In: Frankfurter
Zeitung, 12.1.1919
Dem, der in einer eisigen Sturmnacht im Schnee verirrt plötzlich vor sich ein einsames Licht aufblinken sieht, mag es ähnlich ums Herz sein wie dem, der in der finsteren, armen Sturmnacht der Kriegszeit plötzlich im Herzen Deutschlands ein fremdartig glühendes Licht aufgehen sah: eine neue deutsche Metaphysik. Freilich, nur wenige werden es sein, denen damit etwas Großes, Ersehntes geschieht, die zu sehen vermögen, was dies für unser Land bedeutet; denn ihre wahre Heimat zu suchen, hat unsere Zeit wie kaum eine je zuvor verlernt. Und doch ist von den frühesten mythologischen Zeiten an über alle großen schöpferischen Zeiten hinweg die Metaphysik, die Religion: die sehnsüchtige Erhebung des Geistes über die Erfahrungswelt, allein die unvergängliche Krone aller Kulturen gewesen. Was wir allein von ihnen bewahrt haben, sind ihre metaphysischen und religiösen Ideen, zu denen alle äußeren Geschehnisse nur Grundlage und Vorbereitung oder für uns Mittel zum genetischen Verstehen sind. Erst unserer Zeit war es verhängnisvoller als je einer Spätzeit vorbehalten, das einzige unvergängliche Erbteil des menschlichen Geistes, das, was in Platos Anamnesis als die durch alle wechselnden irdischen Verhältnisse nie völlig zu verwischende Erinnerung an die ewig gemeinsamen menschlichen Wesensgesetze hindurchschimmert, zu vergessen und zu verwerfen. Darum ist die Nacht so tief über unser menschliches Antlitz herabgesunken, daß der Mensch im Menschen nicht mehr den Bruder erkannte. Nur einen Augenblick versuche man sich klar zu machen, was dies heißt: daß wir um des Linsengerichts materieller Wohlfahrt, äußeren Gedeihens, zweckmäßigen Strebens und emsigen Arbeitens willen auf unser Erstgeburtsrecht als Kinder Gottes verzichtet haben: auf unser menschliches Recht, zu schauen und uns über uns aufzurichten, was mehr ist, als wir sind, was von dort aus fordernd und gebietend von uns die letzte menschliche Entscheidung über unser Leben verlangt. Dann wird man sich der ungeheuren Finsternis bewußt werden, in der wir leben, wird den Abgrund der Leere über uns und unter uns erkennen.
Zu dieser Weltstunde, in dieser
Weltfinsternis ist die neue Metaphysik empfangen. Sie steht nicht abseits vom Leben;
die ganze Not unserer Zeit pocht, wirkt und fordert ungestüm in ihr. Um uns geht es; wir werden angeredet und aufgerufen, wir, die gegenwärtigen, von
ihrer wahren Heimat abgeschnittenen Menschen. Der Utopist wirft seinen Anker
auf den Grund der tiefsten, der furchtbarsten Nacht, in der je gelebt wurde.
Die maßlose Gottverlassenheit unserer heutigen Welt, in der »der Zweifel an
Gott der normale Zustand« ist, ihr wertfreies und sinnverlassenes Sein – gerade
diese längsten und schwärzesten Lebensnächte werden ihm zu den Adventsnächten
einer neu heraufbrechenden geschichtsphilosophischen
Epoche. »Die neue philosophische Stunde kat' exochen ist da.«
Nichts Seiendes darf hier mehr
angenommen, hingenommen werden; nichts Wertvolles ist bereits seiend. Es gilt,
alles Schlechte, Verfallene, Halbe und Hohle unserer Zeit beim Namen zu
nennen, mit Gewalt zu entlarven und zu seinem eigenen Unwert zu verurteilen.
Und erst, nachdem so alles, was ist, verworfen, alle Erlösungskraft des bereits
Gegebenen und Geschehenen abgelehnt ist, erhebt sich in der letzten Nacht und
Verlassenheit die Frage: Was sollen wir tun? Wohin sollen wir gehen? Wo ist das
unverrückbare Ziel, das auch vor uns noch trotz alles Verschlagenseins
in jähen Augenblicken mit brennender Gewißheit aufzuckt? Und es steigt herauf,
ein Letztes, Ziehendes, Unaussprechbares, ein nie Gesehenes und Erkanntes, ein
Ruf »in eine Heimat, wo man noch niemals war, und die dennoch Heimat ist«. Es
ist wie ein Aufspringen längst verschlossener Gräber, ein schmerzliches
Sich–Dehnen verbogener, gelähmter Glieder, ein gewaltiges Sich–Aufrecken zu
seiner wahren Gestalt. Und aus dem schwarzen Dunkel zeigt sich der einzige
schmale, blendende Ausweg: »In uns allein brennt noch Licht.«
In uns allein. Dies ist der innerste Sinn des Buches. Wer aber sind wir? Wir
sind das, was letzthin gesucht wird, in allem sich selbst sucht, das Wir, das
Überhaupt des Menschlichen ist das Ziel alles Seins und Suchens: die
Selbstbegegnung ist der letzte Traum der Welt.
Fremd tönt das Buch – gerade,
weil es diese ungeheure Nähe zu unserer Seele, zu dem Letzten in unserer Seele
besitzt, an das zu rühren uns fremd geworden ist – uns, die wir uns veräußerlicht,
vertan, falsch gerichtet, falsch gestaltet haben. Fremd tönt es allem, was sich
hier festgelegt und gebunden, was sich an ein Verweilen im der Seele Äußeren
gewöhnt hat. Denn alles Böse heißt hier: Festlegen, Stocken, Hemmen und
Vereiteln; alles Gute heißt: Sprengen und Zerbrechen, Fortstürmen durch alle
Bindungen hindurch zur letzten Heimkehr. Die gesamte äußere Welt ist nichts
als das uns Aufhaltende, uns den Weg Verlegende, das dumpfe, trotzende Zeugnis
unseres Nichtwissens: »das Nichtwissen ist der Grund für die Erscheinung
dieser Welt«. Immer gewaltiger müssen wir sie mit uns selbst durchtränken,
durchglühen, zerbrechen, bis zuletzt, nachdem die ganze Welt erkennend und
liebend durchlaufen, in uns zu sich selbst geführt ist, das durchweg seelisch
entzündete Draußen in Flammen auffliegt. Die seelische Durchbrennung
alles Gegebenen reift die Welt zum »furchtbaren Erntefest der Apokalypse«.
Aber es ist eine andere
Erkenntnis, ein anderes Wissen als das uns gewohnte, das hierzu nottut. Nicht das karge, einzelwissenschaftliche,
theoretische Wissen, sondern ein letztes schöpferisches Sicheinsetzen
der gesamten Person. Es gilt, uns niemals und nirgends in den Dingen und über
den Dingen zu verlieren; es gilt, uns selbst, unsere Wahrheit lebendig in sie
einzusetzen und aus ihnen zurückzugewinnen. »Es gibt nichts mehr, das nur
entziffert werden müßte, und es stände da von unserem verschleiernden Auge
befreit.«
Dies Wissen, das im Letzten
immer Wissen um uns selbst ist, diese nur durch uns zu schaffende Wahrheit
bestimmt auch die Erfassung der Geschichte. Im strengsten Gegensatz zu allem historischen
Relativismus, zu allem bloßen Nachzeichnen des Geschehenen ist hier als
geschichtsphilosophisches Erkennen ein rein wertendes, schöpferisch
umbildendes, ein an der letzten Wahrheit, an uns selbst orientiertes
gefordert. Denn »uns bewegt nicht mehr die Frage, was die Dinge jeweils im
Gegenwärtigen, in ihrer empirischen Verhaltungsregel und deren einzelwissenschaftlicher
Kodifizierung, sondern die Frage, was die Dinge, Menschen und Werke in Wahrheit seien«. So muß auch die Zeit, als die in ihnen allen lebt und in
der sie leben, in uns und durch uns selbst zu ihrem eigenen Wesen als einer
schöpferisch aufrufenden, auf die Realisierung der letzten Werte gerichteten Energie vollendet werden. Die gesamte neue
philosophische Arbeitsweise drängt bereits auf diese neue Erfassung hin, der
die Zeit etwas anderes bedeutet als unbedingte Diesseitigkeit, bloßen Ablauf
dieser Welt. Es ist unser eigenes schöpferisches Wesen, das wir hier abermals
einzusetzen haben. Unser Wille vermag vorauszueilen und zurück zu wollen; der
tiefe Shakespearesche Traum des Wintermärchens will
wahr werden. Die Vergangenheit ist nicht endgültig vergangen und das
Zukünftige nicht mehr ausschließlich vor uns. Nietzsche, Bergson weisen auf
verschiedene Art in diese Richtung; Scheler hat dafür den klassischen Ausdruck
geprägt: »Die gewußte Geschichte macht uns frei von
der Macht der gelebten Geschichte; alles ist erlösbar,
soweit es Sinn, Wert und Wirkungseinheit ist.« Bloch
sagt in seiner Sprache, die immer zugleich die Realität selbst anrührt: »Denn
was ist, kann nicht wahr sein; aber es will durch den Menschen zur Heimkehr
gelangen.«
Mit dieser Zeitauffassung, die
den gesamten Weltprozeß zu uns hin
verändert, muß ein neues Gewissen in der Welt erwachen, ein Gewissen, das reinigend,
umschaffend und beschleunigend vorauseilt und dennoch nichts unerlöst hinter
sich zurücklassen kann, weil eben prinzipiell alles erlös bar ist: das für den
gesamten Weltprozeß verantwortliche utopische
Gewissen. Damit ist klar, daß dies kein vereinzelter Welterlösungstraum
sein kann, sondern der Traum des Subjektes, das verantwortlich für das Ganze
steht. Die volle Realisierung dieses welterlösenden utopischen Gewissens kann
erst der Messias sein. Auch Jesus, der uns das gewaltige Paradox gab, durch
welches das moralische Ich dem Gegebenen radikal entgegengewendet
ist, ist dies Letzte, die vollkommene Erlösung der Welt, ihre Aufhebung durch
die Gewalt der Seele noch nicht gelungen: »Als ob nicht schon eine
Handauflegung des Messias die Welt vergottet hätte.«
Wir aber müssen darauf
hinleben, daß die Welt für die messianische Tat reif werde. Wir müssen
trachten, alles in uns mitzunehmen, überall auf Wahrheit drängen, nichts darf
uns zu gering sein, es zu begreifen und mit emporzuführen;
und da alles in der Zeit ist, kommt uns auch alles hier entgegen. »Jedes Ding hat seinen utopischen Stern im
Blut.« Ihn zu entzünden, sind wir, das utopische
Weltgewissen, da. Ihn zu entzünden, gilt es die volle Menschlichkeit
einzusetzen, »die andauernde Traumkonzentration auf sich selbst, auf sein
reineres, höheres Leben, auf das innere Hellwerden...« Es gilt, durch alles
sich hindurch zu bewegen, um zu sich selbst zu gelangen. Zu uns, die wir uns
suchen, zu unserer innersten Wahrheit, zu dem verschlossenen Paradies unserer
Menschlichkeit, unserer Güte und Liebe. So ist alle Erkenntnis zuletzt »die
Sehnsucht, endlich das Menschengesicht zu sehen«.
Mit diesem utopischen Stern in
allen Dingen bewegt sich eine treibende, reißende, rufende Kraft ohnegleichen
durch die Welt. Alles gerät in Fluß, in den Fluß unseres Begreifens, unseres
Tuns und Vollendens. Aber zuletzt und zuoberst werden wir selbst gerufen. Denn
wir wissen nicht, wer wir sind. Wir liegen uns selbst »im gelben Fleck«, im
Dunkel des gelebten Augenblicks. Wir entgleiten uns immer; an fremdesten
Dingen und Träumen, in den seltsamsten Worten und Wortverbindungen glauben wir
uns plötzlich zu finden, zu besitzen; alles und jedes im übermächtigen
Geheimnis und Rätsel unseres Daseins ruft uns zu uns selber auf. »Wir allein
sind die Gärtner des geheimnisvollsten Baums, der wachsen soll« – und wir
allein sind der geheimnisvolle Baum, den wir warten. All unser Werk, unser
Schaffen geht diesen Weg zu uns selbst. In jeder äußeren Formung, jedem
Kunstwerk werfen wir uns selbst, die wir suchen, die wir noch nicht sind,
voraus, halten uns darin von uns ab, um uns zu schauen. Aber alles
Gestalthafte, Werkhafte ist gegenüber diesem letzten Wir noch vorläufig. So
werden unsere Werke in dieser Zeit,
wo »das menschliche Innere und das Innere der Welt zusammenrücken«, immer
formfremder, immer unklassischer und unnaturalistischer zugleich, immer mehr wir selbst: unser
eigenes fragendes, unruhiges Selbst. Dahin geht der Expressionismus. Nirgends
aber kommt die revolutionäre, formsprengende Kraft der Innerlichkeit so
ungehemmt durch die letzthin immer fremden Gegenstandsbeziehungen zum Ausdruck
wie in der Musik. Ihr» Todeszauber« rückt uns ohne Begriff und Wort an unser
Letztes heran. Hier brennt kein irdisches Licht mehr. Wir tasten in die Nacht
der verlöschenden Welt und finden darin noch nicht das eigene Licht, aber doch
schon das tiefgeheimnisvolle Dunkel unseres Selbst. Musik ist der letzte, schon
durchsichtig werdende Schleier über dem Mysterium; sie ist die »über alle
Worte hinaus beginnende Lösung unserer geheimen Natur«. Die Heimkehr der Zeit
selbst zu ihrem schöpferischen Wesen bildet den anamnetisch–utopischen Kern
der Musik, den traumhaften Zug »in eine Heimat, wo man niemals war und die
dennoch Heimat ist«. Denn sie nimmt uns auf, führt uns mit; wir sind noch nicht
bei uns, aber wir träumen uns schon in dieser »bunten Sterbenacht« unseres
Seins. Nirgends rauscht der Grundquell dieser Metaphysik des Geheimnisses tiefer und tönender auf
als hier.
So kann die Philosophie der
Musik dem, der Musik versteht, ein Schlüssel zum Verständnis des ganzen Buches
werden. Die apokalyptische Tat, die Erlösung und die Aufhebung der Welt durch
die Seele erfährt durch das Medium der Musik ein näheres und vertrauteres
Abbild. Denn auch die Musik hebt wenigstens bildhaft und zeitlich die ganze
Erfahrungswirklichkeit zu Gunsten einer seelischen Wirklichkeit auf und
spiegelt so im raschen Vorüberrauschen das ewige Endziel alles zeitlichen
Geschehens.
Dies ewige Endziel selbst: die
volle Selbstbegegnung und Apokalypse aber sind hier keine Bilder und Symbole;
sie sind wie alles hier Geschaute, wie der ganze Reichtum glühend
phantastischer mythologischer Bilder, gemeint als volle Realität. Dies ist
ganz wörtlich im phänomenologischen Sinne, dem eine neue Anschauung des
Wirklichen zum Grunde liegt. Denn für die Wahrheit, daß es mehr Dinge zwischen
Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt, öffnet
ernsthaft erst die heutige Phänomenologie die Augen, indem sie zeigt, daß
unendlich mehr in der Welt zu sehen ist, als schon gesehen wurde. Von der
engen, rein empirischen, das heißt, nutz– und lebensfördernd auf das Subjekt
bezogenen Wirklichkeit durch eine immer intensivere, immer leidenschaftlicher
nur auf das Wesen der Dinge
gerichtete Einstellung mich befreiend, vermag ich allmählich immer mehr
Schichten der Wirklichkeit zu erschließen und so zu einer grundsätzlich unbeschränkten
Wesensschau der Dinge mich hindurchzuarbeiten. Dies ist der Weg, den Bloch
geht. Es ist seine feste Überzeugung, daß die tiefsten Mysterien des Lebens
sich vom ganz zu sich selbst, von aller Empirie gereinigten Blick des Geistes
als Gesichte in konkreter Gestalt schauen lassen müssen – daß, anders gesagt,
das Hellsehen erst die vollkommene Adäquation des
Geistes mit der Sache hervorbringen könnte. Denn das wahre Gegenüber, der wahre
Gegenstand unseres Geistes ist niemals die Welt der Erscheinung. Aber auch die
metaphysischen Erkenntnisbegriffe: das absolute Sein, das absolute Ich, die
Wahrheit als Idee, vermögen ihm nicht zu genügen, weil sie nur höchstens auf
einen Teil seines Wesens antworten. Die Ganzheit des völlig überrationalen,
glühenden, bunten, träumenden, rufenden Geistes findet nur in
lebendigen Gesichten, in konkreten Gestalten einer
andern Welt ihre Erfüllung. Wir sehen in diesen Gestalten nur »unsere eigene,
wundersam erleuchtete Tiefe«. Wir müßten, sofern wir nur bei uns sind, zu uns
wollen in dieser fremden dunklen Welt, in die wir verstoßen sind, alle jene
alten und neuen Götternamen empfinden »wie ein Gespräch in der einsamsten
Fremde von den fernen Freunden in der Heimat. Daß wir hier unten stecken
bleiben und mit diesem da zusammen sind, daß wir Menschen nur mehr den Rücken
der Dinge statt der Gesichter der Götter erblicken, ist die erstaunlichste
Anomalie.« Aber wie die fremdvertrauten Götternamen,
so kehren auch die schlichtesten, heimatlichsten Menschenworte hier als letzte
metaphysische Begriffe wieder. Entlegenstes und Nächstes schlingt sich
ineinander zu einer Melodie, die dem schwarzen Sang des Eros Thanatos so sehr wie dem mütterlichen Wiegenlied gleicht,
und wir finden uns in der höchstgelegenen Fremde immer zugleich seltsam erschreckend
zu Hause.
Wie fremd dies bildlich
–ontologische Denken uns gegenüber dem uns gewohnten, einzelwissenschaftlich
klassifizierenden geworden sein mag – es wirkt hier deswegen so unmittelbar
überzeugend, weil es streng auf seinen Ort beschränkt ist. Denn auch mit der
üblichen philosophischen Terminologie ist an ihrem Ort keineswegs gespart. Aber
nur so weit die rein denkmäßigen Begriffe reichen,
werden sie verwendet, wie in dem ganzen Buch durchwegs der Gegenstand selber
sich seinen Ausdruck geformt hat. Das Niedrige, das lediglich Vorliegende, von
dem hier immer wieder angehoben wird, um erst allmählich von ihm und an ihm
aufzusteigen, wird niedrig, ja häufig essayistisch und höchst summarisch, das
Erkenntnismäßige mit Erkenntnisbegriffen, das Religiöse schließlich in Gesichten und mythischen Symbolen ausgesprochen. So
verhüllen die Bilder nirgends das Gedankliche, sondern leuchten erst als
»unsere menschlich evidentesten Selbstverdeutlichungen«
auf in einer Sphäre, die dem Begriff nicht mehr zugänglich ist.
Von dem ungeheuren Reichtum des
Buches an dieser Stelle auch nur annähernd einen Begriff zu geben, ist
unmöglich. Es führt durch alle Gebiete unseres Lebens, unserer Philosophie und
Kunst hindurch, um überall an ihnen die gleiche geschichtsphilosophische
Gesamtlage, die großen Grundprobleme und den Weg zu ihrer Lösung aufzuzeigen.
Und wenn bei dieser Überfülle des Stoffes nicht alles gleichmäßig durchgereift ist, wenn die heraufdrängenden
Gesichte nicht überall aus dem gleichen ewigen Stoff geformt sind – wenn zum
Beispiel die für die ethische Entwicklung unbedingt notwendige Seelenwanderung
nicht den klaren Stand eines Postulats erreicht hat, sondern noch ein
Mittelding zwischen Dogma und Hypothese geblieben ist, und wenn die Apokalypse
als kosmisches nicht völlig aus dem seelischen Geschehen begriffen werden
kann – was bedeutet das neben der Gewalt, mit der schon hier nie Geschautes
sichtbar gemacht ist? Auch ist dies ganze Buch nur gedacht als Vorarbeit und
Einleitung zu einem großen »System des theoretischen Messianismus«.
Und schließlich ist auch dies
machtvolle Buch ein Gebilde unserer Zeit, und die schwere Stunde seiner Geburt,
die Leere und das abgründige Verlassensein unserer
Welt haftet auch ihm an. Es ist nicht wie andere schöpferische religiöse Gedankengebilde
in einem großen, gemeinsamen, blühenden Glaubens– und Ideenreich erwachsen; es
ist von unendlicher Einsamkeit. Alle Wege, die dort bereit liegen, müssen hier
erst ungeduldig gesucht, alles Alte muß fieberhaft zerstampft, alles Neue
gewaltsam durch den glühenden Lebensüberschwang eines Einzelnen aus dem Nichts
ins Leben gerufen werden. Dies zeichnen auch die höchsten Gedanken und Visionen
des Buches immer wieder in gewaltigen Linien nach. Wie alles allein durch uns
geschehen muß, wie wir auch das Letzte und Äußerste noch: die Ernennung Gottes
aus eigener Kraft vollbringen müssen, wie wir »mit unserem Leid gegürtet, mit
unserer trotzigen Ahnung, mit der ungeheuren Gewalt unserer Menschenstimme«
ihn über uns hereinrufen müssen: darin lebt mit ihrer letzten Wahrheit auch die
ganze wild entflammende Leere unserer Zeit. Wohl strömen hier auf dem noch
gänzlich unbebauten Arbeitsfeld von allen Seiten die Tendenzen des neuzeitlichen
Denkens zusammen. Aber das ganze glänzende geistige Rüstzeug ist nur zum
Urbarmachen neuer eigenster Wege verwendet, und alles, was in dieser
Philosophie von weither sich begegnet, ist zu einem Neuen und völlig Anderen
zusammengeschmolzen im Feuer des messianischen Gedankens und eines rein
persönlichen, fremd und unirdisch glühenden Geistes.
Seit langen Jahrzehnten wieder
erhebt hier die Philosophie aus aller vergänglichen Umhüllung mit
Einzelwissenschaft und Methode frei ihr ewiges Antlitz. Zum ersten Mal wieder
hat die Metaphysik die ihr von Kant zuerkannte Stelle als Königin der
Wissenschaften eingenommen. Aus der furchtbaren Nacht und Einöde, dem
trostlosen Nein unserer Welt steigt jäh eine Flammengarbe von Bejahung und
Zukunft empor. Die Bejahung gilt nicht dem Seienden, weder als Natur noch als
Kosmos noch als Gott – sie gilt allein der durch uns zu schaffenden Zukunft. Zukunft
– das ist das einzige Leben unserer Zeit, die keine Gegenwart hat. Es ist auch
der innerste Sinn der Revolution. Dies im Krieg geschriebene Buch ist Geist von
ihrem Geist, Glauben von ihrem Glauben, Hoffnung von ihrer Hoffnung. Aber indem
es uns durch alle irdische Revolution nur hindurchführt, weist es empor
und hinüber zur letzten, ewigen
Revolution: zur alles Sein sprengenden apokalyptischen Tat der Seele. So ist
die Seele als der ewige Sternenhimmel unserer Sehnsucht über all unserm
irdischen Tun ausgespannt; rufend, ziehend, erweckend, traumhaft weit und
glänzend: die gewaltige Prophetie alles dessen, was durch uns kommen soll.
Denn der utopische Raum unserer Seele »umspannt alles, auch das Drüben, das
noch nicht ist«. So gibt es für uns nichts mehr als das immer inbrünstigere Verlangen, bei uns zu sein. Und so steigt
aus dem in seiner Tiefe gesehenen, begriffenen und gerichteten Heute die
leidvoll strahlende Metaphysik der Gottferne empor: der utopische Stern, der
Adventsstern unserer langen, tiefen Nacht.