.
Ihr zunehmendes
Interesse an der jüdischen Philosophie und Religion und ihr schließliches
Bekenntnis zu ihrer jüdischen Existenz sind aber keineswegs als eine
politische Entscheidung zu verstehen, die durch die Auseinandersetzung mit dem
Antisemitismus hervorgerufen wurde. Erst der Nationalsozialismus veranlaßt
Margarete Susman zu einem politisch begründeten Einschnitt. Ihr Bekenntnis zur
jüdischen Kultur verdankt sie einer anderen Erfahrung. Sie ist Jüdin, weil sie
im jüdischen Denken Bildern und Denkfiguren begegnet, die ihrer Suche nach
einer Sprache, die dazu anhält zu fragen und nicht zu antworten,
entgegenkommen. Ihre Art zu denken bedeutet, Fragen zu stellen. So sehr ihr
bewußt ist, daß dies die Nahtstelle ihrer Zugehörigkeit zum jüdischen Denken
ist, beginnt sie nicht mit einem Studium des Talmud. Ihr Zugang zur jüdischen
Tradition bleibt individuell und autodidaktisch. Sie hat nicht das Wissen des
Philosophen oder Theologen. Ihr Wissen ist ein Schriftstellerwissen. Es
kultiviert, wie Octavio Paz am Beispiel von Borges formuliert hat, den
individuellen Zugang zur Tradition, indem es behält und wiederholt, was ihm
zusagt, und den Rest unbeachtet läßt. Auf diese Weise werden die Lektüren
Spinozas, Bergsons, Bubers und Rosenzweigs zu Erfahrungen, die es ihr
ermöglichen, eine eigene Haltung zu entwickeln; und nicht zuletzt die Lektüre
der Bibel, die für sie nicht eine Reihe abgeschlossener Geschichten darstellt,
sondern in unmittelbarer Beziehung zum Exil des jüdischen Volkes und der
Heimatlosigkeit des modernen Menschen überhaupt stehen.
Das Fehlen einer
systematischen Gedankenführung läßt ein anderes Vermögen in den Vordergrund
treten: eine produktive Beweglichkeit und immer neu ansetzende Aufmerksamkeit
für die Momente in der Geschichte, in denen die Werte der Freiheit und der
Verantwortung bedroht sind. Ihr unbeirrbares religiöses Interesse artikuliert
sich vor allem als Widerstand gegen
die totale Vereinnahmung des Menschen durch die Geschichte. Der Mensch ist
mehr als die Geschichte. Er hat die Wahl, seine Existenz selbst zu bestimmen.
Diese Möglichkeit sieht sie gefährdet, wenn an die Stelle Gottes der moderne
Götze Geschichte tritt. Deshalb wendet sie sich gegen die völlige
Säkularisierung von Transzendenz. Seismographisch registriert sie Elemente
eines nicht mehr balancierbaren Machbarkeitswahns, wenn Transzendenz in
absolutes Wissen und geschichtliche Verfügbarkeit umgewandelt wird. Bereits in
ihrer Rezension zu Georg Lukács' Essaysammlung Die Seele und die Formen schreibt sie:
Unsere
metaphysische Sehnsucht treibt uns in die Geschichte, läßt uns in ihr Formen
und Bewährungen des Ewigen suchen. Der Schaffenswahnsinn unserer Zeit, für die
Schaffen etwas ganz anderes bedeutet als für alle früheren Zeiten, die schaffen
muß, weil sie jene Formen des Absoluten nicht vor dem Leben besitzt, sondern sie selbst erzeugen muß, die
gestalten muß, weil die Welt leer ist (...) Geschichte wird in unserer Zeit,
in der alle Träume von einer in ihr geoffenbarten, durchschaubaren göttlichen
Logik zerronnen sind, vielleicht religiöser empfunden als je zuvor.[7]
Was Lukács in seinen
späteren Schriften in so widersprüchlicher Weise miteinander verknüpfen sollte,
die Geschichte und die Hoffnung auf eine andere Welt, wird von Margarete Susman
getrennt. Die messianische Hoffnung ist für sie in der Geschichte unerfüllbar,
aber sie kann als ethische Haltung vergegenwärtigt werden in Momenten der
Unterbrechung der geschichtlichen Zeit. Im Gegensatz zum utopischen Denken, das
die Idee der befreiten Menschheit in die Zukunft projiziert, orientiert sich
Margarete Susman nicht an einem utopischen Ziel, sondern an den Aufgaben
individuellen Urteilens und Handelns in der Gegenwart. Darin unterscheidet sie
sich auch von Ernst Blochs apokalyptischen Deutungen der Prophetie, obwohl
eine Reihe von Formulierungen, insbesondere in ihrer Rezension zu Geist der Utopie, in Blochs Richtung weisen.
Unter dem Blickwinkel ihrer weiteren Entwicklung läßt sich jedoch ihre
wesentliche Intention erkennen. Es geht ihr nicht um die negative Zuspitzung
der Verhältnisse bis zur Katastrophe, sondern um die Fähigkeit zur Entscheidung
in einer Zeit zugespitzter Widersprüche. In diesem Sinne verweigert sie einem
Denken, das alle Hoffnung auf den geschichtlichen Fortschritt oder auf die
erlösende Kraft der geschichtlichen Endzeit setzt, ihre Zustimmung. Die
Katastrophen der Geschichte sollen nicht beschleunigt, sondern durch eine im
Individuum tief verankerte Freiheit angehalten werden.
Der paradoxe Effekt von
Margarete Susmans Haltung ist, daß sie gegenüber Lukács, der subjektive
Möglichkeit und objektive Bedingung zu vermitteln sucht, geradezu
subjektivistisch wirkt. Erst heute kann deutlicher gesehen werden, daß hinter
Lukács ' dialektischem Vermögen, alles miteinander in Beziehung zu setzen,
eine höchst spekulative Anschauung stand: daß Geschichte Gesetze aufweist,
durch die ihr Verlauf voraussehbar und planbar erscheint. Dagegen ist Margarete
Susmans Plädoyer für die freie individuelle Entscheidung nicht mit
dezisionistischer Selbstermächtigung gleichzusetzen. Freiheit wird möglich
durch die Fähigkeit der Erinnerung. Sie erinnert an Augenblicke in der
Geschichte, in denen es gelang, gegen die Übermacht der Natur oder
geschichtlicher Katastrophen die freie Entscheidung zu setzen. Beispielhaft
ist für sie die biblische Geschichte des Bundes zwischen Gott und dem jüdischen
Volk in der Wüste, in der die Gemeinschaft durch den Vertrag und den Dialog
gestiftet wurde. Und ebenso erinnert sie an die Botschaft der Propheten. Sie
verhießen keine Zukunft, sondern verkündeten die Gegenwart des Dennoch, das die Ausweglosigkeit
unterbricht und die Zeit des Anfangs wiederherstellt:
Die
messianische Hoffnung ist grundlose Hoffnung; sie ist überhaupt aus nichts
Irdischem abzuleiten, sie geht von keiner irdischen Wirklichkeit aus, sie ist
kein Mythos, hat keine Gestalt; sie ist (...) eine aller Wirklichkeit
entgegenstehende, eine vollkommen paradoxe. Sie steht im Gegensatz zu allem
irdischen Dasein, ist ein reines Trotzdem.[8]
Eine Beziehung zu Gott
herzustellen, bedeutet also keineswegs, sich von der Geschichte abzuwenden. Es
bedeutet vielmehr, in sie hineinzugehen, indem man dem Zwang zu Konformismus
und Anpassung widersteht und für sich den Moment der Entscheidung bestimmt.
Diese stimmt niemals vollständig mit der Wirklichkeit überein, sondern ist
partiell und in ihren Folgen unübersehbar. Dennoch gibt es keine andere Wahl.
Nur indem dieser Augenblick erfaßt wird, entsteht die Möglichkeit, der
erdrückenden Last der Vergangenheit und der Ungewißheit der Zukunft eine
selbstbestimmte menschliche Praxis entgegenzusetzen:
Die
einzige Form, in der wir die prophetische Wahrheit auf uns beziehen können, ist
die geschichtliche Wahrheit. Wir heutigen Menschen können die Frage, wo wir
stehen, nicht wie der Prophet unmittelbar vom Absoluten aus stellen und
beantworten, weil wir es nicht mehr berühren; wir können sie nur stellen
innerhalb des geschichtlichen Lebens, in dem allein wir uns zu erfassen
vermögen: als Frage nach dem, an das wir kraft unseres Standortes heranreichen,
was wir mit unserer eigenen, an diese Zeit, an diesen Raum gebundenen Existenz
berühren.[9]
Wenn die größte Dichte
von Bedeutung vom Unmittelbaren ausgeht, von der Erfahrung, dann wird es
entscheidend für die Frage nach einer freien menschlichen Existenz, ob die
Erfahrung des Authentischen wie bei Heidegger in einer Ontologie verankert
wird oder im Dialog, ob der Dialog als eine Begegnung auf gleicher Ebene gefaßt
wird oder asymmetrisch, als Anruf von außen. Wenn Margarete Susman von der nur
individuell erfaßbaren Möglichkeit spricht, sich frei zu entscheiden, dann
darf diese Freiheit nicht als spontane Selbstverwirklichung mißverstanden
werden. Es ist immer eine Stimme von außen, die dazu aufruft und die wir
unmöglich erkennen können. Diese Unmöglichkeit beschreibt sie in der
Metaphorik der jüdischen Religion. Sie nimmt hier eine Denkrichtung auf, welche
im Gegensatz zu mystischen Entwürfen des Einsseins von Mensch und Gott die
Offenbarung und den Dialog mit Gott als Erfahrung einer grundlegenden
Andersheit begreift:
Der
Abstand des Menschen von Gott ist und bleibt unendlich, durch kein Einzelnes
und durch keinen Einzelnen ausfüllbar.[10]
Der so strukturierte
Dialog ist vor jeder inhaltlichen Verständigung Appell, für den anderen
Verantwortung zu übernehmen. Der Andere bleibt in dieser Beziehung in seiner
Andersheit bestehen. Er ist trotz der Verbindung das Absolute, das durch kein Verstehen
eingeholt werden kann. Für Margarete Susman erscheint im Dialog eine bleibende
Fremdheit. Das unterscheidet ihre Konzeption von all jenen Formen des Dialogs,
die von einer kommunikativen Auflösung der Widersprüche zwischen dem Ich und
dem Du ausgehen. Margarete Susman hingegen rechnet immer mit dem Zufall und der
Differenz. Der Dialog bleibt ständige Aufforderung, gerade weil der Mensch mit
dem Unvorhersehbaren und Unverfügbaren konfrontiert ist. Aus dem gleichen
Grund gibt es für sie auch kein philosophisches und ethisches System, das die
richtige Entscheidung garantieren könnte:
Rechtzeitigkeit
ist immer Gnade. Man möchte diese seltene Gnade als einen Augenblick
bezeichnen, in dem die Zeit sich aus unserem Leben zurückzieht und nur die
reine Gegenwart übrigläßt, und je öfter dies geschieht, um so mehr ist ein
Leben ein Leben gewesen. Es liegt aber auch etwas Furchtbares darin, als wäre
alles bisher Gelebte falsch gewesen, als hätte man das ganze bisherige Leben
mißverstanden.[11]
Woran ist ein solches
Denken zu messen? Es widerspräche ihren Intentionen, wenn man ihre Schriften
an den Kriterien eines durchkonzipierten Entwurfs messen würde, da sie diesen
Anspruch gar nicht hatte. Was aber ihr Schreiben auszeichnet, das ist die Offenheit
einer Praxis des dialogischen Denkens. Ihre Stärke liegt darin, jeweils entlang
der Besonderheit eines Textes, einer philosophischen oder politischen
Fragestellung, konkrete Formen der Auseinandersetzung zu entwickeln, die sowohl
der „Bahn des Gegenstandes” (Walter Benjamin) zu folgen vermögen als auch
Spielraum für das eigene Urteil lassen. Dieses dialogische Vermögen, das der
Versicherung einer gemeinsamen Wahrheit nicht bedarf, hat Margarete Susman mit
der anderen Art, als Jüdin zur abendländischen Kultur zu gehören, in
Zusammenhang gebracht. Sie umschreibt diese mit einem Satz Georg Simmels als
das Paradox des Nah-und Fernseins des Fremden:
Mit
der Eigentümlichkeit des Nah-und Fernseins hängen zwei weitere Eigenschaften,
die Beweglichkeit und die Objektivität, zusammen.[12]
Objektivität, nicht
verstanden als wissenschaftliche Neutralität, sondern als das jeder
Interpretation vorhergehende Erfordernis der Gerechtigkeit. Mit diesem
Gedanken verknüpft Margarete Susman eine Ethik der Lektüre, die an Walter Benjamins
Gedanken vom innehaltenden Leser erinnert. Dieser Leser legt sich dem Text
gegenüber eine gewisse Passivität auf, um den Wegen nachgehen zu können, auf
denen ein Text mehr verbirgt als er äußert. Die vergessenen, aber unvergeßlichen
Elemente tragen nach Benjamin die unsichtbaren Züge der „wahren Sprache”, in
welcher „die letzten Geheimnisse, um die alles Denken sich müht, spannungslos
und selbst schweigend aufbewahrt sind.”[13]
Obwohl
Margarete Susman Benjamins Auffassung eines Verfalls der paradiesischen Ursprache
nicht teilt, stimmt sie mit ihm darin überein, daß Sprache durch die Reduktion
auf ihre Mitteilungs- und Nützlichkeitsfunktion in ihren eigentlichen
Möglichkeiten zerstört wird. Und das schließt für beide eine Kritik an der traditionellen
Einbettung von Sprache in die visuelle Sphäre mit ein. Hören ist ein Sinn, der
aufmerksamer und empfänglicher reagiert auf das Andere. Sich in die Tradition
einer Kultur des Hörens stellen, heißt für Margarete Susman auch, sich jenen
Teilen der jüdischen Tradition zuzuwenden, welche das Ethische mehr betonen als
das Ästhetische. Aus dieser Haltung heraus liest sie Texte nicht wie Antworten
auf Fragen, sondern wie Fragen auf Fragen. Das heißt nicht, daß die kritische
Beurteilung eines Textes keine Rolle spielt. Das Urteil erscheint jedoch in
Form einer Frage, auf die es noch keine Antwort gibt. Insofern ist jeder Text
unerschöpflich und der Dialog mit ihm unendlich. Jede Ideologiekritik, die nur
ein bereits fixiertes Schema von richtig und falsch wiederholt, lehnt sie ab.
Das zeigt eine Kontroverse mit Siegfried Kracauer.
Kracauer hatte die
Bibel-Übersetzung von Buber und Rosenzweig als einen neo-romantischen und
archaisierenden Versuch abgetan, ein neues Band zwischen Religion und Gegenwart
stiften zu wollen. Seiner Meinung nach konnte die Widersprüchlichkeit der
sozialen Wirklichkeit mit religiösen Kategorien nicht mehr erfaßt werden.[14]
Die
Reaktion Margarete Susmans zeigt ihre ganz andere Auffassung von Kritik. Sie
bestreitet keineswegs Kracauers negative Haltung gegenüber der Religion,
sondern die Tatsache, daß er auf der Überlegenheit seiner Position beharrt und
andere Bewußtseinsformen als unwahre denunziert. Sie kritisiert seinen
Absolutheitsanspruch:
Kritik,
vor allem negative Kritik, (steht) immer in einem Mißverhältnis zur
schöpferischen Leistung. Negative Kritik hat einen Wert im Sinne, wie die
Romantiker sie übten: als schöpferisches Nachleben des Werkes bis in seine
Zerstörung aus seinen eigenen Voraussetzungen hinein. Dies halte ich aber dem
Buber- Rosenzweigschen Werke gegenüber nur dann für möglich, wenn man selbst
ein sprachschöpferisch Schaffender ist, u. zwar sprachschöpferisch aus
religiösen Voraussetzungen heraus. (...) Ich verlangte von Ihnen kein Opfer
Ihrer Überzeugung, sondern eine Nachprüfung des unbedingten Muß Ihrer Äußerung
an dieser Stelle. Von einer >sachlichen Polemik< schließlich, die, wie
Sie meinen, Rosenzweig nicht scheuen würde, kann doch bei der Art der Distanz
und bei Ihrem Ausgangspunkt und der Art Ihrer Kritik keine Rede sein. Das wäre
bei einer beweisbaren wissenschaftlichen Leistung möglich, nicht aber bei
einer schöpferisch-religiösen: Denn was soll er Ihnen entgegnen: >Du sagst,
mein Werk ist eine Lüge - mein Herz und mein Geist sagt mir: es ist eine
Wahrheit< - oder >Du sagst, religiöse Erneuerung ist in unserer Zeit
nicht möglich - ich aber und mein ganzes Leben sind erneut< - Sie sehen:
jede Existenz und Leistung aus dem Ursprung ist hier in unendlicher Nacktheit
gegenüber der Kritik. Sie hat zu ihrer Rechtfertigung nichts als ihr Dasein.[15]
In ihrer eigenen
Rezension stellt sie den Gedanken heraus, daß Übersetzung ein Vermögen der
Sprache sei, eine Beziehung zwischen zwei irreduziblen Einzigartigkeiten
herzustellen. Diese Beziehung versteht sie nicht als eine Transformation der
einen in die andere Sprache, sondern als Vergegenwärtigung zweier Sprachen, die
sich in der Trennung begegnen. Insofern ist die Übersetzung Modellfall für die
dialogische Lesbarkeit von Texten überhaupt.
Die Fähigkeit zu einer
Wahrnehmung ohne Aneignung liegt für Margarete Susman in einer Annäherung an
die unfaßbare Wirklichkeit des ursprünglichen Dialogs, in dem die Worte ihren
Schwerpunkt in dem haben, worauf es unmittelbar ankommt. Für dessen
Vergegenwärtigung ist im Grunde die schriftliche Sprache bereits ein Hindernis.
Nur der gesprochenen Sprache eignet die Offenheit, die unmittelbar nach Antwort
ruft. Auch altmodische Worte oder Worte, die durch ihren häufigen Gebrauch leer
geworden sind, wie das Wort Gott, können, wenn sie gesprochen, das heißt mit
der ganzen Existenz erfahren werden, eine neue Ausstrahlung gewinnen: Gott ist
der
einzige Name, den die Menschheit je gefunden hat, um das unaussprechbare
Geheimnis auszudrücken, an dem sie ihr selber unenträtselbares Dasein hat, und
an dem sie es schwer und halbschlafend ergreift. Aber weil sie nur dieses eine
einzige, immer und überall gleichklingende Wort gefunden hat, darum wird es im
Lauf der Jahrtausende eintönig und leer. Immer bedarf es, um diesen Namen zu erfüllen,
einer Anstrengung des ganzen Lebens.[16]
Die Uneinholbarkeit
sprachlicher Ursprünglichkeit belastet einen solchen Anspruch mit einem Risiko
und der Versuchung, es mit traditionellen Metaphern zu bewältigen. In diesen
Widerspruch gerät auch die Sprache Margarete Susmans, der den Zugang zu ihrem
Werk schwierig macht. Nicht immer gelingt es, einen konzentrierten Gedanken aus
den Konstruktionen sprachlicher Dichte hervorspringen zu lassen. Der Mangel an
Sprachskepsis zeigt in vielen Textpassagen eine unkritische Weiterführung von
Traditionen, die das pathetische Klima von Krise und Neubeginn Anfang des 20.
Jahrhunderts ausmachten: der Lebensphilosophie, des Expressionismus, der
negativen Theologie. Ihre Argumentation ist dann mit elementaren und
apokalyptischen Metaphern überladen, durch welche die Widersprüchlichkeit der
Realität und die Verschiedenheit der Erfahrungen nicht mehr artikuliert werden
kann. Margarete Susmans Neigung, gegen den Schein der Oberfläche authentische
Sprachkerne herausschälen zu wollen, führte dazu, daß sie die
Bedeutungsmöglichkeiten bestimmter „Urworte” überschätzte und in einer
substantialistischen Weise gebrauchte. Sie sah in der Sinnkrise und
Sprachskepsis der Moderne vor allem den Verlust, nicht die Möglichkeit, durch
Auflösung erstarrter Referenzen neue Realitäten erkunden zu können.
Von hier aus ist auch die große
Anziehungskraft zu verstehen, die Goethe zeitlebens auf sie ausgeübt hat.
Goethe hatte für sie die Funktion einer Gegenfigur zu dem „unglückseligen Verhältnis,
in dem die deutsche Metaphysik von je zur deutschen Wirklichkeit stand.”
Gegenüber der Realitätsblindheit von deren Spekulationen erschien Goethe als
Denker des Maßes und der geschlossenen Ganzheit, in dem die sonst getrennten Lebenssphären
versöhnt sind. Verdankt sich dieser Gedanke eher einer idealistischen
Projektion, so kommt in der folgenden Überlegung eine genauere Beobachtung zum
Ausdruck, die wahrscheinlich durch die Lektüre von Benjamins Aufsatz über die Wahlverwandtschaften inspiriert worden
ist. Es ist die im Theorem des Urphänomens sich kristallisierende Fähigkeit
Goethes, was er materiell vorfindet, zum Ausgangspunkt seines Denkens zu machen
und sich gegen die abstrakte Systemphilosophie zu stellen:
Goethes
Denken war im strengen Sinne nur ein Anschauen der Welt, ein Nachdenken der
Gedanken der Natur. Daher die strenge Objektivität und Präzision seines
Denkens. Zu schauen, nicht zu schwärmen, war die Losung seines Lebens. (...)
Sein Denken war, so möchte man sagen, durchweg ein Lesen. In ihrem bloßen
Anschauen las er die Wahrheit der Dinge.[17]
Margarete Susman fand
also bei Goethe die Haltungen wieder, die auch für sie gegenüber dem
formalisierenden Definieren der Philosophie wichtig waren: die Orientierung an
dem Konkreten und an der Erfahrung. So wurde Goethe nicht nur zur historisch
einmaligen Erscheinung gelungener Selbstverwirklichung, sondern auch seine
Sprache zum Modell erfüllter Erfahrungsfähigkeit und Authentizität. Diese
Haltung führte Margarete Susman stellenweise zu konventionellen Lektüren, in
denen sie Theoretiker der Auflösung traditioneller Werte wie Nietzsche und
Heidegger dem Schema von Lukács' Irrationalismusverdikt zuordnete und im
Vorfeld der „Zerstörung der Vernunft” durch den Nationalsozialismus situierte.[18]
Es macht jedoch ihre Fähigkeit
aus, diesen Diskurs immer wieder zu unterbrechen, daß sie an der Differenz
jüdischer Existenz festhält und damit auch an der Art des Fragens, die sich
durch die ethischen Implikationen der Bilderlosigkeit eröffnet. In ihrer
Deutung kann die jüdische Bestimmung in dem Modell von Selbstverwirklichung,
das Goethe repräsentiert, nicht ihr Ziel sehen. Sie ist an das Gebot der
Bilderlosigkeit gebunden, solange nicht die gesamte Menschheit befreit ist.
Deshalb ist jede gegenwärtige Möglichkeit, wie sie am Beispiel von Rahel
Varnhagen ausführt, auf die Zukunft verwiesen:
Und
wenn Rahel von sich selbst sagt: >Gestern habe ich erfunden, was ein Paradox
ist: eine Wahrheit, die noch keinen Raum findet, sich darzustellen und darum
mit einer Verrenkung hervorbricht< - so können wir heute sagen, daß ihre
Wahrheit nicht so sehr eine geschichtlich verfrühte, wie eine in der
geschichtlichen Welt, in der sie lebte, grundsätzlich undarstellbare war.[19]
Die Botschaft der
Bilderlosigkeit interpretiert Margarete Susman nicht kategorisch als Verbot
der Bilder. Wenn sie den Inbegriff des jüdischen Denkens mit der
Bilderlosigkeit identisch setzt, so hat sie eine normative Unterscheidung im
Sinn, die sich in der Geschichte vermischt. Die wesentlichen Intentionen sollen
jedoch in den verschiedenen konkreten Verknüpfungen nicht verlorengehen, da
sich in ihnen unterschiedliche Qualitäten ausdrücken, die für das Begreifen von
Geschichte und vor allem der Momente von Freiheit und Gerechtigkeit unerläßlich
sind. So stellt sie die griechische Idee, welche sich auf das Auge, und das
jüdische Gebot, welches sich auf das Ohr gründet, als „geistige Grundformen”
nebeneinander, die dem „gesamten abendländischen Denken” zugrunde liegen, sich
aber nur in vielfältigen Kombinationen realisiert haben.[20]
Unter den
Bedingungen der Geschichte wird daher die Bilderlosigkeit zu einer
regulativen Idee, die das Urteilsvermögen befähigt, aus der vorgegebenen
Bilderwelt herauszutreten und sich von den Phantasien der Macht und des
Konformismus zu distanzieren. Durch das Ethos der Bilderlosigkeit werden wir
angehalten, dem Identifizierungssog zu widerstehen und das Band zu knüpfen,
das zwischen den Menschen als endlichen und unendlich verschiedenen Wesen eine
gleichberechtigte Beziehung herzustellen vermag: den Dialog.
Es gibt also zwei Richtungen in
ihrem Denken. Die eine zeigt sich in der Anziehungskraft, die ein bestimmtes
Bild von Goethe auf sie ausübt, dessen Leben und Werk eine dem Menschen
mögliche Vollkommenheit symbolisiert. Sie zeigt sich ebenso in ihrer Vorliebe
für eine Sprache, die den ganzen Menschen anspricht. Im Grunde folgt sie mit
diesem Ansatz dem Modell der klassischen Ästhetik, in dem Schönheit und Ethik
versöhnt sind.
Auf der anderen Seite trennt
sie Ethik und Schönheit. Vor allen
Wahrnehmungen und Vorstellungen steht eine Beziehung, die über das bekannte Maß
hinausgeht. Bevor das Ich durch den Blick des anderen zum Bild wird, hat es
teil an einem Dialog, den es nicht gewählt hat, in dem daher Passivität und
Neubeginn, Verantwortung und Selbstbewußtsein auf paradoxe Weise
zusammenfallen. Daraus folgt nicht die Unterordnung der Ästhetik unter die
Ethik. Die Verhältnisse von Ordnung und Unterordnung sollen gerade unterbrochen
werden, um der Aufmerksamkeit ihre unendlichen Möglichkeiten der Differenzierung
zurückzuerstatten. In der Ambivalenz beider Richtungen kommt eine Aporie ihres
Denkens zum Ausdruck. Die Krise der Moderne wird von Margarete Susman nämlich
in zweifacher Weise gedeutet. Sie ist einmal Folge der gespaltenen Existenz
des Menschen, des tragischen Verlustes einer ursprünglichen Einheit; und sie
ist zweitens Ausdruck eines anderen Verlustes: des mangelnden Vermögens zur
Vielfalt. Beide Erklärungen führen jeweils zu Haltungen, die einander ausschließen.
Denn die Vision einer Aufhebung der Widersprüche ist mit ihrem ethischen
Grundgedanken, der auf eine andere Kultur des demokratischen Umgangs mit der
Differenz und Andersheit zielt, nicht vereinbar.
In ihren Reflexionen
zur Geschlechterdifferenz folgt Margarete Susman weitgehend der Argumentation
Georg Simmels, die alle Bilder des Weiblichen als Projektionen einer männlichen
symbolischen Ordnung ausweist. Die Frage nach dem Sein, genauer: Anders-Sein
der Frau, die sich nicht in der Wiederholung der traditionellen
Geschlechterpolarität erschöpft, ist nach Simmel noch gar nicht gestellt
worden. Diesen Versuch unternimmt er durch die metaphysische Konstruktion eines
absoluten Seins der Frau. In der „übergeschlechtlich fundamentalen”
Weiblichkeit ist das weibliche Sein mehr als das, weil es „die allgemeine, die
Geschlechter substantiell oder genetisch zusammenfassende Grundlage
darstellt.“[21]
Simmel
rettet das Anders Sein der Frau vor der Hegemonie einer männlich geprägten Kultur,
indem er Weiblichkeit als Mütterlichkeit in den Rang einer absoluten Substanz
hebt. Margarete Susman, die durchaus im lebensphilosophischen Kontext bleibt,
insofern sie als das „Grundgesetz des weiblichen Daseins (...) die unaufhebbare
Identität mit dem Leben” bezeichnet, situiert jedoch im Dasein der Mutter eine
Ambivalenz. Sie ist „eins mit sich und mit dem, was nicht mit ihr eins” ist. In
der Mutter verkörpert sich nicht der absolute und vollkommene Grund des Lebens.
Sie ist Ort einer Kontraktion. Denn sie gibt das Leben dem anderen, dessen Dasein
sie nicht leben und dessen Tod sie nicht sterben kann. Sie übernimmt letzte
Verantwortung ohne die Freiheit der Entscheidung. An dieser „außerethischen,
unterethischen Einsamkeit und Leere enden, alle männlichen Kategorien”.[22]
Bei diesem Gedanken läßt sich
Margarete Susman von einer strukturellen Affinität in der Deutung der Schöpfung
leiten, wie sie auf den jüdischen Mystiker Isaak Luria zurückgeht. Gott, der
immer schon alles und also auch die Vollkommenheit ist, hat die unvollkommene
Welt nicht durch eine Ausweitung seiner selbst geschaffen, sondern durch einen
Akt der Kontraktion. Indem Gott sich zurückzog, schuf er den Platz für die
Welt - und lehnt zugleich eine Verantwortung für das Böse ab. Schöpfung ist für
Luria nicht die Emanation der Bedeutungsfülle, sondern Katastrophe und
Trennung. Zugleich aber wird die Vorstellung von der Abwesenheit Gottes in der
Welt zu einem unabweisbaren Impuls jeder ethischen Entscheidung: der Achtung
vor der unübersteigbaren Andersheit. Durch die Übertragung dieses Gedankens
eröffnet Margarete Susman neben der symbolischen Welt der Geschlechterdifferenz
einen vorgängigen Raum, der präsent, aber nicht definierbar, der auf die Kultur
bezogen und ihr zugleich entzogen ist. Als eine der symbolischen Welt
unzugängliche Region ist das Weibliche bilderlos. Margarete Susman gibt ihr
den Namen der Seele in der Deutung Heraklits: „Der Seele Grenzen kannst Du
nicht ausfinden, und ob Du jegliche Straße abschrittest, so tiefen Grund hat
sie.” Obwohl Margarete Susman in der Beschreibung des Anders-Seins der Seele
auch traditionelle Bilder verwendet, ist doch die Art und Weise, wie sie das
Unverfügbare der Seele auf die Kultur bezieht, nicht vereinbar mit einer
Auffassung, die das Weibliche als andere Subjektivität festzuschreiben sucht.
Das bilderlose Weibliche kann nur als Unterbrechung oder Störung der Symbolik
in Erscheinung treten.
Für Margarete Susman ist die
ethische Haltung, die sich mit dem Gebot der Bilderlosigkeit verknüpft, eine
kulturelle Errungenschaft, hinter die auch die Emanzipation der Frau nicht
zurückfallen darf. Bilderlosigkeit bedeutet für sie nicht Unterwerfung des
Konkreten durch das abstrakte Gesetz. Die Bilderlosigkeit ist der authentische
Gegenpol zur Macht. Der Weg der Frau ist daher immer Umweg, und damit meint sie
eine oszillierende Bewegung zwischen Distanz und partieller Identifikation.
Für diese schwierige Perspektive vermittelt sie keinen Wegweiser. Sie versucht
nicht, aus den Bruchstücken imaginierter matriarchalischer Kultur weibliche
Identität zu rekonstruieren. Ihre Suche zielt auf jene Dinge, die in einer aus
den Fugen geratenen Welt noch Bestand haben können. So sind die Formulierungen
zu verstehen, in denen sie zum Beispiel die Ehe als eine zivilisatorische, wenn
auch prekäre Form verteidigt, in der die voneinander getrennten Geschlechter
in eine Beziehung treten können, die auf der freien Entscheidung beruht.[23]
Das
Scheitern ihrer eigenen Ehe erfuhr sie als Zusammenbruch des ganzen bisherigen
Lebens. Doch hat Margarete Susman auch eingestanden, daß sie aufgrund ihres
großen Bedürfnisses nach Unabhängigkeit und Einsamkeit, und beide Seiten
bedingen einander, für eine dauerhafte Beziehung nicht geschaffen sei. Dennoch
kommt in ihrer Auffassung von Ehe und Sexualität ein Beharren auf Bildern und
Werten zum Ausdruck, die den idealistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts
verhaftet bleiben. Sie konnte die Beziehung zum anderen Geschlecht nur als eine
denken, die mit der ganzen Schwere und Tiefe der Widersprüche verkettet ist.
Eine Phänomenologie der unbeschwerten und freundlichen Gleichgültigkeit, die
spielerische Dimension erotischer Beziehungen lag völlig außerhalb ihrer
Denkmöglichkeiten. So hatte jede Beziehung zum anderen Geschlecht für sie etwas
Endgültiges.
In ihrem Verlangen nach
Unabhängigkeit muß auch der Grund für ihre „gnostische”[24]
Distanz
allem Körperlichen gegenüber gesehen werden. Der Körper spielt in Margarete
Susmans Phantasien und Reflexionen eine mehrdeutige Rolle. In den verstiegenen
idealistischen Träumen ihrer Jugend rettete die Schönheit die Liebe vor dem
körperlichen Kontakt, vor den Erfahrungen der Häßlichkeit und des Todes. Doch
in Wirklichkeit hat die Schönheit in Margarete Susmans Leben eine zwiespältige
Rolle gespielt. Denn sie prädestiniert sie zur Muse und verstellt ihr wie eine
Naturmacht den Weg zur Anerkennung als selbständiger Schriftstellerin.
Bezeichnend dafür sind zwei Bilder, in denen sie als Verkörperung eines Denkens
vergegenwärtigt wird, das die negativen Auswirkungen der analytischen
Auflösung aller Wirklichkeiten nicht kennt. Georg Simmel nannte sie „Zentrum
ohne Peripherie” und Bernhard Groethuysen ein „Dasein der Präsenz und der
Gründe”. Der Preis für diese bewundernde Anerkennung ist die Erstarrung zum
Ideal, zu einer Projektionsfläche für das Auge des fremden Betrachters und
seine diktatorischen Wünsche nach sinnlicher Präsenz der verlorenen Einheit. In
der Schönheit als Körperbild ist die Individualität und Fremdheit des Anderen
vernichtet. Margarete Susman war nicht bereit, diesen Preis zu zahlen. Als
bewegliches Ideal zerstörte sie jedoch tendenziell die Aura um ihr Bild und
geriet in das Spannungsfeld konkurrierender Beziehungen. Die Metaphern, die
Ernst Bloch im Positiven und Negativen für sie erfand, zeigen deutlich den
geschlechtsspezifischen Untergrund von Auseinandersetzungen, in denen es dem
Anschein nach nur um persönliche Fragen ging.
Durch den Körper erfuhr
Margarete Susman die Heterogenität ihres Daseins. Ein sie ihr ganzes Leben
begleitendes Phänomen war das Stolpern und Fallen. Der Körper erinnerte sie an
die Endlichkeit und Fremdheit des Menschen:
Den
äußeren Anlaß meines Sturzes weiß ich in jedem Fall genau, aber warum sind es
so viele Anlässe gewesen? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß in dieser
merkwürdigen Tatsache doch wohl mein ganzes Verhältnis zur Erde beschlossen
liegt. Es war vom Ganzen aus gesehen die Tatsache, daß ich mit meinen Gedanken
so oft nicht an demselben Ort gewesen bin, an dem ich mit meinem Körper war,
und darum auf die Gefahr dieser Orte nicht achtete. Die ganze Schuld an allen
Stürzen trug also mein Verhältnis zur Erde, auf der ich nie ganz beheimatet
war. Bei jedem Fall hat sie mich gewaltsam wieder an sich gerissen und mich
schmerzhaft fühlen lassen, wie sehr ich trotz allem zu ihr gehöre und daß sie
meine lange Zeit verkannte Heimat ist. Aber der Mensch ist ja überhaupt ein
Fremdling auf Erden, und dafür erscheint mir mein Fallen als eine Art Symbol.[25]
Doch der Weg zur „lange
Zeit verkannten Heimat” führte nicht in die Gemeinschaft mit anderen Menschen,
sondern in die Einsamkeit. Nur in der Metapher der einsamen Schwimmerin, die
von der „Meerestiefe”, dem Unbewußten, getragen und nicht fortgerissen wird,
konnte Margarete Susman einen von der Eingrenzung des Bildes befreiten Körper
denken. In einem Brief aus dem Jahre 1902 schreibt sie:
Ich
weiß jetzt, daß ich ans Meer gehöre mit jeder Faser meines Lebens. So klar
wurde mir mein Wesen nie vorher. Alles Gequälte, Marternde fiel von mir ab und
es schien mir, als wäre ich gerechtfertigt und erlöst durch das Meer. Ich
glaube, es ist nur für die Menschen, für die das Wort Ewigkeit einen Sinn hat
und die so einsam sind, daß sie an ihrer Sehnsucht verderben.[26]
Das Wasser ist für
Margarete Susman nicht ein Spiegel, sondern Aufbewahrungsort grenzenloser
Gefühle. Die Transparenz des Wassers gibt allen Bildern Raum und verflüssigt sie.
So erfährt sie allein durch das Gefühl von ihrer Existenz, ohne sich im Bild
wahrnehmen zu müssen. Das erotische Ich ist ein HautIch, dessen unendliche
Berührungszentren mit der Unendlichkeit des Wassers korrespondieren. Genauer
als in ihrem frühen Essay über die Liebe, der durch seinen allumfassenden Anspruch
in einer grundsätzlichen Darstellung verblieb, lassen ihre kleinen Erzählungen
über die Anziehungskraft des Wassers erkennen, daß sie mit ihrer „gnostischen”
Haltung die herrschende Ordnung des Sexuellen zurückwies. Zugleich sind sie
aber auch Ausdruck einer faszinierten Bestätigung ihrer metaphysischen
Selbstanschauung.
Frei fühlte sich Margarete
Susman dem anderen Geschlecht gegenüber nur in Gesprächen, in denen es um die
„letzten Fragen” ging. „Und zuweilen kommen wir beide zusammen und treffen uns
auf einem Stern”, hatte Bernhard Groethuysen zu ihr gesagt, und Margarete
Susman fügte zustimmend in ihrer Autobiographie hinzu: „Die Seele war im Grunde
immer unser Reich geblieben.“[27]
Jede sexuelle
Beziehung beschwor die Gefahr herauf, diese Unabhängigkeit in Frage zu
stellen. Ihre Schilderung der Freundschaft mit Karl Wolfskehl macht deutlich,
daß es die distanzlose Vereinnahmung ihrer Person war, die sie am meisten
fürchtete und gegen die sie sich oft nur durch den Abbruch der Beziehung wehren
konnte.[28]
Die Lektüre von Freuds Analyse
kam einem Ereignis gleich. Aber sie hat ihre Denkrichtung nicht verändert. Sie
interessierte sich vor allem für Freuds Traumdeutung, die sie jedoch in einer
Hinsicht nicht akzeptieren konnte. Sie wendete sich gegen eine restlose
Auflösung des Traums zugunsten der wissenschaftlichen Wahrheit:
Wir
träumen nicht nur das Leben, wir werden auch geträumt. Traum ist unser Dasein,
Träume sind wir selbst.[29]
Margarete Susman sah im
Traum eine Dimension, die in ihrer Besonderheit nicht mitteilbar, nicht teil-
bar ist. Ihre Zerstörung käme einer Zerstörung von Wirklichkeit gleich:
Auch
dieser Gefahr war sich Freud bewußt. Keiner hat klarer als er selbst gesehen,
daß die Analyse in ihrem allertiefsten Sinne im Bunde steht mit dem Tod.[30]
Aus dem gleichen Grunde
kritisierte sie die Elemente seines Ansatzes, durch welche die menschliche
Existenz zum bloßen Duplikat von etwas Vorgängigem gemacht wird. Hier kreuzte
sich ihre Kritik an Freuds Hypostasierung des Menschen zum sexuellen Wesen mit
der an der objektivistischen Geschichtsauffassung. Wenn das Ich nichts anderes
ist als ein Ort der dramatischen Verkettung unbeeinflußbarer Mächte, dann kann
es keine Individualität und Freiheit geben. Auf eine differenzierte
Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten von Freuds Theorie hat sich
Margarete Susman nicht eingelassen. Doch steht diese Begrenzung nicht im
Widerspruch zu der Denknotwendigkeit, welche die Triebfeder ihres Engagements
ausmachte: gegenüber allen hegemonialen Ansprüchen der Theorie das zu
verteidigen, was irreduzierbar ist, das
Individuelle und das Eigensein der Dinge.
Es gibt jedoch einen Bruch in
ihrer Argumentation, der sich dann bemerkbar macht, wenn sie sich Gegenständen
zuwendet, die eine konkretere und lokale Analyse verlangen. So sind ihre
Äußerungen zur Situation der Frau in Amerika und in der Sowjetunion zu ungenau,
als daß sie als wirkliche Einschätzungen gelten könnten. Auch die Perspektive,
die sie entwirft, folgt eher der vereinfachenden Logik eschatologischer
Hoffnung auf Auflösung aller Widersprüche, wenn sie schreibt, „daß jeder
Schritt vorwärts zur Lösung des Frauenproblems auch ein Schritt zur Lösung des
Problems des Mannes und des wahren Zusammenlebens von Mann und Frau und damit
zuletzt der Weg zu einer neuen Menschheit” ist.[31]
In dieser
theoretischen Ungenauigkeit wiederholt sich die bereits angesprochene
Widersprüchlichkeit ihres Denkens, die hier zu einem Nebeneinander von eschatologischen
Elementen und einer an Partialität und Differenz orientierten Ethik führt.
Der erste Weltkrieg wurde für
Margarete Susman zu einer politischen Zäsur. Bezeichnend für ihre erste
Reaktion auf den Krieg war, daß sie auf einem eigenen Lernprozeß bestand. Unter
ihren philosophischen Freunden gab es sowohl entschiedene Haltungen gegen den
Krieg (Landauer, Bloch, Lukács) als auch Positionen, die meinten, mit
Deutschland würden bedeutende geistige und ethische Werte verteidigt (Simmel,
Buber). Georg Simmel hatte an sie nach Ausbruch des Krieges geschrieben:
Wir
kämpfen jetzt mit äußeren Waffen um etwas gar nicht Äußeres: um Weltstellung,
Macht, materielle Existenz. Wir kämpfen mit unseren Körpern sozusagen um den
Körper von Deutschland. Allein er ist eben der Körper der Seele von Deutschland. (...) Was jetzt bedroht ist, ist der Körper von Deutschland, ohne den
seine Seele nicht existieren kann. Wir kämpfen sozusagen weder um die Seele
noch um die Idee, sondern darum, daß diese Seele und diese Idee in der Form der Wirklichkeit leben könne. (...)
Und weil der Kampf, den wir jetzt um Deutschland führen, um die
Lebensmöglichkeit der Seele und der Idee geht, darum fühlen wir uns nicht als
>Glieder<, als Teile oder Elemente von Deutschland, sondern jeder hat das
Ganze in sich, fühlt sich für das
Ganze verantwortlich.[32]
Margarete Susmans
Antwort ist nicht erhalten geblieben. Aber in einem Brief an Martin Buber wird
deutlich, daß sie die metaphysisch verschachtelte Realitätsblindheit Simmels
als das erkannte, was sie war: ein für weite Teile der deutschen Intelligenz
charakteristisches Verkennen der politischen Realität:
Für
mich ist inzwischen durch schwere und furchtbare Erlebnisse persönlicher und
politischer Art - und inzwischen ist mir das identisch geworden - eine ganze
Welt hinabgesunken; die Menschen, die ich liebte, habe ich zum großen Teil
verloren u. weiß, daß es für immer ist (...) Ich habe lange geglaubt, es könne
nicht anders sein, als daß irgendeine Idee, irgendein Sinn bei Deutschland sein
müßte; um so maßloser war meine Erschütterung und Verzweiflung, als ich erkannte,
(...) daß es nicht so war u. daß zu
all diesem Furchtbaren kein Grund war als der nackte blödsinnige Wille zur
Macht. Da fühlte ich meine eigene Schuld - die Schuld unseres unpolitischen
Lebens, u. ich kannte nur noch einen Wunsch: zu bekennen.[33]
Die Novemberrevolution
zeigte Margarete Susman auf der Seite derer, die eine Veränderung der politischen
und sozialen Machtverhältnisse für notwendig hielten. An reinen Herzen, schrieb
sie, habe es in Deutschland nicht gefehlt, aber an Freiheit, an lebendiger und
unabhängiger Entscheidung für oder gegen das politische Geschehen. Dem
Marxismus stand Margarete Susman skeptisch gegenüber. Sie konnte die
autoritären Seiten der sozialistischen Revolution, die das Individuum den
allgemeinen Zielen opfert, nicht akzeptieren. Eher waren ihre Vorstellungen von
gesellschaftlicher Veränderung mit denen Gustav Landauers vergleichbar. In
seinem Konzept vom Sozialismus bildeten Individuum und Gemeinschaft keine
Gegensätze. Und darin Margarete Susman verwandt, richtete sich sein
philosophisches Interesse nicht auf die Weitergabe eines Systems, sondern auf
die Ermutigung zu einem Denken der individuellen Verschiedenheiten und
materiellen Besonderheiten. Für Gustav Landauer hat Margarete Susman gemeinsam
mit Martin Buber vergeblich versucht, eine Solidaritätsbewegung ins Leben zu
rufen, in der es auch darum ging, die wirklichen Gehalte seines Sozialismus
einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der sanfte Revolutionär
und Theoretiker der Gewaltfreiheit Gustav Landauer war in die Münchner
Räteregierung eingetreten und in dieser Verantwortung einer Verteufelungskampagne
ausgesetzt. Margarete Susman berichtet von einer Veranstaltung in Frankfurt,
auf der sie für Gustav Landauer eintrat. Ihr wurde dort der tiefe Bruch
bewußt, der zwischen idealistischer Bildung und politischer Kultur mit ihren
Werten der Toleranz und Demokratie existiert:
Ich
sprach gestern öffentlich ein paar Worte - eigentlich nur, um Landauer zu
erwähnen und für ihn Zeugnis abzulegen; das eisige Schweigen, das folgte, und
manches, was ich nachher hörte, zeigte mir, wie wenig das >gebildete<
Publikum von ihm ahnt. Es handelte sich wirklich um die geistigsten Kreise
Frankfurts. Nach mir trat dann noch Goldstein für ihn ein; da ging ein wüstes
Gerufe: >Strick!< los; es war wie ein grelles Streiflicht auf die
Stimmung und Auffassung des Publikums. Es wird ein immer unerträglicherer
Zustand, nichts für ihn tun zu können.[34]
Gustav Landauer wurde
für Margarete Susman zur Verkörperung des „reinen” Revolutionärs. An dieser
Vorstellung lassen sich Problematik und kritische Möglichkeit ihres politischen
Verständnisses verdeutlichen. Der Begriff der Reinheit setzt sich aus mehreren
Bedeutungsschichten zusammen. Er wird verknüpft mit der romantischen
Auffassung, daß jede Idee durch den Kontakt mit der Realität verfälscht oder
zunichte gemacht wird. Er verdankt sich jedoch zugleich einem anti-hegelschen
Impuls. Margarete Susman kritisiert den Objektivismus Hegels und dessen
Vorstellungen vom Fortlauf der Geschichte. Die Annahme geschichtlicher Gesetze
und die freie Entscheidung des Individuums schließen sich aus. Sie konstruiert
wiederum einen Raum der Freiheit vor den Zuordnungen und Hierarchisierungen
von Bedeutung in den Systemen von Philosophie und Politik. In ihm artikuliert
sich eine innerste Stimme des Individuums, die sich in keiner gesellschaftlichen
Ordnung spiegelt oder bestätigt. Diese Stimme antwortet auf das, was der Mensch
nicht geschaffen hat, für das er aber gleichwohl verantwortlich ist: die
Schöpfung. Die Beziehung zwischen dem lebendigen Anfang, welcher der Mensch
ist, und der Schöpfung nennt sie die Wirklichkeit,
die wirklicher ist als alle geschichtlichen Hervorbringungen, weil sie sich der
Macht und Unterwerfung entzieht, das schlechthin Nicht-Beherrschbare ist. Der
reine Revolutionär besitzt daher nicht das Gute in Form einer Konzeption, er wünscht sich das Gute in einem
nicht-autoritären Sinn:
Keiner
von allen großen Führern des Anarchismus glaubte theoretisch an das Gute;
keiner von ihnen stellte überhaupt diese Frage; sie alle begannen mit seiner
Verwirklichung. Nirgends handelt es sich im Anarchismus um eine Aussage über
den Menschen; keiner ging etwa von dem berühmten Worte Rousseaus >Der Mensch
ist gut!< aus, wiewohl recht verstanden, so wie der Rousseau der
>Confessions< selbst es verstand: eben nicht als flachen Optimismus,
sondern als der ganzen Fruchtbarkeit der Wirklichkeitserfahrung abgerungene
Bereitschaft zum Guten, dies Wort allem Anarchismus zugrunde liegt. Überall
geht es in den anarchistischen Bewegungen um einen lebendigen Anfang, um ein
Ernstmachen mit der Verwirklichung des Guten, um ein Hinabtauchen des Lebens in
das ganze gefahrvolle Dunkel des Wirklichen. Alles wahrhaftige Bekenntnis zum
Anarchismus geht aus von den Menschen, die Landauer in seinem >Aufruf zum
Sozialismus< anredet: >die es nicht aushalten wie ich<.[35]
Die Unbeirrbarkeit des
reinen Revolutionärs liegt in der Gewißheit,
daß die Verantwortung für die Gemeinschaft unabweisbar ist. Doch Verantwortung
ist nicht Ausdruck einer ethischen Norm, sondern individueller Entscheidung.
Diese folgt nicht dem Muster der Selbstverwirklichung und der sich selbst
behauptenden Subjektivität. Verantwortung entsteht durch die Begegnung mit dem
unvordenklichen Anderen. Durch diese Haltung unterscheidet sich der reine
Revolutionär von allen Selbstermächtigungsphantasien des Subjekts: sowohl von
der des Marxisten, der die objektive Notwendigkeit an die Stelle des Anderen
setzt, als auch von der des Terroristen, der sich selbst zur Wahrheit
hypostasiert. Beiden gegenüber zeichnet sich der reine Revolutionär durch seine
Gewaltlosigkeit aus. Hierin liegt auch Margarete Susmans schärfste
Gegenposition zu Nietzsche. Gegen Nietzsches Willen zur Macht entwirft sie den
reinen Willen zur Machtlosigkeit. Er bedeutet nicht die Preisgabe des
Individuellen an das Allgemeine, sondern ist individuellste Eigenschaft des
Menschen. Denn keine höhere Wahrheit ermächtigt das Individuum. Individuell
sein, heißt das ganze Gewicht der Verantwortung tragen. Insofern sind für Margarete
Susman Machtlosigkeit und Selbstbewußtsein identisch.
Mit dem Gedanken, daß sich das
Individuum durch eine ethische Entscheidung konstituiert, welche die Grenzen
des Selbst zu überschreiten vermag, gelingt es Margarete Susman, die
einzigartige Integrität Gustav Landauers deutlich zu machen und sie gegen den
Vorwurf eines übermoralischen, realitätsfremden Dezisionismus abzuschirmen.
Und zugleich kann sie zum Ausdruck bringen, daß seine Haltung durch eine unauflösliche
Paradoxie bewegt wird. Die extreme Existenz, auf die das Leben des reinen Revolutionärs
und Anarchisten zuläuft, ist die des Märtyrers. Der Märtyrer verkörpert die
äußerste Entschiedenheit, noch in der absoluten Verlassenheit und Einsamkeit
die Menschheit zu verteidigen. Im Verständnis Margarete Susmans kommt in der
Situation des Märtyrers nicht passive Hingabe an das Leiden zum Ausdruck,
sondern echtes Scheitern. Es ist die Niederlage eines Menschen, der die
Widersprüche seiner Zeit zu nahe an sich herankommen ließ.
Dennoch ist der Märtyrer eine
Grenzfigur menschlicher Existenz. In der folgenden Formulierung Margarete
Susmans wird jedoch diese Grenzsituation, die nur im konkreten Erzählen des
Unlösbaren und Unbewältigten Sinn findet, in einer Weise verallgemeinert, die
Züge eines ethischen Absolutismus annimmt:
Nichts
und niemand nimmt dem Einzelnen die Verantwortung für die Gemeinschaft mehr
ab. Darum kann von nun an die Gestaltung der Gemeinschaft nur noch durch den
Einsatz des Einzelnen in das Ganze, durch das Opfer des Einzelnen geschehen,
kann der Verwalter der Gemeinschaft nur noch der Märtyrer sein.[36]
Indem Margarete Susman
der Unbedingtheit ethischer Entscheidung im Märtyrer eine positive Gestalt
gibt, verläßt sie die argumentative Ebene, in der sie die unverzichtbare
Bedingung einer ethischen Haltung gesehen hatte, die der normativen Verabsolutierung
widersteht: die der Bilderlosigkeit. Nicht nur verleitet die Positivität des
Märtyrers dazu, das Nicht-Nachahmbare und Unvermittelbare seiner Haltung zu
neutralisieren; auch der Differenz zwischen Religion und Politik wird dadurch
der Boden entzogen. Obwohl Margarete Susman der Gedanke einer Diktatur des
Guten völlig fremd ist, begibt sie sich auf ein Terrain des schwebenden
Übergangs von Politik zu Religion, wo es schwierig wird, die Unterschiede noch
wahrzunehmen.
Denn die „Reinheit” des
Revolutionärs ist nur dann eine kritische Vorstellung, wenn sie als regulative
Idee aufgefaßt wird, die dazu anhält, Positionen der Macht zu prüfen. Sie wird
zur moralischen Überanstrengung in dem Moment, wo sie die konkrete Analyse der
politischen Situation ersetzt.
Margarete Susman hatte die
Ignoranz gegenüber den eigenen Gesetzen des Politischen als Ursache des
Versagens der deutschen Intelligenz angesichts des ersten Weltkriegs dargestellt.
In ihrem Aufsatz „Die Frau und die Revolution” findet man den scharfsinnigen
Gedanken, daß zwar die großen europäischen Nationalstaaten gleichermaßen in
den Krieg schuldig verstrickt seien, bei den Deutschen jedoch der Mangel an
politischer Verantwortung auf eine zusätzliche Entfremdung hinweise: auf die
Unwirklichkeit ethischer Werte, die nur auf die Innerlichkeit bezogen sind. Die
verstiegene Moral der deutschen „Gralsritter” ist die Kehrseite einer
ethischen Leere:
Aber
nirgends ist die Politik so kahl und aller menschlichen Gesichtspunkte bar
geworden, wie im Lande der das Außen brachliegen lassenden Innerlichkeit. (...)
Was diesen Krieg verloren hat, das ist das unpolitische Deutschland - aber unpolitisch
nicht etwa im Sinne einer nur ungeschickten und unerfahrenen Politik, sondern
im Sinne der vom Menschlichen verlassenen leeren Machtorientierung und
schwankenden Doppelzüngigkeit.[37]
Das Studium der
Komplexität des Politischen hat Margarete Susman jedoch nicht wirklich
angezogen. An diesem Punkt teilt sie die deutsche Entfremdung von der
angelsächsischen liberalen Tradition, eine Haltung, die Hannah Arendt als den
blinden Fleck im deutschen Denken bezeichnet hat und die sie verantwortlich
gemacht hat für die Unfähigkeit, zwischen Philosophie und Politik zu
unterscheiden. Margarete Susmans politische Neigungen orientieren sich trotz
der Distanz gegenüber dem deutschen Idealismus an geschichtsphilosophischen Traditionen.
Die Folge ist eine Entdifferenzierung des Politischen, das tendenziell als der
Bereich erscheint, der am meisten durch Strukturen der Entfremdung und
Verdinglichung, der Macht und Gewalt geprägt ist. Ähnlich wie sozialistische
Utopien läßt sich Margarete Susman von der Vorstellung eines Gesellschaftszustandes
leiten, in dem die Transparenz in den menschlichen Beziehungen
wiederhergestellt werden kann und an die Stelle der Politik direkte Formen der
Verständigung und der „Verwaltung der Sachen” (Marx) treten. Daher neigt sie in
ihren Formulierungen zu messianischen Vereinfachungen und kommt zu keiner
konkreteren Erkenntnis der politischen und sozialen Wirklichkeit. Doch liegt
die Integrität ihrer Fragestellung darin, daß sie an der individuellen
Fähigkeit zu unabhängiger Entscheidung und Verantwortung gegen alle Haltungen
festhält, die es erlauben, Verantwortung an unbeeinflußbare höhere Gesetze und
Instanzen zu delegieren. Weder das Argument des ungünstigen geschichtlichen
Augenblicks noch das der Notwendigkeit, deren unerbittliche Folgerichtigkeit die
individuelle Existenz übersteigt, haben jemals ihr politisches Urteil bestimmt.
Dessen bestimmende Haltungen bleiben ein Verständnis von Freiheit, das um die
Problematik von Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung weiß, und ein
Verständnis von Verantwortung, dem die individuelle Unterordnung unter das
Allgemeine absolut widerstrebt.
Margarete Susman war
1933 in dem Bewußtsein in die Schweiz emigriert, daß mit der Machtergreifung
des Nationalsozialismus der kulturelle Zusammenhang, der die Koordinaten ihres
Denkens gebildet hatte, zerstört worden war. In ihrer Auseinandersetzung mit
dem Nationalsozialismus rückte sie einen Gedanken in den Vordergrund: den des
Verrats der Gastfreundschaft. Diesen begriff sie nicht nur als Ursache für die
Vernichtung des deutschen Judentums, das ihrer Meinung nach nie wieder
entstehen konnte. Der Verrat betraf etwas Fundamentaleres. Mit ihm waren die
Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens in Frage gestellt, das auf dem
Vertrauen in die wechselseitige Anerkennung der Menschenrechte basiert. Das
Bild, mit dem sie das Spezifische an der nationalsozialistischen Zerstörung zu
erfassen versucht, ist nicht der sich plötzlich auftuende dunkle Abgrund, der
alles in seine Tiefe reißt, sondern das „helle Nichts”, das alle Differenzen
negiert. Damit signalisiert sie, daß sie den Nationalsozialismus für ein
Produkt der Moderne und keineswegs für einen Einbruch vorzivilisatorischer
Mächte hält. Hierin unterscheidet sie sich von Georg Lukács' Nihilismusbegriff
in seinem Buch Die Zerstörung der
Vernunft. Während Lukács Nihilismus und Irrationalismus vor allem als
erkenntnistheoretisches Problem entfaltet, als klassenbedingtes Unvermögen und
Leugnen objektiver geschichtlicher Wahrheit und daher im Nationalsozialismus
einen Extremismus akzentuiert, der mit allen Mitteln den Lauf der Geschichte
aufzuhalten versucht, betont Margarete Susman dessen Modernität. Der nationalsozialistische
Nihilismus ist „Weltgestaltung aus rasender Aktivität”. Er funktioniert in
einem Vakuum, das ein ins Extrem getriebenes Phänomen der Moderne darstellt:
den Verlust einer sozialen Ethik, in der die Menschen die Gemeinsamkeit ihres
Lebens reflektieren und verantworten. Er zerstört daher jede individuelle
Unterscheidungs- und Entscheidungsfähigkeit und setzt an deren Stelle eine
„Scheinverantwortung” in der Gleichschaltung.[38]
Es macht
ihre kritische Teilhabe aus, daß sie sich verantwortlich fühlte, diese
Realität, in der Verantwortung wie nie zuvor von jedem gefordert war und wie
nie zuvor verweigert werden würde, nicht früher wahrgenommen zu haben:
Wer
hätte den Umschwung je für möglich gehalten? So tief er geschichtlich begründet
ist, so wenig haben wir lange die Zeichen der Zeit verstanden. Es war ja auch
für uns alle, besonders für uns Juden schwer. Wir waren leidenschaftliche
Deutsche und hatten uns in Deutschland durch alle Schrekken der Zeit hindurch
mit solchem Vertrauen eingelebt, daß wir nun, wo uns das Schrecklichste aus
unserem eigenen Land erreichte, dem Mann aus dem chinesischen Märchen glichen,
der in dem vertrauten Nachbarn, den er zum Schutz gegen ein furchtbares
Ungeheuer hinter sich aufs Pferd genommen hat, plötzlich sich umwendend dies
Ungeheuer selbst erblickt und ohnmächtig vom Pferde sinkt.[39]
Nachdem sie vom Ausmaß
der Vernichtung ihres Volkes erfahren hatte, wollte sie nie wieder deutschen
Boden betreten, es sei denn, man würde sie zu einem jüdischen Thema einladen.
Ihr Hiob-Buch nannte sie ein „jüdisches Bekenntnis”, zu dem es „von außen
keinen Zugang” gibt und für das „Freunde unnütze Zeugen sind”.[40]
Damit
brachte sie zum Ausdruck, daß sie mit ihrem Buch weniger eine erzieherische
Wirkung nach außen als in einen Dialog mit sich selbst einzutreten
beabsichtigte. Sie wollte vor sich selbst Rechenschaft ablegen, ob das, was sie
als eigentliche Bestimmung jüdischer Existenz ansah, nach der Shoah noch
Bestand haben konnte. Dabei war ihr bewußt, daß sie sich „um dieser Arbeit
willen isolieren mußte”. Die Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, erschien
„unlösbar” und „brach immer neu vor der Wirklichkeit zusammen”.[41]
Doch auch
auf die Gefahr hin zu scheitern, mußte dieses Buch geschrieben werden.
Margarete Susman hatte weder im
Zionismus noch in der jüdischen Gemeinde eine Perspektive für sich gesehen.
Ihr Engagement hatte sich auf einen kulturellen Zusammenhang bezogen, der
durch die Verknüpfung von persönlicher Freundschaft und theoretischem Interesse
zustande gekommen war. Dieses Kommunikationsnetz, das aus Gesprächen, Briefen,
Vorträgen und Publikationen bestand, beruhte darauf, daß der geistigen
Tätigkeit jenseits ihrer Verwertbarkeit und berufsmäßigen Ausübung ein
eigenständiger Wert zuerkannt wurde. Dabei stand nicht das geschriebene Werk im
Vordergrund, obwohl es Gegenstand der Diskussion war. Vielmehr waren der
briefliche Austausch und die Gespräche als kommunikative Experimente bedeutsam,
in denen es auf die Genauigkeit des Zuhörens und die Bereitschaft des
Antwortens ankam. Margarete Susmans eigentliche Berufung war die individuelle
Fähigkeit zu Offenheit und Toleranz aus den Quellen des Judentums. In den
Möglichkeiten zu einem Dialog jenseits des Besitzdenkens und der Abhängigkeit
von einer Institution sah sie die authentischste Erfahrung des jüdischen Exils.[42]
In der Geschichte Hiobs findet
sie in eigentümlicher „Nähe” und „Ferne” Grundzüge des jüdischen Schicksals und
des Dialogs eingezeichnet, in dem der Mensch durch die Erfahrung einer
unbegreifbaren Alterität zum Bewußtsein seiner eigenen Verantwortung kommt.
Einen ersten Versuch, in der alttestamentarischen Hiob-Gestalt ein
Deutungsmodell für die Krise der Gegenwart zu gewinnen, hatte sie bereits 1929
in einem Aufsatz über Franz Kafka unternommen, der nicht nur einer der ersten
Interpretationen zu Kafka überhaupt war, sondern auch in der später berühmt
gewordenen Kafka - Diskussion zwischen Gershom Scholem und Walter Benjamin
eine Rolle gespielt hat. Margarete Susman liest Hiob als den unschuldig, in
absoluter Einsamkeit Leidenden und zugleich als den unerbittlich Fragenden
nach göttlicher Gerechtigkeit. Die Frage nach der Gerechtigkeit ist auch die
Frage Kafkas, jedoch in einer Zeit, in der im Gegensatz zu der Hiobs das
göttliche Gesetz vollständig aus dem Leben der Menschen verschwunden ist:
Zum
erstenmal in der abendländischen Welt ist das Gesetz ganz aus dem Leben
herausgetreten. Kafka hat- nach einem eigenen Wort - zum erstenmal die bisher
immer wenigstens zu ahnende Musik der Welt bis in alle Tiefen hinunter abgebrochen.
(...) Und doch regelt überall ein verborgenes übermächtiges Gesetz, regeln
strenge, unübertretbare Gebote einer dem Leben vollkommen transzendenten Macht
das Leben. Alle sind sie auf uns bezogen; und doch verstehen wir sie nicht nur
nicht - sondern wir vermögen sie nicht einmal zu vernehmen.[43]
Bis hierhin gibt es
eine, wenn auch leicht verschobene Übereinstimmung mit Scholem und Benjamin.
Auch für Scholem ist das Gesetz nicht mehr entzifferbar, während für Benjamin
das Gesetz absolut abhanden gekommen ist.[44]
Margarete
Susman hat jedoch ein anderes Verständnis des Messianismus. Nach ihrer Interpretation
führt Kafka nicht den Prozeß mit der Welt, sondern den Prozeß mit Gott, der
sich aus dieser Welt zurückgezogen hat. Ihre Deutung setzt sich mit der
Erfahrung auseinander, daß zwischen göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit
eine Kluft existiert, die nicht überbrückbar ist. Die messianische Hoffnung
richtet sich daher weder auf eine mögliche Wiedererrichtung des jüdischen
Staates noch auf eine Zeit jenseits der Geschichte wie bei Benjamin, in der
die menschliche an der göttlichen Gerechtigkeit teil hat, sondern auf die individuelle
Verantwortung in der Geschichte, im
Hier und Jetzt. Damit nimmt Margarete Susman den Gedanken der talmudischen
Tradition auf, daß die entscheidende Begegnung zwischen Mensch und Gott nicht
in der Natur, sondern in der Geschichte stattfindet. In der ursprünglichen
Zeit der jüdischen Geschichte, wie sie die Bibel bewahrt, ist bereits die
Struktur der ganzen Geschichte offenbart. Deshalb - so Margarete Susman - geht
es der jüdischen Tradition nicht um Geschichtsschreibung, sondern um die
Auslegung des Sinns von Geschichte.
Dieser Sinn wird für sie zum Paradigma menschlicher Verantwortung in der
Geschichte. Der Dialog mit Gott, wie er in dem jüdischen Ursprungsmythos
vergegenwärtigt ist, symbolisiert ein Modell von Verantwortung, in dem es um
die Bewahrung der Idee der Menschheit geht.
Durch die Shoah sah sie diese
vom jüdischen Volk übernommene Aufgabe bedroht.
Das ist auch der Ausgangspunkt
ihres 1945 geschriebenen Hiob- Buches. Welche Gültigkeit konnte nach der Shoah
das Gebot des Dialogs noch haben? Die entscheidende Frage, welche die
Unmöglichkeit des Dialogs mit Gott anzeigt, gilt seiner Abwesenheit während des
millionenhaften Sterbens des jüdischen Volkes. Auf diese Frage kann es jedoch
nach Margarete Susman aufgrund Ungleichheit zwischen Mensch und Gott keine
Antwort geben. Gott lehnt die Verantwortung für die menschliche Geschichte ab.
Die Frage muß also anders gestellt werden. Ist das jüdische Volk nach dieser
Katastrophe, die alle Vorstellungen vom Satanisch-Bösen hinter sich läßt, noch
fähig, die ursprünglich übernommene Verantwortung für die Idee der geeinten
Menschheit weiter zu tragen und durch seine Existenz als eine Gemeinschaft ohne
Staat zu symbolisieren? Ist es doch gerade diese Andersheit des jüdischen
Volkes, die den Haß der in nationale Egoismen und Kriege verstrickten Völker
auf sich zieht. Margarete Susman gibt eine doppelte Antwort. Sie akzeptiert die
Gründung des Staates Israel als eine politische Notwendigkeit aufgrund der
geschichtlichen Erfahrungen. Aber sie sieht es als ihre Aufgabe an, unabhängig
von der Staatsgründung daran zu erinnern, daß das jüdische Volk in seiner
Geschichte an der Schwelle einer Gemeinschaft ohne Staat gestanden hat. Diese
Erinnerung betrifft nicht nur das jüdische Volk, sondern die ganze Menschheit.
Sie betrifft jeden einzelnen in seiner Verantwortung in der Geschichte.
Das Hiob-Buch verheißt keine
Perspektive für die Zukunft. Wir erfahren von einem unermeßlichen Verlust im Innern
der europäischen Kulturen und von einer tiefen Krise des jüdischen Bewußtseins.
Was geschieht mit jenem lebendigen Sinn der jüdischen Geschichte, dessen
Vergegenwärtigung an die Diaspora geknüpft ist? Der Sinn der jüdischen
Geschichte erfüllt sich nur so lange, als Juden diesen Anspruch
aufrechterhalten und die verschiedenen Nationen dafür eintreten, daß eine Gemeinschaft,
die unabhängig von der politischen Geschichte sich konstituiert, zu den inneren
Bedingungen ihrer politischen Kultur gehört. Von der Fähigkeit zu dieser
Toleranz und Verantwortungsbereitschaft hängt für Margarete Susman das Bestehen
der Menschheit ab:
Das
kleine, zerstreute, durch seine politische Formlosigkeit und Machtlosigkeit für
die Völkerwelt gänzlich belanglose jüdische Volk, auf deutlich sichtbare und
zugleich höchst geheimnisvolle Weise das Zentrum des heutigen Weltgeschehens,
ist gen au der Punkt, auf den die dunkle Macht ihren Finger gelegt hat, um von
der Auflösung dieses winzigen Kerns aus die Auflösung der Völkerwelt und alles
Menschlichen überhaupt zu betreiben.[45]
Das, was Margarete
Susman mit dem Hiob- Buch sagt, ist nicht verloren gegangen. In der Besinnung
auf das Exil als den „ältesten Anspruch” des Judentums (Emmanuel Levinas),
finden wir diesen Gedanken im Werk von Maurice Blanchot oder Emmanuel Levinas.
In diesem Sinne liest sich der folgende Satz Maurice Blanchots wie die
Fortsetzung eines Dialogs:
Aber
so schwer das Exil auch sein mag, es wird nicht nur als ein unbegreiflicher
Fluch verstanden. Es gibt eine Wahrheit des Exils, es gibt eine Berufung zum
Exil, und wenn Jude sein heißt, zur Verstreuung bestimmt zu sein, dann weil die
Verstreuung - auf die gleiche Weise, wie sie den Anspruch stellt, ohne Ort zu
wohnen, auf die gleiche Weise, wie sie jede feste Beziehung zur Macht, zu einem Individuum, zu einer Gruppe oder einem Staat zerrüttet - auch, angesichts der Forderung des Ganzen,
eine andere Forderung freisetzt und schließlich die Versuchung zur
Einheit-Identität beseitigt.[46]
[1]
Margarete Susman: Ich habe viele Leben
gelebt. Erinnerungen. Stuttgart 1964, S. 10.
[2] ebda., S.48
[3] ebda., S.24.
[4] Margarete Susman: Vom
Sinn der Liebe. Jena 1912, S. 25.
[5] Margarete Susman: Ich
habe viele Leben gelebt (Anm. 1), S. 52/3.
[6] ebda., S.36.
[7] Margarete Susman: Die
Seele und die Formen. Rezension. In: Frankfurter Zeitung v. 5.9. 1912; im
vorlieg. Bd. S. 15ff.
[8]
Margarete Susman: „Die messianische Idee als Friedensidee.” In: Vom Geheimnis der Freiheit. Gesammelte
Aufsätze 1914- 1964. Hg. v. M. Schlösser. Darmstadt - Zürich 1965, S.59.
[9] ebda., S.62.
[10] Margarete Susman: „Das Judentum als Weltreligion.” In: Vom Geheimnis der Freiheit (Anm.8), S.
107.
[11] Margarete Susman: Ich
habe viele Leben gelebt (Anm. 1), S. 10.
[12] Margarete Susman: Die
geistige Gestalt Georg Simmels. Tübingen 1959, S. 38; im vorlieg. Bd. S.66.
[13] Walter Benjamin: „Die Aufgabe des Übersetzers.” In: Illuminationen. Ausgewählte Schriften.
Frankfurt am Main 1961, S. 64.
Einen persönlichen Kontakt zwischen Margarete Susman und Walter Benjamin
hat es nicht gegeben. Nachweisbar ist, daß Benjamin Margarete Susmans
Kafka-Aufsatz gelesen hat und Margarete Susman Benjamins Aufsatz über Goethes Wahlverwandtschaften. Darüber hinaus
gibt es Affinitäten in der Rezeption von Motiven der jüdischen Philosophie und
Mystik und über die Beschäftigung beider mit dem Werk Rosenzweigs.
[14] Siegfried Kracauer: „Die Bibel auf Deutsch”. In:
Frankfurter Zeitungv. 27./28. 4.1926; wiederabgedruckt in: ders.: Das Ornament der Masse, Frankfurt/Main
1963.
[15] Margarete Susman an Siegfried Kracauer, 22. 3. 1926.
Nachlaß Kracauer. Literaturarchiv Marbach.
[16] Margarete Susman: Das
Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes. Zürich 1948, S. 21 f.
[17] Margarete Susman: „Goethes Verhältnis zur Schönheit.”
In: Gestalten und Kreise. Hg. v. M.
Schlösser, Stuttgart- Darmstadt 1954, S.14.
[18] Margarete Susman: „Vom Chaos unserer Zeit und seiner
Überwindung.” In: Neue Wege, Hg. v. L. Ragaz, 29. Jg., H. 1, Zürich 1935, S.
5ff.; dies.: „Die geistigen Triebkräfte des modernen Kollektivismus”. In:
ebda., 33. Jg., H.7/8, 1939, S.3O5ff.
[19] Margarete Susman:
Frauen der Romantik, Köln 1960, S.98.
[20] Margarete Susman: „Der jüdische Geist.” In: Blätter des
jüdischen Frauenbundes für Frauenarbeit und Frauenbewegung. 9. Jg., H. 11/12, 1933,
im vorlieg. Bd. S.209ff.
[21] Georg Simmel: „Das Relative und das Absolute im
Geschlechter Problem” (1911), zit. nach Georg Simmel: Schriften zur Philosophie und Soziologie der Geschlechter. Hg. v.
H.-J. Dahme u. a. Frankfurt am Main
1985, S. 217.
[22] Margarete Susman: „Das Frauenproblem in der
gegenwärtigen Welt.” In: Der Morgen, 2. Jg., H.6. Hg. v. J. Goldstein, Berlin
1926; im vorlieg. Bd., S. 153.
[23]
ebda., S. 163f.
[24] Margarete Susman: Ich
habe viele Leben gelebt (Anm.1), S. 40 u. 128.
[25] ebda., S. 165/6.
[26] Margarete Susman an Erwin Kircher v. 27. 9. 1902.
Nachlaß Margarete Susman. Literaturarchiv Marbach.
[27] Margarete Susman: Ich
habe viele Leben gelebt (Anm. 1), S. 117/8.
[28] ebda., S. 144ff.
[29] Margarete Susman: „Sigmund Freud.” In: Gestalten und Kreise (Anm. 17), S. 189.
[30] ebda., S. 185.
[31] Margarete Susman: „Das Frauenproblem in der
gegenwärtigen Welt” (Anm. 22). Vgl. S. 167.
[32] Georg Simmel an Margarete Susman v. 21. 9. 1914. In: Auf gespaltenem Pfad. Margarete Susman
zum 90. Geburtstag. Hg. v. M. Schlösser, Darmstadt 1964, S.309.
[33] Margarete Susman an Martin Buber v. 18. 1. 1919.
Martin-Buber Archiv, Jüdische National- und Universitätsbibliothek Jerusalem.
[34] Margarete Susman
an Martin Buber v. 4. 5. 1919. In: Martin Buber Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten,
Bd.2: 1918-1938, Hg. v. G. Schaeder, Heidelberg 1973, S. 40/1. Nach Margarete Susmans Erinnerungen
(Anm. 1), S. 92 war Kurt Goldstein ein mit ihr befreundeter Neurologe, der in
Frankfurt lebte.
[35] Margarete Susman: „Der Sinn des Anarchismus.” In: Neue
Wege, 51 Jg., Ht. 1-3, Hg. v. L. Ragaz, Zürich 1947; zit. nach: Gestalten und
Kreise (Anm. 17), S. 138/9.
[36]
ebda., S. 153.
[37] Margarete Susman: „Die Frau und die Revolution.” In: Das
Flugblatt, Nr.4, Frankfurt 1918; im vorlieg. Bd., S. 122.
[38]
Margarete Susman: „Die geistigen Triebkräfte des modernen Kollektivismus”
(Anm. 18), S.312.
[39] Margarete Susman: Ich habe viele Leben gelebt (Anm. 1), S. 132.
[40]
Margarete Susman: Das Buch Hiob und das
Schicksal des jüdischen Volkes (Anm. 16), S. 111.
[41]
Margarete Susman an Karl Wolfskehl v. 21. 3. 1946, In: K. Wolfskehl – M.
Susman Briefe. Eing. u. hg. v. M. Ruben. Castrum Peregrini CII-Cm, Amsterdam
1972/73, S.65.
[42] Einen Einblick in diese Kommunikationsbereitschaft,
deren wesentliche Elemente Selbstbewußtsein und Vorurteilslosigkeit waren,
vermittelt ein Brief Franz Rosenzweigs an Margarete Susman, Frühjahr 1921:
„Hochverehrte liebe Frau v. Bendemann, nach durchfahrener Nacht sitze ich im
Mannheimer Wartesaal und muß Ihnen schreiben. Ich weiß noch nicht, ob es recht
war, daß ich gestern so davonfuhr und nicht noch einen Tag blieb. Nun trage
ich den gestrigen Nachmittag noch wie ein großes Gewicht mit mir herum oder
vielmehr: ich lasse es ungehoben da liegen. Es ist ja nichts so schwer als wahr
zu sein, besonders bei so einem ersten Mal. So habe ich gestern, ohne daß ichs
wollte, Ihnen einen viel breiteren und fundierteren Menschen gezeigt, als ich
bin. Und ich fühle nachträglich, daß Sie das belasten muß. Aber das bin ich ja
gar nicht. So wäre ich, wenn ich noch
der Verfasser meines Buchs wäre und nicht, schon mit dem letzten Wort des Buchs
selber, mein Leben von seiner allzu werkhaften Vollendetheit wieder gelöst
hätte. Es war ja gestern natürlich: das Buch hatte mich zu Ihnen gebracht; so
konnte es sich gestern mächtiger über mich aufspielen als es ist. In Wahrheit
bin ich heute Anfänger wie je im Leben und verzweifle jeden Tag wie ich die
Last dieses Tages heben soll: Und am Abend liegt sie ungehoben, oder wenn ich
sie wirklich ein wenig von der Stelle gerückt haben sollte, - ich sehe es
nicht. Die geistige Klarheit hilft da wenig, nein gar nichts. Mehr kann ich
heute nicht sagen, ich brauche es auch nicht. Nur das Buch, das noch zwischen
uns stand, wollte ich wegräumen. Glauben Sie, daß ich im Leben heute vor keinem
etwas voraushabe. Vielleicht im Gegenteil. Sie brauchen mir hierauf nicht zu
antworten. Ich komme sicher wieder, im August oder September. In aufrichtiger
Verehrung Ihr Franz Rosenzweig. (In: Franz Rosenzweig; Briefe und Tagebücher,
Bd.2, 1918-1929, Hg. v. R. Rosenzweig u. a., Den Haag 1979, S. 703; ebso. in:
M. Susman: Ich habe viele Leben gelebt [Anm.
1], S.106/7).
[43] Margarete Susman: „Das Hiob-Problem bei Kafka.” In: Der
Morgen, 5. Jg., H. 1, Hg. v. J. Goldstein, Berlin 1929; im vorlieg. Bd., S.
191.
[44] Vgl. dazu: Benjamin
über Kafka. Texte, Briefzeugnisse, Aufzeichnungen. Hg. v. H.
Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1981; ebso.: Stéphane Moses: „Zur Frage des
Gesetzes. Gershom Scholems Kafka-Bild.” In: Kafka
und das Judentum. Hg. v. K. E. Grözinger u. a., Frankfurt am Main 1987, S.
13ff.
[45] Margarete Susman: Das
Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes (Anm.43), S.48.
[46] Maurice Blanchot: „Das Unzerstörbare.” In: Lettre
International, H. 10, Berlin 1990, S.66.