Antwort auf einen „Offenen Brief an die Deutschen
Juden“
In: Der
Morgen, Heft 3 (August 1930)
Die Zeitschrift „Deutsche
Republik“ veröffentlicht in ihrer Ausgabe vom 28. Juni d. J. einen G. H. gezeichneten
offenen Brief an die deutschen Juden, der bei der Bedeutung der Zeitschrift
eine Antwort verlangt.[i]
Werter Herr G. H.! Sie meinen
es sicher gut, und die Adressaten sind sich in ihrer Mehrzahl bestimmt einig
über die Größe der nationalsozialistischen Gefahr und die Notwendigkeit einer
kraftvollen Bekämpfung. Aufrüttelnder Alarm, geordneter Kampf verlangen aber
Klarheit, Klarheit über die Kräfte der streitenden Gegner, Klarheit über das
Kampfgelände. Ich fürchte, daß ihr Brief dem nicht dient. Weder in Bezug auf
die Lage, noch in Bezug auf den Plan.
Zunächst: Sie schreiben: nur in
der Phantasie des Hakenkreuzlers gibt es den „Juden an sich“, – und sich so „in
seiner Ideologie“ befangen, daß Sie in Ihrem ganzen Brief von dem „Juden an
sich“ ausgehen. Als ob es zwischen dem Juden, der steuerflüchtig die jüdischen
Gemeinden verläßt, der dank einer umfassenden Schadenversicherung Unruhen
nicht: fürchtet, – und dem jüdischen Proletarier, Kleinbürger und Handwerker
noch etwas Gemeinsames gibt, wenn es nicht einmal mehr die Gemeinsamkeit der
Gefahr ist.
Dieselbe Unklarheit
hinsichtlich des Plans z.B.: mangels Voraussicht sei von jüdischer Seite nichts
gegen die hereinbrechende Wirtschaftskrise unternommen wurden. Einsichtig aus
allen Lagern, haben die Krise rechtzeitig erkannt und Maßnahmen zur Abhilfe
vorgeschlagen. Juden sind unter den Einsichtigen. Juden sind unter denen, die
aus Engstirnigkeit oder asozialer Haltung eine Besserung voreiteln. Was sollten
„die“ Juden gegen die Krise unternehmen? Sie sind – und dazu noch zahlenmäßig
gering – in allen Wirtschaftszweigen zu finden; haben nicht mehr gemeinsame
wirtschaftliche Bindungen als andere gleichartige Gruppen. Sie bilden keine
eigene Wirtschaft, die sie beispielgebend gestalten können.
Also soll von jüdischer Seite
nichts geschehen? Ja, doch, sehr viel sogar! Aber im Rahmen einer Aktion, die
viel umfassender sein muß als eine jüdische Abwehr und systematischer als die
bisher geübte. Wer ist der Gegner und in welcher Richtung marschiert er? Nicht
die von dem jungen Friedrich Naumann herkommen, von einem einseitig gedeuteten
Idealismus Fichtes sind die Gefahr. Nicht die ewigen Soldaten, dichtenden
Abenteurer und Jünger. Die Gefahr ist das Gros, der sinnlos festes und morsches
Holz vernichtende Waldbrand. Es sind die Massen der „kleinen Leute“, die ihre
wirtschaftliche Entwurzelung und Proletarisierung nicht als zwangsläufige
Erscheinung heutiger Entwicklungsstufe fassen können, sondern sie als
persönliche Kränkung empfinden; die ein Meer brauchen, das die mit Ketten
peitschen können. Es sind nur allzu oft diejenigen, deren Begabung für ihren
Ehrgeiz nicht ausreicht, die sich einen Platz im Leben nicht im ehrlichen
Wettkampf erringen können. Von dorther der Zustrom von Studenten, Beamten und
kleinen Politikern. Und am gefährlichsten – neben dem für jeden käuflichen
Gesindel – die Menschen, die aus den Tiefes jeder Art – nur nicht geistigen –
kommen, mit den letzten Spuren einer Sehnsucht nach Rechtfertigung begabt,
denen der Nationalsozialismus – wie er in der NSDAP. und ihren Splittergruppen
in Erscheinung tritt – willig eine Glorie für alle Schandtaten zur Verfügung
stellt.
Zweifellos sind jene Juden in
erster Linie durch dieses Schadenfeuer gefährdet, die durch Namen und Äußeres
von ihrer Umgebung zu unterscheiden sind. Zweifellos würde eine
nationalsozialistische Diktatur – trotz den Versicherungen Hitlers gegenüber
der amerikanischen Presse – Ausnahmegesetze gegen Juden schaffen und sie gegen
Katholiken nicht wagen. Daß aber die nationalsozialistische Bewegung auch vor
ihren anderen „Gegnern“, liberalen, marxistischen und „jesuitischen“, nicht
Halt macht, zeigen allen, die bisher gezweifelt haben, die Angriffe gegen
Zentrumsleute und –zeitungen im Rheinland, der Abbau der republikanischen
Beamten in Thüringen. so weit die Front der Angegriffenen, so weit muß die
Front der Abwehr sein. Gegen das Anschwellen der „politischen Bewegung“ die
Front, sagen wir es ruhig, der Anständigen, mit restloser Aufklärung durch
Agitation jeder Art. Damit alle diejenigen gewonnen werden, die noch zwischen
den Fronten stehen oder die zurückgeholt werden können, – die Menschen
vernunftbegabt und reinen Herzens. Daß nicht alle Gruppen einer Bearbeitung
zugänglich sein werden, ergibt sich aus der eben versuchten Analyse der
nationalsozialistischen Bewegung. Gegen die unfriedlichen Äußerungen, wörtliche
und tätliche Angriffe, Friedhofsschändungen usw. derjenigen, denen nur äußerer
Druck Hemmungen auferlegt, aber Einsatz der Staatsgewalt mit aller Schärfe und
Rücksichtslosigkeit – gestützt und getragen wieder von der öffentlichen Meinung
der rechtlich Denkenden.
Es gibt kein fruchtbringendes
Ringen der Weltanschauungen in Deutschland, keine planmäßige Wirtschaft, keine
Reinheit im öffentlichen und privaten Leben, solange eine Bewegung wütet, die
den Kampf aller gegen alle vorbereitet, ihn selbst gegen ihren Willen
vorbereiten müßte. Im Rahmen der allgemeinen
Verteidigungsfront ist auch die jüdische Aufgabe gegeben – Versammlungen,
Flugblätter, Plakate mit besonderer Berücksichtigung der antisemitischen
Argumente des Gegners.
Es ist bekannt, daß die
Nationalsozialisten jedem ihrer Anhänger etwas Passendes zu sagen wissen. Für
den Arbeiter sind sie Sozialisten, für den Unternehmer wirtschaftsfriedlich,
für den positiven Christen religiöse; wer es will, dem bringen sie den
Wotanskult. Entsprechend muß die Abwehr abgestimmt sein.
Noch eins: Die Abwehr genügt
nicht. Die Fortschritte der Nationalsozialisten sind z. T. nur verständlich als
Symptome einer allgemeinen Zersetzung in allen Schichten. Die Abrechnung mit
den Nationalsozialisten muß daher von einer Säuberung der eigenen Reihen, von
einer Reinigung des öffentlichen Lebens überhaupt begleitet sein. Jede
religiöse Gemeinschaft, jedes politische Lager, jeder Stand hat Menschen, die
von keinem Ruf nach Disziplin, Haltung, Reinheit erreicht werden. Weg mit
ihnen! Auch gegen sie muß die Front der Verachtung von allen Anständigen
organisiert werden. Damit aus der Abwehr der Aufbau erwachse!
[i] Mit den hier folgenden
Ausführungen halten wir die Aussprache nicht für abgeschlossen. Die
Schriftleitung.