Margarete Susman
Frauen der Romantik
Mit zahlreichen Abbildungen
und einem Nachwort von Barbara Hahn
insel taschenbuch
Inhalt
Vorwort zur
Ausgabe von 1931
.......................................................................9
Vorwort zur
Ausgabe von 1960
.....................................................................12
Caroline
.......................................................................................................15
Dorothea
......................................................................................................54
Rahel
...........................................................................................................98
Bettina .......................................................................................................133
Karolina von
Günderode
............................................................................168
Die
Weltanschauung der Romantik ............................................................201
Ferne Spiegel
.............................................................................................221
Nachwort von Barbara Hahn
Zu dieser
Ausgabe .....................................................................................236
Vorwort
zur Ausgabe von
1931
Es war mir bei
der Darstellung der fünf Frauengestalten, die in diesem Buch vereint sind, vor
allem daran gelegen, ihr Leben als ein aus gemeinsamem geschichtlichem
Wurzelgrund aufsteigendes zu fassen – als das Leben von Gestalten, die nur in
diesem einen Raum- und Zeitpunkt möglich sind – jedes in seiner Weise Zeugnis
der geheimnisvollen Einheit, die das Einzelleben in seiner Besonderheit und
Einzigartigkeit dennoch zum Ausdruck des gesamten geschichtlichen Daseins
werden läßt, dem es entsteigt.
Ein
Wesentliches der deutschen Romantik selbst sollte also durch diese
Frauengestalten verdeutlicht werden. Sucht man nach einem Gestaltungsprinzip
meiner Darstellung, so kann es darum nicht in einer Idealisierung persönlicher
Art gefunden werden, sondern allenfalls in einer Art von geschichtlicher
Idealisierung, die sich bei aller Verschiedenheit der einzelnen
Persönlichkeiten und Lebensläufe durch das Leben aller dieser Frauen
hindurchwirkt, diesen Namen geben will.
Und zwar schien
mir die Herausarbeitung der Idee der Romantik gerade für unsere Zeit besonders
bedeutsam. Keine Lebensstimmung vielleicht liegt dem heutigen Menschen ferner
als die der Romantik. Abkehr von ihr in jeder Gestalt ist geradezu Parole der
heutigen Zeit geworden. Aber eben durch diese grundsätzliche Ablösung scheint
mir heute der Augenblick gekommen, wo das romantische Leben und Denken
vollkommen überschaubar und damit im Grunde erst ganz sichtbar geworden ist.
Und dies ist für unsere Zeit darum von Bedeutung, weil die Abwendung von einer
Epoche notwendig zugleich die Gefahr ihrer Verkennung in sich birgt – während
sich doch für das eigene Leben von niemandem Entscheidenderes lernen läßt als
von einem wirklich erkannten, ehrlich gewürdigten Gegner.
Das Wort
Romantik hat an sich einen unendlich weiten, nie zu Ende gedeuteten Sinn. In
diesem ganz weiten Sinne durchzieht ein Strom von Romantik, bald hoch
anschwellend, bald verebbend und versandend, die ganze europäische
Geistesgeschichte. Hier aber, in dem kleinen abgesonderten Kreis der
romantischen Schule, im Deutschland des vergangenen Jahrhunderts, in der kurzen
Epoche, die wir im engeren Sinne die Romantik nennen, ist ein einziges Mal der
weltweite Sinn dieses Wortes zusammengepreßt und verdichtet, ist er nicht nur
durch das Sein der Zeit ausgegossen, sondern wie in einem festen funkelnden
Kelch in ihrem Sein und Bewußtsein zugleich gesammelt. Die Erfüllung der
Romantik enthüllt sich so als Selbstanschauung der Romantik; Selbstanschauung
wird auf ihrem Gipfel als der Sinn der Romantik überhaupt sichtbar. Darin liegt
die unerhörte geistige Intensität, darin aber auch die tiefe menschliche
Problematik der eigentlichen romantischen Bewegung. Denn in der
Selbstanschauung, in der sie zu sich kam, indem sie sich selbst begriff, hat
die Romantik auf der Höhe ihres Lebens sich zugleich ihr Todesurteil
gesprochen. Was ins Bewußtsein getreten ist, kann nicht mehr ganz gelebt
werden. An diesem Punkt aber war es, wo die Frau mit ihrer unmittelbaren
Lebensintensität einsprang und die geistige Vision der Romantik dennoch
erfüllte. Darin, daß sie, ganz dem Geist erschlossen, doch ihm nicht verfiel
und so das eigentlich nicht mehr Lebbare lebte und zur Form gestaltete, liegt
die Größe der romantischen Frau.
Damit wird aber
zugleich deutlich, daß dies auf der schwanken Spitze höchster Geistigkeit
schwebende, ganz und nur persönlich gestaltete Leben einzig in jenem kurzen
Augenblick lebbar war, in dem es eine geistesgeschichtliche Aufgabe ersten
Ranges, die gedanklich nicht rein zu bewältigen war, durch das Leben selbst
löste. Darum stehen für uns heutige Menschen, denen andere härtere Aufgaben
gestellt sind, jene lebendigen Gestalten alle eigentümlich am Rande des Lebens,
sind sie, indem sie ein Äußerstes leben, von uns aus gesehen schon beschattet
von ihrem Tod. Aber das bedeutet, daß sie als geschichtliche Gestalten gerade
ganz und gar lebendig sind: nicht tote Vergangenheit, sondern wirkliches
sterbliches Leben – nach uns zu nicht abgeschlossen, sondern lebendig geöffnet
für das ewige „Erkenne die selbst“ des geschichtlichen Menschen.
Und indem wir
uns an ihnen und sie an uns erkennen, werden wir erfahren, wie diese Gestalten
einer vergangenen Epoche, von der wir uns endgültig abgewandt haben, uns nicht
nur fremd, sondern bei aller Schärfe der Trennung doch auch innerlich vertraut
sind – überschaubar für uns durch ihre Fremdheit, identisch mit uns durch den
Strom lebendiger geschichtlicher Wirklichkeit, der in ihnen wie in uns pulst
und aus dem ihre Erschließungskraft für unser eigenes Dasein quillt. In dieser
Doppelstellung alles geschichtliches Leben ist vielleicht keine Zeit für uns
fruchtbarer und aufschlußreicher als die deutsche Romantik.
Ich schicke diesem
Buch diese Worte voraus, weil ich das bisherige Anfangskapitel, das als
Darstellung der gedanklichen Vorraussetzungen ihres Lebens den Rahmen für die
fünf Frauengestalten bildet, in der neuen Auflage an den Schluß gestellt habe.
Ich entschloß mich dazu aus der Erwägung, daß vielleicht durch das Leben der
Frauen selbst die Geisteswelt der Romantik so weit sichtbar werden wird, daß es
einen Zugang auch zu deren dunkler und komplizierter gedanklicher Ausgestaltung
zu eröffnen vermag, durch den sie sich dem Verständnis leichter erschließt.
Vorwort
zur Ausgabe von
1960
Als 1929 dies
Buch zum ersten Mal erschien, war unsere Stellung zur deutschen Romantik noch
eine andere als heute. Einerseits ist sie uns ferner und fremder durch die
Verlorenheit, Skepsis und Nüchternheit unserer Zeit, andererseits ist sie uns
auch in einer bestimmten Weise wieder ein wenig näher gerückt. Zwar als der
erste Weltkrieg vorüber war und alle bisherigen Werte bis in die Tiefe der
Sprache hinein verändert und zerrüttet hatte, war noch ein leiser Funke von
Romantik in der damaligen Jugendbewegung erhalten. Es war aber auch noch etwas
anderes aus dem ersten Weltkrieg übrig geblieben, ein neues vertieftes Wissen
um den Tod.
Mit dem Tode
hat jede große Philosophie, alle große Dichtung begonnen, aber stets als mit
der tragischen Seite des Lebens. Es blieb der deutschen Romantik, vor allem
Novalis, vorbehalten, den Tod in trunkenen Hymnen als Quelle des Lebens zu
besingen. So überwältigend schön und ergreifend diese Hymnen und Todesgesänge
sind – es erfaßt uns ein Schauer, wenn wir von ihnen aus auf unsere Geschichte
blicken, wie sie seitdem sich entwickelt hat und wie sie ohne das
leidenschaftlich Irrationale und das Todeswissen aller Romantik niemals möglich
gewesen wäre. Das Rätselhafte, Geheimnisvolle, wie es vor allem in den
mystischen Romanen des Novalis und in den Märchen Tiecks und Brentanos, dann
später zur Unheimlichkeit gesteigert in den Erzälungen E.T.A. Hoffmanns
hervortritt, ist nur eine Überform des Irrationalen, das die ganze Romantik
durchherrscht. Das letzte, unauflösbar Irrationale aber ist der Tod.
Schon in die
erste Romantik, von der dies Buch Zeugnis abzulegen versuchte, strömten durch
die Übermacht des Irrationalen von vielen Seiten zugleich gottfremde dämonische
Mächte ein. Das bestürzende Wort des blutjungen Friedrich Schlegel „Die
Wahrheit ist nicht schön, sondern häßlich“, das sich aller bisherigen deutschen
Philosophie, der prästabilierten Harmonie eines Leibnitz, dann dem Wahren,
Guten und Schönen Kants in schmerzlicher Verdüsterung entgegenwendet leitet
eine neue Zeit, die unserer eigenen Epoche, ein, wie sie auch in aller großen
Kunst unserer Zeit gespiegelt ist.
Die Romantik
hat also nicht nur die süßen Klänge, nicht nur die Weichheit und sanfte Milde,
die auf den ersten Blick ihr Wesen sind, — sondern auch den bitteren Kern
des Schegelschen Wissens, daß die Wahrheit nicht schön, sondern häßlich und
damit im Grunde unlebbar ist. So wird die Romantik in all ihren schönsten
Gestaltungen zur Flucht aus der Gegenwart in die Vergangenheit, vor allem in
das Mittelalter, seine große Kunst und seine historisch geprägten Formen. Nur
hier findet sie das in der Gegenwart Verlorene wieder. „Zurück, nicht
vorwärts!“ lautet hier alles.
Die zweite,
spätere Form der Romantik, die nicht mehr in diese Betrachtung gehört, schließt
doch an das Todeswissen der ersten an und geht noch weiter in die Vergangenheit
zurück, indem sie in dem Werk Wagners die längst versunkene germanische
Götterwelt der Edda und der Nibelungen wieder heraufbeschwört und damit in dem
ihr völlig fremden Großstadtpublikum den wildesten Nationalismus auslöst. So
milde daneben die erste Romantik erscheint, ihr ganzes lauschendes Denken und
Sinnen ist doch schon durch ihre Flucht in die Vergangenheit tief mit dem
Nationalismus Wagners verbunden. Schon Heinrich Heine hat in der sanften
lyrischen Hülle der Romantik den ganzen schonungslosen deutschen Nationalismus
prophetisch erkannt, der dann in die grauenhafte Katastrophe gemündet ist, wie
wir sie alle miterlebt haben: vor allem in der letzten und höchsten
Aufgipfelung des Irrationalen, im Heraufkommen eines besessenen, gespenstischen
Wesens, dem Millionen von Toten keine Gewissenslast bedeuteten, und dem sich
die große Mehrheit der Deutschen beugte: dann durch den verruchten Weltbrand
eines zweiten verheerenden Krieges, der die schönsten, ehrwürdigsten deutschen
Städte in Trümmer und Asche legte und schließlich zur Bedrohung der
menschlichen Existenz überhaupt führte.
Durch all dies,
was sich zwischen das Damals und das Heute geschoben hat, ist dies Buch unter
einen anderen Stern getreten.
Caroline
Es liegt
unendlich viel außer und über den
Grenzen dieser
Moral, nicht allein alles, was
freies Leben
ist in Natur und Kunst, sondern
ebenso auch die
Göttlichkeit der Gesinnung,
welche unsere
Erlösung ist vom Gesetz und
die Versöhnung
mit dem Göttlichen, da wir
zuvor
Unterworfene waren. –
Nicht alle sind
ohne Zweifel dieser Ansicht
fähig, welche
ewig zu den Mysterien der
höheren
Menschheit gehören mag.
Schelling
Caroline ist
die geschichtliche Frau der Romantik. Geschichtlich in dem Sinne, daß in ihr
das in jenem Augenblick ins Bewußtsein tretende Lebensideal seine
Verwirklichung gefunden hat. Was Romantik ist, das sagt uns nicht weniger klar
als die tiefen ringenden Definitionen Friedrich Schlegels, als die Hymnen,
Romane und Märchen des Novalis das Lebensbild Carolinens. Nur daß jene
gewissermaßen entzifferten und in Bildern und Symbolen aufschrieben, was
Caroline mit ihrem Leben unmittelbar enthüllte.
Denn ihr
gesamtes Leben erscheint als die reine Ausfaltung einer im Weltgrund selbst
ursprünglich angelegten Form. Wenn man sich das Weltganze vorstellt unter einem
Lieblingsbild des Novalis: als eine in allen Lebensformen ausgebreitete
geheimnisvolle Schrift, zu der dem Menschen der Schlüssel fehlt, so wäre im
menschlichen Inneren diese Schrift am tieftsten und unenträtselbarsten
verschlungen. In einem noch dunkleren und geheimnisvolleren Sinne, als
Schelling es von jeder Pflanze sagt, ist dann jedes menschliche Innere ein
verschlungener Rätselzug der Natur. Aber dieser tiefere und verworrenere
Rätselzug ist auch zugleich als einziger von allen Zeichen der Natur einer
allmählichen Entwirrung fähig: was in den Pflanzen stumm und verschlossen
dasteht, ist bestimmt, im menschlichen Leben offenbar zu werden.
Doch sehr
selten nur löst sich das verschlungene Rätsel eines Lebens auf; unendlich
selten tritt die Schrift als klares Bild zutage. Denn durch unser in unzählige
fremde Zusammenhänge eingewirktes bewußtes Dasein verwirren und verwischen wir
immer wieder die ursprüngliche Schrift bis zur Unkenntlichkeit. Je mehr dies
geschieht, um so mehr gleicht unser Leben einem Chaos; je mehr aber unser
bewußtes Dasein der Entfaltung der unmittelbar in uns vorgezeichneten
Lebensgestalt dient, um so mehr wird es zu einem klaren erkennbaren Bild.
Das Lebensbild
Carolinens, verworren, stürmisch und trüb in seinen einzelnen Schicksalen, hat
dennoch wie selten ein Leben durch alle seine wechselnden Inhalte hindurch
einzig der Sichtbarmachung des mit ihrem Dasein ursprünglich angelegten
Wesenszuges gedient. Es war die unantastbare Ruhe einer rein pflanzlichen, im
Keim vorbestimmten Entwicklung, in der sie ihn mit einer durchdringenden
Bewußtheit und Geistigkeit entfaltete.
Caroline wagte
einzig aus sich selbst zu leben: aus dem ihr immer gegenwärtigen Sinn ihres
ganz persönlichen Wesens – ohne daß je ein Fremdes, Einzelnes, ihr
Übermächtiges sie bestimmte oder ablenkte. Nie – von früher Jugend an – hat sie
für irgendeine Tat, irgendeine Entscheidung ihres Lebens nach Gründen, nach
Maßstäben, nach etwas außerhalb ihrer selbst Liegendem gefragt; jeder, auch der
verzweifeltsten und schuldvollsten Lage gegenüber, hat sie sich noch auf sich
selbst, auf ihr eigenes Innere gestützt und berufen. Ihr beispielloses, fast
mystisch sich gebendes Zutrauen zu sich selbst macht, daß sie nie daran gedacht
hat, etwa Fehler abzulegen, sich zu ändern, gegen sich zu kämpfen. Weder Kampf
noch Reue haben in ihrem Leben Raum. Sie kannte in Wahrheit keine Konflikte;
ihr unendliches Zutrauen zu dem belebenden und beseelenden Grund ihres Inneren,
der immer wieder aus sich selbst alles Dunkle, Falsche, Verwirrende zerstreuen
müsse, löste alle Geschehnisse und Situationen ihres Lebens, auch die, die in
jedem anderen Leben zu unlösbarem, grauenvollem Konflikt hätten führen müssen,
in der tiefen Stille eines in seinem Grunde unberührbaren Gewissens auf. Ruhig
bildete dieser unantastbare Mittelpunkt ihres Wesens Ring um Ring um sich her,
und alle Erschütterungen und Verwundungen dienten ihm nur, um gleichsam neue
Wachstumsformen der einen Gestalt aus sich heraus zu spinnen. Denn diese
Gestalt selbst veränderte sich nie; eine Entwicklung im eigentlich menschlichen
Sinne hat Caroline nicht gehabt. Von Anfang an sehen wir sie als dieselbe, die
trotz der strömenden Lebendigkeit, mit der ihr Geist allen Eindrücken geöffnet
ist und mit der sie alle auf sich selbst bezieht, dennoch sie von sich aus
ordnet und bestimmt, niemals sich durch sie bestimmen läßt. Dieses Wesen schloß
den Irrtum im eigentlich menschlichen Sinne: als Staffel der Entwicklung von
sich aus. Selbst ihre Irrtümer waren schon von Anbeginn vor dieser seltsamen
Festigkeit ihres Inneren gerechtfertigt. Mit einer geradezu nachtwandlerischen
Sicherheit ist Caroline durch alle wechselnden und zerstörenden Schicksale
ihres Lebens gegangen. Aber einem Nachtwandler gleich, den man anriefe und der
nun erwachend erst recht jeden seiner im Traum begonnen gefahrvollen Schritte
mit einer souveränen wachen Bewußtheit lenkte. Alles in ihrem Leben war
selbstverständlich. Sie hatte keine Probleme, stellte keine Fragen; was sie
bedurfte, war ihr gegenwärtig. Und ihre tiefe innere Sicherheit wurde durch ein
fast wunderhaftes Zusammentreffen von inneren Anlagen und äußeren Bedingungen
unterstützt.
Schon alles,
was ihr ursprünglich ins Leben mitgegeben war, begünstigte sie auf dem ihr
eigentümlichen Wege. Als Tochter des Orientalisten Michaelis in Göttingen 1763
geboren, erwuchs sie in einem Kreise, der ein gewisses geistiges Niveau der
Hochbegabten als selbstverständliche Lebensbasis bot. Eine Kulturhöhe, die
soviele andere bedeutende Menschen, und gerade Frauen, sich erst in mühseligen
Kämpfen erringen mußten, war ihrem Leben Voraussetzung. Von früh auf fand sie
sich unter ausgesprochenen und selbständig denkenden Persönlichkeiten. Ohne
diese geistige Atmosphäre ihrer Jugend wäre die eigentümliche Mühelosigkeit
ihres Geistes so wenig wie ihre relativ große soziale Unbekümmertheit denkbar.
Und auch ihr
Äußeres mußte ihr dienen. Caroline war nicht schön, aber leicht, zierlich und
voll Anmut. Ihre Erscheinung war so, daß sie ihr nie durch eine Auffälligkeit
irgendeiner Art im Wege war und daß sie sie doch, sobald sie wollte, zu jeder
Wirkung nutzen konnte. Sie ließ nichts Bestimmtes von ihr erwarten und konnte
dann doch in den näheren Begegnungen zu allem werden, was geistiger und
weiblicher Liebreiz vereint sein können.–
Die
wechselndsten Inhalte und Interessen hatten von Anfang an in Carolinens Leben
Raum – alles, insofern sie es auf ihr inneres Leben beziehen und von sich aus
ordnen kann. Sie durchlebte ihre Jugend wechselnd zwischen leichten, ja
leichtsinnigen Erlebnissen und ernsten Studien; schon ihre frühesten Briefe
verraten einen für ein junges Mädchen völlig ungewöhnlichen Reichtum an
Kenntnissen neben einer klaren und bestimmten geistigen Erfassung alles sie
Umgebenden – seien es Bücher, Menschen oder Schicksale.
Caroline hat
uns kein Werk hinterlassen – nur das persönliche Zeugnis ihrer Briefe. Aber
immer, von Anfang an zeigt sich in diesen Briefen der große einzige Reiz und
Zauber ihres Geistes: die erstaunliche Schärfe und Präzision, mit der er
arbeitet und ihren intensiven und feinen Wahrheitssinn allen Lebensbeziehungen
aufgeprägt. Niemals von allem Anfang an – das bewirkt das lebendige Interesse,
das sich an jede, auch an sich unbedeutende Mitteilung Carolinens heftet –
treffen wir in ihren Briefen auf ein angelerntes oder auch nur vag erfaßtes
Wort; niemals spricht sie aus, was nicht zuvor ganz ihr Eigentum geworden ist.
Und so zeichnet sich zugleich von früher Jugend an deutlich die Linie ihres
ganz persönlichen Lebens: jene mit voller Bewußtheit erstrebte Entwicklung
ihres gesamten Schicksals aus ihrem eigenen Inneren – durch eine Kraft, die
weit mehr ist als Wille.
In einem Brief
der eben Fünfzehnjährigen an ihre Freundin heißt es noch halb kindlich und doch
schon so voller wahrhafter Selbsterkenntnis: „Ich habe wahres, festes Vertrauen
auf Gott, ich bitte ihn so sehnlich, mich glücklich zu machen, aber ich habe so
verschiedene Wünsche, wodurch ich das zu werden suche, daß, wenn er sie alle
nach meiner Phantasie erfüllen wollte, ich notwendig unglücklich werden müßte.
Du, mein Gott, der Du mein Herz kennst, der Du mich schufst, erfülle keinen
Wunsch, der Dir mißfällig, ich verlasse mich auf Dich.“ Nicht Glück also ist –
trotz allers jugendlichen Glückssehnsucht – ihr eigentliches Gebet – sondern
eine die Vielheit ihrer Wesensanlagen klärende göttliche Lenkung ihres
Geschicks.
Solche Bitten,
die der Mensch ebensosehr an sich wie an Gott richtet, pflegen erhört zu
werden. Und dies feste Vertrauen auf eine göttliche Entwirrung ihres so reich
und vielfältig angelegten Daseins ist Caroline, da es ihr immer neu bestätigt
wurde, ihr Leben lang geblieben. Nur daß sie es später nicht mehr als
Gottvertrauen erlebte – sondern als Vertrauen auf den Gott oder Dämon in ihrer
eigenen Brust. Und gerade dadurch, daß diese geheimnisvolle Macht, der sie sich
vertraute, sie niemals im Stich ließ, scheint sie in ihrem Leben immer mehr die
Züge eines Dämons anzunehmen; denn es ist, als ob von ihr eine unheimliche
dämonische Wirkuung selbst in das Äußere ihres Geschicks ausgestrahlt wäre. In
allem und jedem – selbst in dem Schwersten und Furchtbarsten, das sie erlitten
hat, ist Caroline wie von den Mächten des Lebens selbst gestützt und bewahrt.
Immer ist sie wie von Geistern umwaltet und bedient, die ihr helfen müssen,
allen Schicksalsschlägen zum Trotz und durch sie, das Gesetz ihres Lebens zu
verwirklichen.
Erfüllt sich
so: in dieser geheimnisvollen magischen Einheit äußeren und innerenLebens, die
tiefste Ahnung der Romantik von Menschen- und Frauentum – so standen alle die
Menschen ihrer Zeit, die dem romantischen Kreise und seiner Gesinnung innerlich
fern standen, auch Caroline ablehnend und feindlich gegenüber. Alle Menschen,
die nach Normen, nach Ideen, nach irgend Feststehendem und Übergeordnetem
lebten oder suchten, mußten Carolinens Lebensform ablehnen; sie mußte ihnen
fremd, unverständlich, unsittlich, ja diabolisch erscheinen. Charlotte
Schillers Bezeichnung „Dame Luzifer“ faßt alle nachteiligen Urteile ihrer
Zeitgenossen über sie in der schroffsten Form zusammen. Überhaupt waren es vor
allem Frauen, die sich gegen sie, gegen die eigentümliche kristallene
Unangreifbarkeit ihres Wesens empörten und sie als hart, lieblos, kokett und
intrigant verurteilten.
Und es ist
klar, daß diese vollkommen unsoziale, geheimnisvoll in sich geschlossene und um
sich selbst kreisende, zwischen Naturwesen und Pythias in der Mitte stehende
Frau auch von sich aus keine reale Beziehung zu anderen Frauen haben konnte;
daß nur durch die unmittelbar in das Zentrum des Lebens treffende erotische
Beziehung zu ihr ein Zugang zu gewinnen war. Freundschaft stammt aus der Idee
oder aus der schlichten menschlichen Wärme; beide waren keine wirkenden Kräfte
in Carolinens Leben. Nur zwei Frauen haben in ihrem Leben eine Rolle gespielt:
ihre Freundin Luise Gotter, die ihr zeitlebens in dienender Freundschaft
ergeben blieb, und Therese Heyne, deren bedeutende, stark und eigensinnig auf
sich bestehende Persönlichkeit zweifellos einen starken Einfluß auf Carolinens
eigene Entwicklung geübt hat und die sie, trotz des Rivalitätsverhältnisses, in
dem sie immer zu ihr stand, wie ein mächtiges Naturschauspiel anstaunte und
bewunderte, ohne daß je im Ernst das Wort Freundschaft auf diese Beziehung
gepaßt hätte.
Carolinens
erste Jugend freilich wurzelt mit ihrer Auffassung von Liebe und Freundschaft
deutlich noch in der Epoche der Empfindsamkeit. Aber bereits ihre frühesten
Briefe an die Jugendfreundinnen verraten doch neben der lebhaften Empfindung,
mit der sie alles ihr Begegnende auffaßt, eine eigentümliche Bewußtheit,
Besonnenheit und fast unjugendlich kritische Schärfe, mit der sie den
überkommenen Gefühlswerten entgegenarbeitet und alle ihre Beziehungen – höchst
unempfindsam – auf den Boden der Wirklichkeit zu stellen sucht. Immer wehrt sie
sich gegen alles Überkommene, Herkömmliche, nicht ganz und gar selbst Erfahrene
und Erkannte. Alle romanhafte Schwärmerei weist sie von sich – schon in
frühester Jugend. Wohl nie hat ein sechzehnjähriges Mädchen so kühl abwägend
über seine erste Liebe gesprochen. „Ich bin nicht romanhaft genug zu sagen, daß
ich nie einen anderen heiraten wolle wie ihn, nein ich überlasse mich so ganz,
mit so ruhiger Seele der Führung Gottes, daß ich ohnmöglich unglücklich werden
kann. Was soll ich mir in der Blüte des Lebens ängstliche Stunden machen? Ich
will meinen Frühling genießen, erst sechzehn Jahr und mir vor Sorgen und Kummer
graue Haare wachsen lassen, das ist meine Sache nicht.“
Nein, gewiß,
dies war niemals, war auch viel später und in weit schwereren Schicksalen nicht
Carolinens Sache. Intensiv zu leiden hat sie immer abgewiesen. Diese erste
Liebe freilich gehört zu den „Hirngespinsten“, von denen sie nicht lange darauf
sagt, daß sie ihnen mit so weniger Mühe entsagte. Aber wenn dies junge
Menschenkind die Ausdehnung und Stärke seiner Liebe schon, mitten in ihr
befangen, so klar überblickt und mit ruhiger Selbstbesinnung in die noch
unaufgeschlossene Gesamtheit seines Lebenszusammenhanges einstellt, so ist dies
dennoch schon ein deutliches Präludium zu der Art, wie Caroline ihr ganzes
Leben hindurch sich dem Schicksal gegenüberstellte. Und wieder finden wir auch
hier als Untergrund dieser Haltung das eigentümliche Vertrauen in eine sichere
Führung – von dem wir hier bereits erkennen, daß es aus dem ruhigen,
unzerstörbaren Leichtsinn eines Wesens fließt, das im Innersten fühlt, daß es
nie dem Schicksal Macht über sich zugestehen wird.
Daß Caroline
wirklich in jeder Lage dem Schicksal gewachsen blieb, stammt aus dem
erstaunlich sicheren Wirklichkeitssinn, der jeden ihrer Schritte regelte. Nie
nahm sie den Anlauf zu irgendeiner Wirklichkeit zu kurz oder zu lang; selbst wo
sie einsehen mußte, daß sie geirrt hatte, erkannte sie rückblickend die
Notwendigkeit ihres Irrens und blieb mit sich und mit der Wirklichkeit
versöhnt. Alles Irreale, nicht Auftreffende, Vergebliche war ihr in der Seele
zuwider. Ein genaues Gegenbild des Don Quijote-Typus, dessen Auge am Blick in
die Idee für die Wirklichkeit erblindet. Wie in Don Quijote der edelste Wahn
des Menschengeistes gestaltet ist, so in Carolinens Leben das Wunder des
Wirklichen ohne allen Wahn und Traum. Von ihr geliebt zu werden, mochte wohl
einer Rechtfertigung vor dem Leben selbst gleichkommen; denn Caroline liebte
ohne Wahn.
Selbst auf dem
noch mit der Sprache der Empfindsamkeit geschilderten Höhepunkt
leidenschaftlichen Jugendglücks, an dem Tag, an dem, wie sie selbst sagt, die
Seligkeit fast in Schmerz übergeht, als der zärtlich geliebte Bruder sie seinem
Freund als Braut zuführt, wehrt sie sich gegen jede Schwärmerei und
Übertreibung. „Nur keine Minute der Schwärmerei, denn ich fühlte nur, was ich
sah.“
Wir wissen
wenig von dem ersten Gatten Carolinens, dem Bergmedikus Böhmer, dem sie mit
einundzwanzig Jahren nach Klausthal im Harz folgte. Gewiß ist, daß sie ihn aus
Liebe heiratete. Aber sehr bald schon ging offenbar die festliche Farbe dieser
Liebe im Alltag des vielbeschäftigten Arztes, in der Düsterkeit der Landschaft
und in einer Caroline völlig unangemessenen Umgebung kleinstädtischer Menschen
in ein stilles eintöniges Grau über. Und so sehr sie in sich selbst zu leben
suchte, so drückend empfand sie in diesen Jahren doch bald ihr
Abgeschnittensein von der Welt, das ihren Geist, der noch zu unendlichem
Austausch fähig und bereit war und dem der ihres Mannes offenbar in keiner
Weise genügen konnte, so ganz in sich zurücktrieb. Bücher und immer wieder
Bücher verlangt sie als Ersatz für das entgleitende Leben, und oft entfahren
ihr in diesen Jahren schwermütige Klagen.
Zwei Kinder
wurden Caroline in dieser Ehe geboren; an beide heftete sie sich mit der
größten Zärtlichkeit. Aber trotzdem wurde die Gleichförmigkeit ihres Daseins
ihr auf die Dauer immer unerträglicher. Wer kann sagen, wie diese Ehe geendet
hätte? Aber das Schicksal selbst kam Caroline, wie stets in ihrem Leben, so
hier zum erstenmal in harter Form zu Hilfe. Böhmer starb nach noch nicht
vierjähriger Ehe. Und Caroline schreibt an Louise Gotter die eigentümlichen,
für sie so bezeichnenden Worte: „Sanft zu leiden ist die größte Anstrengung,
deren ich jetzt fähig sein kann, die notwendigste; denn die Ausbrüche meines
Kummers schaden mir unmittelbar. Man gewinnt doch viel, wenn man sie
unterdrückt, man gerät in eine traumähnliche Betäubung.“
Sich dem
Schmerz hinzugeben, wehrt sich Caroline auch jetzt. Sie empfindet ihn; aber sie
fürchtet – welch eigentümliche Ironie für eine tieftrauernde Witwe – daß er ihr
schaden könne. Und so meistert sie ihn fast wie in einem exercitium spirituale.
Caroline war
wieder allein – allein mit ihren beiden kleinen Kindern. Die junge
fünfundzwanzigjährige Frau mit der ruhigen Seele und dem unruhigen Herzen war
auf sich selbst gestellt und ihr Geist und Herz wieder der Welt lebendig
geöffnet.
In Göttingen,
wohin sie zunächst zurückkehrte, trat sie sogleich in mancherlei Beziehungen.
Sie erneuerte vor allem die Freundschaft zu F.L.W. Meyer, diesem eigentümlichen
Menschen, von dem sie in einem ihrer frühesten Briefe sagte: „Er ist, wie du
selbst sehen wirst, ein sehr gefährlicher Mensch, seine edle Seele drückt sich
auf seinem Gesicht so sehr aus und macht einen so sicher.“ Um kaum einen
anderen Menschen hat Caroline so nachhaltig, mit soviel Wärme und leidenschaftlicher
Freundschaft geworben wie um diesen Mann, dessen Seele sie zu sehen glaubte und
gegen den kaum eine der Frauen seines Kreises gleichgültig geblieben zu sein
scheint. Die Briefe, die sie in den folgenden Jahren an diesen von ihr so sehr
geschätzten und geliebten und im letzten Grunde so wenig zuverlässigen Freund
richtet, gehören zum Wesentlichsten, was wir an Selbstzeugnissen von ihr
besitzen.
Ihm berichtet
sie später auch über ihre Leidenschaft zu einem gemeinsamen Freund, der ihr
gleichfalls in Göttingen nähertrat: zu Tatter, dem Freund und Vertrauten des
Königs von Hannover. Es war ein Mann mit ungewöhnlichen Vorzügen, aber doch
ihrem Wesen und Leben im Grunde fremd – mit dem sie eine Zeitlang eine ebenso
leidenschaftliche wie quälende Liebesbeziehung verband.
Aber auch noch
einen anderen und für ihr Leben entscheidenderen Freund gewann Caroline in
dieser Göttinger Zeit: August Wilhelm Schlegel. Als sie schon im Frühling des
folgenden Jahres Göttingen verließ, um nach Marburg zu ihrem Bruder
überzusiedeln, trat sie mit Schlegel in einen lebhaften Briefwechsel, stieß
ihn, der sie von Anfang an liebte und dem sie sichere Hoffnungen gemacht hatte,
dann aber, weil es ihr Inneres nun anders verlangte, in verletzender Weise
zurück. – Aus dem Anfang der Marburger Zeit stammen die Worte an ihre
Schwester: „Schlegel und ich! ich lache indem ich schreibe! Nein, das ist
sicher – aus uns wird nichts!“
Man kann sich
in der Tat kaum einen größeren Gegensatz zwischen zwei Naturen bei so gleichem
Interessen- und Anschauungskreis vorstellen als den zwischen Caroline und
August Wilhelm Schlegel. Caroline, die in sich selbst ruhende, unablässig
strömende Quelle lebendiger Erneuerung – und dagegen Schlegel, die feine,
exakte, pedantische Gelehrtennatur, unromantisch im Wesenskern, der Romantik
verbunden nur durch seine hell leuchtende Intelligenz, die, einer Eidechse
gleich, in alle Öffnungen und Ritzen fremden Geistes hineinschlüpfte, durch
seine eminente „Kraft, in die innere Eigentümlichkeit eines großen Geistes
einzudringen“, der wir auch das unsterbliche Werk der Shakespeare-Übersetzung
verdanken. Durch diese Kraft und durch die innige Beziehung zu seinem Bruder
Friedrich reichte er freilich so weit hinüber in die eigentlich romantische
Welt, daß er ein freieres, wahreres Leben als das des bloßen Gelehrten begriff
und sein Leben lang zu führen strebte. Dennoch, und trotz seiner mannigfachen
Beziehungen zu allen großen Geistern der Zeit und zu wahrhaft bedeutenden
Frauen, mußte ihm die Realisierung eines solchen Lebens im letzten Grunde
mißlingen; der Abfolge seiner Erlebnisse fehlte gleichsam die verbindende
innere Melodie; sie lagen lose, willkürlich, ja leichtfertig nebeneinander.
Ganz fehlte ihm bei einer Unmenge von Erlebnissen die tiefe Erlebnisfähigkeit Carolinens.
Trotz aller unablässigen und feinsten geistigen Annäherungen stand er mit
seinem ganzen Wesen immer vor den Toren des Lebens, das Carolinens Heimat war,
und gerade dies mag seine wirklich tiefe Liebe zu ihr: die tiefste, deren seine
Natur fähig war, hervorgerufen haben. –
Für das Leben
in Marburg scheint Caroline ein einziges Mal von ihrem klaren, vorausschauenden
Wirklichkeitssinn im Stich gelassen worden zu sein – geblendet wahrscheinlich
durch die Liebe zu ihrem Bruder. Um so größer war die Enttäuschung. Sie fühlte
sich in Marburg in jeder Hinsicht unglücklich. Die einst so überschwängliche
Beziehung zu ihrem Bruder trübte sich immer mehr, bis es zum vollkommenen Bruch
kam. – Aber noch in Marburg traf Caroline ein weit schwererer Schlag: ihre jüngste
Tochter Therese starb plötzlich noch nicht dreijährig an einer kurzen
Krankheit.
Durch die Art,
wie Caroline dieses Schicksal trägt, blicken wir unmittelbarer noch als durch
ihre früheren verwandten Äußerungen in ihr innerstes Verhältnis zu Schmerz und
Zerstörung hinab. „Wo bist Du, Geist der Schlummernden? Die Frage trat mir nahe
unter Bildern, unter Ideen, vor welchen die eingeschränkte Menschheit nur
dumpfen Sinn hat – und wenn sich diese Dumpfheit mit Sehnsucht nach
deutlicherem Wissen mischt – und in denselben Vorstellungen auch das Gefühl des
Verlustes erwacht – meine Brust arbeitete entgegen mit der Gewalt – die ich
wohl kenne – allein ganz so noch nicht übte.“
Dies
Entgegenarbeiten ihrer Brust gegen die zerstörenden Gewalten des Schicksals war
von jeher und blieb bis zu ihrem Ende die Art, wie Caroline den furchtbaren
Erschütterungen, den zerrüttenden Geschehnissen ihres Lebens begegnete. Es war
in ihr eine lebenerhaltende Kraft, ein Drang zur Selbstbewahrung ohnegleichen,
ein eigentümlicher Gleichgewichtssinn, der unmittelbar alles Zerstörende
bannte, alles, was der Gestalt und Bildung des Lebens widerstrebte, von sich
wies.
Hierin
erscheint sie als eine Goethe verwandte Natur. Das Formlose, Maßlose,
Grenzenlose, das sie wohl kannte, widerstrebte ihr, entsetzte sie. Sie rief
alle gestaltbildenden Kräfte ihres Wesens auf, sie aus dem Chaos
zurückzuziehen, sie wieder in die Klarheit des Lebens einzubilden. Sie lebte in
der Gestalt und wollte die Gestalt. Nichts Auflösendes war in ihrem Wesen – auch
da nicht, wo sie sich ganz hingab; niemals fehlte ihr der Zauberspruch, um die
Geister, die sie rief – und oft mit welcher Entschiedenheit rief – wieder los
zu werden. Von Anfang an war Caroline weder Dienerin noch Gehilfin des Lebens,
sondern seine Meisterin.
So erwies sie
sich auch in der Festigkeit und Klarheit, mit der sie nach dem Zusammenbruch
des Marburger Lebens allen Bitten ihrer Freunde und selbst eigenen schweren
Bedenken zum Trotz, ihren neuen Aufenthaltsort wählte: Mainz. Was sie dorthin
zog, war dasselbe, was ihre Bedenken erweckte: ihre Jugendfreundin Therese
Heyne, die sie wegen des Ausmaßes, der Größe der Natur und der Leidenschaften
bewunderte wie sonst nie eine Frau, die sie aber gerade deswegen zum näheren
Zusammenleben auch fürchtete. Therese lebte in einer ihr unangemessenen Ehe mit
dem bedeutenden edeln Georg Forster, und Caroline hoffte, dort irgendwie
helfen, ordnen, vermitteln zu können – allerdings durchaus ohne dabei ihre
eigene Unabhängigkeit aufzugeben. Äußerst bezeichnend für sie ist die fast
zynische Klarheit, mit der sie sich ihr Verhältnis zu Therese und ihre eigenen
Pläne zum Bewußtsein bringt. „Auf ihre Freundschaft habe ich nie gerechnet – es
gibt keine unter Weibern – ich zweifle selbst daran, daß sie mir recht aufrichtig
gut ist – doch muß sie mich achten, und das tut das nämliche – ich bin eine Art
von Nebenbuhlerin, ohne meine Rechte geltend zu machen – das ist heilsam – und
ich liebe sie, weil sie mir merkwürdig ist und es bleiben wird, wenn sie mir
auch nicht mehr neu ist. Außerdem ist Mainz eine Stadt, wo ich unbekannt leben,
und neben einer gewissen Einsamkeit Vergnügungen des Geistes und der Sinne
genießen kann.“
Mit so klar
gefaßtem Plan und in so unverschleierter Gesinnung trat Caroline in diesen
ihremWesen fremden Lebenskreis ein. Forsters Ziele waren vor allem
ethisch-politische; er war überzeugter Demokrat und begeisterter Anhänger der
französischen Revolution, in deren Dienst er später seinen Tod fand. Therese
dagegen konnte, obwohl sie an seinen Bestrebungen teilzunehmen schien, doch
letztlich nur sich selbst leben und hatte darum zu seinen Gedanken und Zielen
keinen wirklichen Zugang.
Anders
Caroline. Es waren unruhige Zeiten, in die ihr Mainzer Aufenthalt fiel. Der
kluge, maßvolle und edle politische Enthusiasmus Forsters steckte sie an; sie,
die unpolitischste Natur, gewann doch durch ihre Sympathie für ihn und durch
ihr unmittelbar auf alles Lebendige, alles Wirkliche und Große antwortendes
Gefühl eine Beziehung zu seinen politischen Ideen, und sie konnte dies darum,
weil Forsters Ideen keine Traumbilder und Utopien waren, sondern weil sie sie
im vollen Strom der Verwirklichung erlebte.
Zweifellos war
dabei nur ihre Phantasie erregt und tätig; ihre revolutionäre Begeisterung war
ihrem ganzen Wesen nach gewiß nicht eine sittlich-politische; allgemeine Ideen
und Grundsätze lagen Caroline ebensosehr wie eine ins allgemeine gehende Liebe
zu den Menschen fern. Was sie überwältigte und mitriß, war nur der Rausch, der
einen durch und durch lebendigen Menschen mitreißt, wenn er fühlt, daß er ein
großes Stück Geschichte, einen Umschwung und eine Erneuerung des Lebens
miterlebt und die Möglichkeit hat, sich lebendig an dem Werden dieses Neuen zu
beteiligen.
Anders als aus
dieser politisch schäumenden Atmosphäre, aus der ihr dadurch widerfahrenen
inneren Auflockerung ist überhaupt alles da, was Caroline in Mainz in so
schwere und drohende Schicksale verwickelte, nicht zu begreifen.
Aber noch ein
anderer Umstand kam hinzu, um die Auflockerung ihres Wesens zu vollenden, in
die sie in der letzten Mainzer Zeit geriet. Die Beziehung zu Tatter war für sie
immer qualvoller geworden. Sie begann, wie sie sich ausdrückt, die
„Abhängigkeit, die das Herz auferlegt“ mit solcher Gewalt zu fühlen, daß sie
den rebellischen Gedanken, ja den Wunsch äußerte, sich ihr zu entziehen. Noch
besuchte Tatter sie für einige Tage. Kurz darauf wurde Mainz im Namen der
Revolution von den Franzosen besetzt.
Von Anfang an
hatte der spirituellere Typus der französischen Männer Caroline angezogen, und
sicher hatte auch das freiere, leichtere und leidenschaftlichere Wesen der
Franzosen, der größere ritterlichere Zug in dem Leben der zugleich
gesellschaftlich kultivierteren und durch die Verwirklichung der revolutionären
Idee für sie geadelten Nation sie in diesen Menschen etwas finden lassen, was
den in persönlichen Dingen bedenklicheren, politisch rückständigeren,
schwerfälligeren, engeren und komplizierteren Deutschen ihrer Bekanntschaft,
was vor allem Männern wie Tatter und Meyer, was aber auch Wilhelm Schlegel
fehlte. Dazu kam der jähe Umschwung des Lebens im Wechsel der politischen und
damit jeder menschlichen Situation überhaupt. Das fremde Wesen der Stadt Mainz
unter dem Bürger Custine riß Caroline bis an den Rand aller Möglichkeiten des
Lebens hin.
Therese Forster
hatte im Augenblick der Besetzung ihren Mann und Mainz mit einem anderen Mann
verlassen. Caroline, in deren Gefühl für ihn sich Verehrung und Verachtung um
seiner grenzenlosen Liebe zu seiner Frau willen seltsam und charakteristisch
mischten, blieb bei ihm, halb aus Bewunderung, halb aus Mitleid, um ihm
beizustehen, für seine Kinder zu sorgen, seinen Haushalt zu leiten. Als sie
sich dann bei seinem Aufbruch nach Paris endlich entschloß, Mainz zu verlassen,
wurde sie gegen alle ihre Erwartung von der kurfürstlich mainzischen Regierung
festgenommen und als Gefangene nach Königstein im Taunus gebracht. Ihre nahe
Verbindung mit dem Forsterschen Hause und ihre eigene Unvorsichtigkeit – denn
sie glaubte sich in keiner Weise gefährdet – hatten sie politisch
kompromittiert und in diese Lage gebracht. –
In der
Gefangenschaft, wohin sie ihre kleine Tochter Auguste mitnahm, sehen wir sie
zum erstenmal fast die Fassung verlieren. Sie wendet sich in fieberhafter
Erregung nach allen Seiten, von wo sie irgend Hilfe erwarten kann, um ihre
sofortige Befreiung zu erwirken. Ihre Lage war eine doppelt schlimme, weil
nicht nur ihr politischer Ruf, sondern auch ihr ganz persönlicher guter Name
schwer gefährdet war, wenn sie nicht bald vom Schauplatz der Öffentlichkeit,
auf den sie so gewaltsam geworfen war, abtreten und in Ruhe und Verborgenheit
leben konnte. Caroline erwartete, was niemand damals ahnte, ein Kind.
In einer Zeit,
wo ihr Wesen von außen und innen, durch allgemeines und persönliches Schicksal
gleichermaßen aufgewühlt war, wo in der berauschenden Buntheit und Fremdheit
einer jäh von Grund auf umgewandelten politischen Situation zugleich mit dem
rascheren Atem der Zeit, dem revolutionären Rausch und Taumel die unbfriedigte
Liebe zu dem sie immer wieder begehrenden und doch auch verschmähenden Mann in
ihr wogte, von dem sie sich endlich unter Qualen gelöst hatte – hatte Caroline
sich in der leidenschaftlichen Erregung einer Ballnacht einem blutjungen
französischen Offizier hingegeben.
Es war ein
Rausch – und wir wissen nichts von diesem Erlebnis. Kein Wort, das unmittelbar
davon spricht, das auf Erwachen oder gar auf Bereuen, keines aber auch, das auf
eine wirkliche Beziehung deutet. Aber es ist sicher falsch, in dieser
flüchtigen rauschhaften Hingabe, wie es fast immer geschehen ist, eine bloße
Verirrung zu sehen. Caroline war keine Frau, die sich verführen ließ. Sie tat,
was sie tat, und wenn es das Leichtsinnigste, Verwegenste war, nicht ohne
Besinnung. Caroline wollte leben, wollte jenseits aller Bande der Konvention
ihr Leben genießen. Man kann sie überhaupt nur verstehen, wenn man in ihrem
Lebensbilde das Bewußte und Planhafte trotz aller scheinbaren Abirrungen
festhält und wenn man als den wesentlichsten Zug dieses Bildes die Linie
gewahrt, die ihre zahlreichen, so unendlich ungleichen erotischen Erlebnisse
trotzdem untereinander verbindet. Was Caroline dem romantischen Lebensideal so
einzig konform zeigt, das ist vor allem andern die Art, wie sie mit
leidenschaftlicher und zugleich stiller Sicherheit ihre Liebe in jeder Gestalt
als das ewig zentrale menschliche Erlebnis allen anderen Forderungen und
Entscheidungen des Lebens voranstellte.
Ohne jemals
gegen die gesellschaftliche Konvention in revolutionärer Gesinnung sich
aufzulehnen, gestand sie doch nie der Konvention die Herrschaft auch nur über
das geringste ihrer Liebeserlebnisse zu – gerade hier auf dem schwankendsten
unsichersten Grund sich wieder ganz allein auf den Rat und die Stimme ihres
Inneren verlassend.
Darin, wie
Caroline von Liebe zu Liebe, von Leidenschaft zu Leidenschaft mit einer anders
gearteten Naturen unbegreiflichen Leichtigkeit und schonungslosen
Wahrhaftigkeit ging und die eine um der anderen willen vernichtete, wie sie
jeder ihr Recht gab und sich in keiner verlor und aufgab, bewies sich am
klarsten der ihr eigene, spezifisch romantische Sinn für das Unendliche: dieser
Sinn und Rhythmus des ewigen Don Juan, dem alles Menschliche vergängliche
Gestalt seines eigenen Traumes ist, den sein Dämon geschlossenen Auges an den
Forderungen des anderen Lebens vorbeiführt, der – unbekümmert um die lebendige
Seele der an ihm vorüberfliehenden Gestalten, die ihm als Liebendem anvertraut
ist – in seiner Liebe nur den Rhythmus seines Wesens, seines Traumes, das
unerbittliche Gesetz seines eigenen Daseins lebt.
Um diesen
gefahrvollen Weg gehen zu können, gerade als Frau gehen zu können, ohne sich zu
verlieren, um ihr Leben in dieser Hinsicht so bewußt und fest gestalten zu
können, mußte Caroline eben dieser Mensch sein, dessen schmiegsame Weichheit
das Gewand einer stählernen Härte war, dessen Seele, bei aller Beweglichkeit
des Herzens, wie in einem Stahlbad ursprünglich gehärtet, dessen inneres Wesen
im Tiefsten unverwundbar war. Sie mußte dieser Mensch sein, der sich in keiner
Liebe letztlich aufgeben, im Leiden wie im Glück sich nie auflösen konnte; sie
mußte das ihr eigentümliche Maß, den geheimen Gleichgewichtssinn besitzen, der
sie nie nach einer Seite hin hinabsinken ließ; niemals durfte in ihr, wie in
den ergreifenderen Gestalten einer Rahel, einer Günderode, die Liebe stärker
werden als sie selbst.
So blieb
Caroline auch jetzt, in der Angst und Not der Gefangenschaft, Meisterin über
ihr Schicksal. Das Bewußtsein, daß sie nur der inneren Stimme, niemals einem
Äußeren gefolgt war, gab ihr auch in dieser verzweifelten, selbstgeschaffenen
Lage, in der nicht das Gefühl, für eine festgegründete Überzeugung zu leiden,
sondern wieder einzig ihr eigenes Innere sie trug, die Gewißheit ihres Weges
und ihrer Schuldlosigkeit im Letzten. „Gib’ mir morgen Ruhe und Verborgenheit“,
schreibt sie dem Freund mitten aus ihren Qualen und Befürchtungen, „so bin ich
wieder glücklich“.
Zwei furchtbare
Monate verbrachte Caroline, die Freiheitgewohnte und Freiheitsbedürftige, im
Gefängnis. Als sie endlich durch die Bemühungen ihres jüngeren Bruders aus der
Gefangenschaft befreit wurde, waren es weder Tatter noch Meyer, die beiden
Freunde, nach deren Hilfe sie sich sehnte, sondern ein anderer, der ihr in
ritterlicher Weise zu Hilfe kam, von seiner Hofmeisterstelle in Holland
herbeieilte, sie aus der Gefangenschaft abholte sie nach Leipzig begleitete und
ihr für das verborgene Leben der nächsten Monate eine Stätte bereitete: der von
Caroline verschmähte, gekränkte und tief gedemütigte August Wilhelm Schlegel.
Mit dem
Augenblick, wo August Wilhelm Schlegel derart entscheidend in ihr Leben
eingriff, berührt ein neuer Lebenskreis schicksalshaft den ihren. Und die tiefe
Dankbarkeit Carolinens für ihren Retter, die hohe Wertschätzung seines
Charakters, die ihr aus seiner Handlungsweise erwuchs, waren gewiß nicht das
Einzige, was ihr Verhältnis zu ihm umgestaltete. Wie seine ritterliche Hilfe
ihre fiebernden Lebenskräfte, so entspannte sicher die geistige Seite dieses
Verhältnisses ihr Herz. Und als sie dann bald darauf durch Wilhelm auch seinen
jüngeren Bruder Friedrich kennenlernte, dessen Schutz Wilhelm sie bei seiner
Rückkehr nach Holland übergab, da öffnete sich ihr ein derart tiefer lebendiger
Hintergrund des Lebens, daß man versteht, wie alle ihre reichen Kräfte sich
willig von diesem Neuen und ihr doch Vertrauten, das ihr durch die Gemeinschaft
mit den beiden innig befreundeten Brüdern aufging, hinnehmen ließen.
Die Beziehung
zwischen Caroline und Friedrich war eine jener wahrhaft fruchtbaren, deren es
in der Geistesgeschichte nur einige wenige gibt, in denen im Geben und Nehmen
eine neue Gestalt des Geistes sich bildet. Der damals kaum einundzwanzigjährige
Friedrich war im Gegensatz zu Wilhelm ernsthaft gründlicher und zugleich
graziöser, schmiegsam leichter und feiner, lebendig vermittelnder Geistesart,
zu der bedächtig ordnenden Breite seines Wesens, ein dunkler, schwerer,
leidenschaftlicher, rein aus der Tiefe lebender Geist, in dem eine vom
geschichtlichen Leben gestellte Aufgabe um ihre unmittelbare Lösung rang.
In ihm selbst:
dem leidenschaftlichen Sucher einer neuen lebendigen Wahrheit – spielte sich
eine geschichtliche Katastrophe ab: die beginnende Entzweiung von Wahrheit und
Schönheit. – Mit Entsetzen erkannte er – und er zuerst in der deutschen Geistesgeschichte
– daß die Wahrheit nicht schön und erlösend, sondern furchtbar und abschreckend
ist und darum geflohen wird. „Was ist schrecklicher als die Wahrheit im
allgemeinen und einzelnen?“ ist seine Frage – und „weswegen“, fragt er
schmerzlich, „flieht man mich, als weil ich wahrer bin, als man sein darf?“
Jahrelang stand
dieser zwischen den auseinanderstrebenden Kräften seines Wesens hülflos
umgetriebene, vom Kampf der geschichtlichen Mächte ganz persönlich ergriffene
junge Mensch stets am Rande des Selbstmords. Der Zerfall der in ihm selbst
auseinandergefallenen Lebenshälften wurde ihm zum Grundproblem des Daseins
überhaupt. Überall erkannte er darum in den Beziehungen der Menschen die Lüge,
die Halbwahrheit; in allem Menschlichen sah er, daß etwas nicht stimmte, daß
die Schönheit nicht mehr wahr, die Wahrheit nicht mehr schön war; und so stieß
er mit einer Leidenschaft wie kein anderer Mensch seiner Zeit an das Problem
der im Leeren hängenden Existenz. In seiner Fragestellung, seinem qualvollen
Kampf um eine neue lebendige Wahrheit, war er durchaus unromantisch; mit ihr
stieß er in eine spätere Zeit vor; die Lösung aber, die er erstrebte, war echt
romantisch; denn er rang um eine Wiederversöhnung von Wahrheit und Schönheit in
Denken und Leben. Aber während seine Gedanken unablässig an der Versöhnung von
Wahrheit und Schönheit bauten, während er sie denkend im System, im Ideal
finden zu können glaubte, wußte er sich im Leben von jeder Möglichkeit einer
Erfüllung verlassen.
Da tritt ihm
Caroline entgegen. Aus seinem schweren verzweiflungsvollen Jugendtraum schlug
er die Augen auf und sah die göttlichleichte Erfüllung.
Was er in
Qualen gesucht und in wachsendem Maße für unerreichbar gehalten hatte, das war
hier leichtes selbstverständliches Leben. In Caroline waren Wahrheit und
Schönheit, waren das Geistigste und das Sinnlichste kein Widerspruch; in ihr
war die Schönheit wahr, die Wahrheit schön. Alles Geistige hatte in ihr
sinnliche Gegenwart, wie alles Sinnliche in ihr zum Geist verklärt war. Und daß
dies geheimnisvolle und erhabene Wunder nun zugleich so einfach war, daß
Caroline jeder Überschwang, jedes Pathos so völlig fehlte, daß alles Große und
Ewige bei ihr im Schleier schlichtester Gewöhnlichkeit einherging, daß sie den
Sinn für alles Große mit so viel Anmut, Neckerei und Witz, ja mit mancherlei
weiblicher Unart und Koketterie verband – daß so das Widersprechendstebei ihr
von einem Mittelpunkt aus zu einer lebendigen Harmonie vereinigt war – dies
alles mußte dem bald ruhelos aufwärtsdrängenden, bald dumpf unter sich
hinabsinkenden Geist Friedrich Schlegels wie eine beseligende Erfüllung, wie
ein fremdes und doch stets geahntes Lebenswunder aufgeben.
Nicht zum
wenigsten tief berührt ihn, wie Caroline ihre Lage trägt. In diesem von aller
Konvention abweichenden selbstgeschaffenen Schicksal, wie in ihrem
unbekümmerten, jenseits von aller Moral schönen Aufnehmen alles noch so
verstörenden Einzelnen in die übergreifende Gesamtheit ihres Lebens erkannte er
sofort jene Form des neuen Menschentums, jenen romantischen Lebensrhythmus, den
er als Sinn für das Unendliche verehrte.
Dieser und „ein
ordentlich göttlicher Sinn für Wahrheit“ waren es, die ihn vor allem an ihr
hinrissen. In diesem eigentümlichen Wahrheitssinn Carolinens, der kein
objektiver – sondern insofern wirklich ein göttlicher war, als er das
unmittelbare Erfassen eines Ganzen aus dem Ganzen war, war das Ideal
romantischer Wahrheitserfassung fast wunderhaft verwirklicht. Caroline schien
immer gleichsam im Mittelpunkt jeder Erscheinung zu wohnen, dem die Männer in
mühevoller Gedankenarbeit von außen her sich zu nähern suchten. Das nie
Schwankende, jenseits von Richtig oder Unrichtig Wahre in allen Urteilen
Carolinens hat sie für die Männer ihres Kreises zu einer fremden Erschließung
und Offenbarung, zu einer Sibylle oder Diotima werden lassen: zu einer
Offenbarung aus jener Welt eines dunkleren Gesetzes, dessen Unmittelbarkeit mit
göttlicher Ironie die nachträglichen männlichen Ordnungen und Begriffe auflöst.
Friedrich
liebte Caroline, wie er nie vorher und wie er auch nie wieder eine Frau geliebt
hat. Sie wurde, wie er es in der Lucinde ausgesprochen hat, seinem Geist ein
fester Boden und Mittelpunkt einer neuen Welt. Seine Liebe zu ihr war von jener
letzten Zartheit und Zurückhaltung, wie sie nur der großen Liebe eignet. Die
Art, wie der so oft als zügellos und lieblos Gekennzeichnete seine Leidenschaft
um des Bruders, um Carolinens willen zurückdämmte – zurückdämmte in dem
Augenblick, als er fühlte, daß sie erwidert werden könnte – wie er ohne
Schwanken die stark aufbrennende Flamme in eine wahrhaft brüderliche Liebe
umschmolz, zeugt nicht nur von seiner Treue gegen den Bruder, sondern auch von
einer Liebe zu Caroline, die tiefer und ernster gewesen sein mag als die seines
Bruders zu ihr.
Wie ganz der junge
Friedrich Carolinens seltsame und schwere Lage erfaßte, zeigtjeder seiner
Briefe an den älteren Bruder, dieser ergreifenden Briefe voller Ermahnungen und
Warnungen. Und tief empfand Friedrich für und mit Caroline alles Leiden, das
sie nach der Geburt ihres Kindes bei ihrem Wiedereintritt in die Welt empfing.
Ihr erster Schritt aus der Verborgenheit zu den alten treuen Gothaer Freunden,
zu Gotters, die sie in ihr Haus eingeladen hatten, zeigte ihr erst die ganze
Schwere ihrer Situation. Sie mußte die schonungslose Verachtung der Menschen
kennenlernen, deren Bewunderung sie gewohnt war. Sie merkt, daß man sie für ein
verworfenes Geschöpf hält. Sie ist der Mutlosigkeit nahe. „Der gewohnten
Achtung entbehren ist das Härteste“, schreibt sie.
Aber wieder
wurde ihr Leben durch einen Schicksalsschlag entwirrt. Ihr kleiner Sohn starb,
kaum ein halbes Jahr alt, an einer Kinderkrankheit. Zum zweitenmal sehen wir
das Unheimliche, daß der Tod eines geliebten Wesens von Carolinens Leben eine
Fessel löst, sie, nachdem sie eine Bindung eingegangen war, die ihr
verhängnisvoll wurde, von ihren Folgen wieder freimacht.
Caroline blieb
mit ihrer heranwachsenden Tochter allein. Aber sie begann zu fühlen, daß sie in
Deutschland nicht mehr leben könne. Sie will auswandern. In diesem Zusammenhang
ist zum erstenmal von dem Gedanken einer Heirat mit August Wilhelm Schlegel die
Rede, von der Caroline bekennt, daß sie alle Verlegenheit heben und alle Knoten
ihrer verwirrten Lage zerschneiden würde. Diese Ehe, die von beiden Seiten keine
volle Liebesverbindung mehr sein konnte, lag nicht in der großen Linie von
Carolinens Liebesschicksalen. Aber sie schloß sie mit zu klarem Bewußtsein, als
daß sie eine wirkliche Gefahr für ihr Leben hätte bedeuten können. Und bei
aller Fragwürdigkeit dieser zweifellos vom Äußeren mitbestimmten Verbindung
darf man nicht vergessen, daß Caroline durch August Wilhelm Schlegel doch nicht
nur wieder eine Lebensstellung gewann, sondern daß sie durch ihn in ihre
geistige Heimat kam.
Sie folgte
Wilhelm nach Jena, und hier begann für sie ein ganz neues Leben. Der Jenenser
Romantikerkreis, der eben zu jener Zeit sich als fester Kreis konstituierte,
wandte gerade damals sich von dem Caroline so wesensfremden Schiller ab,
während er sich immer entschiedener um Goethe als um seine Zentralsonne
bewegte. Mit allen großen Männern Deutschlands sich vielfältig berührend, zog
er zugleich die Geistesschätze aus allen Ländern und Zeiten, vor allem durch
Friedrichs ringenden Geist und durch Wilhelms unermüdlichen Fleiß in sich. So
entfaltete er einen funkelnden Reichtum von geistigen Inhalten, der wohl alle
Kräfte und Fähigkeiten einer bedeutenden Persönlichkeit absorbieren konnte.
Fruchtbarste gemeinsame Arbeit, gemeinsames Innewerden höchster Werte und
dazwischen eine Geselligkeit, in der Ernst und Scherz, Weltprobleme und
persönlichste Anngelegenheiten, Liebe und Bosheit bunt durcheinanderflatterten,
in der Caroline gerade in dieser Mischung ihr Eigenstes geliebt und geehrt
fühlte – dies alles muß für sie berauschend gewesen sein und erst den ganzen
hinreißenden Zauber ihres Wesens zur Entfaltung gebracht haben. „Glücklich“
nennt sie sich in der intensiven Zusammenarbeit mit ihrem Mann und inmitten des
ihr so gemäßen Kreises.
Daß Caroline
auch damals, so ernsthaft sie an Wilhelms Arbeiten teilnahm, und obwohl sie
nach seinem Zeugnis selbst alle Fähigkeiten gehabt hätte, als Schriftstellerin
zu glänzen, diesen Ruhm verschmähte, das ist gewiß nicht allein aus der
Einwurzelung in den überlegenen Kreis, in dem sie nun, auf der Höhe ihrer
geistigen Reife lebte, verständlich. Weit entscheidender war sicher für
Caroline das, was Friedrich einmal gegen Wilhelm als das Vorurteil der sich
vorurteilslos glaubenden Caroline ausgesprochen hat: die Furcht, für unweiblich
gehalten zu werden. Caroline wollte vor allem Frau sein, weil hier der
Schwerpunkt ihres Lebens lag. Sie wollte nicht Werke schaffen; sie wollte ihr
Leben leben. So hat ihr Dämon auch die Klippe einer überragenden geistigen
Begabung, an der fast jedes bedeutende Frauendasein gescheitert ist, ruhevoll
umschifft.
Carolinens
heranwachsende Tochter Auguste war keine Last, sondern eine Bereicherung mehr
für Wilhelm. Die Beziehung beider Schlegels zu ihr zeigt die ganze Zartheit und
uneigennützig bildende Liebe, deren diese beiden übermütigen Menschen fähig
waren. Die uns erhaltenen Briefchen Augustes verraten ein frühreifes, anmutiges
und kindlich schnippisches Wesen. Voller Humor und Witz, ganz im Ton ihrer
Mutter und der Romantiker, unbefangen auf Du und Du mit den bedeutensten Männern
ihres Kreises, in die Beziehungen der Mutter mit hineingezogen und in ihnen wie
ein Fisch im Strom munter schwimmend, ihrer Mutter fast mehr Freundin als Kind,
anscheinend noch von keiner Tiefe berührt und doch gewiß nicht ohne die
eigentümliche glasklare Tiefe der Mutter, ein lieblich plätscherndes Undinchen,
wuchs sie unter all diesen starken geistigen Einflüssen früh Einflüssen reifend
heran.
Nur Einen
Schatten hatte das Leben in Jena, und dieser Schatten wuchs und wuchs. Es war
der Klatsch, der wie der verzerrte Schatten aller bedeutenden Gestalten neben
ihrem Leben herlief. Das in jedem Augenblick aufblitzende scharfe Licht der
Kritik entlockte dem so durchdringend persönlichen Leben des Jenenser Kreises
den geistreichen Klatsch, dessen höchste Blüte die Xenien Goethes und Schillers
waren, der aber auch weit unangenehmere Formen annehmen konnte. Ohne diesen
Klatsch wäre auch das Schicksal der Freundschaft zwischen Caroline und
Friedrich nicht zu begreifen, das eines der traurigsten Kapitel in Carolinens
Leben und das traurigste in dem Friedrichs ist.
In der ersten
Jenenser Zeit blühte diese Freundschaft – trotz mancher mehr sachlicher
Plänkeleien und Streitigkeiten – noch im Zusammensein und in Briefen in großer
Schönheit fort – auch als Friedrich in Berlin eine neue dauernde Freundin,
seine Lebensgefährtin Dorothea Veit, gefunden hatte, die eine Caroline wohl in
allem genau entgegengesetzte Natur war. Als aber Friedrich dann die so anders
geartete Frau Caroline zuführte, brach, obwohl man von beiden Seiten den besten
Willen in die Beziehung mitbrachte und ein gutes Einvernehmen sich zuerst
zwischen den beiden Paaren herzustellen schien, die Freundschaft schnell
vollkommen auseinander.
Mit Schmerz
sieht man, wie die Beziehung zwischen den beiden Frauen sich immer mehr
verzerrt, wie auch die Männer in die zunehmenden Feindseligkeiten hineingezogen
werden und die wundervolle Freundschaft zwischen Caroline und Friedrich in
Kälte und Abneigung und später in bittere Feindschaft umschlägt. Caroline hat
Friedrichs Verlust niemals verwunden; zu Anfang war er ihr so bitter, daß sie
Wilhelm gegenüber in die für die leidenschaftliche Kälte ihrer Natur so
bezeichnenden Worte ausbricht: „Mir ist selbst oft, als könnte ich nicht ruhig
sterben, ohne mich mit ihm zu verstehen. Wenn sie nur jemand totschlagen
wollte, ehe ich stürbe.“
Aber so schwer
Caroline der Verlust Friedrichs traf – sie mochte ihn doch leichter tragen als
er den ihren, dadurch, daß ein anderer, im Geiste Friedrich verwandter, aber
geschlossenerer, klarerer und männlicherer Mann in ihr Leben getreten war, um
den sich ihr ganzes Dasein bald in nie zuvor erlebter Intensität und
Ausschließlichkeit sammelte.
Schelling war
vierundzwanzig Jahre alt, zwölf Jahre jünger als Caroline, als er im Jahre 1800
in den Jenenser Kreis eintrat, doch weit über sein Alter hinaus reif, klar und
fest – ein flammender, weit aufgetaner und doch streng in sich geschlossener
Geist. Der Eindruck seiner Persönlichkeit muß, – wie man aus den Schilderungen
aller, die ihn damals kennenlernten, entnehmen kann – überwältigend gewesen
sein. Seine ganze begnadete Jugend muß aus seinen festen, hellen Augen
gestrahlt haben, von denen alle seine Zeitgenossen reden. Sein starkes und fast
unbändiges Gesicht, in dem sich die Kraftfülle seiner Natur ausprägte, wurde
von diesen Augen wie von einem großen Licht aus anderem Reich überstrahlt.
„Durch und durch kräftig, trotzig, roh und edel“, schildert Dorothea, und
Caroline erfand für ihn den Namen, der ihm blieb: „Granit“.
Sein Gegensatz
zu Friedrich war bei aller Verwandtschaft ein sehr tiefer. Während für
Friedrich das Ich, das Selbsthafte die göttliche Grundform des Lebens war, war
es für Schelling die Natur, die Welt der Formen, in der das Ich nur eine Form
unter Formen, freilich die höchste, aber auch die am meisten von der Welt
abgesonderte – und darum für ihn widergöttliche, abfallshafte war. Den
abgründigen Gehalt der menschlichen Existenz hat Schelling nie wie Friedrich
erlebt. Ihm löste sich alles Leben ursprünglich auf in ein formhaft Geschautes.
Was Schelling so an fester gesicherter Objektivität des Weltbildes vor
Friedrich voraushatte, das hatte dieser an Blitzen unmittelbarer genialer
Menschlichkeit vor Schelling voraus. In der klaren Formwelt steht Schelling
weit über Friedrich Schlegel. In der Welt der Seele, des Wissens um innere
Probleme, Wahrheiten und Forderungen blickt Friedrich weit tiefer als
Schelling.
Beide Männer
antworteten auf eine Seite in Carolinens Wesen: Friedrich führte sie tief
hinein in das Geheimnis ihres eigenen Inneren; Schelling aber führte sie aus
dem Inneren hinaus in eine Welt, die sie nie besessen hatte und in der ihr Sein
nun als eine ewige Form Wurzel schlagen durfte.
So aber führte
er Caroline aus der Romantik heraus, und mit dem Augenblick , wo sie ihm folgte,
ist auch der frühromantische Kreis gesprengt.
Sehr bald schon
entwickelte sich zwischen Caroline und Schelling eine nahe Beziehung. Aber
nicht nur zwischen ihm und Caroline; auch der reizvollen, schalkhafte,
jugendlichen Auguste trat er näher. Die Anschauungen über seine Beziehungen zu
ihr sind geteilt; doch geht aus den Briefen aller Beteiligten hervor, daß
Schelling Auguste geliebt hat, daß sie in der zärtlichsten Beziehung zueinander
standen; sehr wahrscheinlich ist es danach auch, daß sie sich als Verlobte
betrachteten, und Caroline selbst hat offenbar dies Verhältnis gewünscht und
begünstigt.
Eigentümlich
mischt sich in Schelling die Liebe zu Mutter und Tochter. Beide umfassen ihn
ihrerseits mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit, und jede ehrt die Liebe der
anderen zu ihm als eine Selbstverständlichkeit. Bei einer längeren Abwesenheit
schreiben beide Frauen ihm die zärtlichsten und sehnsüchtigsten Briefe.
Wunderbar mutet es uns an, unter demselben Brief, in dem Auguste kindlich
zutraulich mit dem vertrauten Kosenamen für den Freund jammert, daß nun niemand
mehr abends mit ihr spazieren gehe – Carolinens Worte zu lesen: „Du weißt, ich
folge Dir, wohin Du willst; denn Dein Tun und Lassen ist mir heilig, und im
Heiligtum dienen – in des Gottes Heiligtum – heißt herrschen auf Erden.“
So faßte
Caroline schon damals ihre Beziehung zu dem geliebten Mann auf, als sie
zweifellos daran dachte, das Schicksal ihres Kindes in seine Hände zu legen. In
ihrer Liebe zu diesen beiden Menschen, den einzigen, die sie wirklich ganz und
gar geliebt hat, hatte offenbar keine selbstsüchtige Erwägung, aber auch kein
Bedenken irgendeiner Art Raum. So sehr war Carolinens ganzes Wesen in diesem
Gefühl aufgelöst, daß die Frage nach einer bestimmten Form dieser Liebe
offenbar ganz vor ihrer allmächtig herrschenden Gegenwart zurücktrat.
Denn Caroline
erlebte in der Liebe zu Schelling etwas, was ihr bis dahin trotz aller
Erlebnisse und Schicksale fremd geblieben war und was nur den ganz Seltenen
unter den Menschen überhaupt beschieden ist: daß über Glück und Unglück hinweg
die tiefste Frage ihres Wesens in einer anderen Seele ihre Antwort fand. Nichts
war in dieser Liebe vergeblich, nichts ging ins Leere. Kein
Aneinandervorbeireden, Vorbeigehen, wie in fast jeder menschlichen Beziehung war
in ihr: was der eine empfand und aussprach, fand seinen unmittelbaren reinen
Widerhall im Herzen des anderen. Es war die wunderbarste wechselseitigste
Erfüllung. Indem Carolinens Leben in der Welt Schellings Wurzel schlug, wurde
diese Welt für ihn erst zur aus einem festen Mittelpunkt beseelten Welt. In
Schellings Erkennen war Carolinens innerstes Wesen mit Namen genannt; in
Carolinens Wesen war Schellings tiefste Ahnung vom Mysterium irdischer
Göttlichkeit bestätigt.
Diese Liebe war
nicht mehr Leidenschaft. Still und wie nach einem unabänderlichen Gesetz
strömte aus Carolinens gereifter Seele die Fülle ihrer Liebe dem jungen Genius
entgegen. Nicht anders als der verschlossene Keim im Leben der treibenden
Pflanze das Licht sucht, war dies Geschehen.
Aber so
ruhevoll und fest die Liebe der reifen Frau zu dem jungen Manne und trotz allem
auch die seine zu ihr war – so unlösbar war doch in dieser Liebe die
Schicksalsverschlingung, über die Caroline wie in einem großen seligen Traum
hinwegsah. – Und wieder, und bevor noch Caroline die Schwere und Unlösbarkeit
der Verschlingung sich ganz zum Bewußtsein gebracht hatte, geschah das
Furchtbare: abermals, zum drittenmal griff der Tod entscheidend – und dieses
Mal am entscheidensten – in Carolinens Leben ein und zerhieb, indem er ihr das
Teuerste entriß, den unlösbar verschlungenen Knoten ihres Schicksals. Aber er
zerhieb ihn mit solcher Gewalt und unter einem solchen Andrang von Qual, daß
Caroline darunter zusammenbrach und sich nie mehr davon erholte. In dem Badeort
Boklet, wohin Mutter und Tochter zu Erholung Carolinens von einer längeren
Krankheit gereist waren, erkrankte die junge blühende Auguste und starb nach
wenigen Tagen.
Dies Schicksal
traf den schon auseinanderstiebenden Freundeskreis mit so furchtbarerer Gewalt,
daß daraus die Bedeutung, die die jugendliche Auguste für all diese
außerordentlichen Menschen hatte, klar hervorgeht. Wilhelm Schlegel schreibt an
Tieck: „Auf die erste Nachricht habe ich geglaubt, wahnsinnig zu werden.“ Tränen
und Gedichte und wunderbare Gedenkworte der Freunde ergießen sich über das
frühe Grab des lieblichen und so sehr geliebten Kindes.
Caroline war an
Körper und Seele gebrochen. Und dennoch: schauerlich hat selbst der Tod dieses
letzten und liebsten Kindes, der ihr eine nie wieder heilende und qualvoll
vergiftete Wunde schlug, der Entfaltung ihres Lebens, der Wanderung zu ihrem
letzten und wahrsten Ziel dienen müssen. Wer wäre an diesem Felsen, den das
Schicksal ihr statt einer Lösung entgegenwarf, nicht zerschellt? Wessen Seele
hätte sich hier nicht umnachtet? Wer hätte – gebrochen und vernichtet wie diese
zarte Frau – die übermenschliche Kraft der innersten Richtung bewahrt wie
Caroline?
Schelling
kehrte nach Jena zurück, und nun beginnt ein herzzerreißender Briefwechsel, der
in den uns erhaltenen Briefen Carolinens den Abgrund eines Schicksals aufdeckt,
das uns erbeben läßt.
Wir besitzen
Schellings Briefe aus jener Zeit nicht: die ihren an ihn sind ein einziges
Ringen um seine Seele. Furchtbar erhebt sich offenbar jetzt erst, nach dem Tode
der Braut, vor Schellings wahrhaftiger Seele die Pflicht und Qual der
unvermeidbaren Entscheidung. Das Gefühl, dem geliebten toten Kinde die Treue
gebrochen zu haben, bringt ihn zur Verzweiflung. Nach dem Abschied von Caroline
will er Hand an sich selbst legen. Sie aber, die selbst Gebrochene, bietet alle
Kräfte ihres Lebens und ihrer Liebe auf, ihn im Leben zu erhalten. Sie zwingt
ihn zu sich und zu seiner Liebe zurück. Sie schreibt an Goethe und beschwört
ihn, in dem sie den stärksten, den einzigen Bundesgenossen im Ringen um
Schellings Leben sieht, ihr zu helfen. Und im tiefsten wehesten Jammer faßt sie
doch zugleich schon mit unbeirrbar fester Hand die Fäden ihres und seines
Schicksals und wirrt sie auseinander.
Erschütternd
ist es zu sehen, wie sie, die Mutter, in all ihrem Gram um das gestorbene Kind
den Gedanken an eine Untreue, der Schelling zerreißt, zurückweist, wie sie den
Haß, den sie in seiner Seele gegen sich aufsteigen fühlt, mit der sanften
Beharrungskraft ihres Wesens auflöst, wie auch hier noch inmitten eines
Schicksals, das mit dem Grauen des schwersten Fluches droht, jene letzte
innerste Festigkeit ihres Kernes sich gegen die von allen Seiten andrängende
Zerstörung behauptet und sie besiegt.
So vermag sie
mit zerrissenem Herzen den Geliebten zu trösten, vermag sie ihm zu trotzen: und
klarer als in allen anderen Worten Carolinens enthüllt sich uns in diesen ihre
Überzeugung von der Liebe als der einzigen unfehlbaren Richtschnur des Lebens:
„Ach, störe mich nicht in meinem sanften Trauern, lieber Schelling, dadurch,
daß ich bitterlich über Dich weinen muß. Das sollte nicht sein. Hättest Du Dir
vorzuwerfen, dann ich tausendmal mehr; aber Gott weiß, es will nicht Raum in
meiner Seele finden und haften. Ich habe Dich geliebt – es war kein
frevelhafter Scherz, das spricht mich frei, dünkt mich.“
Und als sie
sieht, daß trotz all ihres Flehens und all ihres stillen Beharrens auf dem
Recht ihrer Liebe die zerrüttenden Gewissensqualen nicht von dem Freunde
weichen wollen, greift sie zum letzten, schwersten Mittel: sie tut das erste
Gelübde ihres Lebens: das heilige Gelübde, dem Geliebten als Geliebtem zu
entsagen. „Ich scheide nicht von Dir, mein Alles auf Erden“, schreibt sie ihm,
„das Mittel, das die Seele ergreift, um sich der Entweihung des Bundes zu
entziehen, stellt alles her, ihn selbst in seiner ganzen Schöne und
Zärtlichkeit, die ihn unterhält ... Als Deine Mutter begrüße ich Dich, keine
Erinnerung soll uns zerrütten. Du bist nun meines Kindes Bruder, ich gebe Dir
diesen heiligen Segen. Es ist fortan ein Verbrechen, wenn wir uns etwas anderes
sein wollten.“
Unter diesem
Brief steht: „Ich bete zu Gott, daß er diese Blätter segnen wolle.“
Gott hat diesen
Segen nicht erteilt, nicht erteilen können; denn hier zum erstenmal war der
Gott, den Caroline anrief, nicht der ihre. – Sie hat dies erste und einzige
Gelübde ihres Lebens nicht gehalten, sie hat es nicht halten können. Auch hier
wie überall war sie dem Ganzen ihres Lebens treuer, wenn sie ihm im Einzelnen
untreu wurde. Das Gelübde war ein ihrer Natur fremder Schritt. Nichts
Bestimmtes, Einzelnes – auch nicht ein Selbstauferlegtes – konnte sie
festlegen; jede tiefere Welle einer unmittelbar in ihr aufquellenden
Lebenswahrheit mußte es fortspülen. Liegt hier eine Untreue Carolinens vor, so
liegt sie im Ablegen des Gelübdes, nicht in seinem Brechen. Auch dem Geliebten
konnte sie nur treu sein, indem sie es sich selbst war. Ihre eigene Liebe aber
forderte dies Opfer keineswegs. So wurde das Gelübde fraglos von der Liebe hinweggespült.
Als Schelling und Caroline nach der Trennung eines halben Jahres in Jena sich
wiedertreffen wollen, da heißt es in Carolinens letztem Briefe vorher: „Wenn
Dir meine Sehnsucht Freude machen kann, so darfst Du triumphieren, denn sie
zerreißt, sie verzehrt mich, ich muß eilen, dieses zu enden.“ – –
Caroline bangte
nach all den zerstörenden Stürmen, die über sie hingegangen waren, nach Ruhe.
Der schwerr gefaßte Entschluß zur Scheidung von Schlegel war der letzte Sturm
in ihrem Leben. Vom Augenblick ihrer Verbindung mit Schelling an herrscht in
ihm vollkommene Ruhe. Jeder ihrer Briefe drückt diesen Frieden aus. In Leben
und Arbeit mit ihm in den Zusammenhängen seines Denkens, die ihr als Heiligtum
am Herzen lagen, erblühte sie noch einmal zu ihrer letzten stilleren und
überschwänglichsten Blüte.
Caroline tritt
in der Zeit, seit sie Schelling fand, öfter das seit ihrer Kindheit nichtmehr
gebrauchte Wort Gott auf die Lippen. Gewiß ist sie nicht im eigentlichen Sinne
gläubig geworden. Aber ihr Leben war über seinen Rand getreten, und was auch
die sterbliche Gestalt des Geliebten ihr nicht mehr an Trost und Versöhnung zu
geben vermochte, das gab ihr seine Welt, sein Bekenntnis, seine Sprache. Wohl
verläßt uns niemals das Gefühl, daß Caroline mit dem Bekenntnis zu Schellings
Gott die ihr eigenste Sphäre des wahnlos Wirklichen verlassen hat. Dieser Gott
war nicht ihr Gott. Dafür aber legt ihr Bekenntnis zu ihm Zeugnis ab, daß die
beiden Seelen ineinander geströmt waren. Was Schelling Gott nannte, das vermochte
auch sie so zu nennen, und mit diesem Worte traten sie gemeinsam unter eine
Macht, der sie das Untragbare ihres Schicksals anheimgaben. Aber nicht allein
die Liebe – auch der Tod brachte Caroline diesen Allgott, der nicht wie der
ihre allein der Gott ihres Lebens war, näher. Sie hat seit dem Tod ihres
letzten und liebsten Kindes nie mehr ganz im Leben Wurzel geschlagen. Und
Schellings Liebe mag um so tiefer gewesen sein, als er fühlte, daß nur durch
sie dies geliebte Leben auf Erden festgehalten wurde.
Caroline starb
an derselben Krankheit wie acht Jahre zuvor Auguste im Herbst 1809. „Die ganze
letzte Zeit“, schreibt Schelling an Luise Gotter, „war sie sanfter und
lieblicher als je, ihr ganzes Wesen in Süßigkeit aufgelöst.“ Und süß und
lieblich war auch ihr Scheiden, wie Schelling es schildert. Carolinens Tod ist
kaum wie ein Riß oder Schnitt; so sanft einer welkenden Pflanze gleich scheint
sie hinüberzublühen in die Welt, in der ihre Seele durch den Tod ihres Kindes
heimisch war. Ruhig, kampflos hat sie den Kreis ihres stürmischen Schicksals
vollendet; wie eine ewige Form, nachdem sie all ihre zeitlichen Möglichkeiten
ausgewirkt hat, für das irdische Auge zerfällt.
Und auch
Schelling stand wohl an ihrem Grabe ohne die sprengende Leidenschaft der
Verzweiflung. Ihm, der noch im Aufgang des Lebens stand, mochte es scheinen,
als bliebe nach dem Glück des zeitlichen Beisammenseins ihm die ewige Form, die
sein Auge so rein erblickt hatte. An ihr blieb sein Blick hängen, und ihr Glanz
mochte ihm noch lange verhüllen, was ihm in Wahrheit widerfahren war.
Was Caroline,
die Wechselnde, Schweifende, ihm im Leben gewesen war, faßt er in die Worte
zusammen: „Sie war ein eigenes einziges Wesen; man mußte sie ganz oder gar
nicht lieben. Diese Gewalt, das Herz im Mittelpunkt zu treffen, behielt sie bis
ans Ende.“ Was sie ihm an Lebenserschließung über alles Persöliche hinaus
gegeben hatte, spricht wohl am tiefsten ein Wort aus seinen Werken aus, hinter
dem wir deutlich Carolinens Gestalt erscheinen sehen: „Es liegt unendlich viel
außer und über den Grenzen ihrer Moral“ – es ist die reine Gesetzesmoral
Fichtes – „nicht allein alles, was freies Leben ist in Natur und Kunst, sondern
ebenso auch die Göttlichkeit der Gesinnung, welche unsere Erlösung ist vom
Gesetz und die Versöhnung mit dem Göttlichen, da wir zuvor ihm Unterworfene
waren. – Nicht alle sind ohne Zweifel dieser Ansicht fähig, welche ewig zu den
Mysterien der höheren Menschheit gehören mag.“
Als ein
Mysterium der höheren Menschheit mögen wir Carolinens Leben begreifen. Die
verhüllte Dämonie dieses Lebens, das sich so leicht und lieblich zu geben
wußte, mochte wohl die Menschen, die mit ihm in nähere Berührung kamen,
schrecken wie ein Verhängnis, das sich nicht aufhalten läßt, wie ein Geist, der
sich plötzlich unbegriffen vor uns erhebt. Die einzige Rettung vor ihr war die
Liebe. Man mußte sie ganz oder gar nicht lieben – ihrem Wesen vollkommen fremd
oder vollkommen hingegeben sein. –
In unzähligen
Formen versucht sich das geschichtliche Leben; alle wirkt es wahllos in sein
buntes Gewebe ein. Fast alle Formen menschlichen Lebens bleiben Versuche, gehen
unentwirrbar durcheinander, brechen ab oder verlieren sich unkenntlich in ihrem
Verlauf. An dem – jenseits von aller Moral – rein aus seinem mystischen Kern
gestalteten Leben Carolinens ist einer unter ungezählten seiner Versuche zur
Vollendung gelangt.
Dorothea
Eine Verbindung
mit mir, die lange
bestehen soll,
muß auf gegenseitiger
Anregung der
Sittlichkeit beruhen –
denn diese
Verbindung nimmt ewig zu.
Vor allem aber
muß der, den ich lieben
soll, fähig
sein, nur in einem zu leben
und über einem
alles zu vergessen.
Friedrich Schlegel
In den
Briefen Friedrich Schlegels an Caroline taucht der Name Dorotheas zum erstenmal
auf in den charakteristischen Worten: „Ihr seid Weltkinder, Du, Wilhelm und
auch Auguste – wir sind Geistliche, Hardenberg, Dorothea und ich.“
Es ist damit
der prinzipiellste Gegensatz zwischen den Menschen des romantischen Kreises –
und darüber hinaus der zwischen zwei bestimmten menschlichen Typen überhaupt
ausgesprochen: der Gegensatz zwischen herrschenden und dienenden Naturen – das
heißt zwischen solchen, die unbefangen sich selbst, ihr eigenes Gesetz aus der
Welt annehmen und unbefangen dies ihr Gesetz der Welt auferlegen – und solchen,
die als letzte Wirklichkeit nicht sich selbst bejahen, sondern sich durch eine
über sie selbst hinausgehende übergeordnete Wirklichkeit ursprünglich gebunden
fühlen und ihr dienen.
„Sie mögen sich
Ihre Seelen selbst bestimmen, wenn es Ihnen nicht mißfällt, die Menschheit so
mitten durch zu schneiden“, fährt Friedrich fort – damit eine Realität als die
ursprüngliche setzend, die für Menschen wie Caroline nur ein leeres Wort, eine
bloße Abstraktion sein konnte, weil es für sie nur sie selbst und außerhalb
ihrer nur einzelne auf ihr Leben bezogene Gestalten gab, während für Friedrich
die Menschheit das Primäre, das Erstgesetzte war, demgegenüber er sich selbst
abstrakt und nachträglich empfand.
Wo aber in der
modernen Welt die Begriffe eines vorgeordneten, übergeordneten Seins im
Lebensgefühl ursprünglich verwurzelt sind, da ist sofort eine tiefe Problematik
gegeben. Denn diesen Begriffen entsprechen keine Wirklichkeiten mehr. Und
während das Leben des sich selbst restlos bejahenden Weltkindes in voller
Harmonie mit einer entwirklichten Welt verlaufen kann, muß der geistliche
dienende Mensch sich in ihr die Wirklichkeiten, denen er dienen kann, als immer
wieder entweichende immer wieder neu suchen.
So könnten wir
von Dorothea, auch wenn sie dieselbe Genialität besessen hätte wie Caroline,
nicht eine so reine Gestalt des Lebens erwarten. Sie hatte die tiefe
Unsicherheit der religiösen Naturen in der modernen Welt. Und auch in einem
noch anderen Sinne hat die dienende Gebundenheit ihres Wesens jenes seligklare
Aufblühen ihres Lebens zu sich selbst verhindert. Dorothea hat kein in sich
selbst ruhendes Menschenleben, sondern ein rein weibliches Schicksal gehabt:
die liebende Verlegung des eigenen Lebenszentrum in ein fremdes.
Und schließlich
hat auch die Herkunft beider Frauen die Verschiedenheit ihrer Schicksale
unterstützt und mitbestimmt, indem sie ihnen die ungleichsten Güter ins Leben
mitgab. Gemeinsam ist ihnen nur das hohe geistige Niveau der frühesten
Jugendzeit. – Aber das von Dorotheas Jugend lag persönlich weit höher, sozial
weit tiefer als das Carolinens. So machte das Elternhaus Carolinens sie im
Sozialen wie im Geistigen frei zu sich selbst, während das Dorotheas sie von
beiden Seiten her band, geistig durch die übermächtige Persönlichkeit ihres
Vaters, sozial durch seine Eingeengtheit.
Dorothea ist
als die älteste Tocher Moses Mendelssohns in Berlin 1764, ein Jahr später als
Caroline, geboren. Die Tochter dieses außerordentlichen Mannes zu sein, war
bereits ein Schicksal für sich, und es hat sich im Leben Dorotheas auch so
ausgewirkt.
Moses
Mendelssohn hatte als einziger Mensch für die deutschen Juden kaum weniger
getan als die französische Revolution für die Frankreichs. Er hatte sie durch
seine persönliche Geistesmacht aus einer unwürdigen äußeren und inneren Lage
befreit und dem jüdischen Geist die Tore der deutschen Bildung geöffnet. Damit
hatte er zugleich das Doppelschicksal des deutschen Judentums besiegelt. Ihm
selbst gelang für seine Person noch die Versöhnung von deutschem und jüdischem
Geist; er blieb gesetzestreuer Jude; freilich keineswegs mehr im alten streng
ausschließlichen Geist, sondern im Sinne der erwählten Hochhaltung des einen
ererbten der drei gleichwertigen Ringe. Obwohl er noch ganz an den alten Bräuchen
festhielt und seine Kinder im jüdischen Glauben erzog, war doch schon das
Judentum Mendelssohns im Grunde eine reine Vernunftreligion, in dem die tief
verpflichtende geschichtliche Basis sich aufgelöst hatte. Der nahe Freund
Lessings, das Urbild seines Nathan, der Mann, der aus Liebe zur deutschen
Sprache sein Leben in Gefahr brachte, indem er Friedrich den Großen öffentlich
wegen seines Gebrauches der französischen Sprache tadelte, war gewiß mehr
Deutscher als Jude. Seine Weisheit war nicht die dunkelglühende des Alten
Testaments, noch die ganz im Gesetz wurzelnde Geistigkeit des Talmud – sie war
vielmehr die farblos durchsichtige, für alles Menschliche durchscheinende
Weisheit, wie sie in solcher Reinheit einzig aus der Vermischung des jüdischen mit
dem abendländischen Rationalismus in verschiedenen Formen entsprungen ist. Und
so war der dennoch sieghafte, in ihnen allen wieder aufschlagende religiöse
Funke, den Moses Mendelssohn seinen Kindern weitergab, nicht so sehr Judentum
als vielmehr eine in der Flut jüdischer Religiosität und deutschen Geistes
klargewaschene Menschlichkeit, die die durchdringende Kraft und Verpflichtung
zum Gebrauch der persönlichen Vernunft und den lebendigen Anschluß an das
Bildungsleben der Zeit in sich schloß. Schon allein durch diesen Anschluß
konnte das überlieferte Judentum all diesen innerlich lebendigen Naturen, die
sich intensiv mit der gewaltig aufblühenden deutschen Kultur durchdrangen, auf
die Dauer nicht gemäß bleiben. So erscheint es von allen Seiten her als begreiflich,
ja als logisch notwendig, daß unter den Enkeln Moses Mendelssohns kein Jude
mehr war, wohl aber die protestantischen Geschwister Felix und Fanny
Mendelssohn und die fromm katholischen nazarenischen Maler Johannes und Philipp
Veit, von denen der letztere eine Zeitlang mit dem Gedanken umging,
katholischer Geistlicher zu werden.
Gerade der
religiöse Drang, der in allen Nachkommen Moses Mendelssohns lebte, grub sich,
da ihm das alte verschüttet oder keinesfalls mehr tief genug war, sofort nach
allen Seiten hin ein neues Bett. Auch Dorotheas spätere religiöse Entwicklung
wäre ohne diese Herkunft nicht verständlich.
Sie erwuchs in
einer Umgebung von höchster geistiger Regsamkeit, in einer Atmosphäre, die der
Geist des Vaters selbst geschaffen hatte, in der Frühzeit jener einzigartigen
Blüte des Berliner Geisteslebens, deren Keim er gelegt hatte. Er war der
einzige Gelehrte Berlins, der zu jener Zeit ein Haus ausmachte. Während die
anderen Gelehrten noch ihr Leben in die Geistigkeit ihres Studierzimmers und
eine öde Bierstubengeselligkeit, von der die Frauen ausgeschlossen waren,
eingeteilt hatten, versammelte der schlichte Kaufmann Moses Mendelssohn bereits
alles um sich, was in Berlin am Geist teil hatte, und es gab kaum einen
durchreisenden Gelehrten, der sich nicht bei ihm einführen ließ. Auch die
Frauen seiner Umgebung bildete er zur Teilnahme an solcher höheren Form der
Geselligkeit aus; und seine begabten Töchter und ihre Freundinnen verehrten ihn
als die höchste Instanz des Geistes und des Herzens.
Wurde so die
geistige wie die religiöse Atmosphäre des Elternhauses für Dorotheas ganz
spätere Entwicklung bestimmend, so wurde auf der anderen Seite der noch nicht
ganz ausgetragene Gegensatz in ihres Vaters Weltanschauung ihr zum Verhängnis.
Denn nachdem Moses Mendelssohn mit der eisernen Kraft eines großen Geistes und
eines eminenten Willens sich und sein Volk aus der Befangenheit der
ursprünglichen Lebensauffassung herausgearbeitet hatte, wurde diese an einem
entscheidenden Punkte seines persönlichen Lebens doch noch einmal über ihn
Herr: als er seine durch ihn zu voller geistiger Freiheit ausgebildeten Töchter
ganz jung ohne ihre persönliche Zustimmung an Männer seiner Wahl verheiratete.
Er mochte aus seiner stets beschränkten pekuniären Lage heraus zu sehr den
Wunsch haben, sie für ihr äußeres Leben sicher zu stellen, auch unbedingt
seiner eigenen reifen Menschenkenntnis vertrauen; aber er verkannte damit die
Macht des Geistes, den er selbst heraufbeschworen hatte.
In frühester
Jugend gab Moses Mendelssohn seine älteste, hochbegabte Tochter einem Mann zur
Ehe, der zwar, wie sich vor allem späterhin zeigte, die ganze Rechtschaffenheit
und Vornehmheit des edlen Juden besaß, der aber geistig zur Zeit ihrer Heirat
weit unter dem Niveau ihres väterlichen Hauses und unter ihrem eigenen stand,
dem überdies ihr Herz in keiner Weise sich zuneigte. Glücklose Jahre verbrachte
Dorothea an der Seite des Bankiers Veit. Drei Söhne gingen aus dieser Ehe
hervor; der eine starb früh; an den beiden anderen hing ihre starke Natur mit
niemals wankender Liebe und mit einer eisernen Kraft, durch die sie auch nach
der Trennung noch weiter ihr Schicksal unabhängig vom Willen und der Gesinnung
des Vaters bestimmte.
Vielleicht war
der tiefste Grundzug von Dorotheas Natur Treue; allem, was sie einmal liebte,
blieb sie – im genauen Gegensatz zu Caroline – für immer verbunden. Sie blieb
ihren Söhnen dieselbe Mutter auch im Glück und Leid einer neuen Liebe, sie
blieb ihren Jugendfreundinnen ihr Leben lang eine Freundin.
Unter diesen
waren es vor allem Henriette Herz und Rachel Levin, mit denen sie nicht nur
eine rein persönliche Beziehung, sondern auch eine ganz bestimmte Art von
geistiger Gemeinschaft verband: jene ursprünglich von Moses Mendelssohn
ausgehende und rasch zu immer höherer Blüte sich entfaltende Geistigkeit der
damaligen Berliner Kreise, die so viele bedeutende Menschen berührt und
mitgebildet hat.
Mehr noch als
im Jenenser Kreis dominierte hier das weibliche Element. Man macht sich kaum
einen Begriff, mit welchem Heißhunger die weibliche Jugend die ihr so lange
verschlossene Bildung Deutschlands aufnahm, wie gerade dadurch der Geist und
das Geistige in diesem Kreise zu einer selbstständigen Lebensmacht erwuchs.
Alle bedeutenden Neuerscheinungen der Literatur wurden hier gelesen und
besprochen. Und da neben diesem Geschlecht gleichzeitig die gewaltigste Blüte
des deutschen Geisteslebens sich entfaltete, lernten diese Frauen nicht als
Kulturgut der Vergangenheit, sondern als das lebendige Leben der Gegenwart die
höchsten Werte des Geistes kennen. Es war ihr eigenes Leben, das in den Werken
eines Goethe, Fichte, Schiller, Schleiermacher Gestalt und Stimme gewann; es
war ihr eigenes Leben, das sie an diesen Werken bilden lernten. Und so ging in
all die Arbeit geistigen Verstehens dieses Neuen, das sie als ihr Eigenes
erkannten, die ganze lebendige Unmittelbarkeit und leidenschaftliche
Subjektivität dieser jungen Frauen und ihre ganze zurückgedrängte Sehnsucht
nach einem wahreren schöneren Leben ein. Dadurch wohnte eine innere Schwungkraft
in dieser Geistigkeit, die sie zum Zentrum und zum Keim eines neuen und
eigenartigen geselligen Lebens werden ließ, das vom Traum und Feuer junger
Herzen glühte. „Und daß ich es nur gestehe“, sagt Henriette Her in ihren
Erinnerungen, „wir hatten damals alle selbst einige Lust Romanheldinnen zu
werden; keine von uns, die nicht damals für irgendeinen Helden oder eine Heldin
aus den Romanen der Zeit schwärmte, und obenan stand darin die geistreiche, mit
feuriger Einbildungskraft begabte Tochter Mendelssohns, Dorothea. Aber auch an
Wissen und geistiger Fähigkeit stand sie obenan.“
Wir sehen
bereits den genauen Gegensatz zu Caroline. Dorothea, die man nicht mit Unrecht
als nüchterne Berlinerin charakterisiert hat, schwärmte, hatte Lust, eine
Romanheldin zu werden, lebte in der Sphäre des Romanhaften, die Caroline in
aller rauschhaften Lebendigkeit ihres Wesens von frühester Jugend an und selbst
in ihrer ersten keimenden Liebe mit aller Energie abgewiesen hatte. Dies war
ebensosehr durch ihre andere Geistesart wie durch ihr anderes Schicksal
bestimmt. Während Caroline von früh auf Art und Form ihres Lebens frei wählte
und so alle ihre Träume in das Wirkliche einströmen ließ, war es bei Dorothea
zweifellos die frühe Fesselung ihres realen Lebens, die die Sphäre ihrer Träume
in selbständiger Form sich von ihr ablösen ließ. Dorothea war ganz jung wider
Willen gebunden; ihr blieb nichts, als aus ihrer unwillkommenen Ehe wie aus
einem dunklen Gefängnis sich hinauszuträumen in ein unwirkliches, schönes und
blühendes Leben. Wir finden in Carolinens erster Ehe, obwohl sie viel später
und aus freier Wahl geschlossen war, verwandte Elemente; dennoch nahmen
Carolinens Träume niemals eine vollkommen unwirkliche Gestalt an, weil sie sich
in jedem Augenblick unbekümmert um alle anderen Menschen ein volles Recht auf
ihr eigenes, von ihr selbst zu verwirklichendes Leben zusprach, das sie nie mit
einem anderen vergleichen konnte. Dorothea dagegen war durch ihre Natur wie
durch ihr Schicksal weit mehr in allgemeinen Anschauungen gefangen. Der Weg von
der Unfreiheit ihrer Jugend zur Freiheit war an sich unendlich weiter als der
Carolinens. Sie, die sich als Tochter unterordnete, die früh und
leidenschaftlich Mutter war, fühlte sich in den Verhältnissen, in denen sie
lebte, gebunden, durch die Rücksicht auf geliebte Menschen bestimmt und, auch
wo sie ihnen überlegen war, durch sie festgehalten. So brach Dorothea
keineswegs wie die originalere, selbständigere Caroline mit eder
Ursprünglichkeit ihrer Natur überlieferte Anschauungsweisen und Verhältnisse
wie Papier- und Rosenketten. Sich aus einer Beziehung zu lösen, war für sie
nicht dasselbe wie für die leichtere und zugleich unerschütterlichere Caroline.
Auch schon in
dem ungleichen Äußeren beider Frauen scheint ihr verschiedenes Verhältnis zum
Leben ausgedrückt. Ungeheuer verschieden muß schon das Körpergefühl beider
gewesen sein. Carolinens leichter, zarter beweglicher Körper, an dem man oft in
ihren Briefen in und zwischen den Zeilen eine gewisse Freude spürt, ließ sie
selbst leicht, heiter, ihrer eigenen Gegenwart froh werden. Die anmutige,
neckische Koketterie, durch die sie Männer hinriß, die Zierlichkeit ihrer
Kleidung und die Beschäftigung mit ihr, wie Dorothea sie beschreibt – alles
dies hängt mit der natürlichen Grazie ihres Körpers zusammen. Dorothea dagegen
war eine schwere, breite, ausgesprochene und wenig weibliche Erscheinung, an
der das einzige Schöne und Anziehende die warm und geistvoll brennenden Augen
waren. Oft ist es, als wäre sie sich selbst mit ihrer Erscheinung im Wege
gewesen. Wie wenig sie an ihrem eigenen Äußeren Freude hatte, beweist tief ein
Wort an Schleiermacher, als sie bei einem Aufenthalt in Weißenfels unterlassen
hatte, die ersehnte Bekanntschaft von Novalis zu machen. „Hätte ich seine
Bekanntschaft machen können, ohne daß er die meine hätte machen müssen, so wäre
es angegangen. Dann gehört auch einiges – Selbstbewußtsein – will ich es nennen
dazu, um jemand so zu sich zu rufen, um ihn zu besehen. Eine solche edle
Dreistigkeit haben nur schöne Frauen, oder sollten nur diese haben.“ Ein
solches Wort enthüllt ganze sonst tief verborgene Lebenszusammenhänge, läßt in
die Ursprünge von Eigenschaften blicken, die dem Schreiber selbst selten bewußt
sind. Dorothea fehlte immer die ursprüngliche Lebenssicherheit, Freiheit und
Unbefangenheit, wie sie Caroline im Verkehr mit den Menschen natürlich war. Sie
wog und prüfte, was für sie angängig , zulässig war. Niemals und nirgends
schlug sie so fraglos, so frei, so unmittelbar pflanzenhaft im Leben Wurzel wie
Caroline.
Wir lernen die
junge Dorothea aus ihren Briefen erst kennen, als sie bereits Frau und Mutter
ist. Ihre Jugendbriefe an ihren Freund Gustav von Brinckmann, auch an die
jüngere Schwester haben fast alle neben einer ursprünglichen Wärme und Güte
durch ihre schonungslose Aufrichtigkeit zugleich etwas Hartes, fast Bitteres –
einen Klang, der sich später in ihrem Leben immer mehr verliert. Was uns aber
bereits an diesen frühen Briefen am stärksten berührt, ist die große
Mütterlichkeit ihres Wesens. Das Verhältnis, das sie zuerst in seiner Realität
lebte, ist in ihrem Empfinden immer das Entscheidende geblieben.
„Seitdem ich
Mutter bin, kann ich nicht mit Ruhe an den Tod denken“, schreibt sie einmal.
Vergleicht man mit dieser Äußerung die Worte Carolinens beim Tode ihres ersten
Kindes: diese gewaltsame kämpfende Konzentrierung auf die eigene Form – so
erkennt man sofort, einen wie anderen Raum in Dorotheas Leben die Mutterschaft
einnahm. Wenn zu Carolinens Wesen ein wahrhafter Zugang nur durch die erotische
Beziehung zu gewinnen war – wenn daher in jeder ihrer Freundschaften, in jedem
ihrer Verhältnisse zu Menschen, selbst in dem zu ihrem Kinde, etwas von der
Liebe zum Geliebten, etwas lieblich Schalkhaftes und treulos Elementares war,
so war dagegen in allen Liebes- und Freundschaftsbeziehungen Dorotheas – selbst
in der zu dem Geliebten – etwas durchaus Mütterliches.
Wie in allen
starken Naturen aber war in beiden etwas, was blühen, mit Gewalt blühen wollte,
was alles Fremde abstreifend sich selbst bunt und strahlend ausblühen wollte.
Beiden war keine Rast gegeben, bis diese innerste Tendenz ihres Lebens sich
erfüllt hatte, nachdem sie zuvor ihre Kräfte in anderer Richtung verschwendet
hatten. Aber verschieden wie ihr Schicksal ist die Liebe, die sich zu diesem Ziel
hinstreckt. Caroline brauchte in allem Wechsel ihrer Schicksale sich niemals
loszureißen, um in ein neues Leben einzutreten: wir sahen, wie ihr bei jedem
entscheidenden Schritt ihres Lebens das Schicksal selbst mit grausamer
Bereitschaft entgegenkam und ihre Ketten löste. Dorothea dagegen mußte sich, um
frei zu werden, überall und immer losreißen, weil sie immer gebunden war. Dies
läßt neben dem pflanzenhaften Aufblühen von Carolinens Leben die Lebenslinie
Dorotheas gebrochen und eckig, von menschlichen Kämpfen und Sorgen bedrängt und
geknickt erscheinen. Beide Frauen fanden nach mancherlei Stürmen den endgültig
Geliebten. Caroline gleitet sanft aus seinem Arm und aus einem reichen, ganz
erfüllten Leben in den Tod hinüber; Dorothea kämpft, arbeitet, sorgt, quält
sich ein Leben lang um ihn, für ihn, mit ihm und steht lange vor ihrem eigenen
Tod am Sarg des jüngeren Gatten.
Dorothea wandte
zunächst aus dem innersten Drang zu blühen in ihrer glücklosen Ehe ihr Herz
oder vielleicht auch nur ihre Phantasie einem liebenswürdigen und freien Manne
zu, dessen geniale Anlage und abenteuerlicher Lebensplan ihre Einbildungskraft
aus der verhaßten häuslichen Enge herausführten. Auch ihm, wie allen Menschen,
die ihr jemals irgendwie nahestanden, bewahrte Dorothea immer eine warme
Zuneigung. Es war Eduard d’Alton, das Urbild des Helden in ihrem späteren Roman
Florentin.
Das äußere
Leben der Eheleute bot zu jener Zeit nach dem Zeugnis von Henriette Herz kein
Bild der Uneinigkeit dar. Aber Dorothea verzehrte sich und schien den Freunden
so unglücklich, daß Henriette Herz selbst mit ihr von einer Scheidung sprach.
Dorothea wollte jedoch nichts davon hören, weil sie um keinen Preis den Ihrigen
und vor allem ihrem damals noch lebenden Vater diesen Schmerz bereiten wollte.
Als sie aber
dann nach dreizehnjähriger Ehe im Hause der Henriette Herz den um acht Jahre
jüngeren Friedrich Schlegel kennenlernte, da erst erfüllte sich ihr Schicksal.
Ihr ganzes Leben schoß wie ein starker lebendiger Brunnen empor und überströmte
und verwandelte mit einem Schlage alles um sie her. Eine Welt von Glut,
Wahrheit und Ewigkeit brach über sie herein. Ihren starken unerfüllten Sinnen
nicht weniger als ihremleidenschaftlichen Durst nach einem wahreren,
erfüllteren Leben, nach lebendiger Bildung, gelebter Dichtung trat die Gestalt
dieses Mannes wie eine Offenbarung des Lebens selbst entgegen. Es war
undenkbar, daß sie noch die alte Ehe, wenn auch nur in den äußerlichsten
Formen, weiterführen konnte. Wie ein Aufschrei der Erlösung klingt ihr Brief an
Brinckmann im Februar 1799, drei Wochen nach der Scheidung von Veit: „Kaum
fühlte ich mich noch recht – noch bis jetzt ist es mir wie einem, der lange
eine große Last getragen, er glaubt sie noch zu fühlen, nachdem er ihrer schon
längst entledigt ist. Jetzt bin ich, was ich längst hätte sein sollen, lieber
Freund! Jetzt bin ich glücklich und gut – keine Gruselei mehr, keine
Beschämung; vielleicht würden Sie mich auch nicht mehr so hart finden, ich lebe
im Frieden mit allem, was mich umgibt!“ – Nicht in blinder Leidenschaft, nicht
besinnungs- und rücksichtslos also, aber auch keineswegs aus reiner Aufopferung
ihrer Existenz für Friedrich, wie es meist dargestellt wird, hat Dorothea
diesen Schritt getan, ist sie dem Geliebten gefolgt: sondern aus einer Liebe,
an der ihr erst vollkommen klar wurde, in einem wie unwürdigen Verhältnis sie
lebte. Von dieser Liebe aus konnte es für sie kein Schwanken, kein Bedenken
geben. Was für Caroline, die ihre erste Ehe aus freiem Willen geschlossen
hatte, der Tod tat, das mußte Dorothea, der die ihre aufgezwungen war, aus
freiem Entschluß, und alle schweren Folgen des Schrittes auf sich nehmend, tun.
Sie hat es mit Größe getan. Denn sie gab mit dieser Ehe keineswegs nur die
Achtung der Menschen, die bürgerliche Sicherheit eines äußerlich fest
begründeten Lebens und, was ihr das Härteste war, die Nähe ihres einen Kindes
auf – sondern auch die verborgene zarte Liebe und Fürsorge eines gütigen
Mannes, der niemals aufhörte, geheim für sie zu sorgen.
Ganz von einer wahrhaft
ergreifenden Seite lernt man diesen Mann erst kennen, wenn man erfährt, daß er,
nachdem die geliebte Frau ihn verlassen hatte, rastlos seinen Geist zu bilden
begann, um auf die Höhe des ihren zu gelangen. Spätere Briefe an seine Söhne
zeigen ihn auf einer geistigen und seelischen Höhe, die keineswegs hinter der
Dorotheas zurücksteht – eher sie übertrifft.
So versteht man
es, wenn Henriette Herz in sorgender Liebe für die Freundin glaubt, daß
Dorothea in ihrer Verbindung mit Friedrich Schlegel doch oft das warme Gemüt,
die liebende Sorgfalt ihres ersten Gatten schmerzlich vermißt habe. „Weniger
schmerzlich jedoch“, fährt sie fort, „als es in früheren Jahren der Fall
gewesen wäre. Denn ihr späteres Leben war ein fortwährender innerer
Läuterungsprozeß, infolgedessen sie immer höhere Ansprüche an sich selbst, und
immer geringere an andere, namentlich sofern es deren Beziehungen zu ihr
betraf, machte.“
Aber gerade
dieser Läuterungsprozeß, in dem Dorotheas ganzes späteres Leben bestand, war ja
von Friedrich und von der Beziehung zu ihm ausgegangen. Gewiß kannte der
jüngere, ganz von seinen eigenen Plänen und Zielen in Anspruch genommene und
schon dadurch wenig rücksichtsvolle Mann immer nur eine geringe Rücksicht und
Sorgfalt für das äußere Leben der körperlich zarten Frau. Aber von Anfang an
war er bemüht, ihr inneres Wesen zu bilden, sie der Verwirklichung aller ihrer
geistigen und seelischen Möglichkeiten zuzuführen. Und dies war es, wonach
Dorothea sich sehnte. Sie wird nicht müde, ihm dafür zu danken, seine
emporweisende, bildende Kraft zu rühmen. „Es gibt keinen Mann, dem man so seine
Seele und Seligkeit anvertrauen könnte“, schreibt sie bald schon an Rahel. Und
viele Jahre später schrieb sie die Verse:
„Soll ich
Töne ihm vergleichen,
Nur die hohe
Orgel würde
So in mächt’gen
Harmonien
Meine Seele
aufwärts führen.“
Das
Glück, die Erfüllung dieser Liebe kann man sich ganz gewiß nicht tief und
berauschend genug vorstellen. Und auch Friedrich fand in dieser von Caroline so
sehr verschiedenen Frau die Erfüllung einer von jeher gehegten Sehnsucht seines
Lebens. „Eine Verbindung mit mir, die lange bestehen soll, muß auf
gegenseitiger Anregung der Sittlichkeit beruhen, denn eine solche Verbindung
nimmt ewig zu. Vor allem aber dieselbe Stärke der Liebe, die nur aus der
Sehnsucht nach dem Unendlichen herrühren kann“, schrieb er, lange ehe er
Dorothea kannte, an seinen älteren Bruder. Waren dieser und Schleiermacher
bisher die Menschen gewesen, mit denen ihn eine Beziehung solcher Art verband,
so wurde nun Dorothea als Geliebte ihm erst die volle und endgültige
Verwirklichung seines Traumes. War ihm einige Jahre zuvor in Caroline eine
dämonisch-schöpferische Frau entgegengetreten, die ihm eine neue Welt
aufschloß, so führte das Schicksal, das ihm jene versagte, ihm in Dorothea eine
schlichtere und weniger selbständige, aber unendlich liebevollere und
aufopferungsfähigere Frau entgegen.
Die Tochter
Moses Mendelssohns besaß zu jener Zeit keine feste Religion mehr; der Kreis, in
dem sie lebte, hatte jeden Rest davon aufgelöst; die Hingabe aber war das Leben
ihres Lebens. Ihre Liebe hatten religiösen dienenden Charakter, insofern
Dorothea in ihr durchaus dem Wert und der Aufgabe des Geliebten diente.
Friedrich fühlte, daß sie ihm hierin näher war als Caroline. Die beiden Frauen
verkörpern gewissermaßen die beiden Hälften seines Lebens, wie es selbst sie
benannte: Bildung und Religion. An Bildung, Verstand und Geist war Dorothea
ganz gewiß nicht mit Caroline zu vergleichen; sie hat immer zu Friedrichs Geist
aufgesehen, während Friedrich Carolinens Verstand sogleich über dem seinigen
erkannte. Aber in Dorotheas Wesen war, während Caroline in jedem Augenblick zu
entschlüpfen drohte, für den Anderen fester Grund – war es gerade darum, weil
sie ihrer selbst weniger sicher, sich selbst weniger gegenwärtig war – weil sie
mit Friedrichs Worten „fähig war, nur in Einem zu leben und über Einem alles zu
vergessen.“
Dies Eine
konnte nicht in ihr, sondern nur außerhalb ihrer liegen. Dem romantischen
Zauber Carolinens, der auf der heidnisch-christlichen Immanenz: auf der
erlebten Göttlichkeit des eigenen Grundes ruht, stand in Dorothea, ihr selbst
nicht bewußt, das in ihre Natur eingewirkte jüdische Grunderlebnis der
mittlerlosen Jenseitigkeit des Göttlichen gegenüber. Nur über ihr vermochte sie es von je – und darum in so uranderer
Hingabe und Anbetung – zu ergreifen.
Damit und mit
dem gesamten Rhythmus ihres Lebens scheidet Dorothea aus dem Kreis der
eigentlich romantischen Naturen aus. Nur von außen her, nur durch ihre Liebe
und Sehnsucht vermochte sie sich dem romantischen Kreise zu nähern, der ihr –
in seiner ersten Phase wenigstens – als vollkommen wesensfremd entgegentrat.
Von der Lebensverfassung der Ironie war sie, so sehr sie sich ihr anzupassen
strebte, durch den schweren menschlichen Ernst ihres Grundes ebensosehr wie
durch ihre restlose Hingabe ausgeschlossen.
Um so
märchenhafter und schwebender mußte ihr in der romantischen Welt alles
erscheinen. Keineswegs spüren wir bei ihr von Anfang an jene unmittelbare
Sicherheit, mit der Caroline in den romantischen Kreis eintrat. Inmitten all
ihres Glückes überfiel sie oft ein Zagen und Sichfürchten vor den übermäßigen
Forderungen der Romantik an das Subjekt. Dasselbe Element des Unendlichen, in
dem Caroline leicht und fröhlich wie ein Fisch im Wasser schwamm, weil es die
Heimat ihres höchst subjektiven und in dieser Subjektivität sicheren Geistes
war, drohte die schwerere und eingeschränktere Dorothea, die das Unendliche nur
als ein Objektives, Übergeordnetes zu verehren vermochte, zu erdrücken. Sie kam
dem, was Carolinens innerstes Leben war, als einem ihr Äußeren entgegen: sie
sah es aufglänzen im Geliebten: es zog sie gewaltsam an, riß sie hin wie den
Goetheschen Fischer die geheimnisvoll unheimliche Tiefe des fremden Elementes.
Kam Caroline durch die beiden Schlegels in ihre geistige Heimat, so muß es
Dorothea bei ihrem Eintritt in den Romantikerkreis gewesen sein wie Aladdin
beim Eintritt in die fremde Zauberhöhle voller ungeahnter Schätze, in deren
Mitte die Wunderlampe ihrer Liebe ihr jede Möglichkeit und Beschwörung neuen
Lebens aufschloß. Nichts war ihr hier selbstverständlich, alles ein Neues und
Ungeheures. Daher die Aufopferung und Selbstüberwindung, mit der sie die Ideale
dieses Kreises gewissermaßen auf sich nahm und ihnen diente.
Nirgends wird
diese Aufopferung für die Sache Friedrichs und der romantischen Weltanschauung
so vollkommen klar wie in ihrem Verhältnis zur Lucinde: dem Roman, in dem Friedrich sein Liebesverhältnis mit ihr
zu höherem Zweck schonungslos entblößte. Caroline schrieb nach dem Erscheinen
dieses Buches an Novalis: „Ich halte immer seine verschlossene Persönlichkeit
mit dieser Unbändigkeit zusammen und sehe, wie die harte Schale aufbricht – mir
kann ganz bange dabei werden, und wenn ich seine Geliebte wäre, so hätte es
nicht gedruckt werden dürfen.“ Das ist kaum zu bezweifeln. Caroline hätte an
sich, an ihre kompromittierte Weiblichkeit, ihre preisgegebenen persönlichen
Empfindungen gedacht. Dorothea, die ganz gewiß nicht weniger schamhaft und
scheu, die ihrer ganzen Art nach sicher schamhafter war als Caroline, dachte
nicht daran, um der brennenden Pein willen, die sie dabei erlitt, den Geliebten
um Unterdrückung des Buches zu bitten.
Und dies war
ganz gewiß keine Schwäche gegen Friedrich. Ihre Worte an Schleiermacher legen
ein ergreifendes Zeugnis davon ab: „Oft wird es mir heiß und wieder kalt ums
Herz, daß das Innerste so herausgeredet werden soll – was mir so heilig war, so
heimlich, jetzt nun allen Neugierigen, allen Hassern preisgegeben ... Umsonst
sucht ermich durch den Gedanken zu stärken, daß Sie noch kühner wären als er.
Ach, es ist nicht die Kühnheit, die mich erschreckt. Die Natur feiert auch die
Anbetung des Höchsten in offenen Tempeln und durch die ganze Welt – aber ...
die Liebe? Ich denke aber wieder, alle diese Schmerzen werden vergehen mit
meinem Leben, und das Leben auch mit; und alles, was vergeht, sollte man nicht
so hoch achten, daß man ein Werk darum unterließe, das ewig sein wird. Ja, dann
erst wird die Welt es recht beurteilen, wenn alle diese Nebendinge wegfallen.“
Man hat of
darüber gespottet, daß Dorothea diesen Roman Friedrichs mit solcher religiösen
Ehrfurcht betrachtete, daß sie dies künstlerisch mißlungene Jugenderzeugnis von
Friedrichs Geist für etwas so Ewiges hielt; wie man sich auch darüber gewundert
hat, daß Schleiermacher sich so warm dieses verfehlten Buches angenommen hat.
Und doch haben hier ganz gewiß die Liebe und die Freundschaft schärfer gesehen
als der kritisch zerlegende Geist der Mit- und Nachwelt, der an diesem Werk nur
das Mißlingen sah und darüber die Größe und den Ernst darin verkannte. Es gilt
die Lucinde innerhalbihrer Zeit zu betrachten, um zu erkennen, was sie in
Wahrheit war: eine revolutionäre Tat der Wahrhaftigkeit in bezug auf das
Erotische, ein gewiß künstlerisch ungeschickter, gewiß vielfach peinvoller
Versuch, ein neues wahres Menschentum zu begründen.
Worum das ganze
nachfolgende Jahrhundert bis in unsere Zeit der Auflösung hinein rang: das
geschlechtliche Leben in seinem wahrhaftigen Umfang vom Natürlichsten bis zum
Geistigsten, in seiner ganzen ungeheuren Bedeutsamkeit, seinem erlebten Wert
und seiner tatsächlichen Allmacht und Schönheit rein und ohne Verhehlung
darzustellen und dadurch eine Reinigung und Klärung dieses in so viel
Halbwahrheit und Unwahrheit verhüllten Lebensgebietes zu bewirken, das
unternahm zuerst Friedrich in diesem Buch inmitten einer bürgerlich versteiften
und benommenen Welt.
Gewiß, der
Versuch mißlang; er mußte mißlingen, weil dies Neue, noch Unerhörte
auszusprechen, dies Mysterium zu entschleiern, ohne es zugleich zu entweihen,
eine Gestaltungskraft ohnegleichen erfordert hätte. Diese besaß Friedrich
nicht. Er war Dichter nur in Momenten, in den anderen grübelnder Forscher und
Denker. Auch fehlte ihm noch die volle menschliche Reife zum Abwägen des
Sagbaren. Und so war er auch hier, wie er es in seiner frühen Jugend von sich
gesagt hatte – „wahrer als man sein darf.“
Dorothea hat
die Art dieses Romans treffend charakterisiert in den Worten: „Friedrich seine
Poesie löst kein Rätsel in unserer Brust; im Gegenteil, er legt uns und welche
vor, an deren Lösung der Geist sich ewig üben kann.“ So wäre das künstlerische
Gelingen nicht der letzte Maßstab, mit dem man dies Buch messen kann; auch in
ihm sind Rätsel vorgelegt, an denen der Geist sich noch auf lange hinaus zu
üben hatte, an denen er sich in gewissem Sinne wirklich ewig üben kann. Und
insofern ist das heroische Opfer, das Dorothea dem unzulänglichen Werk
Friedrichs brachte, auch objektiv begründet und berechtigt.
Zugleich ist in
dem Verhalten Dorotheas zur Lucinde die Beziehung der beiden Menschen klar
gegeben. Friedrich der Schöpferische, Gebende, Dorothea die Empfangende,
Dienende, aber auch unendlich unter der Eigenart des Geliebten Leidende und
sich seiner Produktion vorbehaltlos Opfernde.
Und doch wird
Dorothea nicht müde, seine treue helfende Liebe, seine Zartheit, seine Größe zu
rühmen. Keine Frau hat schönere, tiefere, wahrere Worte über den Geliebten
gefunden als sie. In all ihren Briefen und Gedichten, in allen Äußerungen ihres
Tagebuchs kehrt die Verehrung seiner bildenden und erhöhenden Kraft wieder. Am
unmittelbarsten und schlichtesten spricht ihre Liebe und Verehrung für
Friedrich sich aus in den Briefen an Schleiermacher.
Dieser treue
und leidenschaftliche Freund Friedrichs hielt fest zu dem verfemten Paar. Auch
er wie Dorothea hatte den ganzen Zauber von Friedrichs reichem und lebendigem
Geist erlebt. So sehr Friedrich denen widerstrebte, die ihn nur von außen
aufzufassen vermochten, so groß war die Liebe derer für ihn, denen sich sein
inneres unmittelbar bildendes Wesen aufschloß. Aus allen Urteilen der Menschen,
die ihm näher standen, sehen wir, daß er wohl ein schwerer, gequälter Mensch,
aber zugleich von einem stets überströmenden inneren Reichtum war, aus dem sich
seine ganze Umgebung nährte. Seine ringende und beinahe wilde Liebe zur
Wahrheit, die ihn Fernerstehenden verhaßt machte, wurde den Freunden zu einer
Quelle der Klärung.
Aber während
sich Schleiermachers genialer Menschlichkeit die ganze Kraft und Tiefe von
Friedrichs existentiellem Bemühen aufschloß, mußte Friedrich Männern wie Fichte
und Schelling, die vor allem das Sprunghafte, Paradoxe seines Geistes sahen,
widerstreben. In das Werk der beiden großen Philosophen trat vom Subjektiven
nur soviel ein, wie dem Gedanken notwendig anhaftet; denn sie lebten letzthin
für die Begründung einer festen objektiven Gedankenwelt. Friedrich dagegen
führte in jedem Problem seine ganze lebendige Subjektivität mit sich, denn er
lebte letzthin für die Begründung eines wahrhaftigen Lebens.
In dieser
existentiellen Lebendigkeit und Ganzheit von Friedrichs Produktion wurzelten
aber bei ihrer mächtigen Breite zugleich alle Schwierigkeiten ihrer Ausführung
im Einzelnen, die sein Leben und das Dorotheas verdunkelten. Die gewaltige
Stoffmasse aus allen Kulturen, mit der sein Geist sich trug, ward gerade, weil
sie niemals bloßer Stoff bleiben durfte, sondern immer ganz persönlich, aus
innerstem Zentrum verarbeitet werden mußte, zu enorm, als daß sein Geist sie
sofort zu abgelösten Werken zu organisieren vermochte. Friedrich war ein
langsamer schwerfälliger Arbeiter, und Dorothea litt mit ihm all die tiefen
Leiden seiner Produktion. Auch mußte es beiden mit der Zeit immer drückender
werden, daß Friedrich durch die Art seines Produzierens, die eben so innig mit
der Schwere und Eigenart seines Geistes wie mit seiner irrationalen und
schwierigen Lebensweise zusammenhing, sein Leben lang für sich und sie
äußerlich nicht zu sorgen vermochte, daß das Fehlen des Geldes sich dauernd in
alle Lebenspläne einmischte, daß Geldsorgen und Schulden sie ihr ganzes Leben
lang verfolgten und wiederum drückend auf Friedrichs Produktion zurückwirkten.
Auch solche Sorgen hat Caroline nie gekannt, und sie hätte sie wohl schwerlich
auf sich genommen. Dorothea dagegen erkannte es als ihre Pflicht, selbst zu
arbeiten und mit zu verdienen, um Friedrichs Leben und Arbeit zu erleichtern,
streckenweise überhaupt zu ermöglichen. Inbrünstig drückte sie das Leben des
Geliebten mit all seinen inneren und äußeren Nöten und Sorgen an ihr Herz.
Von einer
Heirat zwischen Dorothea und Friedrich war zunächst noch nicht die Rede, und
zwar war sie offenbar von beiden Seiten nicht gewollt, obwohl beide bald
erkannten, daß ihre Geschicke untrennbar verbunden waren. Dorothea lebte nach
ihrer Scheidung zunächst allein mit ihrem jüngeren Sohn Philipp in einer
abgelegenen Straße Berlins. Friedrich und Schleiermacher, später auch Fichte,
wurden ihre täglichen Tischgäste.
Standen
Schleiermacher und Dorothea zusammen in dieser Zeit als seine guten Genien an
Friedrichs Seite, beide unermüdlich bestrebt, ihm zu helfen, ihn leichter,
froher und dadurch produktiver zu machen, so gewann Dorothea persönlich auch an
Fichte einen warmen Freund. Er, der streng an den bürgerlichen Formen Festhaltende,
lernte Dorothea in ihrer zweifelhaften Situation in ganz besonderer Weise
schätzen. Es war wohl vor allem die Zugänglichkeit, die Geradheit und
Rechtlichkeit ihres Charakters, aber auch ihr jeder Tiefe zugänglicher
bedeutender und warmer Geist, der seine festen Vorurteile auftaute.
So hatte
Dorothea in Berlin an Friedrichs Seite sich wertvollste Freunde erworben, als
sie mit ihrem kleinen Sohn im Oktober des Jahres 1799 Friedrich nach Jena
folgte, wo er sie Wilhelm und Caroline zuführte. In deren Haus, in dem sich
damals der ganze Romantikerkreis konzentrierte, lernte sie erst das eigentliche
romantische Leben kennen. In überströmender Begeisterung berichtet sie von
diesem Leben, dem sie sich mit erstaunlicher Verwandlungsfähigkeit anpaßte und
in dem sie Friedrich immer leidenschaftlicher als den Tiefsten und Intensivsten
von allen bewundern lernte. Und so vollendet wurde ihre Anpassung, daß in
diesem Kreis, in dem alles Leben zugleich ein lebendiges Arbeiten, Dichten,
Bilden, Schaffen war, unter Friedrichs besonderem Einfluß Dorothea selbst zur
Schriftstellerin wurde. Sie begann ihrem Roman Florentin, dessen erster Band im
Jahre 1800 erschien. In wahrhaft erstaunlicher Weise hatte Dorothea sich in ihm
in die romantische Geisteswelt eingelebt. Eine ursprüngliche lyrische Begabung
kam ihr dabei ebensosehr wie ihre lebendige Auffassung des Romantischen zu
Hilfe. Dieser Roman ist außerordentlich hoch bewertet worden. Die bedeutensten
Forscher der Romantik haben ihn, weil er besser gearbeitet, in sich gelungener
ist, über die Lucinde gestellt. Aber sicher hat Dorothea ihrem Roman die
vollkommen richtige Stellung gegenüber der Lucinde angewiesen, indem sie ihn
sehr anmutig ihren „Sancho Florentin“ genannt hat. Denn bei ihr handelt es sich
darum, die Geschichte eines abenteuerlichen Lebens in seinen schicksalsmäßigen
Verflechtungen leicht und lyrisch darzustellen, und sie hat dies, indem sie
sich darin ganz an Goethes Meister angelehnt hat, in anmutig kunstvoller Weise
getan; bei Friedrich dagegen handelt es sich gewissermaßen um eine Schöpfung
aus dem Nichts, um die Bewältigung eines neu und selbständig gestellten
Problems. Die beiden Bücher können darum unmöglich mit dem gleichen Maßstab
gemessen werden.
Dennoch ist der
Florentin eine feine und in seiner Art meisterliche Leistung – nur empfindet
man darin nirgends eine Notwendigkeit künstlerischer Produktion. Er scheint
mehr aus Lust und in bestimmter Absicht als aus dem Zwang zur Gestaltung
geschaffen. Dorothea war nicht wie Caroline von der Furcht behindert, durch
eigenes Schaffen unweiblich zu erscheinen; zu neu, zu köstlich erschien ihr
dies alles; es muß ihr ein großer Reiz gewesen sein, ihre Schwingen in diesem
fremden Element zu prüfen und zu sehen, daß sie sie trugen.
Daneben aber
trieb sie auch schon der Wunsch und die Notwendigkeit zu verdienen. Obwohl es
keineswegs nur Lohnarbeit war, die Dorothea von nun an leistete, obwohl ihr
manches wirklich Schöne gelungen ist, blieb ihr immer der Wunsch, Friedrichs Geselle
zu sein, ihm durch ihre Arbeit zu helfen, der oberste. Keine Selbstverleugnung
war ihrer Liebe zu viel, und alles Ganze und Einzelne ihres Lebens: nicht nur
das Schöne und Zulängliche, auch das, was uns störend und peinlich erscheint,
ist von dieser Liebe wie von einem großen heiligenden Licht überstrahlt.
So auch ihre
traurige Beziehung zu Caroline. Der Ursprung der Entzweiung zwischen Dorothea
und ihr war zweifellos eine seltsame und doch verständliche Eifersucht
Dorotheas. Eine Eifersucht aber keineswegs auf Caroline, weil Friedrich sie
einst geliebt hatte und immer noch bewunderte, sondern ganz der Art und
Heftigkeit von Dorotheas Liebe gemäß Eifersucht auf Schelling, der dem
angebeteten Friedrich Carolinens Liebe und Hochschätzung entwendete. Die
durchaus verständliche Voraussetzung ihrer zuerst so verehrenden und
freundschaftlichen Beziehung zu Caroline war, daß Caroline Friedrich nicht
minder verehrte und bewunderte als er sie. Sehr bald nach ihrer Ankunft in Jena
aber sah sie, wie intensiv Caroline mit Schelling beschäftigt war. Sie sah, wie
sie diesem alle Liebe und Verehrung zuwandte, die sie – da Dorothea sofort
erkannt hatte, daß sie Wilhelm nicht liebte – wenigstens durchaus Friedrich
hätte zuwenden sollen. Caroline aber, die durch ihre neue Liebe zu Schelling
völlig aufgesogen war, behandelte Friedrich in jener Zeit wirklich nicht mehr
so verständnisvoll und keinesfalls mehr so liebevoll und eingehend, wie sie es
früher getan hatte. „Sie ist ganz übermütig gegen ihn und ist durchaus nicht imstande,
ihn zu begreifen“, schreibt Dorothea an Rahel, „und dies ist der Punkt, worin
ich keinen Scherz verstehe.“
Dorothea machte
aus ihrer Empörung kein Hehl, nicht nur gegen ihre nächsten auswärtigen
Freunde, sondern auch in Jena selbst nicht, so daß Caroline bald merkte, daß
eine ungünstige Deutung ihres Verhältnisses zu Schelling, die nur aus dem
intimsten Kreise stammen konnte, außerhalb seiner verbreitet wurde. Zugleich
wurde auch Friedrich in einem Maße gegen Caroline eingenommen, wie es bei der unschuldigen
Art seines Wesens aus ihm selbst nicht stammen konnte. Er selbst hätte
Carolinens offenbar scharfe Neckereien und Zurechtweisungen sicher viel
harmloser aufgenommen. Zugleich suchte Friedrich nun zweifellos unter Dorotheas
Einfluß Wilhelm auch in seinem Verhältnis zu Schelling zu beeinflussen, dem
gegenüber er nach Friedrichs und Dorotheas Meinung zu wenig Würde gezeigt, dem
er Caroline zu leicht und selbstverständlich abgetreten hatte.
So sah sich
Caroline nach mehreren Seiten hin empfindlich durch Dorothea getroffen. Sie war
dieser, solange sie ihr bewundernd ergeben schien, sehr freundlich
entgegengekommen. Trat sie ihr nun aber, statt ihr den schuldigen Tribut der
gewohnten Verehrung zu zollen, in ihrem Persönlichsten hindernd in den Weg, so
gab es für sie kein Halten mehr; sie ließ sich bis zur Bosheit gehen. Zu
verstehen, was sie in Dorothea verwundet hatte, was vielleicht in deren
Empörung an Rührendem und jedenfalls an sehr Menschlichem und Weiblichem sein
mochte, dazu fehlte es ihr ganz und gar an Eingehen und Liebe. Sie ging
schonungslos und fraglos darüber hinweg. Ihr Mann selbst hinderte sie in ihrer
Beziehung zu Schelling in keiner Weise, obgleich er sicher mehr darunter litt,
als es den Anschein hatte; wer ihr nun trotzdem in diesem, was ihr ganzes Wesen
erfüllte, irgendwie hinderlich sein wollte, mußte aus dem Wege. Und als es ihr
dann zugleich gewiß wurde, daß Dorothea ihr auch Friedrich entfremdet hatte,
dessen sie sicher zu sein glaubte und den sie denn doch als Freund durchaus hätte
behalten wollen, da wandte sich ihr ganzer leidenschaftlicher Haß gegen die
Frau, die sich in all ihre persönlichsten Verhältnisse: in ihre aufblühende
Liebe, in den Torso ihrer Ehe, in ihre tiefste Freundschaft störend eingemischt
hatte. Und Caroline vermochte zu hassen wie das Element. Das beweisen jene
nicht einmal isoliert dastehenden Worte: „Wenn sie doch jemand totschlüge, ehe
ich stürbe.“
Und doch
berührt dieser offene Haß Carolinens noch erträglicher als später Dorotheas
mild vergebende Worte nach Carolinens Tod, die ohne jeden Zusammenhang mit
ihrem Leben sind.
Dorothea
glaubte noch, sich Caroline gegenüber diplomatisch durchzuwinden, als der
innere Bruch längst erfolgt war. Als aber nicht lange darauf Schelling
Friedrich noch einmal mit schwerer Schädigung in den Weg trat, indem er dessen
in Jena angekündigte und bereits begonnene Vorlesungen dadurch vereitelte, daß
er, der schon vorher an der Universität mit großem Erfolg gelesen hatte, seine
Vorlesungen verwandten Inhalts wieder aufnahm und damit dem in seiner
eigenmächtigen Tiefe schwer verständlichen Friedrich aller Hörer abspenstig
machte, da kannte auch Friedrichs und Dorotheas offene Feindschaft gegen
Schelling und Caroline keine Grenzen mehr.
Es wird einem
weh ums Herz, wenn man Friedrichs späte Äußerungen über Caroline liest. Wie war
es möglich, daß irgendein Schicksal, irgendeine Gewalt seine Seele in diesem
Maße von der einst geliebten und verehrten Frau nicht nur abzuziehen, sondern
gegen sie aufstacheln und geifern machen konnte? Etwas von
Nibelungenverstrickung und Nibelungenhaß scheint in der durch die beiden Frauen
heraufgeführten dämonischen Verstörung aller Beziehungen aufzudämmern.
Nur daß dies
alles hier tief herabgezogen und verzerrt ist durch die Seelenkrankheit der
bedeutenden Menschen jener Zeit: den Klatsch. Es ist merkwürdig genug, daß
gerade die Tatsache, die der Ausdruck eines freieren Lebens war: daß so viele
Frauen jener Zeit sich aus einer rein persönlichen Erfassung ihres Lebens über
die anerkannten Gesellschaftsformen hinwegsetzten, dem Hang zum Klatsch unter
denselben Menschen, die diese Art des Lebens bejahten, besonders reiche Nahrung
gab. Es ist, als bräche darin die verdrängte und eben der Wirklichkeit nach
noch keineswegs überwundene Bürgerlichkeit jener Welt gewaltsam aus.
Geht man auf
den Grund der Jenenser Geschehnisse, so ist das, was alle Beziehungen zwischen
diesen Menschen verstörte und zerbrach, das Verhältnis Carolinens zu Schelling,
das, so gesehen, nicht nur als eine Untreue gegen Wilhelm und die beiden
Schlegels, sondern als eine Untreue gegen den ganzen Kreis erscheint, den
Caroline an Schellings Hand verließ.
Und so stob im
Jahre 1800 der Romantikerkreis, der so kurze Zeit eine wundervoll lebendige
Einheit verwirklicht hatte, durch persönliche Leidenschaften zerstört,
auseinander. Seine jüngsten und lieblichsten Glieder: Auguste und nicht lange
darauf Novalis wurden ihm durch den Tod genommen.
Schwere und
ruhelose Jahre folgten für Friedrich und Dorothea. Immer noch lag ihnen zu
jener Zeit der Gedanke der Trauung und Dorothea der der Taufe fern. Doch
langsam beginnt sie, sich ihm zu nähern. Nachdem sie im Herbst 1799 an
Schleiermacher geschrieben hatte: „Es scheint, die Berliner können nicht ruhen;
sie können ebensowenig ein Leben als einen Roman sich ohne Schluß denken und
nehmen nun gar bei mir die heilige Taufe als völligen Ruhestand und Auflösung
an“, schreibt sie ihm genau ein halbes Jahr darauf: „Ihr alle würdet Euch doch
besser in uns finden, wenn wir getraut wären“, „wer wird nun solchen Freunden
zu Liebe nicht tun, was man auch sonst vielleicht nicht getan hätte?“ – Aber
trotz dieser eigentümlichen zunächst scheinbar nur an Beifall und Ablehnung der
Freunde orientierten Wandlung zogen sich Taufe und Tauung noch drei Jahre hin.
Von Dresden
aus, wo sie sich kurze Zeit aufgehalten hatten, wandten Friedrich und Dorothea
sich nach Paris, wohin Friedrich die Aussicht auf gründliche wissenschaftliche
Studien, ein freies Leben und auch die Hoffnung auf eine Anstellung zog. Das
Leben dort gestaltete sich für sie zu einem innerlich ebenso reichen wie
äußerlich schweren und mühseligen. Friedrich trieb emsige Sanskritstudien,
hielt kunstgeschichtliche Vorlesungen und gab eine neue Zeitschrift, die
berühmte „Europa“, heraus, aber: „Es will nichts, nichts gelingen“, schreibt
Dorothea an den treuen Schleiermacher. „Sie würden jammern, wenn Sie sehen
könnten, wie der Arme sich fruchtlos, unnütz bemüht und abarbeitet!“ Und in
ihrer Verzweiflung fährt sie fort: „Es hat sich in mir die Überzeugung
festgesetzt, daß ich ihn am Fortkommen hindere; nämlich mein Schicksal war es
von jeher mich quälen zu müssen, und nun muß auch er unter der Disharmonie, die
mit mir geboren ward und mich nie verlassen wird, nun muß auch er darunter
leiden!“
Dieser Gedanke
der armen Dorothea ist in all seiner rührenden Selbstlosigkeit ein vollkommen
romanhafter, wirklichkeitsloser. Konnte sie, deren ganzes Leben einzig darauf
gerichtet war, Friedrich freien Raum zu schaffen für das seine, die sich selbst
aufrieb, um die Notdurft des Lebens zu verdienen – im Ernst glauben, ihm in
seiner Entfaltung hinderlich zu sein? Aber sie wünschte wohl so sehr, den
geliebten Mann von allem Vorwurf zu entlasten, daß sie zuletzt selber lieber
die ihm gebührenden Vorwürfe auf sich nimmt. Sie war auch wirklich schon
entschlossen, Paris zu verlassen, als plötzlich alles eine andere Wendung
dadurch nahm, daß Dorothea eine Anzahl von Pensionären erhielt, die zugleich
Friedrichs Schüler wurden. Es waren zunächst mit mehreren anderen die beiden
später berühmten Brüder Boisserée aus Köln, die eine entscheidende Rolle in
Friedrichs und Dorotheas Leben spielen sollten. Sie ließen sich von Friedrich
ein glänzend bezahltes Privatissimum über Poesie und Philosophie lesen, wurden
zu seinen größten Bewunderen und treuesten Anhängern und zu seinen und
Dorotheas nächsten Freunden.
In dieser
ganzen Zeit beschäftigte sich Dorothea, teils im Anschluß an Friedrichs
Studien, teils aber auch für sich selbst, mit religiösen Fragen, aber immer
noch ganz ohne den Wunsch, sich auch äußerlich an ein bestimmtes Bekenntnis
anzuschließen. Im November 1802 schreibt sie an Schleiermacher aus Paris: „Ich
lese mit Aufmerksamkeit beide Testamente und finde nach meinem Gefühl jetzt das
protestantische Christentum doch reiner und dem katholischen weit vorzuziehen;
... im Herzen bin ich ganz, soviel ich aus der Bibel verstehen kann,
Protestantin; das öffentliche Bekenntnis davon halte ich nach meinem Glauben
gar nicht für nötig, denn sogar in diesem öffentlichen Bekennen liegt mir eine
katholische Ostentation, Herrschsucht und Eitelkeit.“
Es ist nicht
leicht, zu sagen, in welcher Schicht bei Dorothea das Religiöse, das später in
fester Gestalt zum tragenden Grund ihres Lebens wurde, überhaupt lebte. Sicher
ist, daß sie von jeher das Bedürfnis fühlte, ihr Leben einer übergeordneten
Macht zu unterwerfen. Aber nicht nur, daß die vom Glauben kollektiv
losgerissene Welt um sie her sie zwang, sich für sich allein mit ihrem
religiösen Bedürfnis abzufinden: ihre Lage war dadurch noch unendlich
kompliziert, daß sie als Tochter Mendelssohns, als Gattin Schlegels, als
Freundin Schleiermachers durch die Vielheit der einander relativierenden
Bekenntnisse selbst, mit denen sie sich auseinandersetzte, in noch
verwirrenderem Sinn von jedem eindeutigen religiösen Grund losgerissen war. So
wird es um so verständlicher, daß sie, von ihrer Sehnsucht aus die
verschiedensten Religionskreise durchlaufend, von der ursprünglichen Ablehnung
jedes äußeren Bekenntnisses durch ein Bekenntnis zum anderen fortgleiten
konnte.
1804 wurde Dorothea
von einem protestantischen Geistlichen getauft und die Trauung zwischen ihr und
Friedrich vollzogen. Sie schreibt unter die Aufzeichnung dieser Handlungen in
ihrem Tagebuch: „Ihr wart wie die irrenden Schafe, aber Ihr seid neu bekehrt zu
dem Hirten und Bischof Eurer Seelen.“ Epistel Petri, I.Kap., 2.V.25.
Die Promptheit,
mit der Dorothea sich derart rein durch den äußeren Akt ganz plötzlich religiös
gewandelt und in eine Gemeinschaft aufgenommen fühlt, die sie noch kurz vorher
so nachdrücklich abgewiesen hatte, wirkt so peinlich überraschend, daß uns hier
bereits Zweifel an einer Echtheit Dorotheas, die unter das Bewußtsein
hinabreicht, aufsteigen; zugleich aber zeigt diese Wandlung auch ihre ganze
religiöse Bedürftigkeit an.
Was mochte
geschehen sein, seit sie damals an Schleiermacher schrieb, daß ihr im
äußerlichen Bekenntnis immer noch eine katholische Ostentation, Eitelkeit und
Herrschsucht zu liegen scheine? Eine Wandlung muß dazwischen liegen, auf die
gewiß die Menschen ihrer Umgebung: vor allem natürlich Friedrich, aber sicher
auch die katholischen Brüder Boisserée nicht ohne Einfluß geblieben waren. Von
der durch persönliches Ringen und Entbehren gesteigerten religiösen
Bedürftigkeit ihres Wesens unterstützt, hatte zweifellos in ihr jene tiefe,
zentrale, aber offenbar auch in ihm erst in der Pariser Zeit vollbefestigte
Gewißheit Friedrichs Wurzel geschlagen: daß ein lebendiges Innen sein Außen mit
sich führen muß, daß, was Leben hat, auch Gestalt haben muß. Insofern lag in
Dorotheas jetztigem Bekenntnis zum Protestantismus auch schon ihre erste
Wendung zum Katholizismus vorbereitet, die sich dann in Köln im Laufe von vier
weiteren Jahren vollzog. – Die Brüder Boisserée, die in ihrer tiefen Verehrung
und Freundschaft für Friedrich und Dorothea nah mit ihnen verbunden zu bleiben
wünschten und zugleich auch die Sorgen ihrer Pariser Existenz durchschaut
hatten, bewogen nach ihrer Rückkehr Friedrich, nach Köln überzusiedeln, wo sie
ihm die Verheißung auf eine sichere ehrenvolle Anstellung gaben. Aber auch hier
warteten seiner, durch die schwierigen politischen Umstände – Köln befand sich
damals in der Hand der Franzosen –, nur erneute Kämpfe und Enttäuschungen. Aber
mit wahrer Freundschaft und Verehrung kamen die Kölner Freunde dem Paare
entgegen, und es scheint nach Friedrichs eigenem Bekenntnis, daß die Aufnahme
und Hilfsbereitschaft, die er bei den katholischen Kölnern fand, nicht ohne
Einfluß auf seine sich immer stärker herausbildende katholische Richtung
gewesen ist.
Und doch – und
gerade auch im Zusammenhang mit dieser Tatsache – bleibt es kein geringes
Problem, wie Friedrich aus dem Atheismus seiner Jugend, aus der
leidenschaftlich unabhängigen, revolutionären religiösen Gesinnung des
fanatischen Wahrheitssuchers von einst, zur gläubigen Abhängigkeit und
Einordnung in die katholische Kirche kommen konnte. War seine Umkehr wirklich
nichts anderes als ein Zusammenbruch des freien Menschengeistes, als ein
bequemes Zukreuzekriechen des Müden oder als eine Flucht des ethisch
Unzulänglichen ins Ästhetische?
Wie immer man
die Gründe zu seiner Umkehr benennen mag: gewiß bleibt, daß in dem
Gesamtzusammenhang von Friedrichs Denken dieser letzte Schritt keineswegs als
zufällig, daß er vielmehr als tief und ursprünglich in ihm begründet erscheint.
Friedrich war ausgegangen von einem durchdringenden Suchen nach Wahrheit – aber
eben nicht nach einer bloßen Wahrheit des Denkens, des Wissens, sondern nach
einer totalen Wahrheit: einer Wahrheit des ganzen gelebten Lebens. Nichts in
der Wirklichkeit war ihm wahr genug: in keinem Gesicht, in keiner Freundschaft,
in keiner Liebe, keiner menschlichen Beziehung von irgendeiner Art, aber auch
in keinem System und keinem Kunstwerk fand er die vollkommene Wahrheit. Und
auch in keiner bestimmten bestehenden Religion. Wie ihm keine menschliche
Wahrheit wahr genug, so war ihm kein Gott göttlich genug. Er war Atheist nicht
aus Mangel an Organ für das Göttliche – sondern er war es aus einer
„angeborenen tiefen Unersättlichkeit“ nach dem Göttlichen, dessen Wahrheit
nirgends den Anforderungen seines Denkens standhielt. Sein Ringen um eine wahre
Religion war darum das um einen Gott, dessen Wahrheit nicht wie die der Götter
aller bisherigen Religionen an dem Denken und Wissen der modernen Welt zunichte
würde.
So dachte er in
seiner Jugend ernstlich daran, eine neue Religion zu gründen, die den
Forderungen eines veränderten Denkens gewachsen wäre – in der damit alles
Wissen, indem es an das Göttliche gebunden würde und zugleich die Beziehung
empfinge auf dasgegenwärtige Leben der Menschen, wieder zu lebendiger Wahrheit
würde. Denn die erst spät von ihm formulierte Gewißheit, daß der Begriff der
Bildung und der der Seligkeit durch die Beziehung des einen auf den anderen
erst ihre Wahrheit und Bedeutung erhalten, lag von jeher auf dem Grunde seines
letzthin immer der lebendigen Totalität des Daseins zugewandten Denkens – wie
sie auch all seinem unersättlichen Forschen und Sammeln zugrunde lag. Der immer
gewaltiger um ihn her anschwellende Wissensstoff aus allen Kulturkreisen konnte
ihm nur, sofern er menschliche Erschließung: Erschließung totaler lebendiger
Wahrheit vermittelte, etwas bedeuten, und diese wieder bedeutete ihm nur
soviel, als er davon auf den Begriff der eigenen Seligkeit, des persönlichen
Heils beziehen konnte. Die ganze Schwere und schwermütige Trägheit seines
Wesens ist wohl im Grunde nichts anderes gewesen, als die Einsicht in die
Unfähigkeit seines Geistes, die Überlast des Erworbenen um den festen
Mittelpunkt der Existenz: der Seligkeit, des Heils in klarer Form zu sammeln.
Fast könnte man sagen, daß sein gieriges Forschen selbst seine Form der
Trägheit war, weil es ihm unmöglich machte, die schwerere und eigentlichere
Aufgabe seines Lebens zu erfüllen: sich einzuschränken, um Grund und Mitte
seines Reichtums zu finden. Die ewige Frage des Göttlichen an das Menschliche:
Könntet ihr denn nicht einen Augenblick mit mir wachen? trat Friedrich in
dieser besonderen Gestalt an: ob er imstande sein würde, die unermeßliche Fülle
eines gierig, fast genießerisch erworbenen geistigen Reichtums der Übermacht
eines einzigen zentral beseelenden Prinzips zu unterwerfen.
Dies Eine aber
mußte ihn eben darum aus der Sphäre des bloßen Wissens herausführen. Nicht das
Wissen selbst konnte der beseelende Mittelpunkt des Wissens sein. Keine bloß
gedachte, gewußte, sondern nur eine lebendige Wahrheit und Gottheit konnte ihn
dem Chaos seines Wissen entreißen. Wie er in seiner frühen Jugend verzweifelt
um die lebendige Wahrheit gerungen hatte, die von innen her die
auseinanderfallenden Kräfte seines Wesens binden sollte, und wie dann erst die
Liebe zu einer ganz realen menschlichen Persönlichkeit sein verwirrt ringendes
Leben zur Gestalt umgeschaffen hatte, so wartete nun die bunt und finster um
ihn herumwogende Fülle von Erkenntnissen auf die Berührung des Lichts, um Welt
zu werden. Von wo konnte eine solche Berührung zuletzt kommen als von dem
lebendigen Gott, der nicht mehr vom Geist erkannt, gewußt, sondern von der
lebendigen Seele als wirklich erlebt und geglaubt wird?
Und dies war
nun die entscheidende Einsicht des reifen Friedrich: daß dieser Gott, eben weil
er lebendig wirklich ist, auch vom leidenschaftlichsten Denken und seiner
Unendlichkeit nicht erreicht – geschweige denn, wie er es in seiner Frühzeit
glaubte, verändert werden könne – daß umgekehrt das Denken sich ändern müsse,
um sich Gott anzupassen: daß um seinetwillen das Wissen aus freier Einsicht
sich selber anhalten müsse. Glaube ist für den reifen Friedrich Schlegel sich
selbst freiwillig begrenzendes Wissen.
Dies ist die
einzige radikale Veränderung, der aus der untersten Tiefe seines Lebens
geschehene Umschwung seines Denkens, der aus dem unablässigen Ringen um die
lebendige Wahrheit ihn unmittelbar in den Glauben hineinreißt. Der Mittelpunkt
seines Lebens bleibt unverändert; aber der Weg zu ihm wird durch diesen
Umschwung in die umgekehrte Richtung gedreht. Nicht die subjektive Revolution
unendlich fortschreitenden Denkens vermag ihn – das ha er erkannt – dem
Göttlichen zu nähern, sondern allein die religiöse Selbstbeschränkung einer ihrem
Wesen nach unendlichen Kraft in ihrer Unterordnung unter die Objektivität der
einmal für immer geschehenen göttlichen Offenbarung.
Und von ihr aus
organisiert sich nun sofort die ganze ins Unendliche fortlaufende Masse seiner
Wissensinhalte zu klarer Gestalt. Indem Friedrich in der großen katholischen
Glaubenswelt mit einem Schlage die Beziehung seiner gesamten Bildungsmasse auf
Gott, auf die Seligkeit, und damit auf das persönliche Heil gefunden hatte,
fühlen wir, wie sich sein von der Schrankenlosigkeit des Wissens ruhelos
fortgezogenes Wesen wie in einem tiefen befreienden Atemzug erlöst.
Wie hätte dies
Erlösungsgefühl des geliebten Mannes Dorothea nicht mitreißen sollen? Was ihr
aus ihm entgegenkam, war freilich eine andere Art der Erlösung – aber Erlösung
wurde es auch für sie. Was Friedrich am Geist geschah, das geschah ihr
unmittelbar am Leben, an der Seele selbst. Und dieselben Wahrheiten, die
Friedrich – selbst mitbestimmtvon seiner Umgebung – ihrem Erkennen zugänglich
machte, strömten nun in Köln zugleich von allen Seiten als lebendige
Wirklichkeit auf sie ein. Die große Kunst, die sie umgab, vor allem der Kölner
Dom, die Gemälde von Madonnen und Heiligen, die ihr unmittelbar einen Zustand
ihres Inneren zu veranschaulichen schienen, fürchten ihre empfängliche Seele
ebenso wie die mittelalterlichen Romane, die sie las und übersetzte, tief in
den christlichen Geist des Mittelalters ein. An den großen spanischen Dichtern
der Gegenreformation, an Calderon vor allem, berauschte sich ihr Geist. Und diese
Welt war so übermächtig, so reich an Schönheit und Erschließung, daß ihre
glühende Vergangenheit leicht eine fahle Gegenwart zu überwältigen vermochte.
Und da vor allem auch die Liebe in jener Schale lag, so schnellte die der
bloßen Gegenwart von keinem wesenhaften Gewicht mehr beschwert empor. Die
Freunde: die Boisserées, der gelehrte Kanonikus Wallraf drängten Dorothea auf
ihrem Weg vorwärts. Und ihr schweres Leben mit monatelangem Entbehren
Friedrichs, mit einer fast einsiedlerischen Einsamkeit, mit seiner nie
ändernden Liebe und dennoch wachsenden Einsicht in die Brüchigkeit von
Friedrichs Charakter – all das kam ihrer Entwicklung zum Katholizismus
entgegen. Gott gesucht hatte Dorothea von jeher; ihn in endgültiger Gestalt und
Gewißheit so schön zugleich, so erfüllend und versöhnend zu finden, mußte ihr
nun als Gnade und Wunder und als das rechte Ende ihres von Anfang an begonnenen
Weges erscheinen. Alle etwaigen intellektuellen Bedenken, Fragen letzter
Wahrhaftigkeit waren, wenn Dorothea sie überhaupt stellte, für sie von
Friedrich zuvor gelöst. Damit wurde die Hemmungslosigkeit ihres religiösen
Weges, die schon durch die Vielfalt der ihr begegnenden Religionen begünstigt
wurde, deren keine dadurch eine letzte bindende Verpflichtung mehr in sich zu schließen
schien, auch von dieser Seite vollendet.
Und so war sie
es zuletzt, die selbst ihrerseits Friedrich drängte, den entscheidenden Schritt
zu tun. In der Zeit, die ihm vorherging, lernen wir erst die ganze Kraft und
Größe kennen, die in ihrer gebrechlichen Gestalt wohnte und die einzig von
ihrer Liebe ausging. Schwerer war für sie das Leben seit ihrer Verbindung mit
Friedrich noch nie gewesen. Während er in der Welt herumreiste, um
Arbeitsquellen auszukundschaften und die Möglichkeit, sich eine neue Existenz
zu gründen, während er den Bruder bei Frau von Staël am Genfer See besuchte und
viele Monate hindurch bei ihm ein müheloses genußreiches Leben führte,
arbeitete Dorothea trotz ihrer geschwächten Gesundheit unermüdlich und
gewissenhaft an langen ernsthaften Übersetzungen. Und nur ein einziges Mal
begegnen wir in ihren Briefen an Friedrich einem bitteren und schmerzlichen
Wort, als er Weihnachten und Neujahr 1807 ihr kein noch so kleines
Lebenszeichen gesandt hatte.
Die
Übersetzungen französischer und mittelhochdeutscher Romane, die Dorothea in
dieser Zeit machte, waren so gründlich und meisterhaft gearbeitet, daß
Friedrich sie in seine gesammelten Werke aufnahm. Überhaupt erschien alles, was
Dorothea in diesen Jahren und auch schon in Paris schrieb: Kritiken,
Übersetzungen und selbst Gedichte, unter Friedrichs Namen. Ihr selbst lag jeder
schriftstellerische Ehrgeiz fern; für Friedrich und unter seinem Namen arbeiten
zu dürfen, galt ihr weit mehr als der unmittelbare Beifall der Welt.
Schon dadurch
war die Arbeit, die sie unermüdlich in dieser Zeit ihrer Einsamkeit leistete,
nicht bloß Geldarbeit; überhaupt aber war ihr ganzes Wesen in dieser Zeit tief
innerlich lebendig. Das geht aus ihren Briefen an Friedrich deutlich hervor,
die überall ein Wachstum und Reifen ihres Geistes verraten. Und deutlich sehen
wir in ihrem Leben und Schaffen nun wirklich die Spur von der Liebe zum
Geliebten hinüberführen zu der zu Gott. Auch zu ihr hatte Friedrich ihr den Weg
bereitet. Anderthalb Jahre bevor sie endgültig katholisch wurde, legte sie in
ihrem Tagebuch das Bekenntnis ab: „1806 am Tage Allerheiligen in dem Dom zu
Köln ist mir während der Messe die Liebe zu Gott und Gottes Liebe zu mir zuerst
recht deutlich und lebhaft geworden, und daß ich ihn mit derselben Liebe lieben
kann, wie ich Friedrich liebe und meine Kinder. Und so ist Friedrichs Liebe mir
auch ein Bild, ein Zeugnis, der Abglanz der Liebe Gottes zu mir.“
Dies also war
der eigentliche und nun wirklich tief lebendige Weg Dorotheas zum
Katholizismus: daß sie sich Gott und Gottes Liebe zu vergegenwärtigen,
anzueignen vermag im Bild ihrer Liebe zu Friedrich und der Friedrichs zu ihr.
Und sie konnte die menschlich schwankende und mit soviel persönlicher
Lieblosigkeit durchsetzte Liebe Friedrichs wohl trotz allem so empfinden; denn
immer war in seiner Liebe zugleich etwasgöttlich Bildendes gewesen, und dies
war es, was sie immer wieder über alle Kränkungen und Vernachlässigungen von
seiner Seite hinaushob. Friedrich war durchaus Mensch – oft sogar ein sehr
gebeugter, gequälter, quälender und unzulänglicher Mensch. Aber immer war er
ihr zugleich der Finger, der nach oben wies. Und so wies er über sich hinaus.
Zu einer Zeit, als er ihr als Mensch zu entgleiten drohte, wurde ihr das Glück,
mit ihm unter Einen Gott zu treten, zu einer letzten und ewigen Sicherung ihrer
irdisch fragwürdig gewordenen Liebe.
Im April 1808
traten Friedrich und Dorothea gemeinsam zur katholischen Kirche über und ließen
sich katholisch nochmals trauen. Nun erst, wo ihre gemeinsame Liebe in einer
höheren gegründet und bewahrt war, fühlte sie sich wahrhaft mit dem Geliebten
vereinigt, wußte sie sich in einer Ewigkeit mit ihm verbunden, der keine
Stürme, weder äußere noch selbst innere Trennung, weder Tod noch Leben etwas
anhaben konnten. –
Bald nach ihrem
Übertritt im August 1808 folgte Dorothea Friedrich nach Wien, wohin ihn vor
allem politische Projekte: der Wunsch, in Metternichs Dienste zu treten, zogen.
Immer war für Friedrich die Politik ein Teil seiner Weltanschauung gewesen; als
solche hatte sie in seinem Leben ihren Raum. Daß zu ihrer tätigen
Verwirklichung eine völlig andere Stellung zum Leben gehörte als die seine, das
zu erkennen, fehlte ihm – eben weil diese Stellung ihm mangelte – vollkommen
der Blick. Es war ein tiefes, ja ein erschütterndes Mißverständnis, daß
Friedrich Schlegel sich zum praktischen Politiker berufen glaubte und sich
derart auf ein Gebiet begab, wo unendlich geringere Köpfe tief auf ihn
herabblicken durften. Mit Not und Mühe gelangte er in die Dienste Metternichs,
dessen reaktionäre realpolitische Ziele mit den rückgewandten Utopien der
Romantik eine nur äußerliche Ähnlichkeit hatten und der darum auch Friedrichs
Leistungen niemals recht verwenden konnte. Um so größeren Erfolg hatten
Schlegels philosophische Vorlesungen. Eine glänzende Gesellschaft und bald auch
eine lebendige Geselligkeit versammelte sich in Wien wieder um Friedrich und
Dorothea. Sie wurden wieder wie in Paris und Köln der verehrte Mittelpunkt
eines großen Kreises bedeutender Menschen.
Wenn man das Leben
Dorotheas in dieser Zeit und fortan denkt, kommt einem das Wort eines modernen
Katholiken in den Sinn: „Der Katholik hat ein schönes Leben.“ Die tiefe
fraglose innere Bindung nach dem zerrissenen problematischen Leben ihrer
Jugend, nach den späteren Schicksalen und Kämpfen gab ihrer Seele einen
unvergleichlichen Frieden.
Und so
überströmend empfand sie den Segen dieser Gnade, daß sie nicht ruhte, bis auch
ihre Söhne, von denen der eine seine ganze Jugend bei seinem strenggläubigen
jüdischen Vater verbracht hatte, zu ihrem Glauben übertraten. Philipp, der
jüngere, war schon in Köln vor Dorotheas Übertritt katholisch unterrichtet und
in ganz und gar katholischer Gesinnung erzogen worden, als er auf dessen
dringlichen Wunsch 1806 in das Haus seines Vaters zurückkehrte. Aber durch
Dorotheas gewaltige, von einer fanatischen Überzeugung getragene Willenskraft
und ihre vorsichtige, fast priesterlich verschlagene und zugleich tief
mütterliche Weisheit erreichte sie es, daß späterhin beide trotzdem glühend
überzeugte Katholiken wurden.
Dorothea hatte
sich dem Festen, Ewigen ergeben, das ihrer leidenschaftlichen Natur und ihrem
schweren äußeren Schicksal die Waage hielt. Die einzelnen Geschehnisse hatten
darum in ihrem Leben keine Bedeutung mehr. Was von nun an an Stürmen über
Dorotheas Leben hingegangen ist, kann das Innerste ihrer Seele, die Gewißheit,
in der ihr Leben Wurzel geschlagen hatte, nicht mehr erschüttern.
Und doch, trotz
dieser mächtigen Wirkung auf ihr Leben und ihren Charakter, beschleicht uns bei
ihren inbrünstigen, lauten Bekenntnissen zum Katholizismus, diesem so
unaufhörlich nach außen gewandten Christentum, immer wieder die Frage nach dem
objektiven Wahrheitsgrund dieses Bekenntnisses: nach der Realität, die Himmel
und Hölle, die Gestalt des Herrn, des Erlösers und der göttlichen Mutter, auf
die sie immerfort hinweist, für dies Leben, in das sie spät erst eingetreten
waren, haben konnten. Gerade die Art des Glaubens an die katholischen
Wahrheiten, wie sie jetzt bei ihr hervortritt, scheint eine Naivität
vorauszusetzen, die überhaupt zu diesem geschichtlichen Zeitpunkt schwer zu
begreifen ist, nach Dorotheas persönlicher religiöser Entwicklung aber jedes
Realitätsgrundes zu ermangeln scheint.
Aber diese
Frage berührt auch wieder den Hauptnerv des romantischen Lebens überhaupt, das
ja als ein reines Leben im Geist von der Welt absieht, mit der es doch der
Wirklichkeit nach unentrinnbar verbunden ist. Denn die Romantiker sind nicht
wie der Mönch im Kloster, der aus der Welt herautretend die Zeit verläßt und in
die Ewigkeit eintritt, sondern mitten in der Welt und mit der Welt lebende
Menschen, die nur deren Bedingungen an einem wesentlichen Punkt ignorieren und
sich so in ihr auf einen gesonderten Platz stellen. Weltflüchtige Weltkinder
sind die Romantiker allesamt. –
Aber in einem
ganz besonderen Sinne noch war es Dorothea. Sie ignorierte nicht nur die Welt
um sich her, sondern auch ihre eigene Wirklichkeit: die letzten
Wahrheitsansprüche ihres eigenen Inneren, die sie vor ihrem Bewußtsein
verhehlte, um sich einer anderen noch tiefer gelagerten Forderung rückhaltlos
zu ergeben: Grund für ihren Abgrund, Frieden für ihre Unrast zu finden in einer
alles Persönliche überstrahlenden und auslöschenden ewigen Wahrheit. Denn ihr
war nicht die ursprüngliche Festigkeit eines stillen Grundes gegeben, die die
Voraussetzung des eigentlich romantischen Lebens: des Lebens aus der
persönlichen Wahrheit ist. Die mittlerlose Transzendenz Gottes reißt im
jüdischen Wesen einen Abgrund auf, der gerade nur durch die bedingungslose
Hingabe des persönlichen Daseins an ihn überbrückt werden kann. Nicht umsonst
ist der zwischen Himmel und Erde gespannte Lichtbogen das Zeichen der
Versöhnung Gottes mit den Menschen. Wo dieser Bogen erloschen ist: wo der
jüdische Mensch nicht mehr glaubt, da bleibt er aufgerissener Abgrund,
grenzenlose ungestillte Sehnsucht. Darum wendet sich die letzte Wahrheitsfrage
an den Menschen der modernen entgöttlichten Welt: ob er ihr Schicksal auf sich
zu nehmen vermag, ohne an Gott zu verzweifeln, beim Juden an seine tiefste
religiöse Kraft: die Urkraft der Entbildlichung Gottes um seiner Wahrheit
willen: an jene schrankenlose Kraft der Hingabe, die, gerade weil sie einzig
und allein ihn selbst will, jeder Andeutung einer auch nur zu ahnenden Gestalt
des Verborgenen entsagt.
Dorothea hat
diese Wahrheitsfrage nicht bis zum Ende vernommen. Ihr Glaube an Friedrich, der
tiefe Einschlag der romantischen Welt und ihre Sehnsucht nach Frieden haben sie
übertönt. Sie hat unter dem erloschenen Lichtbogen den Abgrund mit Bildern
einer erlösenden Wirklichkeit gefüllt. Aber sie selbst hat ihren Bildcharakter
nicht durchschaut; jedes Wort Dorotheas über die katholischen Wahrheiten
bezeugt das. Und so wirkten auch die Bilder noch ein Leben und wurden durch
dieses rückwirkend dennoch zu wirkender Wirklichkeit umgewandelt. Dorotheas
Leben erhielt durch das katholische Bekenntnis wirklich einen Grund von ihrer
eigentümlichen Heiligkeit. Ihr quoll auch aus den zu Bildern entwirklichten
Inhalten der großen katholischen Welt noch die Kraft zu jeder menschlichen
Tüchtigkeit und Bewährung. Alle ihre Freunde von früher, auch die, die an ihrem
übermäßigen ostentativen Katholizismus Anstoß nahmen, bezeugen doch zugleich
übereinstimmend, wie tief sich ihre Menschlichkeit an ihm entwickelt hatte, wie
sie zu allem Schweren ihres Lebens, zu unendlicher Güte und Liebe an ihm
gereift war. Fast alle früheren Schlacken ihres Wesens scheinen von ihr
abgefallen. An Stelle ihres oft allzu scharfen Urteils tritt eine unermüdlich
heitere liebevolle Geduld. –
Als Friedrich
und Dorothea nach einem kurzen Aufenthalt in Frankfurt, wohin Schlegel von
Metternich zum Bundestag delegiert worden war, wieder nach Wien zurückgekehrt
waren, da scheint auch Dorothea begriffen zu haben, daß Friedrichs politische Karriere
ein Irrtum war. In ihren Briefen aus Rom, wo sie von 1818 bis 1820 zum Besuch
ihrer Söhne sich aufhielt, weist sie ihn immer wieder auf sein eigentliches
Schaffen: auf seine vielen angefangenen und konzipierten Arbeiten hin. Sie rät
ihm, um seiner Arbeit willen sich von den Menschen möglichst zurückzuziehen –
und in reinster Liebe ermahnt sie ihn, auch an sie nicht zu denken: „Denke, ich
sei tot und du lebst in einem gelehrten Kloster.“ Dennoch muß er auch jetzt
wieder wie immer ihrer bedurft haben, sonst wäre sie sicher nicht im Jahr
darauf wieder zu ihm zurückgekehrt.
Im Januar des
Jahres 1823 starb Friedrich plötzlich am Schlag auf einer Vortragsreise in
Dresden. Selbst der Tod des über alles Geliebten zerriß Dorotheas Innere nicht
mehr bis in seine letzte Tiefe. Ihr irdisches Leben hatte freilich mit ihm
seinen Mittelpunkt verloren – aber ihr irdisches Leben war der Sinn ihres
Lebens nicht mehr.
Auch die nun
folgenden Jahre, in denen Dorothea zu ihrem Sohn, dem Maler und damaligen
Direktor des Städelschen Institutes in Frankfurt Philipp Veit, übersiedelte,
waren zum größten Teil noch Friedrich, seinen Beziehungen und seinen Arbeiten
gewidmet. Dorothea hielt mit seinem Hingang ihre Lebensaufgabe an ihm nicht für
erfüllt.
Ein langes
Leben war ihr auferlegt. Als alte lebensmüde Frau schrieb sie an die
Jugendfreundin Henriette Herz, die sich wie sie nach dem Tode sehnte: „Alles
was wir Weltkinder sonst Poesie des Lebens genannt haben, das ist weit, weit! –
Ich könnte sagen wie Du, ich bin es satt. Aber ich sage es dennoch nicht, und
ich bitte und ermahne Dich: Sage auch Du es nicht mehr. Sei tapfer! das heißt,
wehre Dich nicht, sondern ergib Dich in tapferer Heiterkeit! – laß den Überdruß
des Lebens nicht herrschend werden, ich bitte Dich darum, sondern denke, daß
dieses arme Leben weder Dein Eigentum, noch Dir zur willkürlichen Benutzung
oder zur angenehmen Beschäftigung verliehen worden ist; jeder Tag desselben ist
ein Kleinod der Gnade, ein Kapital, das Du weder vergraben noch von Dir werfen
darfst.“ So stand Dorotheas Leben, das durch ihre Liebe hindurch in der
Unendlichkeit Wurzel geschlagen hatte, eben darum in der Endlichkeit fest bis
zuletzt.
Es hat seinen
Sinn empfangen durch die Liebe: einen Sinn, der mit der Liebe selbst, mit dem
Glück und der Fülle des Lebens nicht erlosch. Ihr Leben und Sterben war kein
pflanzenhaftes Erblühen und Welken aus vorgegebenem Keim: es war ein volles
glück- und schmerzenreiches Menschen- und Frauenschicksal, in dem beide: Glück
und Schmerz mit all ihren Segnungen und Zerstörungen zu Ende gelebt wurden.
Menschlicher und weiblicher als das Leben Carolinens auch darin, daß es nicht
in sich selber ruhte, sondern aus seiner Vergänglichkeit und Unvollkommenheit
an ein Höheres sich schwankend und bedürftig anzuschließen strebte.
Als
geschichtliches Phänomen, als reine Lebensform ohne die erschließende Kraft und
Bedeutung ihrer größeren Rivalin, keine schöpferische Urkraft von zwingender
Wahrhaftigkeit, sondern ein um die Wahrheit sich mühendes Menschenkind, war
auch Dorothea begnadet, aus der Fülle des Lebens zu leben, weil sie durch alle
ihre Wandlungen hindurch immer und einzig aus der Liebe lebte – reich an jener
Fähigkeit, die Friedrich einst gefordert hatte: nur in Einem zu leben und über
Einem alles zu vergessen.
Rahel
Ja wohl,
wen Gott umhertreibt, kann
der sich halten
und lieblich sein?
Rahel
Unter den drei
Frauen der Frühromantik ist Rahel die problematische Gestalt. Die eigentlich
romantische Lebensgestaltung Carolinens rein aus dem mystischen Mittelpunkt des
eigenen Daseins, das rein weibliche Schicksal Dorotheas: die liebende Verlegung
des eigenen Mittelpunktes in ein fremdes Dasein: beide Formen der
Lebensvollendung waren Rahel versagt. Versagt schon darum, weil in ihr, die an
seelischem und geistigem Umfang über die beiden anderen Frauen noch weit
hinausgeht, die Anlage zu diesen beiden Lebensformen in gleich großer Stärke
und Intensität gegeben und mit einer dritten ebenso starken Anlage vereinigt
war: einem männlich schöpferischen Geist.
So hätte die
Bestimmung ihres Geistes eine große objektive Leistung entsprochen. Aber auch
zu dieser ist es nicht gekommen. Rahel hat uns wie alle bedeutenden
Frauen jener Zeit nichts anderes hinterlassen als Briefe: Äußerungen ganz
persönlichen, ja ganz momentan gefärbten Lebens. Freilich findet man in der
unermeßlichen Menge ihrer Briefe, in Äußerungen allerpersönlichster, oft
personalster Art, ein ganzes großes Gedankensystem wie Goldadern in Urgestein
eingesprengt. Aber auch alle diese Gedanken tragen durchaus die Form subjektiven
Erlebens und die Spur des Augenblicks, der sie hervorrief. Das gibt ihnen ihre
wunderbare spontane Lebendigkeit; aber es schließt sie auch zugleich von der
streng erarbeiteten Gedankenwelt der ganz Großen aus.
Und Rahel
selbst hat auch das objektive Werk, obwohl sie wußte, daß ihr alle Gaben zu ihm
verliehen waren, nicht als die eigentliche Aufgabe ihres Lebens erkannt. Sie
wußte und sprach es aus: „Ich bin so einzig als die größte Erscheinung dieser
Erde. Der größte Künstler, Philosoph oder Dichter ist nicht über mir. Wir sind
vom selben Element. Im selben Rang, und gehören zusammen.“ Doch sie fährt fort:
„Mir aber war das Leben angewiesen.“
Wenn wir uns
fragen, wie es kommen konnte, daß trotz dieses klaren Wissens und trotz dieses
ins Ungemessene gesteigerten Selbstgefühls Rahel auch diese ihr ursprünglich
zugewiesene Lebensaufgabe nicht gelöst hat, so stehen wir mit einem Schlage vor
dem ganzen verwickelten Geflecht ihrer Anlagen, ihrer Lebensbedingungen und
ihrer Schicksale. Nichts ist hier vom anderen zu lösen: ein einziges Bild, eine
einzige Gestalt webt sich aus den vielfältigen Fäden von Raum und Zeit und
Geschehen um den lebendigen Mittelpunkt der Seele zusammen.
Der Mittelpunkt
ihrer Seele strahlt auch bei Rahel – und mit weit tieferer Glut noch – durch
alles Geschehen ihres Lebens hindurch – nur daß er es nicht einfach von sich
aus zu klarer Gestalt zu zwingen vermag. Denn auf ihrer Seele spielten Geist
und Schicksal eine weit stürmischere Melodie. Ihr Leben wurzelte nicht still
und sicher wie das Carolinens im All, sondern es war wie feinste schwingende
Saiten über eine dunkle Leere gespannt. Rahel war unendlich leidenschaftlicher
und verwundbarer. Sie war körperlich, geistig und seelisch ein überzartes
Instrument. Alle ihre Anlagen waren außerordentliche. Ihr überragender Geist
mit seinem unendlich subtilen Sinn für Wahrheit verband sich mit dem weichsten
überströmendsten Herzen, mit den feinsten empfindlichsten Sinnen und Nerven.
Wie sie die Menschen liebte, die Dinge sah, die Luft atmete, das Leben in sich
trank – schon all dies Elementare geschah bei ihr mit solcher Intensität, daß
das Leben der anderen Menschen neben dem ihren als Schattendasein erscheint.
Jeder Luftwechsel, jeder Wetterumschlag bringt die überzarten Saiten ihres Wesens
zum Erklingen – und das Zerstörendste und Schwerste ist ihr widerfahren und
aufgegeben.
Rahel Levin ist
in Berlin im Jahr 1771 geboren. Die äußere Lebenssituation war günstig; aber
von Anfang an wurde ihr inneres Leben schwer beschädigt, die Knospe, in der ein
fürstlich reiches Leben seiner Entfaltung harrte, geknickt. Die Atmosphäre des
Elternhauses war für ihre ganze Entwicklung unheilvoll und um so unheilvoller,
als sie immer in Berlin blieb und sich so nie ganz von ihrer Familie löste. Mit
ihren Geschwistern freilich, vor allem mit dem bedeutenden Ludwig Robert,
verband sie immer eine wirkliche Freundschaft. Ihre Mutter dagegen,
schwach und verscheucht, konnte ihr wenig bedeuten. Ihr Verhängnis aber wurde
ihr Vater. Ihr, wie sie selbst sagt, „rauher, strenger, heftiger, launenhafter,
genialer, fast toller Vater“, der ihr „überzartes und starkes Herz übersah und
es brach, brach. Mir jedes Talent zur Tat zerbrach, ohne solchen Charakter
schwächen zu können. Nun arbeitet dieser ewig verkehrt wie eine Pflanze, die
nach der Erde hineintreibt: die schönsten Eigenschaften werden die
hideusesten.“ Diese bittere Selbsterkenntnis von einer anfänglichen Umbiegung
ihres gesamten Wesens steigt inmitten all ihrer Freude an sich selbst und ihrem
inneren Reichtum in Rahels Leben immer wieder auf. Und wie allen bedeutenden
Naturen ein bestimmter Schicksalsrhythmus ursprünglich mitgegeben ist, so
haben auch Rahels Schicksale wie in einer unerbitterlichen Dämonie diese frühe
grausame Verletzung immer neu wiederholt und vertieft. Aus dieser Wunde, die
immer neu aufgerissen zu werden ihr schicksalsmäßig auferlegt war, quoll alles
Leid ihres Daseins.
Es gibt ein
Wort Rahels, das wie fast alle ihre Worte über Menschliches objektiv
überraschend wahr und aufschlußreich, zugleich diese schmerzlichste Wunde ihres
persönlichen Lebens enthüllt: „Wenn wir einen all unseren besten Anforderungen
entsprechenden Gegenstand fänden, würde nur Liebe, nie Leidenschaft entstehen:
die Anstrengung, die uns übrige Liebe anzubringen, ist Leidenschaft.“
Der erste, der
ihr diese verzweifelte Anstrengung der Leidenschaft auferlegte, der ihr ihm
entgegenströmendes Herz mit der Fülle seines Aufblühens grausam lieblos und
despotisch in sich selbst zurückwarf, war ihr Vater. Und Rahel wußte, daß
alles, was ihr widerfuhr, ihr „auf ewig“ geschah. Die Gewalt ihrer Natur selbst
brannte ihr alles ihr Geschehene unwiderruflich ein. Sie hat die
Erinnerungskraft, wie sie nur der ganz substantiellen Natur eigen ist, wenn sie
zugleich mit der höchsten Wachheit des Geistes verbunden ist. Ihr „Charakter“,
ihre gewaltige Lebenskraft wurden durch die frühe Verwundung nicht geschwächt;
aber sie konnten nicht mehr den ursprünglichen geraden Weg liebenden Aufblühens
nehmen; sie trieben ihre gewaltigen Blüten verkehrt, in das Dunkel, in ihr
eigenes Inneres zurück statt empor, nach außen, ins Licht; und alles, was groß,
frei, strahlend war an Rahel, wurde gefesselt und verbogen. Als ihre
zweiGrundfehler bezeichnet sie einmal: „Eine zu große Dankbarkeit und zuviel
Rücksicht für menschlich Angesicht.“ Und diese Eigenschaften, die sonst
Tugenden sind, nennt Rahel mit Recht bei sich Fehler, weil sie sie weder
selbstverständlich noch aus einer tieferen Einsicht ihres Geistes, nicht frei
und generös, sondern in Empörung gegen ihre eigene bessere Einsicht übte:
gegen das von ihr schrankenlos bejahte Grundgesetz ihres Lebens, das das
romantische freier Selbstentfaltung war. Und es ist kein anderes übergreifendes
Gesetz, das in ihrem Leben dem Gesetz der Selbstentfaltung einschränkend und
umbiegend entgegentritt – es ist nur ihr erliegendes Herz. So wird die
Tugend zur Schwäche, so kündigt sich früh der stete Zwiespalt zwischen Geist
und Herz in ihrem Leben an.
Aber über
diesem Zwiespalt erhebt sich zugleich Rahels reinstes Glück, der ewige Trost
ihres Geistes. Sofort nach jener Einsicht in das Verhängnis ihrer Jugend fährt
sie fort: „Ich wäre ein sehr, für aller Augen verkrüppeltes Geschöpf geworden,
läge nicht großartige Betrachtung der Natur aller Dinge in mir, und jenes
Vergessen der Persönlichkeit, ohne welches die genialsten Menschen auf der Erde
und in jeder Wissenschaft keine wären.“ In diesen Worten, zusammen mit jenen
ersten, ist Rahels ganzes Glück und ganzes Unglück ausgesprochen: die Qual
ihres Lebens, die Begnadung ihres Geistes, die ihrem Leben die tiefe innere
Festlichkeit des Überreichtums, die abgelöste Klarheit reiner
Wahrheitsfähigkeit schenkte, die Möglichkeit, sich selbst geistig in jedem
Augenblick zu überschreiten, zu der ihre Zeit ihr einen so wundervollen Lebensraum
anwies.
Denn es war ja
die Zeit jener abgelösten Herrschaft des Geistes, in die wir heute wie in ein
weit entferntes Land traumhafter Unwirklichkeit zurückblicken. Nur inmitten
einer so abgelösten Geistigkeit und aus ihr ist Rahel in ihrer Eigenart, in der
ihr eigenen geistigen Sphäre und in ihrer besonderen Größe überhaupt zu
verstehen. Ein Wort Schleiermachers über die späte Rahel: „Sie sagt noch immer
die göttlichsten Sachen halb unbewußt“, zeigt uns, wie sehr der Geist ihr
gesamtes Wesen durchdrungen hatte, wie er in ihr zur Natur, zum unmittelbaren
Leben selbst geworden war.
Mit dem
eigentlichen Jenenser Romantikerkreis hat Rahel sich nur flüchtig
berührt. Sie gehörte jenem Berliner Kreis an, der seine letzte Wurzel bereits
in der großen Persönlichkeit Moses Mendelssohns hatte und dessen Mittelpunkt in
seiner Blütezeit Schleiermacher war: dieser Mann, der, weil in ihm wie in
keinem anderen Menschen die Menschlichkeit Geist und der Geist der
Menschlichkeit war, jeder menschlichen Wahrheit Gestalt und Ausdruck zu geben
vermochte, und der dadurch als ihr guter Geist sichtbar oder unsichtbar hinter
dem Leben aller dieser Frauen stand. Und gerade in diesem Berliner Kreis, in
dem – wie sonst nirgends in Deutschland – der Adel der Geburt mit dem des Geistes
sich mischte und der Adel der Geburt dem des Geistes huldigte, lebte ein Rausch
am Geist, am puren losgelösten Geist, wie er nur in jenem einen geschichtlichen
Augenblick denkbar war, in dem der Geist in seiner eigenen in sich selbst
kreisenden Herrlichkeit entdeckt wurde, in dem sich im Geiste die Geburt einer
neuen Welt vollzog. Wir heutigen von der Wirklichkeit überall bedrängten und
überrannten Menschen vermögen uns schwer das ganze Gewicht des Geistes und des
nur Geistigen im Leben jener Menschen vorzustellen, das nicht durch reale
Geschehnisse, sondern durch geistige Schöpfungen, durch große Gedanken, Systeme
und Kunstwerke bestimmt war, so daß in ihm die eigentliche Lebenswirklichkeit
in einer seltsamen und spezifischen Weise überflogen war. In diesem Berliner
Kreis, in dem all die unendlich aufgetanen jüdischen jungen Frauen ihre
Befreiung erlebten, um deren Geist und Schönheit sich bald eine Fülle
erlesenster Männer sammelte, hat auch die große brennende Blüte von Rahels
Geist sich entfaltet, deren Duft gleichsam die Quintessenz alles damaligen
Geisteslebens war.
Der Salon der
Romantikerzeit, in dem die geistige Geselligkeit sich ihre eigene Sphäre
geschaffen hatte, war Rahels Lebensluft und gesamte Wirklichkeit. Bei ihr fast
mehr noch als bei Caroline, deren Schicksal sich in einem weiteren Kreis
abspielte, war sie der Ersatz für alles Gemeinschaftsleben. Wohl war Rahel groß
und lebendig genug, um überall an die Grenzen dieser Lebensform zu rühren und
sie dadurch selbst zu erweitern und zu verlebendigen; aber sie hat sie trotz
aller großen Blicke, die sie über sie hinaustat – später sogar tief in die
soziale Problematik hinein – für sich persönlich nie überschritten. Der
persönliche Austausch von Mensch zu Mensch war und blieb die Form ihrer Geistigkeit
selbst. Das Gespräch, das seinem Wesen nach erst die Krone oder die späte Blüte
einer voll gelebten Wirklichkeit ist, nahm – ohne Vermittlung der Wurzeln
gleichsam – alle Kräfte ihres Lebens unmittelbar auf. Auch ihre Briefe sind im
Grunde nur ein fortgesetztes Gespräch. Jean Paul, der Rahel und ihren Geist
leidenschaftlich bewunderte, fügte Varnhagen gegenüber hinzu, es
sei aber notwendig, daß sie an jemanden schriebe. Sie bedarf zum Ausdruck ihrer
Gedanken ihrer selbst und des anderen. Ihr Geist ist Wein, der nur in diesem
Gefäß so voll leuchtet, der nur aus ihm unmittelbar aufgenommen werden
kann. Erst wenn sie die Lippen fühlt, die sich an den Rand der Schale legen,
strömt sie ihr bestes geistiges Gut aus.
Denn es ist
noch mehr Leben als Geist, mehr Kraft unmittelbarer Wahrhaftigkeit als geformte
Wahrheit. Es ist keine Bemühung um Objektivierung, um Form, um Klarheit in
ihrem Stil. Empfinden wir in den Briefen Carolinens beglückend die erstaunliche
Präzision und Formklarheit des Ausdrucks, so wäre die Frage nach diesen beiden
Eigenschaften, die einem gebildeten Stil, einem Kunstwerk zukommen, der Sprache
Rahels gegenüber so sinnlos, wie gegenüber aus dem glühenden Erdinnern
emporgeschleuderten Lavastücken. In ihrem Stil ist keine andere Form, als die
ursprüngliche ihres innersten Lebens, ist auch dieselbe Unform, Gewaltsamkeit
und Härte, aber auch dieselbde glühende Weichheit und Innigkeit. Das Wort gibt
den Gedanken unbedingt wieder, aber nicht durch seine reine Gestaltung, sondern
durch die in ihm innewohnende Kraft. Rahels Stil ist nicht schön – von aller
Schönheit weit entfernt; er ist lapidar, eruptiv, wild, unbedenklich – seltsam
durchsetzt mit französischen Worten, die sie wohl auch deutsch abwandelt, wenn
sie ihr gerade zum Ausdruck geeignet scheinen – also ganz ohne Anspruch an Form
und Vollendung.
Und doch liegt
in diesem Verzicht Rahels eine eigentümliche Tragik. Denn Rahel wußte um Form
und Vollendung wie wenige Menschen. Aber ihr Verhältnis zu ihnen war ein im
tiefsten Sinne platonisches. Die Idee der Schönheit war ihr mit der
anamnetischen Gewalt eines ursprünglichen Teilhabens gegeben – aber dies
Teilhaben war nicht in ihrem Sein, sondern in ihrem Wissen. Ihr selbst, ihrem
Sein fehlte die Schönheit, die Harmonie, die Vollendung; aber wo immer, in wie
verschlossener, neuer, noch fremder Form Schönheit, Vollendung ihr begegnete,
da zuckte ihr Geist wie eine Wünschelrute darauf hin.
Es war dies
zentrale Wissen ihres Geistes, das ihr vor allem die Erscheinung Goethes mit
ursprünglicher Gewalt erschloß. Vor allen anderen Menschen ihrer Zeit hat sie
Goethe für sich entdeckt und ihn nicht mit der überschwänglich umschlagenden
Untreue der übrigen Romantiker, sondern bis an das Ende ihres Lebens mit der
tiefsten Festigkeit ihres Seins unwandelbar verehrt und geliebt.
Man kann die
Verehrung Rahels für Goethe am ehesten mit den Worten ausdrücken, mit denen
Nietzsche den Begriff der Offenbarung definiert hat: als ein
Sich-gebunden-fühlen in einem Sturm von Freiheitsgefühlen. Genau dies ist
Rahel durch Goethe geschehen. Indem sie sich durch ihn gebunden fand, wurde sie
frei zu ihrem Eigensten. Denn von ihm empfing sie die Bezeugung dessen, was ihr
vor allem anderen am Herzen lag: die Bezeugung großen, sich zu sich selbst
vollendeten Menschentums. Und es war der große Mensch ihrer Zeit mit allen
Problemen ihrer Welt, ihres Lebens, durch den ihr dies wurde. Das Größte, was
uns geschehen kann: das Leben der eigenen Zeit vor unserem Blick die Gestalt
der Ewigkeit annehmen zu sehen, an unserem Ohr die Sprache der Ewigkeit reden
zu hören, ist Rahels sehender und hörender Seele durch Goethe zuteil geworden.
Sie hat ganz unter Goethe gelebt. Aber das Leben unter Goethe bedeutete für sie
vor allem einen mächtigen Aufruf, ihren eigenen Weg zu gehen. „Der Stern im Leben
ist er, aber ohne ihn muß man alles sein“, so hat sie die Beziehung
ausgesprochen. So leitend und wegweisend, so erhaben und göttlich ihr seine
Gestalt erschien – er konnte ihr niemals zum Gott werden. Und dies lag
ebensosehr in Goethe wie in Rahel begründet. Das tiefste Verständnis seiner
Eigenart selbst mußte sie zugleich aus seinem Bann entlassen, weil es sie durch
sein Vorbild an die Verwirklichung des eigenen Lebensgesetzes wies. So wußte
Rahel, daß um Goethe wirklich begreifend zu verehren, man in sich ein
selbständiges Ganzes sein müsse, daß nur, indem man sein eigenes Wesen
unerschöpflich bildete und vollendete, man das seine wahrhaft begreifen könne.
Und wie klar Rahel, die unablässig sich zu sich selbst Bildende, ihn gerade in
seiner spezifischen Eigenart begriffen hat, das hat Goethe selbst erkannt und
in freudig bewundernden Worten ausgesprochen. „Es ist mir doppelt lieb; denn es
ist bei ihr keine allgemeine Idee; sie hat sich jedes Einzelne deutlich
gemacht“, sagt er.
Aber Rahel hat
nicht nur Goethe, dies ihren Weg leitende Gestirn, ohne an seinem Glanz zu
erblinden, ohne Verblendung und Schwärmerei begriffen: sie hatte überhaupt
allen geistigen Erscheinungen gegenüber eine Fähigkeit ganz persönlicher
Durchleuchtung, die sie zu einer der größten kritischen Begabungen macht,
die je gelebt haben. Wie ein federleichter, scharf geschliffener Pfeil drang
ihr Gemüt mühelos in den Mittelpunkt jedes Dinges ein. Sie übte Kritik ganz im
Sinne der Romantik: mehr in schöpferischer als in zerstörender Weise: eben
indem sie in dem Mittelpunkt jedes Werkes seinen innersten Keim, seine eigenste
Voraussetzung aufdeckte, aus der allein es wahrhaft in seinem Gelingen wie in
seinem Versagen zu begreifen war. Aber sie bewirkte diese kritische
Durchdringung der ganzen gewaltigen Menge des Wissensstoffes, den sie aufnahm,
nicht wie die übrigen Romantiker von einer gemeinsamen Idee aus, sondern
unmittelbar aus der den Erkenntnis- und Erlebniszusammenhang durchwirkenden
Einheit ihrer Person, hierin ganz Frau und zugleich ganz System.
Ganz Frau –
denn das Leben und Wissen Rahels nicht weniger als das Carolinensströmte ja
einzig aus dem innersten Mittelpunkt ihres persönlichen Daseins hervor; auch
Rahel handelte und erkannte einzig aus sich selbst. Aber anders als Caroline,
die nie einen anderen Maßstab als ihr eigenes Innere anerkannte, handelte und
begriff Rahel dennoch jederzeit aus übergreifenden Zusammenhängen und Gesetzen
– nur daß sie sie ganz persönlich eingesehen haben mußte, daß niemand, wie sie
selbst es einmal ausdrückt, ihr Herz und ihren Geist anders als durch Gründe
regieren konnte. Gründe – das waren für sie persönliche Einsichten, persönlich
eingesehene Wahrheiten. Und darum war sie zugleich – was Caroline nicht war –
ein in sich geschlossener Zusammenhang von Wahrheiten: ein System. Aber dieses
System, dieser Wahrheitszusammenhang war kein nur gedachter, sondern ein
zuckend lebendiger; denn alle seine Wahrheiten waren zugleich erlebte,
erlittene Wahrheiten. Und durch die tiefe Kraft des Erleidens ihrer Wahrheiten
war Rahel nicht nur die große Kritikerin, sondern auch die große Trösterin, die
in jedes Leid den allein lindernden Tropfen seiner eigenen Wahrheit zu gießen
wußte.
In, dieser
Verbindung von Leidens- und Wahrheitskraft war sie wie zur Freundin ausersehen:
Freundin der Männer wie der Frauen. Viele große Freundesnamen verknüpfen sich
mit dem Namen Rahels. Ihre hohe geistige Bedeutung, der tiefe Zauber ihrer
Menschlichkeit wurden früh erkannt.
Man bewunderte,
verehrte sie weithin. Und Rahel bedurfte dieser Anerkennung. Sie war der Strom,
der ihr stets bedrohtes, stets gefährdetes Lebensschiff trug. Sie hätte ganz
und leidvoll in den Abgrund ihres Seins versinken müssen, wäre sie nicht durch
die Bewunderung und Verehrung der Menschen immer neu sich selbst entrissen
worden: Diese Bewunderung war das Gegengewicht gegen die frühe Verletzung, die
alle ihre Kräfte nach innen trieb, und zugleich eine immer erneute Lösung der
beiden anderen Schicksalsfesseln, gegen deren Druck sie sich leidenschaftlich
aufbäumte.
Als die eine
dieser ursprünglichen Fesselungen ihres Lebens empfand Rahel es innerhalb des
Kreises, in dem sie lebte, Jüdin zu sein. Ihr bedeutete auf lange Zeit hinaus
das Judentum nichts als dies. Einmal hatte sie schon im Elternhaus keine
lebendige Religion mehr vor sich gesehen; zum zweiten war sie ganz mit jenem
Lebens- und Kulturkreis verwachsen, in dem die Wahrheiten und Wirklichkeiten
der Religion zu Symbolen entwirklicht waren, in dem so die Kultur weithin zum
Ersatz der Religion geworden war. Und schließlich kam zu dieser ästhetischen
Auflösung aller religiösen Wirklichkeit als drittes noch die tief rationale
Anlage von Rahels Natur hinzu, die ihr jede Festlegung auf ein bestimmtes
Religionsbekenntnis unmöglich machte. So blieb ihr vom Judentum nur das soziale
Ausgeschlossensein, und das Gefühl dieses Ausgeschlossenseins hat, so wenig
Nahrung es eigentlich in ihrem Leben finden konnte, bei der geringsten
Vernachlässigung, die ihr widerfuhr, ja auch ohne sie, in ihrem von Bewunderung
und Verehrung getragenen Leben eine schmerzhafte Druckstelle erzeugt, die erst
am Ende ihres Lebens ausheilte.
Diese tiefe
Empfindlichkeit Rahels – die letzthin weit tiefer noch begründet ist als in
ihrem persönlichen Schicksal – wäre doch zugleich nicht zu verstehen ohne den
grenzenlosen leidenschaftlichen Glücksanspruch ihrer Natur. Diese Natur reich,
übergewaltig, voll brennenden Schönheitsdurstes und überschwänglicher
Glücksfähigkeit, war und verlangte in allem Leben das Ganze. Jede Grenze, jede
Beschränkung, jede Andeutung eines Ausgeschlossenseins an irgendeinem Punkt
mußte ihr das Unerträgliche sein. Rahel wußte genau, daß wie sie sagt, »von
Natur ich zum Unglück nicht gemacht
bin. Die war üppig stolz, übermütig vor Freude, als die Erde mich empfing; aber
weiter ging es schlecht; daher der
Bruch.« – Was aber diesen Bruch vielleicht am schmerzlichsten vertiefte, war
die dritte Fessel, die Rahel ihrem Leben ursprünglich angelegt fühlte. Ihr
fehlte das Lebensgut, das die eigentliche Machtquelle und der wahre Zauberstab
der Frau ist und dies vor allem in Rahels Händen gewesen wäre: Schönheit. Jene
beglückendste Schönheit vor allem, die Wohlgefallen an sich selbst ist. Rahels
zierliche Gestalt und lebensprühendes Gesicht waren gewiß nicht ohne einen
großen geistigen Reiz, nicht weniger als die Carolinens, die Bettinas – aber
während Caroline und Bettina ihr eigenes Äußere entzückt ergriffen und seinen
Reiz nutzten, erschien Rahel das ihre nicht nur unangemessen und völlig
unfähig, ihren inneren Gehalt auszudrücken – sondern es war ihr geradezu
zuwider. »Ich bin eine Falschgeborene und sollte eine Hochgeborene, eine schöne
Hülle für meinen wohl ergiebigen inneren Grund sein« – dieser schmerzvolle
Ausruf drückt die stets empfundene Dissonanz ihres ganzen Lebens aus. Sie fühlte,
wie sehr ihr dadurch die Freiheit, die Leichtigkeit, die Selbstverständlichkeit
des Handelns fehlte, die sie an ihrer Freundin Pauline Wiesel, der schönen
blonden Geliebten des Prinzen Louis Ferdinand, so leidenschaftlich bewunderte,
daß sie ihr einmal in einer verzweifelten Stunde schrieb: »Es gibt nur
Eine Tugend: Mut – aber unser Charakter liegt in unserer Gestalt; ich sehe
nicht aus wie Sie, kann Ihren Mut nicht haben und Ihr Schicksal nicht.« So kam
Rahel in dem Gefühl der Unangemessenheit ihres Äußeren auch die innere
Schönheit: jene beglückende Harmonie des Lebens mit sich selbst abhanden, die
Carolinens wie Bettinas bezwingender Zauber war.
Und Rahels ihr
eingeborene leidenschaftliche und tragische Beziehung zur Schönheit vertiefte
noch die Kluft zwischen Sehnsucht und Besitz. In dieser Kluft lag zweifellos
der letzte Grund ihrer scheuen Zurückhaltung gegenüber Goethe, dessen hohe
Schätzung ihres Wesens sie kannte und der sie selbst mehr als einmal aufsuchte.
Noch tiefer
aber offenbart sich dies Verhängnis ihres Lebens darin, daß es sie nicht in der
Reihe ihrer geistigen Freunde die Männer finden ließ, zu denen ihre größten
Leidenschaften sie zogen. Man sucht das rätselhafte Geschick zu deuten, zu
ergründen, das diese einzige Frau Männern, die weit unter ihr standen,
gleichsam wahllos überantwortete: Männern voll äußeren Zaubers, edler Formen,
schönen Gesichts – und es ist, als ob sie in ihnen gerade mit der letzten
geheimsten Kraft ihres Seins die andere Seite des Lebens hätte suchen müssen:
das, was sie am meisten liebte und was ihr am meisten versagt war – als ob in
der Schönheit eines Gesichtes ihr das ewige Bild der Schönheit selbst
erschienen wäre: jener ihr fernsten Göttin, nach der ihre Sehnsucht zeitlebens
vergeblich ging. Ihre Liebe hat etwas von der sehnsüchtigen Beschwörung Helenas
durch Faust; sie ist gleichsam der umgekehrte Pygmalionmythos, die eigentlich
männliche schöpferische Form der Liebe: aus dem schönen Äußeren, das ihr das
Schicksal entgegentrug, schlug sie mit bildender Kraft die innere Gestalt eines
Menschen hervor, der nie gelebt hatte und nur durch ihre brennende Sehnsucht
lebte. Vor ihm sank sie anbetend nieder.
Ihn, diesen
selbstgeschaffenen inneren Menschen, strebte ihre Seele durch ihren Schöpferkuß
zum Leben zu erwecken.
Und doch liebte
Rahel nicht blind. Wenn sie einmal sagt, der antike Mythos habe darin geirrt,
daß er den Gott der Liebe blind dargestellt habe, er sei vielmehr besonders
klarsichtig, so hat sie von ihrer eigenen Liebe gesprochen. Denn ihr wurde nie
die wohltätige Binde um die Augen gelegt, die die Liebe einer so gewaltigen
Natur allein zu einer glücklichen hätte machen können. Mit hellwachen Augen
mußte sie ihrer eigenen Liebe, ihrem eigenen Schicksal zusehen und doch war in
ihrem hingebenden Herzen die tiefste Sehnsucht nach selbstvergessener Demut und
Unterordnung angelegt, und niemand hat sich aufatmender, seliger, erlöster
gebeugt als Rahel. In einer persönlichen Liebe ist ihr dies nie vergönnt
gewesen. Denn schon in ihrem hingegebenen Liebes- und Schöpfertraum erblickte
ihr ewig wacher Geist die Wahrheit. Sie sah sich selbst wie durch den Nebel
ihres Traumes in ihrer wahren Lebensgröße vor der geliebten selbstgeschaffenen
Seele knieen; sie sah unter sich klein und zusammenschrumpfend die Gestalt des
wirklichen Geliebten. So wurde ihre Liebe Verzweiflung, Aber sie ergab sich
nicht, sie gab nicht nach, sie rang, »die ihr übrige Liebe anzubringen«. Zu
mächtig war die Schönheit des erblickten Bildes, zu groß der Zauber, der aus
den geliebten Zügen auf sie eindrang – auch wenn ihn jede Äußerung des Anderen
Lügen strafte.
Im Winter des
Jahres 1795,24 Jahre alt, lernte Rahel den Grafen Karl von Finkenstein kennen, einen jungen Mann von blondem
aristokratischem Äußeren, dessen Schönheit ihr Herz vom ersten Augenblick an
verfiel. Auch er verliebte sich in Rahel; er fühlte, daß sie das Beste in ihm
frei machte und ans Licht hob; er fühlte sich von ihrem Geist wie von einer
Sonne angestrahlt. Sie verlobten sich. Aber sehr bald schon wird die Hohlheit,
die Nichtigkeit seines Wesens gegenüber dem Rahels deutlich. Das Höchste wird
ihm auf die Dauer unbequem und drückend. Das Drängen der gräflichen Familie,
keine Bürgerliche, keine Jüdin zu heiraten, fällt auf fruchtbaren Boden. Sowie
Rahel es merkt, zieht sie sich zurück. Sie löst die Verlobung. Aber noch lange
geht die Beziehung hin und her. Unendlich schwer hat Rahel sich losgerissen.
Noch nach elf Jahren, als Finkenstein sie, die längst durch andere
Leidenschaften gegangen war, in anderen Beziehungen stand, besucht und unbefangen
den Wunsch äußert, sie möge seine Frau kennenlernen, schreibt Rahel: »Dein
Mörder! dacht ich... Tränen kamen mir in den Hals und in die Augen, daß ich ihn
ganz ruhig, ganz beruhigt über mich sitzen sah. Wie eine ihm zugestandene
Kreatur fühlte ich mich, er hat mich verzehren dürfen.«
Aber einige
Jahre nach dem Bruch mit Finkenstein, 1802, trat erst der Mann in ihr Leben,
dem ihre gewaltigste und erbarmungsloseste Leidenschaft gehörte: Don Raphael d’Urquijo. Er war
Legationssekretär bei der spanischen Gesandtschaft, ein geistig einfacher, aber
moralisch ernsthafter und korrekter Mensch von südlicher männlicher Schönheit.
In seinem Gesicht lag für Rahel ein
Zauber von solcher Gewalt, daß Himmel und Erde davor verblaßten. Sie selbst hat
später dies vollkommene Verfallensein bezeichnet als ihre größte »turpitude«.
»Dieser Fleck war faul«, schrieb sie. »Obgleich es die reinste Flamme war, die
mein Herz verbrannte, von ihm selbst entzündet. Ich log. Die schönste Lüge, die
einer wahren großen Leidenschaft. Ich log, um mir das Leben zu fristen. Ich
log; ich sprach die Forderungen meines Herzens, die Gebühren meiner Person
nicht aus, um das mörderische Nein nicht in Worten zu hören; ich ließ mich
ersticken; ich wollte mich nicht durchbohren lassen: elende Feigheit; ich
wollte, Unglückselige! das Leben des Herzens schützen. Ich stellte mich vor;
ich stellte mich hinter; ich bog und bog und bog.« Sie verbog ihr ganzes Wesen,
um dem Geliebten zu gefallen, ihm nur faßlich zu sein. Sie suchte, einfach zu
scheinen, ruhig, gleichmäßig. Sie rang wie wahnsinnig mit ihm um seine Liebe.
Varnhagen hat
später von ihren Briefen an Urquijo und von ihrem Tagebuch aus jener Zeit (die
beide vernichtet sind) gesagt, daß, was von Goethe und Rousseau in dieserArt
bekannt sei, nur selten an die gewaltige Lebensfülle dieser Blätter
heranreiche, und daß vielleicht einzig in Rousseaus Briefen an Madame
d’Houdetot, die er selbst als unvergleichlich mit allen anderen bezeichnet, ein
ähnliches Feuer gebrannt haben möge.
Die Zeit der
Verlobung mit Urquijo war die namenloseste Qual in Rahels Leben. Er, einfach
und gerade, mit der primitiven Auffassung des Südländers von Liebe und
Leidenschaft, war völlig unfähig, ein Geschöpf von den Ausmaßen und der Art
Rahels zu begreifen, geschweige denn ihre Liebe, die sich wie ein unheimlicher
Koloß vor ihm aufrichtete. Um so weniger, als er keineswegs hoch von sich
dachte, sondern im Gegenteil gequält war von dem, was man heute
Minderwertigkeitsgefühle nennen würde. So mußte es ihm vollkommen unverständlich
sein, daß dies bewunderte, gefeierte Mädchen mit den vielen bedeutenden
Freunden ihr Herz mit solcher Gewalt an seine unbedeutende Person hängen
konnte. Er begann Rahe! und ihre Liebe zu fürchten; er strebte, sie zu kränken
und zu demütigen; er ahnte, daß nicht er selbst es sein konnte, den sie liebte;
er blickte um sich, hinter sich: er suchte seinen verborgenen, schattenhaften
Rivalen: er quälte sie mit einer fast brutalen, sinnlosen und demütigenden
Eifersucht.
Viele Jahre
später hat Rahel von Urquijo gesagt, er sei ihr gegenüber so unschuldig gewesen
wie das Beil, das einem großen Mann den Kopf abhaut.
Als sie sich
nach schwersten Kämpfen und Demütigungen blutenden Herzens von ihm losriß,
wußte sie, daß sie sich der Verzweiflung übergab. Daran, wie sie diese
Verzweiflung auf sich genommen und überwunden hat, zeigt sich wieder klar ihr
tiefer Wesensunterschied zu Caroline. Wir sahen, daß Caroline sich nie in die
Tiefe eines Schmerzes völlig hinabsinken ließ, daß sie sich weigerte, bis auf
den Grund zu leiden, sich vom Schmerz zerstören zu lassen; daß sie immer
strebte, sich zu bewahren, weil ihre Lebensform die Form selbst war. – Ganz
anders Rahel. Sie war im Grunde ihres Lebens nicht weniger sicher als Caroline
aber ihre Sicherheit war nicht die des noch in der äußersten Leidenschaft
festen und kühlen Herzens, sondern die der edelsten Leidenschaft selbst. Rahel
bewahrte sich nicht. Sie gab sich ihrer Liebe, ihrem Schmerz mit einer Größe
des Vertrauens ohnegleichen hin. Ihre Liebe war souverän, schenkend, königlich;
sie war reich und überschwänglich wie ein wild blühender Baum, der seine Düfte
fraglos dem Wind überläßt. Rahel besaß in seltenstem Maße die Kraft der Hingabe
und des Vertrauens an die Mächte des Lebens.
Darum kannte
sie kein Beiseiteschieben, kein Unterdrücken des Schmerzes, nur eine lebendige
Überwindung. Überwinden kann man aber nur das, was man bis in die letzte Tiefe
durchgelebt, ganz zu Ende gelebt hat. Auch Rahel war das Leiden, freilich in
einem ganz anderen Sinne als Caroline, etwas Nichtseinsollendes: ihr war es
nicht Zerstörung der Form, sondern Verwirrung und Verschüttung einer
ursprünglich klaren und gesetzhaften Lebensordnung, die mit der Wahrheitskraft
des ganzen Wesens zu durchdringen und aufzuheben darum für sie die mit dem Schmerz
selbst unmittelbar gegebene Aufgabe war. Ihre ganze Natur drängt mit
ursprünglicher Gewalt der durch das Dunkel der Verzweiflung verwischten und
verlorenen Wahrheit und Klarheit zu, in der sie allein atmen kann. Ihr Geist
arbeitet mit fieberhafter Kraft seiner eigenen Verletzung dem zerstörenden
Andrang des Lebens entgegen; sie selbst spricht einmal von dem seelischen Leid
als einer Wunde, die jedes Lebensprinzip fieberhaft entzündet. Niemals arbeitet
ihr Geist kräftiger und hellsichtiger als im dunkelsten Leid. Es gibt nichts
Erschütternderes, als inmitten des wehesten und klagendsten aller Briefe
Rahels, wo ihr ganzes Leben zertrümmert zu ihren Füßen liegt, wo sie eine ganze
Tränenflut über ihrem Herzen fühlt, das Wort aufgehen zu sehen: »Sie können sich
das ewige Erblühen meines Lebens gar nicht denken.«
Entgegen also
dem eigentlich menschenunwürdigen Weg zur Befreiung vom Leiden: dem
Fortschieben und Vergessen, geht der Rahels: was sie frei macht, ist die alle
Geisteskräfte aufrufende Erinnerung. Erinnerung als die Kraft der lebendigen
Einverleibung, aber auch als die der Einbettung des Einzelnen in einen großen
Gesamtzusammenhang des Lebens. Indem sie von sich sagt: »Darum bin ich nur so
erschrocken, wenn mir etwas widerfährt, weil es auf ewig ist« – muß sie sich
zugleich den Stachel wach und wissend immer tiefer ins Herz drücken, muß alle
Zusammenhänge ihres Leidens sich klar und klarer machen, muß es in immer höhere
und weitere Wesenszusammenhänge aufsteigen sehen und, unmittelbar im brennenden
Leid über sich selbst hinausgeführt, erkennen: »und alles erinnert mich an
alles. « So spricht sie vom Leben der Menschen, der Staaten in einem Atem mit
ihrem wilden unergründlichen Schmerz; es ist alles dasselbe, alles aneinander
angeschlossen, alles einander klärend; nichts erscheint ihr mehr einzeln,
losgelöst vom andern; durch ihr Erinnern selbst dringt sie hinab in den
Wahrheitszusammenhang der Dinge überhaupt.
Erinnerung:
intensives Bewußtwerden der Lebenszusammenhänge als Heilkraft der Leidenschaft
– zwei weit getrennte Namen steigen dabei vor uns auf: Spinoza und Freud. Und
wirklich weiß Rahel bereits wie Freud – und wieder wie Spinoza: daß selbst
physischer Schmerz nur Verwirrung ist, in die wir nicht einzudringen vermögen.
Beide aber:
Spinoza und Freud, sind, wiewohl nach entgegengesetzten Seiten hin, der
äußerste Gegensatz zu aller Romantik. Und dies Wissen stammt auch bei Rahel
nicht mehr aus der romantischen Welt; es stammt aus einer noch tieferen, von
der Romantik nur überdeckten und umgewandelten Schicht: aus der ursprünglichen
Beziehung ihres Wesens zum Gesetz, auf der ihre ganze Weltanschauung letzthin
ruht.
Man könnte
diese Weltanschauung einen verlebendigten Spinozismus nennen; denn zugrunde
liegt ihrem gesamten Erkennen und Wissen, wie dem Spinozas, die ursprünglich
erlebte göttliche Gesetzlichkeit der Welt. Auch Rahel ist es wie Spinoza gewiß,
daß der Grund der Welt reine Wahrheit ist, daß all die unendliche Wirrnis und
Verwirrtheit der menschlichen Schicksale und Gedanken auf nichts anderem ruht
als auf der Blindheit und Unwissenheit der Menschen. Und auch sie erkennt
darum, daß all das Bittere, Verwirrte, Falsche, das wir selbst auf das Leben
gehäuft haben, mit der Klarheit des Erkennens zu durchdringen unsere
menschliche Bestimmung ist. Aber es ist ein anderes Erkennen. Während Spinozas
Überzeugung und Lehre die ist, daß der ursprünglichen Göttlichkeit und Wahrheit
der Welt der Geist nur durch immer reineres Denken sich annähern könne, sucht
Rahel, als Schülerin Goethes, als Romantikerin den Weg zur Klarheit und
Wahrheit mit ihrem ganzen Leben. Zerstreuung des Verwirrten und Trüben, das
Erfahrung um uns häuft, geschieht ihr nicht allein durch die Kraft des Denkens,
sondern durch lebendige Überwindung. Während Spinozas Geist sich von der Fülle des
Lebens abwandte, wirft Rahel sich einem mutigen Schwimmer gleich mit der ganzen
Kraft ihres Daseins hinein. »Man ergibt sich der Liebe – guter oder schlechter
– wie einem Meere, und nun bringt Glück, Kräfte oder Schwimmkunst dich über;
oder es verschlingt dich als sein. Drum sagt Goethe: wer sich der Liebe
vertraut, hält er sein Leben zu Rat?«
Auch sie ergibt
sich nicht blind. Sie erkennt die Gefahr. Aber sie weist das Schwerste nicht
ab. Sie trinkt das Leben in seiner ganzen unsäglichen Bitterkeit hinunter –
trinkt es ab vom reinen Kelch der Wahrheit. Und nun geschieht es: nun kommt das
Wunderbare: »Unverhofft wird’s veilchenartig, aromisch, süß genug; und hell um
uns her und ruhig . . . nach dem herben, mutverlangenden Abtrinken ist reiner
Grund und Wahrheit da.« So wird ihr das Leid zur letzten Prüfung menschlicher
Kraft. Es ist ihre tiefste Überzeugung, daß jeder, um bis an die äußersten
Grenzen seiner Kraft geführt zu werden, in dem gekränkt werden müsse, was ihm
das Empfindlichste, Unleidlichste sei. »Wie er da herauskomme, ist das
Wesentliche.«
Diese
Weltanschauung Rahels, der die Verwirrung durch Liebe und Leid zugleich der
gewaltigste Stachel zur Klärung des Lebens ist, ist im Letzten getragen von
einer eigentümlichen jüdischen Grundkraft, deren kein großer jüdischer Mensch
je ermangelt hat: der über dem Abgrund selbst aufblühenden Kraft zur Freude: zu
jener kühlen Seligkeit des amor Dei Spinozas wie zu der überschwänglichen
brennenden Freude der Psalmen und des Hohen Liedes, jenem Grundgefühl, das die
chassidische Mystik das Brennen nennt und das hier schon erlebt zu haben, sie
als die Bedingung zur Erlangung der ewigen Seligkeit ausspricht.
Es ist die
Freude im Gesetz, die reine himmlische Freude an der Göttlichkeit des Lebens
selbst, deren Überschwang im Geiste, sobald er dem Leben rein zugewandt ist,
heraufsteigt. Auch Spinoza war die Freude nur das Zeichen für das Beisichsein
des Geistes, sein natürlicher Zustand. Und ebenso war für Rahel die
Festlichkeit des inneren Überflusses, des über den engen Kreis des Persönlichen
unmittelbar hinauslebenden Menschen, diese strahlende Beglückung im Geiste eins
mit der Gewißheit, an der Wahrheit, am Weltgrund selbst Teil zu haben – wie sie
in der Entfaltung des eigenen Wesensgesetzes gewiß war, das Gesetz der Welt
selbst mitzuentfalten. Und hier, in diesem großartigen Gesetzes- und
Wahrheitsoptimismus liegt aller persönlichen Disharmonie ihres Wesens zum Trotz
dennoch sein unendlich tieferes endgültiges Gleichgewicht, ist ihr Leben, ihr
selbst unbewußt, mit seiner Wurzel aus der leichten schwebenden romantischen
Welt gelöst und der festen schweren Welt ihres Ursprungs verhaftet. – Aber
damit bringt das Gewicht ihres Lebens das zarte Spinnengewebe der romantischen
Welt selbst in Gefahr. Dies leichte Gewebe, in dem Carolinens schwebende Seele
so ruhevoll hing wie die Spinne, die es hervorzaubert, mußte unter Rahels
schwerer Seele erzittern und zerreißen, und ihre Seele selbst mußte sich in den
schwankenden Fäden verwickeln und verwirren.
Die Welt der
Romantik ist eine christliche Welt; sie ist es nicht nur durch die Hinwendung
der meisten Romantiker zum Christentum: sie ist es ihrer geistesgeschichtlichen
Struktur nach. Denn mit dieser ist sie tief in der christlichen Erinnerung
verwurzelt: in der Erinnerung daran, daß einmal das Göttliche im Irdischen
Wirklichkeit geworden ist in dieser fundamentalen Erinnerung, die in immer
neuen Abwandlungen das ganze Geistesleben des Abendlandes bis in seine
spätesten ungläubigen Epochen hinein bestimmt.
Die schwebende
Leichtigkeit der Romantik stammt daher, daß in ihr diese Erinnerung ganz in
Geist gewandelt wiederkehrt, d.h. nicht als Erinnerung der gläubigen Seele an
den realen, einmal erschienenen Gottmenschen – sondern als mystisches Vertrauen
der bereits ungläubigen Seele zu der Göttlichkeit der menschlichen Seele
überhaupt – als Vertrauen also zu ihrer eigenen Göttlichkeit – wie wir es am
unmittelbarsten in Carolinens Leben verwirklicht finden.
Dies Vertrauen
zu ihrer eigenen Göttlichkeit ist der jüdischen Seele fremd. Für sie ist das
Göttliche nie in das Irdische eingekehrt; sie ist für immer dem Gebot des
Gottes treu geblieben, von dem ein Bild im irdischen Stoff sich zu machen
verboten ist. Damit ist sie im Irdischen heimatlos geblieben. Sie lebt nicht in
der endlichen Erinnerung, sondern in der unendlichen Hoffnung – ist reine
Sehnsucht, ist selbst der unüberbrückte Abgrund zwischen dem Hier und dem Dort.
So kann für den
jüdischen Menschen die Selbstgewißheit der romantischen Seele, das Vertrauen
auf den Gott in der eigenen Brust immer nur ein geliehenes sein; die innere
Stimme tönt hohl und fremd aus einem Sein herauf, das nicht Gewißheit ist,
sondern Abgrund: für Gott geöffneter, von ihm leer gelassener Abgrund. Denn den
übermächtigen Gott der absoluten Ferne kann die Seele in der romantischen Welt
nicht mehr finden. So hängt sie hier völlig im Leeren. Der Geist, durch den sie an der Romantik teilhat, verschleiert ihr ihre
Lage; aber ihre Sehnsucht kann er niemals stillen. Dieser vom Geist verdeckten
Gottsehnsucht aus dem Abgrund der Leere entspringt die romantische Liebe der
jüdischen Seele, die in einer Welt ohne Gott, in der alles allein auf die ihr
wesensfremde Göttlichkeit der einzelnen Seele gestellt ist, hoffnungslose
Leidenschaft ist.
Denn was die
Seele über sich nicht mehr findet, was sie in sich selbst nicht finden kann,
das sucht sie nun im Anderen. Und so erscheint ihr in ihm dennoch das Bild, das
sich zu machen verboten ist. Der radikale Fremdling auf Erden glaubt eine
Heimat gefunden zu haben – nicht in sich selbst: im göttlichen Spiegel seines
Selbst. Und er stürzt sich in diesen Spiegel – nicht wie Narziß, den
schmeichelnd mit ziehenden Wellen sein eigenes Bild umfängt – sondern als ein
Rasender, der den fremden gläsernen Spiegel, dem er sich entgegenwirft, mit der
Gewalt seines eigenen Sturzes zertrümmert und als ein Todwunder in ihm hängen
bleibt. Denn in das Bild, das aus ihm der Seele entgegenstrahlte: ihr Bild und
zugleich – und je schöner es ist um so mehr Bild Gottes, warf sie ihr Ziel: das
ungeheure nur jenseits der Welt zu erreichende Bild ihrer Hoffnung. Der
versteht die Liebe Rahels, die Liebe der jüdischen Seele in der Romantik nicht,
der meint, es könne in ihr ein Rückhalt und Vorbehalt gegen ihre Liebe sein. Wo
er dennoch ist, da ist er Qual und Verrat an ihr selbst. Nur restlose,
bedingungslose Hingabe kann diesem Dienst an der Vertretung des absoluten Ziels
genügen.
Und da der Weg
Dorotheas: ihre schrankenlose Liebe einmünden zu lassen in eine große religiöse
Welt, Rahel aus einem anderen Wahrheitsgefühl heraus versagt war, so wurde bei
ihr die Liebe notwendig zu jener »Anstrengung der Leidenschaft, die uns übrige
Liebe anzubringen«, die jedes ihrer Liebesschicksale Rahel auferlegte. Denn
diese übrige, ewig übrige, überschüssige Liebe kann im anderen Menschen gar
nicht den ihr angemessenen Gegenstand finden, weil sie im Grunde immer Gott
meint. Und wenn Rahels Liebe sich mit blinder Gewalt bloßen Bildern ihrer
Sehnsucht entgegenwarf, denen sie allein Wert und Wesen lieh, so erscheint dies
als die tragisch reine Vollendung des mit ihrem Sein ursprünglich gegebenen
Schicksals. So ist die Romantik Rahels nicht eine in der vergeistigten
Erinnerung wurzelnde der stillen Sicherheit – sondern eine in der entleerten
Hoffnung wurzelnde der reinen Leidenschaft. Nicht erlösend für sie selbst und
für die Menschen, wie die Romantik Carolinens, sondern den Urgrund des Lebens,
die Übermacht der Gewalten erschließend wie ein Erdbeben, wie ein Unwetter, in
dem die Allmacht Gottes vorüberzieht. –
Und doch – das
ist das seltsam Unheimliche in Rahels Leidenschaft – ist dies gewaltige
Geschehen eben als Romantik auch schon zuvor entwirklicht. Rahels Gestalt ist
der romantischen Welt so tief und unentrinnbar eingeordnet, daß all ihr Leben
und Lieben durch sie reine Innerlichkeit geblieben ist. Damit hat sie die ganze
Sturmflut ihrer Leidenschaft zurücknehmen müssen in ein Leben, das sie seiner
Art nach nicht in sich fassen konnte – und dies ist sicher der allerletzte
Grund der durch ihre persönlichen Schicksale nur verstärkten Disharmonie und
Verzerrung ihres Wesens.
Sich selbst
anzuschauen, zuzuschauen wie alle Romantik, war diesem Geschehen gegenüber
notwendig eine unerträgliche Verzerrung. Wer hielte einem Erdsturz, einem
Unwetter den Spiegel vor? Gerade dies aber hat Rahel unablässig getan. Dies
Übermaß von Leidenschaft in den Geist zurückzunehmen, wäre nur in einer ganz
großen schöpferischen Gestaltung denkbar gewesen. Im persönlichen Leben
festgehalten und in ihm angeschaut, konnte es nur Verzerrung und Sprengung bedeuten.
Und wenn Rahel von sich selbst sagt: »Gestern habe ich erfunden, was ein
Paradox ist: eine Wahrheit, die noch keinen Raum findet, sich darzustellen und
darum mit einer Verrenkung hervorbricht« – so können wir heute sagen, daß ihre
Wahrheit nicht so sehr eine geschichtlich verfrühte, wie eine in der
geschichtlichen Welt, in der sie lebte, grundsätzlich undarstellbare war.
Darum sank
alles, was in Rahels Leben nicht verzerrt, verrenkt, übermäßig ist, weit unter
seine ursprüngliche Gewalt herab. Das Religiöse, über das sie so unendlich
tiefe Wahrheiten ausgesprochen, das sie im Geist so innig angerührt hat, ist in
ihrem Leben bis zu einem Grade romantisiert, daß es kaum mehr eine Bedeutung
für ihr wirkliches Dasein besitzt. Wenn sie zuletzt so schlicht zu Gott findet
wie ein müdes Kind am Abend nach Hause – so fragen wir uns unwillkürlich, auf
welche Mächte ihres dunklen stürmischen Lebens dieser sanfte erbarmende,
romantisierte Gott, der nicht wie der Gott der großen Religionen zerschmettert
und erlöst, überhaupt antworten konnte; ob er imstande gewesen wäre, einer
einzigen der wirklichen Gewalten ihres Lebens standzuhalten, geschweige denn
sie sich zu unterwerfen.
Nicht ihre
Leidenschaft: dieser wirkliche Urquell ihres Seins ist es, der sie diesem Gott
entgegenführt – sondern die Beruhigung ihres Schicksals, die Dämpfung ihrer
Kämpfe, die vollkommene Einordnung in eine Welt, die immer nur die Heimat ihres
Geistes, nicht die ihrer Seele war. Ihr späteres Schicksal selbst, das sie rein
auf die Ruhe des Lebens im Geist stellte, mag sie solcher stillen Teilhabe an
einem Gott des reinen Erbarmens und Friedens zugeführt haben. Denn auch in
ihrem Leben war, nachdem das Bittere und Trübe, die grenzenlose leidvolle
Verwirrung abgetrunken war, Klarheit und begütigender Frieden. Das Ende ihres
Lebens ist sanft und versöhnend. Ihr letztes Liebesschicksal schließt mit
leiser Hand ihre immer wieder aufgerissene Lebenswunde.
Als wiederum
nach Jahren, 1808, der vierundzwanzigjährige Varnhagen von Ense die um 14 Jahre
ältere Rahel kennenlernt, da fühlt er sofort sein ganzes Wesen vonihr
erschüttert. Unerschöpflich strömen vom ersten bis zum letzten Augenblick Worte
glühendster anbetendster Bewunderung über das Außerordentliche, das ihm in ihr
erschlossen wurde, aus ihm hervor.
Die Beziehung
zwischen Rahel und Varnhagen knüpfte sich schnell; sie ruhte ganz auf seiner
reinen unbedingten Verehrung. Varnhagen selbst war – trotz aller geistigen
Gaben – keine ursprünglich hohe Natur; er fühlte sich Rahel in jeder Hinsicht –
vor allem aber in dieser grundlegenden tief unterlegen. Aber er vermochte, das
Hohe, wo es ihm begegnete, zu erkennen und zu verehren – und was mehr ist: aus
dieser verehrenden Erkenntnis heraus mit allen Kräften seines Wesens sich ihm
entgegenzubilden. »Du bist der bildungsfähigste, wenn ich nicht sagen soll, der
gebildetste Mensch«, schreibt Rahel, die ihn im Anfang oft hart getadelt hat,
ihm später einmal; und sie bezeichnet diese seine Bildung im Gegensatz zu der
natürlich strömenden eines Novalis und ihrer selbst als »einen edlen Aktus des
ganzen moralischen Daseins.«
Aus diesem
edlen moralischen Aktus, aus dieser unendlichen Bildungsfähigkeitheraus hat
Varnhagen auch die seltene Kraft besessen, die Überlegenheit Rahels zeitlebens
zu ertragen. Es geschah in der Gesinnung, die Varnhagen nicht müde wird, mit
Worten wie diesen auszudrücken: »Ich weiß keine Erscheinung, keinen Dichter,
keinen Helden, der mir größer wäre, als ich dich sehe: und du, diese Rahel, als
in bezug auf mich betrachtet, löscht alles andere, was sich aus diesem Gewühl
auf mich bezieht, völlig aus. Ich beteuere es vor Gott, daß die größte Gunst,
die mir zuteil geworden ist, die ist, dich erkannt, dich empfunden zu haben.«
Wie hätte diese
grenzenlose Verehrung und Liebe Rahels Herz nicht auftauen sollen? Hier zum
erstenmal fühlte sie, die Vielbewunderte, aber kaum je in vollem Umfang
Verstandene – und nie zugleich Bewunderte und Geliebte – sich zugleich
verstanden, bewundert und geliebt. Und diese Liebe entspannte langsam all die
schmerzenden Widersprüche und Zerrungen ihres Lebens. Nun endlich erhält die im
Schatten und in der Dürre verschmachtende große Blume Nahrung, reiche
überschwängliche Nahrung, die sie durstig eintrinkt. Niemals wurde ihr
Varnhagens Bewunderung zuviel. Wir erschrecken zuweilen über das Übermaß von
Bewunderung, das sie erträgt. Sie erträgt es, weil sie es braucht, weil es sie
heilt, weil es in ihrem Leben ein Surrogat dessen war, worauf ihr Leben von
früh auf gestellt war: der großen Liebe. Ein Wort wie das Varnhagens: »O Rahel,
wie bist du! Ich versenke mich in Nachdenken über dich! Aus welchen Quellen hat
dich die Natur geschöpft? Sie eröffnete tausend Kristallbrunnen, tausend
Flammenhöhlen, ich müßte in jede hinabgehen, um dich zu ergründen; deine Sinne,
deine Gedanken, deine Herzensempfindungen sind Riesenblüten der Natur in das
Zwergengeschlecht der Geschichte gedrängt« – ein solches Wort mag Rahel, der
niemals wahrhaft Erschlossenen, die die ganze Übermacht eines gewaltigen,
zerstörten, nie zu seiner wahren Wirklichkeit gelangten Lebens in sich brennen
fühlte, nur gerecht, nur wahr erschienen sein. Sie selbst wurde ja nicht müde,
das Wunder ihres eigenen Seins anzustaunen. Alle Fülle, alle lebendige
Wahrheitskraft ihres Wesens, all sein Blühen und Brennen, seine Kraft und
Seligkeit läßt sie in immer neuen Flammengarben vor sich selbst und vor den
anderen aufschießen. Aber wenn uns dies oft fremd berührt – in diesem
Selbstgenuß Eitelkeit oder Verschiebung der Maße zu sehen, wäre falsch.
Wirklich zu verstehen ist diese Haltung Rahels doch erst im Zusammenhang mit
Äußerungen von ganz anderer Art wie dem qualvollen Aufschrei: »Nie kann mein
Gemüt in schönen Schwingungen sanft einherfließen, wozu dies Schöne in der
Tiefe meines geistigen Seins wie in den tiefen Eingeweiden der Erde verzaubert
liegt. O Gott! jede Äußerung – und je kräftiger sie ist! – ein Schmerz!...
Wie richtig,
Geliebter – und wie traurig! – vergleichst du mich – wie überaus witzig! nie
hat man etwas erschöpfend Ähnliches über mich gesagt!! – vergleichst du mich
einem Baume, den man aus der Erde gerissen hat, und dann seinen Wipfel
hineingegraben; zu stark hat ihn die Natur angelegt! Wurzel faßt der Wipfel,
und ungeschickt wird Wurzel zu Wipfel! Das, Lieber, leider! leider! bin ich.« –
So erscheint hier jene ursprüngliche zentrale und schicksalhaft wiederholte
Verletzung von Rahels Wesen wieder, zu der die Voraussetzung so tief in ihrem
Sein selbst angelegt war, daß sie nur das Grundverhältnis ihres Daseins zu
ihrer Welt nachzuzeichnen und es noch gewaltsamer und grausamer auszuprägen
scheint. Und so erkennen wir in dieser ursprünglichen Wunde die wahre Quelle
ihrer Selbstvergötterung wieder. Im Kern getroffen und schicksalhaft immer
wieder getroffen, vermochte sich ihr Leben nur aus der schrankenlosen eigenen
und fremden Anerkennung ihres Wertes wieder aufzubauen.
So ist sie von
tiefer Dankbarkeit gegen den erfüllt, der ihr Leben von seinem Zentrum her
wieder aufgerichtet hat. »Du bist der Einzige in der Welt, der mich liebte, der
mich behandelte wie ich andere«, welche Welt von Schmerz bricht in diesen
Worten der großen gefeierten Frau an den späten Geliebten auf: .»Ja«, fährt sie
fort, »ich bekenne es dir gerne, mit dem ganzen Drang der Erkenntlichkeit: von
dir lernte ich Geliebtsein, und du hast Neues in mir geschaffen... Freue dich,
wenn du wirklich etwas von mir hältst, und mein Leben und Sein für ein
außerordentliches nimmst: du hast es zu einem menschlichen gestempelt.«
Und so konnte
Rahel nach langen Jahren erst der Kämpfe, dann des Wartens und häufigen
Getrenntseins mit Ruhe und Freudigkeit im Herbst 1814 ihr Leben für immer mit
dem Varnhagens verbinden. »Wie könnte mit Dir ein Verhältnis nicht schön sein«,
schreibt er ihr kurz vor der Heirat, »selbst wenn wie an diesem tausendjährige
Gemeinheit zerrt!«
Gewiß war das
Verhältnis schön und ohne Mißklang. Und doch war diese Ehe keine Heimkehr ihres
Geistes und ihrer Seele, wie es die letzte Ehe Carolinens war; aber ihr
verwundetes Herz fand in ihr Ruhe und Trost, ihr Geist anbetende Ergebenheit,
ihr schwacher Körper zarteste Schonung und sie selbst Erfüllung aller ihrer
Sehnsucht nach Schutz, Sorglosigkeit und Geborgensein. Denn auch äußerlich
hatte Varnhagen, der sich aus bescheidensten Verhältnissen durch Begabung und
Fleiß zu einer hohen diplomatischen Stellung emporgearbeitet hatte, ihr nun ein
glänzendes Los zu bieten. Ihr Haus wurde wieder zum Mittelpunkt eines großen
Kreises bedeutender auserlesener Menschen. Und immer wieder ermahnt Varnhagen
sie, nicht zu sparen, sich alles nur Erdenkliche zu gönnen. Und sie, die Zarte,
Schutz bedürftige, die Übersensible, für jede Schönheit, jeden Reiz des Lebens
so unendlich Empfängliche, hat dies immer wieder mit tiefer Dankbarkeit
empfunden.
Und so versöhnt
war sie zuletzt mit dem Schicksal, so sehr waren alle Dämonen ihres Lebens zur
Ruhe gegangen, daß sie auch ihre jüdische Abstammung zuletzt als Beglückung,
als eine Bereicherung ihres Lebens empfand. Nicht im religiösen Sinne, aber als
ein in die Gesamtheit ihres Lebenszusammenhanges aufgenommenes Geschick. Auch
Rahel, wie Dorothea, ließ sich um ihrer Ehe willen taufen; aber während
Dorothea dadurch eine neue Lebensbasis gewann, blieb Rahels Leben davon wie von
einer nur äußeren Veränderung völlig unberührt. Reiner als alle Romantiker hat
sie die Weltlosigkeit des frühromantischen Gedankens auf seine Spitze geführt
und nie den Weg in irgendeine Welt gefunden. Sie mußte bis zuletzt einzig sich
selbst gewachsen bleiben.
Denn auch ihr
Leben mit Varnhagen war doch im letzten Grunde nur eine Steigerung ihrer inneren
Einsamkeit. Wie eine Göttin hob er sie empor auf ein Piedestal, hoch in ihr
eigenes Leben hinein, das er wohl zu begreifen und zu verehren – aber letzthin
doch nicht zu teilen vermochte.
Ein Jahr nach
Goethe – im März 1833 – ist Rahel gestorben. Das ergriffene Lob der Besten
ihrer Zeitgenossen: eines Goethe, eines Jean Paul, eines Schleiermacher, eines
Heine, eines Alexander von Humboldt umleuchten ihre Gestalt. Und nicht wenige
mochten wohl dem Urteil ihres jungen Freundes Alexander von der Marwitz zustimmen:
»Sie mag wohl jetzt das größte Weib auf Erden sein.«
Rahel war groß
und sie war einzig. Groß und einzig vor allem darin, daß die leidenschaftliche
Wahrheitskraft ihres Geistes in ihrem Leben und Denken nichts von persönlicher
Einsicht nicht restlos Durchdrungenes duldete, so daß bei aller unermeßlichen
Fülle von Inhalten und Anschauungen, die sie konstituieren, sie doch als eine
völlig selbständige klare Gestalt vor uns steht. Aber die Selbständigkeit ihres
Geistes wurde im Leben Isolierung. So sehr Rahel um überpersönliche
Lebenszusammenhänge wußte, sich dem Weltgrund verbunden und aus ihm lebend
erkannte – sie lebte doch ihr Leben in seiner Fülle und Bedeutung, als ob sie
sich selbst erschaffen hätte. Nie hat ihr Sein wie das aller großen männlichen
Geister der Romantik den Grund berührt, wo es sich selbst zur Frage wurde. Und
dies, was bei Caroline die stille Sicherheit einer Welt selbst war, mußte bei
Rahel, bei der es aus dem Geist stammte, zur metaphysischen Selbstüber
steigerung werden. Wohl hat gerade Rahel in ihrem intensiven Ringen um eine
Gestaltung ihres Lebens aus der Wahrheit mächtig an das Problem des lebendigen
Existierens gerührt; aber gerade sie blieb auch rein und wie versteinert im
Anschauen ihres eigenen Daseins gefangen. Und so ist gerade sie am tiefsten dem
romantischen Sündenfall verfallen: der Metaphysizierung des eigenen Ich. Die
streng überpersönliche Ich-Idee des Idealismus hat sie wie kaum einer der
Romantiker in das persönliche Ich des Jetzt und Hier herabgerissen. Und diese
romantische Selbstmetaphysizierung wurde bei ihr darum so endgültig
verhängnisvoll, weil ihr völlig der Weg zu den beiden entgegengesetzten
Überwindungsversuchen der Romantik fehlte: zur Ironie und zur Einordnung in
einen bestehenden Religionskreis.
Zur Ironie, die
Caroline so lieblich zu leben wußte, fehlte Rahel die leichte schwebende
Selbstsicherheit der Seele im Göttlichen, die unmittelbar allem Einzelnen
seinen letzten Ernst nimmt. An dem anderen Weg über ihr persönliches Dasein
hinaus: dem in eine allgemeine Religionsgestalt hinderte sie gemäß der
geschichtlichen Paradoxie, in der sie lebte, gerade ihre ursprüngliche
Verwurzelung im Gesetz, die in der entgotteten modernen Welt als abstrakter
rationalistischer Verstand, in der Romantik als rein inneres Gesetz wirkte.
Es hätte nur
einen Weg gegeben, auf dem Rahel sich unbedingt zu überschreiten vermocht
hätte: eine große erfüllende lösende Liebe. Aber diese Selbstüberschreitung
wäre bei Rahel Selbstauflösung geworden. Und so erscheint es noch einmal als
letzte Notwendigkeit wieder, daß gerade dieser Weg ihr von einem Schicksal
verschlossen wurde, das ihr an Stelle der Liebe immer wieder die ungeheure
Anstrengung der Leidenschaft auferlegte, daß immer wieder ihr Herz in sich
zurückgeworfen wurde und keine Macht sie sich selbst zu ihrer wahren Blüte und
Frucht entrissen hat.
So trieben, wie
sie selbst es früh erkannte, all ihre Kräfte nach innen, in ihr eigenes Selbst
zurück und überfüllten es in seinem Kreislauf. Wurzel wurde zu Wipfel. Rahel
hat nicht nach den schlichten ewigen Lebensgesetzen die breite schattende Krone
eines großen Werkes oder eines ganz erfüllten Lebens aus ihrer herrlichen
starken Wurzel entfalten dürfen, sondern nur ihr unterstes persönlichstes Sein
in einer Welt, in der es keinen Raum haben konnte und schon durch sein Übermaß
beängstigend wirkte, unverwandelt der Luft, dem Himmel, dem Blick der Menschen
dargeboten. So erschreckt sie uns: das Allzupersönliche, das Übermaß des
Persönlichen stößt uns in seiner Größe selbst zurück.
Rahels große
Gestalt ist mit der durch Natur und Geist und Schicksal zugleich in ihr
angelegten einsamen Tragik gerade für unser heutiges Gefühl das, was man in der
bildenden Kunst »übermodelliert« nennt. Eine Übergestaltete hat sie Brentano
genannt. Dadurch daß sie sich nirgends selbst begrenzt, sich in keinen Weg zu
einem gemeinsamen Ziel, in keine gemeinsame Lebensform eingefügt hat, daß sie
mit keiner Arbeit, keinem Beruf, keinem Werk, mit keinem Tun oder Bekennen sich
in den gemeinsamen Lebenshintergrund eingeordnet hat, daß die Überfülle weder
ihres Lebens noch ihres Geistes den Ausweg gefunden hat in eine Form, blieb für
sie der ganze Gehalt des Lebens um das Phänomen ihres persönlichen Daseins
konzentriert. Es erscheint fast wie symbolisch für Rahels Schicksal, daß ihr
die Einordnung in das allgemeine Leben selbst in der einfachsten naturgegebenen
Form versagt war: daß sie zu ihrem Schmerz nicht Mutter werden durfte.
Wurzel wurde zu
Wipfel. Nicht das Maß, die Vollendung, die natürliche Harmonie des Lebens mit
dem Leben waren der Sinn von Rahels Dasein, sondern das Übermaß und seine Qual.
Und wenn wir in dem späten Wort ihres Freundes Gentz: »Sie allein sind, bei dem
lebendigen Gotte, Ihr ewiger Typus und Archetypus«, eine hingerissene
Bestätigung ihrer metaphysischen Selbstanschauung finden, so erkennen wir auch,
ihr Leben überblickend, wie teuer diese überwältigende Einzigkeit Rahels
bezahlt ist. Die Weltgerechtigkeit selbst scheint sich in ihrer ergreifenden,
durch Anlage und Verhängnis, durch persönliches und geschichtliches Schicksal
gleich mächtig gezeichneten und ausgezeichneten Gestalt zum Wort zu melden. Ein
Wort, das der alte Alexander von Humboldt lange nach ihrem Tod und ohne Bezug auf sie an Varnhagen
schrieb, hat sich an Rahel bewahrheitet: »Soviel in einer Person kann zum Übel
führen. Der Weltlauf erträgt vieles nicht, am rächenden Kompensationssystem von
Freude und Leid.«
Bettina
Aber
göttlich und außerordentlich
reimt sich
Bettina
Wie in dem
Leben Carolinens so ist auch in dem Bettinas ein romantisches Frauendasein aus
dem eigenen Inneren gestaltet. Das pflanzenhafte Emporwachsen aus vorgegebenem
Keim ist dem Leben Carolinens und dem Bettinens gemeinsam. Aber der Keim selbst
ist ein verschiedener. Während er bei Caroline der mystische Mittelpunkt ihres
ganz persönlichen Daseins war, aus dem sie lebte, war es bei Bettina der
schöpferische Geist.
Nur in jenem
einen geschichtlichen Augenblick und in dieser einen sogearteten Persönlichkeit
war dies Phänomen möglich: daß der Geist, der reine, in sich selbst ruhende
romantische Geist zum subjektiven Leben selbst werden konnte. Denn Bettinas
Leben umspannt bereits in seiner Ursprünglichkeit den ganzen geistigen Gehalt
der romantischen Welt. Sie, die achtzehn Jahre später als Caroline geboren war,
hatte von der Romantik gleichsam nichts mehr zu empfangen; sie war als
Romantikerin schon geboren. Sie scheint überhaupt nichts von außen zu ihrer
Vollendung aufnehmen zu müssen; wie eine große lebendige Pflanze schießt sie
fertig in hinreißender Blüte aus dem Boden der Romantik empor. Es ist das
Eigentümliche, das vollkommen Einzige dieses Lebens, daß in ihm der Geist nicht
weniger reine Unmittelbarkeit ist, als es in dem Leben Carolinens der
persönliche Mittelpunkt war. Denn er lebt in ihr nicht abgelöst, personlos; er
lebt in ihr als rein subjektive persönliche Macht. So ist nur die Art der
Unmittelbarkeit verschieden. Bettinas Dasein zeigt nicht jene still in sich
ruhende mystische Gewißheit, die sich selbst nicht aussagt, die nur aus sich
lebt; es ist vielmehr wie ein unablässig strömender Quell, der aus dem Innern
der Natur, des Lebens selbst emporsteigt und alles um sich her mit seinen
Strahlenperlen überschüttet.
Darum ist hier
dem Geist seine Bahn mit nicht minderer Sicherheit und Unentrinnbarkeit, ja, mit
noch größerer Klarheit vorgezeichnet als dem Leben Carolinens. Selbst die
Verwirrung des Augenblicks bleibt Bettina erspart, weil alles in ihrem Leben
schon ursprünglich vom Geist vorgeformt und durchleuchtet ist.
Aus der reinen Unmittelbarkeit
dieses Lebens, das niemals abstrakt, niemals allgemein, niemals von außen her,
nie mit irgendeiner Absicht – sondern immer mit einer unmittelbaren sinnlichen
Gegenwärtigkeit die Dinge ergreift, quillt das eigentümlich Schlagende,
Auftreffende, aber auch das oft Seltsame, Bizarre und in alldem immer
Überraschende von Bettinas Äußerungen. Es sind Äußerungen eines immer einzig
sich selbst aussprechenden, um alles von Menschen Gesetzte unbekümmerten
Wesens. Bettina geht nicht auf gebahnten Wegen; sie fliegt. Der Geist hat ihrem
Leben die Schwingen gelöst. Wie im Märchen, wie im Traum hat es die allgemeine
Straße verlassen, hängt es sich in Bäume und Blumen, in Wolken und Luftgebilde,
in Gestalten und Geister und blickt uns daraus mit verzauberten Traumaugen an:
mit den großen, überwirklichen Traumaugen der Phantasie.
Wenn Gott der
Phantasie selbst geboten hätte auf die Erde herabzusteigen – sie hätte Bettinas
Art und Wesen annehmen müssen. Die Phantasie ist bei ihr nicht wie beim
schaffenden Künstler nur eine Grundkraft ihres Lebens sondern Bettina selbst
lebt das Leben der Phantasie und ist Phantasie. Sie ist wie sie tief und
grundernst, und sie ist wie sie voll Schabernack und Mutwillen; sie ist
quellfrisch und ewig jung wie die Phantasie, und sie ist wie sie uralt und von
jeher. Sie ist wahr wie die Phantasie, und sie lügt wie die Phantasie. Alles
Große und Erhabene ist ihr nah und vertraut, und im Allerkleinsten findet sie
die tief verborgene, nur dem Sonntagskind erschlossene Schönheit. Und nur eins
fällt vollkommen aus ihrem Leben heraus: das Mittlere und das Mittelmäßige. Ihm
gegenüber und seinem angemaßten Ernst hat Bettina immer nur eine Haltung
gekannt: einen unbezwinglichen übermütigen Humor. Niemals hat sie den Ernst der
Alltagswirklichkeit anerkennen können, die, in keiner Weise vom Geist und von
der Wahrheit betroffen, zugleich das Allgemeine und das Nichtige und so als das
sich selbst nicht Durchschauende das schlechthin Komische ist. Über diese
sogenannte Wirklichkeit fliegt sie auf den bunten Traumflügeln ihres Humors
lachend hinweg.
»Über Täler und
Höh’n,
Durch Dornen
und Steine,
Über Gräben und
Zäune,
Durch Flammen
und Seen
Wandl’ ich,
schlüpf’ ich überall,
Schneller als
des Mondes Ball.«
Dies Wort
des Shakespeareschen Elfen drückt vollkommen den Rhythmus von Bettinas Wesen
aus. Ihr ganzes Leben ist wie ein einziger aus der Allgegenwart des Geistes
gesponnener Sommernachtstraum. So war ihr eine Wahrheit ursprünglich gegeben,
die, auf das gewohnte Leben angewendet, es in seiner ganzen eselsköpfigen Komik
und Behextheit erscheinen ließ. Und jederzeit vermochte Bettina die Verwirrung
dieses Lebens durch die Kraft ihres Geistes aufzuheben. Mit ihrem ganzen Wesen
schien sie in jedem Augenblick zu sagen: »Rund um die Erde zög’ ich einen Gürtel
in vier mal zehn Minuten.« Ihre eidechsenartige körperliche Flinkheit, ihre
Leichtigkeit und Behendigkeit, das stets Wechselnde und schwer Faßbare ihrer
Erscheinung kam ihr dabei zu Hilfe und ließ sie noch mehr jenem wirbelnden
Poltergeist gleichen, der die Menschen lachend übersieht und sich nur zum Spiel
unter sie mischt. Sie zwickte und zwackte die Menschen, wo etwas nicht ganz
stimmte; sie lockte und rief bald hier, bald dort, daß niemand aus ihr klug
wurde. Sie führte alles Leben lachend und unbekümmert auf Kreuz- und Querwegen
und offenbarte ihm so seine Komik und Verwirrtheit; aber sie war auch gut und
großmütig wie der Naturgeist.
Mit diesem
immer und überall verblüffenden Lebensrhythmus war Bettina den Menschen schwer
verständlich und den meisten – keineswegs nur den alltäglichen unter ihnen –
schwer erträglich. Sie verschmähte es durchaus, auch in ihrem äußeren Verhalten
sich den Menschen anzupassen; sie gab ihrer Gesinnung in jedem Augenblick
unbekümmert Ausdruck. Sie hatte einen unbeschreiblichen Abscheu gegen alles
Gewöhnliche und einen übertriebenen gegen alles Übliche, das auf den Krücken
des Althergebrachten ging. Das ging so weit, wurde so abstrus, daß sie sich in
ihrer Jugend selten wie andere Menschen auf Stühle setzte, sondern meist auf
Schemeln oder sonstwo hockte. »Unter dem Tisch ist sie öfter zu finden wie
darauf, auf einem Stuhl niemals«, schreibt Caroline, als sie Bettina
vierundzwanzigjährig kennenlernte. Und selbst einer so stark das Ungewöhnliche
auffassenden und von ihm angezogenen Natur wie Caroline erschien Bettina in all
ihrer reizvollen Beweglichkeit wunderlich: natürlich und verschroben zugleich.
Sie spricht von dem Brentanoischen Familienübel: einer zur Natur gewordenen
Verschrobenheit.
Überhaupt haben
Mitlebende und Nachlebende gleicherweise Bettina um ihrer sprunghaften
Überlebendigkeit und Unberechenbarkeit willen oft ihre Anerkennung ver-sagt.
Wie sie selbst sich immer durch Abneigung und Abweisung ihren Weg bahnen mußte,
so muß man sie heute aus einem ganz [sic] Wust von Urteilen und Vorurteilen der
Literaturgeschichte befreien, um den Weg zu ihrem Wesen zu finden. Und Bettina
selbst hat uns reichliches Material zu ihrer Beurteilung hinterlassen: in ihrem
sechsbändigen Werk.
Auch dies Werk
besteht aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen; aber es sind Briefe anderer Art
als die nur unmittelbaren persönlichen Lebensäußerungen einer Caroline und
selbst einer Rahel. Es sind von Bettina nachträglich gesichtete, bearbeitete
Briefe: »Briefromane«, wie sie treffend genannt worden sind: romantische
Ideendichtungen, die sich um ein persönliches Zentrum anordnen.
Mag diese
Gattung an sich etwas Zwitterhaftes haben – der Sprachstil erhebt sie zur
reinen Dichtung. Die Sprache dieser Dichtungen ist vollkommen einzig, von einer
naturhaften Ursprünglichkeit und geistigen Lebendigkeit, von einer leichten
heiteren Schönheit und Frische, einer Sinnlichkeit und Geistigkeit, wie wir
nichts Ähnliches in der deutschen Literatur besitzen; sie ist ganz Phantasie,
Unmittelbarkeit, Bild, Musik und Traum. Alle Künste klingen in ihr an; alle
Sinne haben in ihr die Fülle der Welt in sich aufgenommen. Bettina war begabt
wie wenige Menschen; zu jeder Kunst war ihr die Gabe in die Wiege gelegt: zur
bildenden Kunst nicht weniger als zur Musik und zur Dichtung in einem ihr
freilich allein eigenen Sinne. Auf allen Wegen trug ihr das Leben seinen
unerschöpflichen Reichtum entgegen. Eine heißere Sonne als die deutsche brannte
in ihrem Blut. Deutsches und italienisches Blut waren in ihr gemischt; der
nordische Geist war in ihr zur südlichen Flamme geworden. Sie entstammte der
berühmten Familie Brentano, die schon vor Bettinas Geburt mit dem Namen Goethes
verbunden war, durch ihre Großmutter Sophie und durch ihre Mutter Maximiliane
Laroche, die Goethe als Sechzehnjährige vorübergehend geliebt hatte und die
sich kurz darauf mit dem sehr viel älteren, aus Italien eingewanderten Brentano
verheiratete. Dieser sehr unglücklichen Ehe entstammten zwölf Kinder, unter
ihnen Clemens und Bettina, die im Frühling 1785 in Frankfurt a. M. geboren
wurde.
Wenn man die
zerrissene und unselige Natur Clemens Brentanos auf die zu große
Verschiedenheit und die Disharmonie zwischen seinen Eltern zurückgeführt hat –
für Bettinas Wesen ist eine solche Erklärung unmöglich. Denn wenn je ein Wesen
sich selbst genügte, in sich selbst selig war, so war es Bettina. – Mit einem
hellen mächtigen Grundakkord setzt ihr bewußtes Leben ein. Da sie ihre beiden
Eltern früh verlor, verbrachte sie ihre Jugend zum größten Teil bei ihrer
Großmutter in der ländlichen Gartenstadt Offenbach. Von ihrem neunten bis zum
dreizehnten Jahre wurde sie im Kloster in Fritzlar erzogen. Sie berichtet in
ihrem Tagebuch, daß dort kein Spiegel gewesen sei, sie also vier Jahre ihr Bild
nicht gesehen habe. Nun, bei ihrer Heimkehr nach Offenbach mit dreizehn Jahren
erlebt sie ganz plötzlich die Überraschung, sich selbst zusammen mit der
Großmutter und zwei Schwestern im Spiegel zu sehen. »Ich erkannte alle«,
schreibt sie, »aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden Wangen, mit
schwarzem, feingekräuseltem Haar; ich kenne sie nicht, aber mein Herz schlägt
ihr entgegen, ein solches Gesicht hab ich schon im Traum geliebt; in diesem
Blick liegt etwas, was mich zu Tränen bewegt, diesem Wesen muß ich nachgehen,
ich muß ihr Treue und Glauben zusagen.«
So ergriff
Bettina ihre eigene Erscheinung; mit solcher Inbrunst ergriff sie von sich
selbst Besitz. Denken wir daneben an die Empfindung, die Rahel ihrem eigenen
Bild entgegenbrachte: dies Abgestoßensein von der eigenen Erscheinung – so
haben wir einen letzten Schlüssel zum Wesen beider Frauen in der Hand. Und dies
um so mehr, als dies Verhältnis zu der eigenen Erscheinung nicht aus der
einfachen Tatsache zu erklären ist, daß Bettina schön und Rahel unschön gewesen
wäre. Rahel war nicht häßlich, und Bettina war nicht schön; beider Äußeres war
unscheinbar und hatte zugleich eine große lebendige Anmut, so daß allein der
Geist, den man daraus las und in dem man es erfaßte, über das Verhältnis zu ihm
entschied.
Auf der
Grundlage der tiefen Übereinstimmung mit sich selbst als Erscheinung und Sein,
auf einer bis zur Seligkeit gehenden Freude an ihrem eigenen Dasein, auf einem
unerschütterlichen Vertrauen zu sich baut sich Bettinas ganzes Leben auf. Ihre
vollkommene Unbekümmertheit um ihre Umgebung, die tiefe gleichmäßige Sicherheit
ihres Wesens im Ernst wie im Unfug, ihr frei und oft verletzend sprudelnder
Humor und selbst das, was anderen als ihre Launenhaftigkeit und Verschrobenheit
erschien, das alles entstammte derselben Quelle des leidenschaftlichen
Vertrauens zu ihrem eigenen ursprünglich erblickten und mit Leidenschaft
angenommenen Dasein. Und damit ruhte dieses Vertrauen auf jenem noch tieferen
unbedingten Vertrauen, das in Bettinas Leben einen vollkommen einzigen Ausdruck
gefunden hat: auf ihrem Vertrauen zum Geist.
Das Verhältnis
Bettinas zum Geist ist durch seine Intensität ebenso wie durch seine
Ausschließlichkeit ein so einziges. Es ist wirklich das ganz persönliche
Verhältnis einer reinen Leidenschaft, einer glühenden und ausschließenden
Liebe, die in Bettinas Leben alle übrige Liebe aufgesogen hat. Und darum bejaht
sie so freudig ihre eigene Erscheinung, weil sie in ihr selbst die unmittelbare
Bezeugung des Geistes erlebt, weil sie seinen Stempel auf ihren Zügen erkennt
und darin die Bürgschaft dafür findet, daß nicht nur sie ihn liebt, sondern daß
sie auch von ihm geliebt ist.
Dadurch ist in
ihr eine Sicherheit des eigenen Wesens von anderer Art als die Carolinens: eine
ursprüngliche Geborgenheit in einer Sphäre, die noch nicht einmal Versuchung
durch Ungeistiges je gekannt hat. Es ist, als hätten Generationen an der
Durchgeistigung dieses Lebens gearbeitet, damit in ihm das Geistige so zum
unmittelbaren Leben selbst werden konnte, aus dem heraus sie alle ihre
Entscheidungen traf.
So sehen wir
auch sie wie Caroline, und trotz aller weit größeren inhaltlichen Wandlungen
ihres Lebens, von Anfang an als dieselbe. Schon in ihrem frühen Briefwechsel
mit Clemens, den sie uns in ihrem »Frühlingskranz« ausnahmsweise fast
unverändert aufbewahrt hat, ist sie trotz ihrer bewundernden Liebe zu ihm
vollkommen frei, hält sie in all ihrer wirbelnden Lebendigkeit dem sorgenden
älteren Bruder und seinen Ratschlägen gegenüber immer unerschütterlich an ihrem
Weg fest. Kein Stern kann sicherer seine Bahn gehen, als dies von Leben
übersprudelnde junge Geschöpf die seine. Sie hat im Geist einen Kompaß, der sie
so sicher durch das ganze menschliche Gewühl und alle seine Stimmen leitet, daß
die Gefahr eines Abirrenkönnens undenkbar ist. Was ihr nicht angehört, das
weist sie zurück; sie kann es sich einfach nicht zu eigen machen. Clemens, der
erfährt, daß sie überall anstößt, verlangt um ihretwillen, sie solle sich den
anderen Menschen lieb machen, mit ihnen auf ihr Leben und auf ihre Formen
eingehen. Es klingt von ihm selbst nicht ganz echt; man fühlt, daß er glaubt,
es um der jungen Schwester willen sagen zu müssen; und mit welch herrlicher
Sicherheit hört Bettina sofort den falschen Ton heraus. Er wünscht ihr einen
guten Mann, eine glückliche Ehe. »Ich bitte dich um Gottes willen«, fährt sie
los, »gib doch auch deine Stoßseufzer auf um einen lieben Mann, den du mir
herbeiwünschest... es ist Vorsorge, geliebter Clemens, aber glaube, daß ich
keiner Stütze im Leben bedarf, und daß ich nicht das Opfer werden mag von
solchen närrischen Vorurteilen. Ich weiß, was ich bedarf – ich bedarf, daß ich
meine Freiheit behalte. Zu was? – Dazu, daß ich das ausrichte und vollende, was
eine innere Stimme mir aufgibt zu tun. – Die Liebe, mein Clemente, die werde
ich einfangen wie den Duft einer Blume, alles wird dem Geist zuströmen.«
Und Bettina hat
dies für ein Mädchen von siebzehn Jahren so überraschende Versprechen in voller
Reinheit gehalten. Sie ist ihrer inneren Stimme nie untreu geworden; sie ist
immer frei geblieben, sie hat ihre ganze Liebe dem Geist zuströmen lassen.
Dadurch ist ihr eigentümliches Verhältnis zu den Menschen durchgehend bestimmt.
Die einzelnen Menschen sind Bettina trotz all ihrer Liebes- und
Begeisterungsfähigkeit nicht das gewesen, was sie allen anderen Frauen der
Romantik waren. Auch wo sie liebte, liebte sie durch den Anderen hindurch nur
den Geist. Nie hat sie sich von einem Menschen hinreißen lassen in seine
Sphäre. Schon die ursprüngliche Temperatur ihres Lebens ist von der
Lebenstemperatur der anderen Frauen verschieden. Ihre Jugend springt uns bei
aller südlichen Intensität wie ein frischer kühler übersonnter Brunnen
entgegen. Ihre reiche strahlende Sinnlichkeit selbst ist kühl und vergeistigt.
Das Sehnsuchtsvolle, Verlangende und Suchende der Jugend, das wir selbst bei
Caroline finden, war ihr fremd. Sie kennt von der Jugend nur die überströmende
Fülle, das Reich- und Glücklichsein. Wenn man die Jugend an sich bezeichnen
könnte als die Zeit der aus dem Selbst herausführenden Sehnsucht – so sagt dagegen
Bettina: »Ich weiß, was Jugend ist: inniges unzerstreutes Empfinden des eigenen
Selbst.«
Aber dies
eigene Selbst Bettinas schloß sie in keine Enge ein. Es war die Antwort auf die
ganze Welt. So sehr es sie in eine ganz bestimmte Bahn zwang, soviel Leben,
Schönheit, Sinn und Wert vermochte es zu umfassen. An welche Erscheinung des
Lebens es rührte – wenn sie nur echt war, gab es einen Klang. Auch in den
schlichtesten bescheidensten Formen vermochte sie den Geist, das Große und
Wesenhafte zu erkennen und zu ehren. Als Clemens ihr einmal Vorwürfe macht, daß
sie sich mit einem kleinen Judenmädchen, das ihr Stickstunde gibt, zu nahe
eingelassen habe, daß sie – wie er sich ausdrückt – so herabgestiegen sei, daß
ganz Offenbach darüber rede – wie hinreißend einfach rückt sie da alles
zurecht, erzählt sie ihm von dem Leben des kleinen Veilchen mit dem
»liebkosenden Namen« und erklärt ihm, daß sie hier nicht hinab- sondern nur
hinaufsteigen könne, weil dies junge Mädchen seinen kranken Großvater und seine
kleinen Geschwister ganz allein durch seiner Hände Arbeit erhalte; und wenn sie
von dem ärmlichen kleinen Zimmer dieser Leute spricht, dann ist es bei aller
Schlichtheit, mit der sie es tut, als blicke man durch die Schilderung eines
großen Künstlers in ein Heiligtum.
Nie hätte
Bettina sich durch das Gerede der Leute, oder selbst durch Ermahnungen der ihr
Nächsten und Liebsten von dem, was ihr wertvoll und schön erschien, abhalten
lassen. Wie oft ihr eigener Weg den anderen fremd und unverständlich ist: ihr
ist er immer einfach, weil er ihr mit unmittelbarer Klarheit gegeben ist. Sie
braucht sich zu seiner Begründung nicht auf ihr eigenes Innere zu berufen und
zurückzuziehen, und sie tut es nie: sie kann, was sie tut und was sie ablehnt,
jederzeit aus unmittelbaren Einsichten begründen. Damit tritt ihre unbedingte
Sicherheit nach außen oft als schroffer Gegensatz gegen ihre Umgebung hervor.
Von Anfang an ist in der Geistigkeit Bettinas etwas Revolutionäres. Nur im
Widerspruch zu den Menschen behauptet sie jederzeit die eingeborene Richtung.
Es ist äußerst ergötzlich, wie sie der schöngeistigen Großmutter, die für
Mirabeau schwärmt, dessen geistreiche Aussprüche vorliest und nun zum Entsetzen
der Großmutter daraus für sich selbst höchst lebendige und radikale Konsequenzen
zieht. Und wenn sie von den französischen Revolutionsblättern sagt: »Das klingt
ein in meine verneinende Seele gegen alles, was ich in der Welt gewahr werde,
die beweisen und heben den Schleier von allem Verkehrten« – so fühlen wir
deutlich, daß in dieser verneinenden Seele, die nur das Wahre und Echte
leidenschaftlich bejahte, eine ganz andere, aktivere und unmittelbarer auf das
Wirkliche gerichtete Kraft am Werk ist als bei allen anderen Frauen der
Romantik.
Das mag
zunächst unvereinbar scheinen damit, daß Bettina ein so rein in der Phantasie
lebendes Wesen war. Aber wir werden bald erkennen, daß die Phantasie selbst es
war, die sie den Weg zur Wirklichkeit führte: die Phantasie nicht als leere
Einbildung – sondern als Kraft zum Schauen einer wahreren, vom Geist
durchleuchteten Wirklichkeit. Diese wahrere, von allen nur irdischen Zwecken
befreite Wirklichkeit hat Bettina immer als ihre Heimat erkannt. »So gehöre ich
denn«, sagt sie auf Clemens’ immer erneute brüderliche Ermahnungen, sich in die
Allgemeinheit zu fügen, »in einen anderen Kreis der Allgemeinheit, wo sich
fassen möchten: Kinder, Helden, Greise, Frühlingsgestalten, Liebende, Geister.
– Warum wähl’ ich mir diese? Weil die nicht fragen nach dem Irdischen; sie
gehören zu mir!«
In diesen
unirdischen Kreis gehört aber im Grunde auch Clemens selbst nicht weniger als
Bettina; in ihm fanden sich die Geschwister; von ihm waren sie ausgegangen. Und
diese unirdische Sphäre seliger Unbedürftigkeit, in der wir Bettina ihr
Lebenlang finden, grenzt nah an die außerirdische, der beide auch irgendwie
zugehören, wie Clemens sie in einem seiner Gedichte als die ihm ursprünglich
eigene geschildert hat:
Weil ich alles
Leben ehre,
scheuen mich
die Geister nicht,
und ich spring
durch ihre Chöre
wie ein irrend
Zauberlicht.
Haus’ ich
nächtlich in Kapellen,
stört sich kein
Gespenst an mir,
weil sich
Wandrer gern gesellen;
denn auch ich
bin nicht von hier.
Beide, Clemens
und Bettina, waren nicht von hier, waren wie fremde geheime Geister, irrende Zauberlichter,
zugleich Naturwesen und Sendboten einer anderen Welt. Der Unterschied war nur
der, daß Clemens an dieser Ausnahmestellung schmerzlich litt und sie immer mehr
als unmenschlich erkannte, so daß er wie der Nöck im Wasser, der seine
unsterbliche Seele sucht, im späteren Leben aus seinem Element heraustrat, um
als gläubiger Christ eine volle menschliche Erlösung zu gewinnen – während
Bettina in dieser Stellung sich glücklich, selig, eins mit dem Leben und mit
sich selbst fühlte und ihr ganzes langes und reiches Leben unverrückbar aus der
naturgegebenen Form einer rein subjektiven und fast geisterhaften Geistigkeit
entwickelte. Nie hat sie an der Berechtigung dieser Form als eines letzten
Lebensgesetzes gezweifelt. Darin liegt die ganze persönliche Seligkeit dieses
Lebens – darin auch seine ganze Großmut und Generosität gegen alles fremde
Menschliche, wofern es nur echt war, aus sich selbst lebte – darin aber
schließlich auch seine ganze romantische Losgelöstheit von dem, was
mühseligeren Zeiten und ringenderen, mit der vollen Problematik des Wirklichen
belasteten Geistern Wirklichkeit, was ihnen Wahrheit heißt.
Und während
Clemens Brentano gerade darum ein so tief problematischer Mensch war, weil das
nur Subjektive, rein Elementarische, auf das auch er ursprünglich angelegt war,
ihm nicht genügen konnte – weil er als männlicher Geist objektive
Zusammenhänge, als religiöser Mensch restlose Hingabe seines Lebens, als
Dichter und Gestalter das schlechthin Gültige suchte, fehlte in Bettinas Wesen
trotz seines Überreichtums jede Problematik – eben darum, weil für einen
Lebenszusammenhang außerhalb ihrer, für eine übergreifende objektive
Gesetzlichkeit, mit der es hätte in Konflikt kommen können, in ihr überhaupt
kein Raum war.
Aber wenn
dieser Gegensatz später die Geschwister vollkommen und bis zum Nichtverstehen
trennen mußte, so zeigt ihre Jugendfreundschaft sie beide in der vollen
berückenden Blüte ihres persönlichen Geistes; diese Briefe sind wirklich ein
Frühlingskranz. Und da es das Lebensreich der Unmittelbarkeit ist, in dem sie
sich bewegen, so ist in diesen frühen Briefen trotz alles sachlichen und
persönlichen Reichtums, den Clemens ihr bringt, Bettina die Überlegene. Ihre
unablenkbare Ursprünglichkeit und Sicherheit zwingt zuletzt den hin- und hergeworfenen
Clemens zur restlosen Unterordnung, so daß er der jungen Schwester hingerissen
schreibt: »Du bleibst ewig meine Richterin, du bleibst das Maß meiner
Empfindung und mein vertrauter Gott auf Erden.« Aber Bettina konnte – bei all
ihrer Liebe zu Clemens – dies Wort romantischen Jugendüberschwangs nicht
annehmen. Daß ein Mensch in einem anderen, daß er überhaupt in irgend etwas
außer halb seiner sein Maß und seinen Richter sollte finden können, war ihr
undenkbar und verwerflich. Das erste, was sie auch vom Anderen verlangte, war:
ein Selbst mit eigenen Maßen zu sein.
Dies, was ihr
das tiefste Gesetz alles Lebens war, war als leidenschaftliche Subjektivität in
der Produktion zugleich Bettinas Reichtum und Schranke. Im Schaffen wie im
Leben kannte ihr Geist keine andere Form als unmittelbares lebendiges
Sich-Ausströmen. Und wie jede natürliche Substanz in ihrem Ausfließen eine
besondere, nur ihr eigene Form beschreibt, so wurde Bettinas Geist in seinem
Ausströmen nur genau so weit zur Form, daß darin ihre ganz persönliche
Geistesart bezwingend deutlich sichtbar wurde. Nicht aber einen Schritt weiter
ins Objektive vermochte er zu gehen. Nicht einmal zu der Objektivität einer
dichterischen Form konnte es trotz ihres blühenden Sprachreichtums bei ihr
kommen; auch diese wäre noch ein ihrem Geist Äußeres, von einem fremden Gesetz
Vorgeformtes gewesen. Es ist die seltsamste Erscheinung: Bettina, die eminent
Dichterische, die mit Phantasie gleichsam Geladene, die jedem Ding unendliche
Schönheit abgewinnt, die in sich selbst das Blühen der Blumen, das Wurzeln und
Wachsen der Bäume, das Strömen der Quellen lebendig erlebt, der die Worte und
Bilder so reich und selbstverständlich zuströmen, wie nur einem begnadeten
Genius der Sprache, bringt trotz alles Bemühens keinen gereimten Vers zustande.
Clemens, dem ihre außerordentliche Begabung als ein zu verwaltendes Pfund
erscheint, will sie zum Dichten in fester Form bewegen; immer wieder ermahnt er
sie dazu – während ihre ältere Freundin, Karoline von Günderode, sie gleichzeitig
zur Philosophie bekehren will; beide wollen, daß sie das ihr Gewordene
entwickle und geordnet arbeiten lerne.
Allem diesem
widersetzt sich Bettinas Natur mit so ursprünglicher Gewalt wie einreißender
Fluß, der sich sein eigenes Bett sucht, dem, was ihn daran hindert. Zum Dichten
wenigstens sucht sie sich zuerst zu zwingen; sie sitzt stundenlang am
Schreibtisch, und statt der Verse gelingen ihr nur unwillkürlich die buntesten
phantastischsten Zeichnungen; gegen die Philosophie aber hat sie eine leidenschaftliche
und freilich weit tiefer gegründete Abneigung. Als die Günderode es endlich so
weit bringt, ihr eine Zeitlang Schelling vorzulesen, verfällt die immer gesunde
Bettina plötzlich in eine beängstigende Fieberkrankheit. Die Freundin, die sie
Tag und Nacht pflegt, schwört nachher, sie nie mehr mit Philosophie quälen zu
wollen, weil in all ihren Fieberphantasien die philosophischen Begriffe als
Alpträume wiedergekehrt seien. Diese plötzliche Krankheit erscheint deutlich
als ein der heutigen Psychotherapie wohlbekanntes Ausweichen des ganzen
Nervensystems vor dem Unerwünschten und Unerträglichen.
Bettina mußte
in allem und jedem den Weg ihres eigenen Geistes gehen. Beide, Philosophie wie
Dichtung, waren für das unmittelbare Verhältnis ihrer Natur zum Geist immer
noch zu sehr Form; sie standen noch wie eine fremde Schicht, eine Scheidewand
zwischen ihr und dem Geist. Aber während sie die Dichtung als Denken, »das
einen Leib angenommen hat«, begriff und ehrte, war ihr die Philosophie als
leibloses abstraktes Denken überhaupt nicht als Wahrheit zugänglich. Erst in
der Schönheit, im Bild, im Klang, erschien ihr das Leben zu seiner Wahrheit
vollendet. Aber auch in der bildenden Kunst und in der Dichtung stand es doch
zugleich noch unter einem fremden Gesetz. Ganz zu sich selbst gekommen erschien
ihr das Leben erst in der Musik. In dem ätherischen Klangleib empfand sie keine
trennende Form mehr, die sich zwischen die Unmittelbarkeit des Geistes und
seinen Ausdruck drängte; hier sprach ihr das Leben seine eigene unmittelbar
strömende Sprache. Daß in der Musik die Unmittelbarkeit des Lebens selbst als
Gesetz sich ausspricht, mußte für sie die vollendetste Bejahung ihres eigenen
geistigen Weges sein. In diesem Sinne war Bettinas ganzes Leben, war jede ihrer
Äußerungen, war ihre Sprache selbst Musik. – Wenn aber um der Musik willen die
Dichtung abseits gedrängt, die Philosophie völlig aus ihrem Gesichtskreis
verstoßen ist – weit fremder noch sind Bettina die übrigen Wissenschaften, mit
denen man sie bedrängt. Natur will sie nicht wissenschaftlich erkennen, sondern
liebend begreifen. Geschichte will sie nicht studieren, sondern sie will sie
leben. Es klingt zunächst fast komisch, wenn dies junge Wesen sagt: »Obschon
ich keine Weltgeschichte studieren mag und beim Zeitunglesen vor Ungeduld mich
kaum zusammennehmen mag, so ist’s doch die Welt, die ich regieren möcht, und
mich reißt’s hin, darüber nachzudenken.« Ja, es erscheint ihr als ihr
entschiedenstes Talent, die Welt zu regieren. »Weiß Clemens Gelegenheit, mich
darin zu üben, so will ich fleißig sein Tag und Nacht.«
Diese Gestalt
haben Bettinas Jugendträume früh schon angenommen: ihre Phantasie hebt sich
empor ins Heroische. Und dieser überraschende Weg von der Musik des reinen
Innern zum Traum vom realen Heldentum ist keineswegs ein zufälliger oder
abwegiger, sondern gerade er offenbart erst den Gesamtzusammenhang ihres
Wesens.
Ihr Glaube an
die Musik als adäquateste Ausdrucksform des Geistes entspringt dem Urbekenntnis
Bettinas zur Innerlichkeit reinen Selbstseins. Und so sehr war diese der
einzige Sinn und Traum, das einzige Ziel ihres Lebens, daß selbst ihre
mädchenhaften Liebesträume keinen anderen Charakter tragen. Ihr höchster Traum
von Liebe ist: »Die Welt wäre mein, ich brauchte nichts von anderen und meine
Liebe würde gar nicht ein sehnendes Verlangen, sondern eine wirkende Macht
sein.« Vor allen Bindungen, allen Gefühlen, selbst vor der Freundschaft
schreckt sie zurück. Sie will rein aus ihrem eigenen Selbst leben. »Gäb es
Höhlen und Verberge, in die man sich könnte zurückziehen vor gewissen
Gefühlsanrechten, ich würde dahin flüchten. Ich schaudre vor solchen
Allgewalten des Daseins, sie erregen die Eifersucht der Eigentümlichkeit«,
schreibt sie in leidenschaftlicher Abwehr an Clemens. »Heldsein ist nicht befreundet
sein, Selbstsein ist Held sein; das will ich sein.«
So liegt in dem
Bekenntnis zu dem musikalischen Grundgesetz ihres Lebens schon der Keim zu
einem heldischen Leben. Und so ernst sind ihr die heroischen Träume, die sie in
den berauschten Mondnächten ihrer Jugend träumt, daß es ihre einzige Angst ist,
sie könnte mit ihnen in der bloßen Phantasie gefangen bleiben. »Wie mache
ich’s, daß ich aus dieser Verbannung des Unwirklichen erlöst werde?« fragt sie
den Bruder. Und wirklich ist Bettinas ganzes Leben ein unablässiges Bemühen
gewesen, ihre leuchtenden Träume aus dem bloßen Innern in die gelebte
Wirklichkeit überzuführen. Daß dies gelungen, daß dies phantastischste aller
Wesen mit seinen Träumen nicht im Zaubergarten der Phantasie gefangen geblieben
ist, daß Bettina aus ihm einen Ausweg gefunden hat in die Wirklichkeit, das ist
nur aus der großen Wahrhaftigkeit ihrer Phantasie verständlich.
Diese
Wahrhaftigkeit: der lebendige Sinn ihrer Natur für das Echte in jeder – der
erhabensten wie der unscheinbarsten Gestalt hat Bettinas strömende Phantasie
untrüglich in das Bett der Wirklichkeit geleitet. Die Liebe zu Veilchen, dem
armen kleinen Judenmädchen, und die zu Goethe beide gehören gleich sehr zu
Bettina. Wo das Reine und Große quillt, wo der lebendige Geist in irgend einer
Form herrscht, da ist Bettina zu Hause. Und daß sie nur da zu Hause ist und
nirgends sonst, daß es für sie kein Leben außerhalb der Echtheit und Reinheit
des Daseins gibt – daß ihr das Reich der Zwecke und des Nutzens in jedem Sinne
so glückselig fern liegt – das ist das Zweite, was sie für ein heldisches Leben
prädestiniert. Indem sie sich einreihte in den Kreis derer, die nicht fragen
nach dem Irdischen, hatte sie schon mit der einen Hand die Krone des Helden
berührt. Wie im Unirdischen, Unnützlichen, im Traum, in der Phantasie alles
Große, Hohe frei und uneingeschränkt vom Alltag und seinen Bedürfnissen und
Bedenken seinen Weg nimmt, so auch in dem Leben Bettinas.
Und schließlich
ist das Dritte, was sie den Weg zum Heldischen führt, der revolutionäre
Charakter ihres Wesens, der aus dem unmittelbaren Anlegen der Maßstäbe ihrer
eigenen Wahrheit an die Wirklichkeit des Lebens entspringt.
So ist das
Heldische die ganz natürliche Mündung von Bettinas ursprünglicher Lebensform:
der reinen, unirdischunnützlichen, allem Egoismus fremden, einzig vom Geist
geleiteten Realisierung ihres inneren Gesetzes. Von Anfang an ist in Bettinas
Lebenssicherheit – gegenüber der rein auf ihr eigenes Dasein bezogenen
Carolinens – etwas Heldisches. Sie fühlt sich nicht nur als Selbst dem Leben
gewachsen; sie will auch die anderen, will alle des Segens einer rein
selbsthaften Lebensgestaltung teilhaftig werden lassen. An Stelle der üblichen
Mädchenträume, sich Einem hinzugeben, Einen zu beglücken, quillt aus Bettinas Hingabe
an den Geist die Sehnsucht, die Welt von der Herrschaft des Ungeistes zu
befreien zum Leben im Geist.
Wer solche
Träume träumt, wer sich so unmittelbar berufen, so aus dem Herzen des Lebens
selbst geliebt fühlt, der wird der Liebe der Menschen nicht viel nachfragen.
Und Bettina war wirklich von der Liebe der anderen immer erstaunlich unabhängig
– in einem letzten Sinne selbst von der Liebe derer, die sie liebte. Verliebt –
d. h. mit spontanem leidenschaftlichem Verlangen an einen Menschen gefesselt –
war Bettina nie.
Wohl tritt
schon in den frühen Briefen Clemens’ Freund Arnim auf. Clemens, der diese
beiden Menschen vor allem liebt, wünscht von Anfang an, der Freund möge die
Schwester, die Schwester möge ihn lieben. Und der Dichter Achim von Arnim war
gewiß geschaffen, das Herz selbst einer Bettina im Sturm zu nehmen. Seine
reiche dichterische Begabung hatte nicht wie bei den anderen Romantikern seine
feste kraftvolle Männlichkeit erweicht und aufgelöst; sein Geist und sein
Charakter hielten sich die Waage: er war und blieb zugleich der fest und sicher
im Wirklichen wurzelnde märkische Junker. Bei aller fröhlichen und ernsten,
blühenden und krausen Phantasie bleibt immer etwas von einer eigentümlich
unantastbaren Nüchternheit in seinem Wesen. Und dies ruhige Gleichmaß einer
festen, edlen und zugleich reichen Persönlichkeit prägte sich in seinem Wesen
wie in seinem Äußeren hinreißend aus. »So soll der Mann sein«, schrieb Creuzer,
der zurückhaltende Gelehrte, nach der ersten Begegnung mit ihm an die Günderode.
Und Bettina schreibt an Clemens: »Der Arnim sieht doch königlich aus.« Aber sie
fügt sofort hinzu: »Die Günderode auch; der Arnim ist nicht in der Welt zum
zweitenmal. Die Günderode auch nicht.« Sie sieht die beiden Freunde
nebeneinander gehen; ihr ist es selbstverständlich, als gehörten sie zusammen.
Neidlos bewundernd sieht sie auf das schöne Paar. Wohl gesteht sie dem Bruder,
ohne ein Hehl daraus zu machen: »Arnims wunderschöne Jugendnähe elektrisierte
mich«, und einen Handschuh, der ihm unter den Tisch gefallen ist, bewahrt sie
auf. Aber das alles ist so leicht, so spielend, so wunschlos, so ohne eine Spur
von Leiden und Leidenschaft – so heiter und offen und kühl. – Und kühl empfand
sie auch Arnim, wie er an Clemens schrieb.
Bettina hat
auch in der langen Zeit, die sie noch von der Verbindung mit Arnim trennte,
weder Sehnsucht noch Trauer, kein Hangen und Bangen, kein seelisches Kranken
gekannt, und ebenso wie diese seelische gehört die vollkommene körperliche
Gesundheit zu ihrem Leben. Daß sie niemals wirklich krank, bis auf ihre letzten
Lebensjahre nicht einmal leidend war, das erscheint als unmittelbarer Ausdruck
jenes vollkommenen Gleichgewichts von Körper und Seele, Natur und Geist in
ihrem Leben, das bereits selbst eine seelische Verfassung ist: jene harmonia
der Antike, die hier kein Erworbenes, sondern die leichte selige Grundlage des
Daseins: sein ursprüngliches Versöhntsein mit sich selbst war. Das Leben hat
sie wirklich geliebt, so wie sie sich selbst liebte. Es ist, als hätte diese
Gewißheit, das aus ihr stammende heitere Gleichgewicht ihrer Seele selbst alle
störenden Mächte von ihr ferngehalten.
Daß Bettina und
Arnim einander doch noch fanden, geschah aus einer starken, im Geist und in
einem tiefen Vertrauen zueinander gegründeten Freundschaft, die ihnen in langen
Jahren gereift war, und die für eine dauernde Verbindung zwischen den einander
so nahen und doch so ungleichen Menschen gewiß eine sicherere Bürgschaft war
als leidenschaftliche Liebe. Sie kannten einander ganz, vertrauten einander
ganz und richteten ihr Leben danach ein.
Arnim führte
Bettina nach ihrer phantastischen heimlichen Hochzeit nach Berlin. Sie
schildert Goethe das Leben der ersten Zeit mit seiner traumhaften Seligkeit, zu
dem der große wunderbare Park um ihr Haus her, in dem nachts die Nachtigallen
sangen, der rechte Rahmen war. Schön, beglückend, frei und froh, Segen und
Fülle war alles um sie her. Es ist, als hätte das Glück ihrer Natur auch das
Glück ihres Schicksals an sich gezogen. Selbst die Ehe und die Mutterschaft
brachten ihr keine wirklichen Probleme. Immer wieder erfahren wir von Arnims
Güte, Selbstverleugnung, Zartheit und Verantwortlichkeit. Sein zuverlässiges
und wurzelhaftes Wesen, seine Festigkeit und Erdfrömmigkeit, sein Frohsinn und
seine Wehmut als sein Erdenschicksal ganz bejahender Mensch waren für Bettinas
Art Ergänzung und Bestätigung zugleich. Auch war die Ehe schön und glücklich
bis ans Ende, weder durch äußere noch durch innere Schwierigkeiten getrübt.
Beide lebten in einer vollen Freiheit nebeneinander, durch die ihnen die Ehe
wohl zum festen Band, nie aber zu einer Fessel werden konnte. Aber alles Glück
von Bettinas reichem Leben, auch das dieser Ehe, beruht doch zuletzt darauf,
daß sie – wie sie nach ihrer Trauung an Goethe schrieb – nicht glücklicher
werden konnte, als sie geboren war.
So wunderbar
unbedürftig war Bettinas Liebe. Sie verlangte nichts, was sie nicht schon
besaß. Selbst ihre Leidenschaft war ohne Qual, weil das Leben wie ein blumiger
Teppich unter ihrer Seele ruhte und sie niemals auch nur für Augenblicke in
seinen Abgrund sinken ließ. Ihre Liebe war jederzeit frei. lrgendwie fehlte
ihrem rein im Geist gegründeten Leben jener letzte Wirklichkeitsgrund, aus dem
die schmerzlichsten Bindungen und dunkelsten Qualen der Menschen steigen. Doch
mochte sie gerade hierdurch für einen Menschen wie Arnim die rechte
Lebensgefährtin sein: spendend, reich, blühend und in sich selber ruhend, ein
unerschöpfliches Wunder für den, der neben ihr mit offenen Sinnen lebte: im
Letzten immer einzig auf den Geist gestellt – die »Allgewalten des Daseins«,
die die »Eifersucht der Eigentümlichkeit erregen«, immer abweisend.
Eine Art
wirklicher Leidenschaft für einen anderen Menschen finden wir in ihremLeben nur
ein einziges Mal: in ihrer Beziehung zu Karoline von Günderode, der sie später
in ihrem Buch »Die Günderode« ein so reines und herrliches Denkmal gesetzt hat.
Wie die siebzehnjährige Bettina zu der um fünf Jahre Älteren aufblickt, wie sie
von ihr eine ganze Welt des Geistes und der Schönheit empfängt und
leidenschaftlich aufnimmt, wie sie sich ihr beugt und eine Zeitlang nur an ihr
lebt – das ist von anderer Art und Temperatur als ihre Liebe zu Clemens, ja
auch die zu Arnim und selbst als ihre glühendeVerehrung Goethes.
Als aber die
geliebte Freundin ihr plötzlich den großen vielleicht den einzigen ganz großen
– Schmerz ihres Lebens antat, sich von ihr loszusagen, da versank Bettina
dennoch nicht einen Augenblick in sich und in ihr Leid. Auch sie wie Caroline
nahm ihr Leiden nicht auf sich. Aber ihr Heilmittel gegen seine Gewalt war
nicht der Widerstand ihrer persönlichen Form gegen das Formlose, das auf sie
einstürmte; sondern die Macht, die sie zu Hülfe rief, war auch hier allein die
des Geistes.
So nur ist es
zu verstehen, daß Bettina, die gerade aus dem Geist heraus unerschütterlich
Treue, in diesem Augenblick in einer eigentümlichen Art von Flatterhaftigkeit
scheinbar nur die Person zu wechseln strebte: daß sie nach dem nie zu
überwindenden Verlust der Freundin kurzerhand zu Goethes Mutter ging und zu ihr
sagte: »Frau Rat, mir ist an der Stiftsdame Günderode eine Freundin verloren
gegangen – die sollen Sie mir ersetzen.« Goethes Mutter nahm Bettina voll
Freude an ihrer Frische und Ursprünglichkeit, vor allem aber an ihrer
grenzenlosen Verehrung für Goethe, auf. Und wie früher bei der Günderode, so
verbrachte Bettina jetzt halbe Tage bei der Frau Rat auf einem Schemel zu ihren
Füßen. Und immer sprachen sie nur von Goethe. Bettina hat Goethe aus den
Erzählungen seiner Mutter von seiner Jugend später den Anstoß zu Dichtung und
Wahrheit gegeben.
Auch über die
Frau Rat und das Zusammensein mit ihr hat Bettina lange entzückende Briefromane
geschrieben, die nicht nur durch den Zauber und die Frische der Darstellung,
sondern auch durch die Fülle an erblicktem und überliefertem Leben hinreißen.
Was aber im Mittelpunkt ihrer gesamten literarischen Leistung steht, das ist
ihr heiß umstrittenes Buch: »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde«.
Es ist das
Konzentrierteste, was wir von Bettina besitzen. Es deckt zugleich die ganze
Arbeitsweise ihrer Phantasie auf. Man hat Bettina – und mit Recht – den Vorwurf
gemacht, daß sie auch hier nicht nur ihre eigenen Briefe, sondern sogar Briefe
Goethes gefälscht und verändert wiedergegeben habe, daß sie sich auch hier wie
überall nicht an die Tatsachen gehalten habe. Man hat daraus ihre
Unwahrhaftigkeit abgeleitet; man hat – Mitlebende und Nachlebende haben
überhaupt mit diesem Verwerfungsurteil nicht gespart – Bettina immer wieder für
eine Lügnerin erklärt.
Vielleicht im
alleroberflächlichsten Sinne genommen ist Bettina dies gewesen; in einem
tieferen Sinne aber und von ihrem eigenen Lebensgesetz aus gesehen war sie das
Gegenteil: ein Mensch letzter innerer Wahrhaftigkeit. Gewiß, dies ihr Gesetz
selbst schloß sie als rein romantisches von der Wahrheit in einem streng
objektiven Sinne aus: es band sie ausschließlich, aber um so tiefer an die
innere Wahrhaftigkeit ihres eigenen Seins. Um ihr eigentümliches Verhältnis zur
Wahrheit ganz zu verstehen, müßte man ein oben über sie gesagtes Wort umkehren
und sagen: Bettina lügt wie die Phantasie; aber sie ist auch wahr wie die
Phantasie. Und diese Wahrheit hebt jene Lüge auf; denn die Wahrhaftigkeit der
Phantasie ist etwas unendlich Tieferes als ihre Lügen.
Es gibt ein
kleines Gedicht von Mörike, in dem dies Verhältnis von Lüge und Wahrheit
vollendet dargestellt ist.
Gestern
entschlief ich im Wald, da sah ich im Traum das kleine
Mädchen, mit
dem ich als Kind immer am liebsten verkehrt.
Und sie zeigte
mir hoch im Gipfel der Eiche den Kuckuck,
Wie ihn die
Kindheit denkt, prächtig gefiedert und groß.
Drum! dies ist
der wahrhaftige Kuckuck! rief ich. Wer sagte
Mir doch
neulich, er sei klein nur, unscheinbar und grau?
Es ist kein
Zweifel der kleine, graue und unscheinbare Kuckuck ist der wirkliche. Aber der
wahre Kuckuck ist trotzdem der, der nur mit Kindesaugen, mit Traumaugen, mit
Dichteraugen gesehen wird. Denn so müßte er aussehen nach seinem zauberhaft
geheimnisvollen Ruf aus dem mailichen Waldinnern.
Diesen Ruf
allein: die Musik der Dinge allein hat Bettina vernommen. Die Tatsachen sind
ihr immer gleichgültig, mehr: sie sind ihrem übersteigerten
romantischenIdealismus gerade das gewesen, wovon der Geist sich freimachen, was
er umwandeln muß, um Wahrheit zu sehen. Für uns ist freilich eine solche
Auseinanderreißung in Wahres und Wirkliches nicht durchführbar und nicht
denkbar; aber von Bettinas persönlicher, geschichtlich bedingter
Lebenserfassung aus ist ihr Verhältnis zur Wahrheit – man mag es annehmen oder
ablehnen – wahr und klar. Es ist wie alles in ihr eine äußerste
Subjektivierung, Musikalisierung eines romantischen Lebensverhältnisses.
Und wie Bettina
Goethe und ihre Beziehung zu ihm in ihrem Briefroman dargestellt hat, das ist
von solcher lebendigen inneren Wahrheit, daß die Tatsachen hier wirklich wie
bloße Schalen von dem Kern der Beziehung abzufallen scheinen. Gewiß war Bettina
die großartige Objektivität Goethes, seine Ausbreitung in Welt und Gesetz zu
erfassen, durch ihre Anlage selbst versagt. Sie begriff und ergriff auch in
Goethes Geist gleichsam nur den Identitätspunkt: nur den schöpferischen
Quellpunkt seiner Welt. Aber was in ihrem Buch an Geist und Fülle, an Liebe und
Musik sich um dies rein innere Bild Goethes schlingt wie ein Meer von Kränzen,
aus denen seine große Gestalt lebendig und erhaben zugleich herauf taucht, das
ist – auch wenn es nicht ganz Goethe und nicht nur Goethe, sondern ein von
Bettinas Geist verwandeltes, lyrisiertes, gleichsam Musik gewordenes Bild
Goethes ist, in dem ihr Wesen und ihre Begeisterung nicht weniger mächtig als
die Gewalt seines Wesens erklingt – dennoch, und vor allem in dem Augenblick
seines Erscheinens, unendlich mehr und wirkender gewesen, als jede nur und noch
so gewissenhafte objektive Darstellung es hätte sein können. Nie darf man es
Bettina vergessen, daß sie es war, die in einer dichterisch seichten Zeit, wo
Goethe als Wirklichkeit vergessen und nur noch sein Name lebendig war, ein
mächtiges lebendiges Bild von ihm den Menschen wieder sichtbar gemacht hat.
Aber noch ein
zweiter Vorwurf hat außer dem der Verlogenheit auf dies ihr zentrales Buch hin
Bettina getroffen: der der Eitelkeit. Aber wer Bettina eitel nennt, der hat
gewiß das Wesen der Eitelkeit nicht richtig begriffen. Eitelkeit ist nur
unsicheren Menschen eigen, deren Selbstbewußtsein nicht zu stark, sondern zu
gering ist. Eitelkeit ist Bestätigtseinwollen, wo man selbst nicht gewiß ist.
Bettina ist ja aber gerade von jener unerschütterlichen Sicherheit des inneren
Kernes und des eigenen Weges, durch die sie sich selbst nicht anders wollte,
als sie war; und von Jugend auf war ihr darum am Beifall der anderen wenig
gelegen. Die Konzentrierung alles Lebens um den eigenen Mittelpunkt, wie gerade
das Goethebuch sie zeigt, ist bei Bettina nicht ein Zeichen der Eitelkeit:
sondern dies ist ja so sehr die Grundform ihres Lebens, wie es die der Rose
ist, indem sie sich entschließt, all ihre Blätter fest um ihren Mittelpunkt zu
sammeln. Und weil nicht nur ihr eigenes, weil jedes Leben nach Bettinas Meinung
diese Form haben sollte, darum war ihre tiefste, ihre eigentliche menschliche
Beziehung die zum Genius – als zu dem, der die reichste Fülle des Lebens in der
eigensten, eigentümlichsten Form erschließt. Auch ihr Verhältnis zu Goethe war
im Grunde kein anderes als das reine Anstaunen des Wunders seines Seins – und
das tiefe Glück darüber, dies Einzige unmittelbar im Kelch ihres eigenen Seins
auffangen zu können.
Aus dieser
selben Urbeziehung ihres Wesens zum Genius – die wiederum wie alles in Bettina
ein in noch leidenschaftlichere Subjektivität emporgesteigertes urromantisches
Verhältnis war, hat sie nicht nur mit Goethe, den Rahel aus einer letzten Scheu
mied, sondern mit allen großen Männern ihrer Zeit in naher persönlicher
Berührung gestanden und sie persönlich aufgesucht. Auch dies hat man Bettina
als Eitelkeit ausgelegt. Und doch bedeutet es nichts anderes, als daß, während
Rahels reale Person ihr selbst immer hindernd im Wege stand, Bettina, die die
ihre ganz bejahte, sie gerade darum vergessen konnte.
Mit Goethe, mit
Beethoven in einer Zeit gelebt und nicht den lebendigen Eindruck ihres Wesens
empfangen zu haben – das wäre ihr gewesen, wie wenn die Tore zum Himmel offen
gestanden hätten und sie sich abgewendet hätte, um Gottes Antlitz nicht zu
schauen. Hier wollte sie nur schauen, mehr erkennen als erkannt sein.
Denn hier: im
Genius – und nur hier – war ihr Gott und Göttliches unmittelbar bezeugt. Von
einem Bekenntnis zu einer bestimmten Religionsgestalt, zu einem Gott außer ihr
wollte auch sie so wenig wie Caroline, wie Rahel etwas wissen; endgültig und
vermessen löschte ihr Geist in Gott die letzten Spuren eines überweltlichen
Gesetzes, einer richtenden Wirklichkeit aus in dem Wort: »Gott ist die
Leidenschaft.« Es ist die freie schrankenlose Leidenschaft des schöpferischen
Geistes, wie sie sich sichtbar im Genius verwirklicht, die für Bettina zum Gott
selbst wird.
Aus dieser
reinen fraglosen Leidenschaft zum Genius und dem Gefühl, ihm innerlichst
verwandt zu sein, mag sich auch jene eigentümliche Nähe der Begeisterung
erklären, an der ihr persönliches Verhältnis zu Goethe scheiterte. Ihre
Verehrung für den Genius war bei aller Schrankenlosigkeit die Verehrung für den
primus inter pares. Sie begriff den ganzen Abstand – aber sie wußte auch, daß
schon ihn zu begreifen eine innere Gleichheit voraussetzte. Daß sie aber Goethe
so unklug mit ihrer Liebe bedrängte, stammt ganz gewiß nicht daraus, daß sie
sich für ihn für unentbehrlich hielt – im Grunde faßte sie ihre Beziehung zu
ihm sehr wahr und bescheiden auf – sondern aus jener selbstvergessenen
Bewunderung seines Genius, die sie nicht zuviel, sondern zu wenig an ihre
Wirkung auf Goethe denken, zu unbefangen und unbedenklich sich dem Glück, der
Gnade der Beziehung hingeben ließ. – Überhaupt aber lag es Bettinas
leidenschaftlicher Subjektivität fern, ihr Wesen rein auf den Klang, den
Rhythmus eines anderen Wesens abzustimmen, das heißt: taktvoll zu sein. Diese
Gabe war ihr notwendig versagt. Aber für die vollkommene Uneitelkeit ihrer
Liebe spricht wohl am klarsten, daß der traurige Ausklang ihrer Beziehung zu
Goethe: seine spätere Zurückweisung – so wenig wie der schroffe Bruch der
Günderode mit ihr etwas an ihrem Gefühl verändert hat. Hier wird jene
großartige selbstvergessene Treue ihres Wesens sichtbar, die bei Caroline nie
denkbar gewesen wäre.
Überhaupt haben
alle traurigen Erfahrungen ihres Lebens, alle Mißdeutungen geliebter und
verehrter Menschen, die ihr unbedenklich sprudelndes Wesen reichlich erfuhr,
Bettina wohl aufs schmerzlichste betroffen, aber nie verstört, nie aus ihrem
eigenen Gleichgewicht gerissen, weder an den anderen noch an sich selbst irre
gemacht.
In keiner Form
hatte das Fremde Gewalt über sie, auch nicht in der des Schicksals. Sie
vermochte alles zu verlieren außer sich selbst. Selbst Arnims verhältnismäßig
früher Tod hat keinen entscheidenden Schnitt in Bettinas Leben gemacht. Ihr
seltsam schöner Brief an die Brüder Grimm wenige Tage nach seinem Tode zeigt,
daß sie ihn in ihr inneres Leben aufgenommen hatte. Alle Verzweiflung ist ihr
fern. Auch in diesem dunkelsten Augenblick zieht Bettina sich auf sich selbst,
auf ihre Innerlichkeit zurück. Sogar den Menschen, dessen nahe Gegenwart zwei
Jahrzehnte hindurch der höchste Wert ihres Lebens war, nun statt an ihrer Seite
ganz in ihrem Herzen zu finden, ist ihr Trost genug. In ihrem rein und reich
ausgeschöpften Leben blieb kein Bodensatz von Gram und Bitterkeit zurück.
Und dennoch –
und vielleicht gerade darum – beschleicht uns bis hierher immer wieder das
Gefühl, als sei Bettina durch ihr rein in sich kreisendes, schwebendes Dasein,
durch ihr seliges Leben im Geist, durch die Erfülltheit und Schmerzlosigkeit
ihres Schicksals selbst irgendwie vom letzten gramvoll Menschlichen
ausgeschlossen – als sei sie inmitten ihres vollen Menschenglücks und obwohl
sie siebenmal Mutter war, dennoch nicht ganz und gar Mensch geworden, als sei
sie ein Naturwesen, eine Undine oder ein Geist geblieben, der aus seinem
Element nur vorübergehend aufgetaucht wäre und sich unter die Menschen, ihr
Schicksal mitzuleben, gemischt hätte. Daß sie so ganz Phantasie, Harmonie,
Geist- und Elementarwesen war, um das das Leben so vollkommen, so organisch wie
um eine Blume sich ordnete, das scheint die mit Leid und Sterblichkeit erkaufte
vollkommene Menschwerdung auszuschließen.
Man kann sich
Bettina nicht alt denken. Man hat das Gefühl, nur als junger Mensch könne sie
dies unmittelbar mit der Natur verbundene, aus den Quellen des Lebens selbst
schöpfende, in sich selbst selige Wesen sein.
Aber nun erst
erfüllt sich das Wunder ihres Lebens: gerade im Alter wird Bettina erst ganz
sie selbst. Denn in ihr war noch Stoff zu vielen Leben. Nun erst trägt ihre
Phantasie sie empor zu ihrem heroischen Jugendtraum: aus der Fülle des Geistes
für die Befreiung der Welt, der Menschen zu wirken.
Und nun erst –
nach dem Tode Arnims im Jahre 1831 sehen wir die ganze große,wahrhaft
königliche Lebensenergie Bettinas in einer neuen Richtung sich entfalten: sie
greift mit aller Macht ein ins politische und soziale Leben ihrer Zeit. Und das
ist das vollkommen Erstaunliche: nicht lebensfremd, traumhaft, reaktionär und
verwirrend wie die übrigen Romantiker, sondern aus der ganzen
vorwärtsdrängenden Leidenschaft ihres Geistes im Leben wirkend.
Sie allein
unter allen Romantikern hat dem Leben ihrer Zeit leidenschaftlichen Kampf
angesagt. Während die anderen Romantiker durch ihre kontemplativen Ideen von
der Bedeutung des Organischen, Formhaften auch im geschichtlichen Leben zu der
Wertung der in sich geschlossenen und so zu bewahrenden Gebilde von Nation und
Staat, zu dem Gedanken ihres naturhaften Wachstums, ihres Ruhens in sich selbst
und damit zu einer reaktionären Politik geführt wurden, kannte Bettina auch
hier, getreu ihrem Weg, nur die unmittelbare Beziehung des einzelnen Geistes
auf den Gesamtgeist der Zeit. Im Gegensatz zu allen von ihr verehrten Männern
ihres Kreises, zu Savigny, zu Friedrich Schlegel, ja zu Arnim selbst wahrte sie
sich auch hier die reine Unabhängigkeit eines selbständigen Weges, indem sie durch
alle einzelnen Volks- und Staatsgestalten hindurch auf das von der Wahrheit
schlechthin Geforderte drang. Mag auch dies wieder nur eine andere Form der
Romantik sein, so war es doch eine für das Leben unendlich fruchtbarere.
Während Friedrich Schlegel seine hohe Geisteskraft in den Dienst Metternichs,
Schelling die seine in den Dienst Friedrich Wilhelms IV. stellte, erhob diese
Frau ihre Stimme unmittelbar zu Rat und Ermahnung an den König. Allen Ideen von
Freiheit und Befreiung, die in der Revolution von 1848 Gestalt gewannen, griff
sie in ihrem 1843 Friedrich Wilhelm IV. gewidmeten Königsbuch vor. Freilich
durchaus in der ihr eigenen Art und Richtung, die nur in der persönlichen
Freiheit und Größe den Quell der Befreiung und Erhebung auch der Völker sehen
konnte, wollte sie den König zu einem Genius erziehen, der selbst aus der Fülle
seiner Einsicht dem Volke die Freiheit schenken sollte. So weltfremd und
romantisch dies erscheint und wie undurchführbar die Versöhnung des
monarchischen und demokratischen Ideals in der Wirklichkeit sich erwies:
Bettina offenbart doch in seiner Aufstellung einen so glühenden Geist der
Freiheit und der Menschenliebe und eine so wundervolle persönliche
Unabhängigkeit, daß sie selbst ihre Feinde zur begeisterten Anerkennung zwang.
»Sie ist in dieser Zeit der eigentliche Held, die einzige wahrhaft freie und
starke Stimme«, so spricht gerade der ihr sehr wenig wohlgesinnte Varnhagen die
Erfüllung ihres großen Jugendtraumes aus.
Und was man
ihrem Buch an Phantastik und Wirklichkeitsfremdheit nachsagen kann: es hat
dennoch darin vollkommener als zahllose nüchterne politische
Auseinandersetzungen sein Ziel erreicht, daß es lebendig gewirkt hat. Wenn sie
auch aus dem begabten, aber schwachen König bei aller beschwörenden Auseinandersetzung
mit ihm, und obwohl er ernsthaft in sie eintrat, keinen Genius machen konnte:
ihr öffentlicher Ruf an ihn ist nicht im Leeren verhallt.
Weit mächtiger
und unmittelbarer wirkend als ihre Politik ist aber, was sie auf sozialem
Gebiet geleistet hat. Hier hat sie mit dem Blick der reinsten Menschenliebe
noch unrealisierten Ideen unseres Zeitalters vorgegriffen und sich vor allem
auch ganz persönlich in wahrhaft heroischer Weise der Armen und der Verbrecher
angenommen. Sie hat nicht nur, um die Öffentlichkeit aufzurütteln, mit
leidenschaftlichem Ernst über die Lage der Armen Buch geführt für alle von der
Gesellschaft Bedrängten und Benachteiligten – vor allem auch für die, deren
Geist durch den Ungeist der Zeit zu leiden hatte, setzte sie sich mit ihrer Person
ein.
Die Gesinnung,
aus der dies alles geschah, war dieselbe, die sie als halbes Kind schon dem
armen kleinen Judenmädchen in Offenbach – der Meinung des ganzen Städtchens zum
Trotz – beim Kehren der Treppe helfen ließ – dieselbe, die sie noch im Todesjahr
Arnims während einer großen Cholera-Epidemie mitten in das große Sterben, in
die Hütten der Armen und Elenden hineinführte und ihnen furchtlos Hülfe bringen
ließ.
Ihre
Lebenskraft, ihre Tatkraft ist in dieser Zeit, in der ihr heroischer
Jugendtraum in die Wirklichkeit hinausgetreten war, unerschöpflich. Denn auch
jetzt noch, während all dieser an sich schon gewaltigen Leistungen, blieb immer
ihr schönes Haus in den Zelten der Mittelpunkt eines reichen geistigen Lebens.
Immer neue Freundschaften mit außerordentlichen Menschen, immer neue lebendige
Inhalte nimmt Bettina noch in diesen späten Jahren in ihr Leben auf. Kein Alter
ist bis zuletzt an ihr zu spüren.
Im Februar
1859, 74jährig, ist Bettina aus ihrem reichen gesegneten Leben geschieden.
Rückblickend erkennen wir, wie dies ganze Leben in seiner glückseligen Fülle
hervorströmt aus der inneren strahlenden Gewißheit ihrer Jugend: »Es weissagt
etwas in mir, daß eine Kraft in dieser Welt sei, die mit Leidenschaft mich
liebt.« Aus dieser tiefen ursprünglichen Begnadung ihres Wesens hat Bettina
gelebt – begnadet in allem Wechsel ihres Lebens vom Geist, dem sie treu blieb
bis ans Ende. Da war kein Traum und keine Sehnsucht, die sie jemals auch nur
für Augenblicke von dieser innersten Liebe ablenkte und ihr untreu machte. Denn
begnadet war sie auch darin, daß der geschichtliche Augenblick, in dem sie
lebte, wirklich ganz und gar der ihre war: daß sie – ganz Kind ihrer Zeit –
gerade als solches rein aus der Ewigkeit des Geistes leben durfte.
Und so ist ihr
Leben mit allem, was es an Widerspruchsvollem, an Naturhaftem und Menschlichem,
an Traum und Wirklichkeit, an Ruhe und Unruhe, an Heroismus und Leichtigkeit,
an Glauben und Unglauben umfaßt – doch als Ganzes wie eine einzige große
Symphonie, die sich aus dem einen klargegebenen Thema emporentwickelt, immer
vollere Harmonien und Melodien in sich aufnimmt, um zuletzt wie die Symphonie
ihres großen Meisters aus dem traumhaften Klang in das volle Wort des ganzen
Lebens auszubrechen.
Karoline von
Günderode
Denn ich bin
ewig meine Liebe selbst.
Karoline von Günderode
In Karoline von
Günderode begegnet uns die reine Verinnerlichung des romantischen Lebensbildes
wieder in einer anderen Gestalt. In ihr hat eine ganz bestimmte Welt, aus der
die Romantik entscheidende Lebenswerte schöpfte, eine ergreifend reine innere
Gestaltung gefunden: die Welt der griechischen Antike.
Ein Stück
Griechentum, griechischen Lebens ist in ihr neu geboren und in die romantische
Welt tief und leuchtend eingewebt. Die großen Zusammenhänge des griechischen
Mythos bilden das Gewebe dieses ganz persönlichen Lebens, und die Romantik
spielt zu seiner Entfaltung ihre vergeistigte Unendlichkeitsmusik. Es ist
kosmisch orphische Musik von Liebe und Tod, wie sie mit diesem einzigen Klang
dennoch nur in der Welt der Romantik möglich war. Und nicht in der Zeit der
morgendlich quellenden Frühromantik mit ihren aufbrechenden Entdeckungen der
inneren Welt – sondern in der Traumatmosphäre der müde und still und überreif
gewordenen Spätromantik, die rein in die Sphäre des Kontemplativen eingekehrt
war. Nur in dieser Zeit, in dieser Welt war die Gestalt der Günderode in ihrer
bildgleichen, kaum mehr des Lebens fähigen Schönheit denkbar. Rein kontemplativ
in weit abgelösterem Sinne als Caroline, deren starker Wirklichkeitssinn
überall die Forderungen des Wirklichen mit denen des Traumes unmittelbar
versöhnte – rein geistig in schwebenderem, abgelösterem Sinn als die
lebensselige Bettina – in weltloser lautloser Innerlichkeit der
Betrachtung des Lebens und dem Nachsinnen über seine letzten Fragen zugewandt,
war das Dasein der Günderode. »So sehe ich dich dahinwandeln am Hain vorüber,
wo ich heimatlich bin; nicht anders als ein Sperling, vom dichten Laub
verdeckt, den Schwan einsam rudern sieht auf ruhigen Wassern«, schreibt Bettina
einmal an die Freundin. Kein Bild vermöchte vollkommener ihr Wesen
auszudrücken: ihren ruhigen, feierlich ernsten Rhythmus, die schimmernde
Einsamkeit und Lebensferne, die sanfte majestätische Schwermut ihres Daseins.
Und auch bei
ihr kamen die äußeren Umstände von Anfang an ihrer eigentümlichen
Wesensgestaltung entgegen und halfen die Einheit eines Lebens weben, in dem mit
dem Wort des Novalis Schicksal und Gemüt Namen eines Begriffes sind.
Karoline von
Günderode war im Februar 1780, fünf Jahre vor Bettina, in Karlsruhe als
Sprößling eines alten Adelsgeschlechtes, als Tochter zweier dichterisch
begabter Eltern geboren. Sie war die Älteste von sechs Geschwistern; drei ihrer
Schwestern starben ganz jung an der Schwindsucht. Sie verlor ihren Vater schon
mit sechs Jahren, und da sie in wenig günstigen Vermögensverhältnissen war,
wurde sie siebzehnjährig in das evangelische adlige Damenstift in Frankfurt
aufgenommen.
Von ihrer
frühen Jugend an war sie also ganz frei, ohne alle Bindungen und äußeren
Pflichten. Sie hatte vollkommene Muße, ihren Geist zu bilden, zu denken und zu
dichten. So wurde das rein geistige Leben ihr ebenso Voraussetzung wie Aufgabe:
der ihr angewiesene Lebensraum selbst. Und nicht wie bei Bettina war es das
Wirkliche, das sie immer wieder am Geist maß, mit Geist durchdrang; das
Wirkliche, das Individuelle war weder im Leben noch in der Dichtung der
Gegenstand ihrer Gestalt. Auf ihm haftete ihr Blick immer groß und fremd; sie
kannte in beiden Bezirken einzig die Idee.
Dies war das
für die anderen Hinreißende, für sie selbst Verhängnisvolle ihres Wesens: daß
sie blind war für das Alltägliche und Geringe, für das Verwickelte und
Vermischte, aus dem das reale Leben zum allergrößten Teil besteht. Sie blickte
nicht wie Bettina lachend darüber hinweg – sie konnte es überhaupt nicht
sehen.
Man sieht sie
nicht als die, die sie war, wenn man sie als volle plastische Gestalt in den
Aufgaben und Wirrnissen der Wirklichkeit zu erfassen sucht wie Bettina; zu
ihnen ist sie ohne jede Beziehung. Es ist, als wandelte ihre Gestalt wie ein
schönes einsames Luftgebilde auf Wolken, wie im Traum, als haftete ihr Blick
nicht an den Dingen dieser Erde, sondern würde durch sie hindurch unmittelbar
fortgezogen ins Unendliche.
Schon in ihrem
Äußeren – wir besitzen nur sehr mangelhafte Bilder von ihr, aber sehr
schöne lebendige Beschreibungen Bettinas – drückt sich eine unendlich
liebliche Lebensferne aus. »Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren
gedeckt von langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war
vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr
vernehmlich aussprach; – sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen
will, was ich damit auszusprechen meine; ihr Kleid war ein Gewand, was sie in
schmeichelnden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; ihr
Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als daß man es mit dem Worte
schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich und viel zu willenlos,
als daß sie sich in der Gesellschaft bemerkbar gemacht hätte. «
Wir fühlen in
dieser Schilderung das traumhaft Abgewandte, das gleichsam nur Hingehauchte
dieses Lebens. Wir sehen darin zugleich die Unfähigkeit und den mangelnden
Willen, sich durchzusetzen, der nicht einer Schwäche, sondern einer
ursprünglichen Fremdheit gegen das Wirkliche entsprang. Nicht einmal die
Geselligkeit, diese ohnehin schon von der vollen Wirklichkeit abgelöste
romantische Form der Gemeinschaft, konnte der Günderode bei dieser Wesensart
das sein, was sie allen anderen Frauen der Romantik war.
Sie hätte ganz
in sich selbst versinken müssen – wenn sie nicht dennoch eine Welt
besessen hätte, die ihr ganzes Leben aufnahm: ihre Dichtung. Aber diese Welt, die
sie über das Eigene hinausführte, mußte zugleich ihr Leben noch tiefer
entwirklichen. Denn was der Dichter in seine Gestaltung legt, das entzieht er
seinem Leben. Und die Dichtung der Günderode lebt, wie man sie auch im
einzelnen bewerten möge, als ganze für sich. Karoline von Günderode allein von
allen Frauen der Romantik trug in sich die Anlage nicht nur, sondern auch den
Zwang zu objektiver künstlerischer Gestaltung. Und damit ist ihr Leben vor ein
Problem gestellt, das wir im Leben keiner der anderen Frauen finden. Es ist in
ihm jene ursprüngliche Spaltung in gelebtes und angeschautes Leben, wie wir sie
als typisch männliche Lebensform aus dem Leben des schöpferischen Künstlers
kennen. Karoline von Günderode war aber auf der anderen Seite ganz und gar
Frau. Sie wußte – anders als Bettina – von Anfang an, daß sie auf ein
volles lebendiges Frauenschicksal gestellt war. Und dies bedeutet gerade
ungespaltene Einheitlichkeit, Ganzheit des Daseins. Diese ursprüngliche
weibliche Ganzheit ihres Daseins, in der sie aber durch jene Spaltung nicht
unmittelbar zu leben vermochte, spiegelt sich überall in ihrem Schauen, in
ihrer Dichtung. Und da sie sie in Wahrheit nur dort, nicht als gelebte, sondern
als geschaute wieder ergreifen konnte, geschah ihr das Seltsame, daß sie nicht
nur wie die gesamte Romantik Leben und Dichtung vermischte – sondern daß
sie selbst aus dem gelebten in das angeschaute Leben gleichsam
hinüberglitt – daß sie selbst zu einer Gestalt ihrer Dichtung wurde. In
ihrem ganzen Dasein ist etwas von der geheimnisvollen Verschiebung der
Wirklichkeiten, die die wiedererweckte mythische Helena Goethes erfährt: »Ich
schwinde hin und werde selbst mir zum Symbol.«
Und auch mit
der Günderode scheint ja eine Frauengestalt fernster Vergangenheit in das Leben
zurückgekehrt, die immer mit einem leisen Schauder sich in den ihr fremden
Zusammenhängen des gegenwärtigen Lebens wahrnimmt. Sie scheint nicht ganz in
ihre Zeit, noch überhaupt ganz in dies Leben zu gehören, in ihm nicht
ursprünglich verwurzelt zu sein. Das kommt bei ihr zunächst darin zum Ausdruck,
daß die Form des subjektiven Lebens überhaupt ihr fremd und nachträglich
erscheint. Nicht nur ihr Geist war im Gegensatz zu dem rein subjektiven
Bettinas ein objektiv metaphysischer; nicht nur ihr Denken suchte, indem es
sich von dem persönlichen Mittelpunkt ablöste, die Zusammenhänge des Lebens in
sich selbst zu ergründen und vermochte erst von ihnen aus das eigene Dasein zu
erfassen – ihr Lebensgefühl selbst war ein metaphysisches. Im genauen
Widerspruch zu der in sich selbst seligen Bettina drängte sie immer über ihr
Selbst hinaus, sehnte sie sich ganz ursprünglich nach Erlösung von den zu engen
Schranken ihrer irdischen Existenz, erschien ihr die Form des persönlichen
Daseins an sich als eine zu enge gegenüber dem Ganzen des Lebens, das sie als
ihre eigentliche Heimat erfuhr.
Entzückend hat
Bettina der über alles geliebten Freundin gegenüber ihre Eifersucht auf dies
ihr verschlossene Lebensreich und zugleich ihren neckenden verhüllten Zweifel
an seiner Realität und Zulässigkeit für das menschliche Dasein ausgedrückt.
»Ich weiß nicht«, schreibt sie der Günderode, »wie ich immer empfinde, als sei
alles Leben inner mir und nichts außer mir, Du aber suchst in höheren Regionen
nach Antwort auf Deine Sehnsucht, willst mit Deinen Gespielinnen den Mond
umwallen, wo ich keine Möglichkeit mir denken kann mitzutanzen, willst erlöst
sein von den engen Schranken Deines Wesens, und mein ganz Glück ist doch, daß
Gott Dich in Deiner Eigentümlichkeit geschaffen hat.«
So sucht
Bettina den Wert und die Schönheit, die Karoline von Günderode im Ganzen des
Lebens sucht, rein in die Persönlichkeit der Freundin zurückzuverlegen. Und nur
so: als Ausdruck dieser einzigen Persönlichkeit, als Gestaltung ihres
Verhältnisses zur Welt liebt und verehrt sie auch deren Dichtung. Sie, die alle
gedanklich ausgedrückte Metaphysik verabscheut, sieht in der dichterisch
geformten der Günderode die das lebendige Ganze ihres Lebens widerspiegelnde
Schönheit, und aus der Gläubigkeit ihres Herzens sagt sie zu ihr: »Du aber bist
ein Dichter und alles was Du sagst, ist die Wahrheit und heilig.« Daß das
Denken der Günderode kein bloßes abstraktes Denken war, daß es immer zugleich
eine Gestalt hatte, Gestalt war, daß so auch sie der Schönheit diente und daß
sie sie zugleich selbst verkörperte, war der Lebensnerv der Freundschaft
zwischen ihr und Bettina. Hier beteten die beiden so ungleichen Freundinnen zu
einem gemeinsamen Gott. Und ganz im Geist einer seligen, schwebenden Schönheit,
jener »Schwebe-Religion«, die sie gemeinsam gründen und leben wollten, war
diese von lebendigem Geist überströmende Jugendfreundschaft gegründet, die in
keinem Frauenleben ihresgleichen gehabt hat.
Bettina war in
ihr die Empfangende und die weit Leidenschaftlichere. Sie hat vielleicht nie
wieder einen Menschen so geliebt wie die Günderode, die sie so tief und rein
wie kein anderer Mensch verstanden, von deren adliger Seelengüte sie noch nach
deren Bruch mit ihr so innig Zeugnis abgelegt hat, von der sie noch spät in
ihrem überreichen Leben bekannt hat: »das Beste, was ich weiß, verdanke ich der
Günderode.«
Sie saß der
Freundin, die, der Jüngeren gegenüber in allem Persönlichen streng
verschlossen, sie nur in die Welt ihres Geistes einführte, wie eine Jüngerin
der Priesterin zu Füßen. Die Günderode las ihr ihre Dichtungen vor, die Bettina
in immer neuer lebendiger Begeisterung an der Größe und Reinheit ihrer Bilder
und Gestalten aufnahm. Diese eigentümliche Größe und Reinheit, die Bettina
hinriß, stammte aus zwei gesonderten Quellen; sie stammte einmal aus der
ursprünglichen Lebensferne der Günderode, die nur das Fremde und weit
Entfernte: die verschimmernden blauen Grenzlinien eines Lebens erblickte, über
dessen nahe Fülle und konkrete einzelne Gestalten ihr Auge hinwegschweifte; sie
stammte zum andern aus der Gewalt einer leidenschaftlichen und von keiner
Wirklichkeit eingeschränkten Empfindung, der nur das Größte gemäß und
selbstverständlich, das Kleine und Halbe bis zum Nichterkennen fremd und
unbegreiflich war.
So schwingt und
schwebt die Dichtung der Günderode allein im Lebensraum des Unermeßlichen.
Nichts ist ihr zum Ausdruck groß, gewaltig, fremd und fern genug. Nur von
übermächtigen Ereignissen, Schicksalen und Taten, die wie riesenhafte Schatten
des Zeitlichen auf die bleiche Nebelwand der Ewigkeit fallen: von blutigen
Schlachten, heldenhaften Überwindungen und Selbstüberwindungen handeln die
Dichtungen der jungen Stiftsdame, die – wie Bettina einmal erzählt
– so schüchtern war, daß es sie jedesmal Überwindung kostete, im Stift, wenn
die Reihe an ihr war, das Tischgebet zu sprechen. Wer die scheue, mädchenhafte
Gestalt mit den sanften blauen Augen sah, wunderte sich über die gigantischen
männlichen Themen ihrer Dichtung. Aber diese waren nichts anderes als die
Spiegelungen eines Geistes, der nur in den ewigen Lebenszusammenhängen seine
Heimat hatte, und einer Empfindung, deren hohe Wellen kein irdisches Ufer
einzudämmen vermochte.
Dies
urromantische Verhältnis einer reinen Spiegelung inneren Lebens ist in den
Dichtungen der Günderode überall fühlbar. Sie gehen nie von äußeren
Wirklichkeiten aus und haben die großen, nicht ganz ausgefüllten Linien des
rein Imaginativen. Sie spielen wie fast alle Dichtungen der Romantik in fernen
Ländern und Zeiten, von denen man nicht das Einzelne, Individuelle, sondern nur
die allgemeinen großen Umrisse sieht. Und sie haben auch das aller romantischen
Dichtung Gemeinsame: daß sie, auch wo sie epische oder dramatische Form haben,
reine Lyrik sind, daß es allein der glühende Mittelpunkt des persönlichen
Lebens ist, der sie von innen her beseelt und seine Strahlen unmittelbar in das
Ganze des Werkes aussendet: was er nicht mehr ganz erreicht, läßt er kalt und
leer zurück – aber je mehr wir uns ihm annähern, um so lebendiger, wärmer
und erfüllter strömt uns das Leben dieser Dichtung entgegen.
Der glühende
Kern der Dichtung der Günderode ist die eigentümliche leidenschaftliche und
leidvolle Beziehung ihres Lebens zu Schönheit und Tod. Nur am Tod entfaltet die
Schönheit die ganze tragische Gewalt ihres Wunders; nur am Schönen wird der Tod
in seiner ganzen zerrüttenden Kraft erlebt. So ist der durch alle Melodien
immer wieder emporquellende Grundton der Dichtung der Günderode die Klage um
die Vergänglichkeit des Schönen. Der Refrain ihres Gedichtes »Adonis
Totenfeier«:
Wehe daß der
Gott auf Erden
Sterblich mußt
geboren werden
ist der Refrain
ihrer Dichtung überhaupt. Wie kann es sein – das ist die Urfrage ihres
Lebens –, daß das Schöne, das die Erscheinung des Göttlichen auf Erden
ist, dennoch vergänglich ist? Ist denn das Göttliche nicht ewig? Es ist die
Frage der Gestalt an das Chaos, der Ewigkeit an die Zeit, der Unsterblichkeit
an die Vergänglichkeit: diese Urfrage der eleusinischen Mysterien, die ihre
Urantwort bereits mit sich führt. In der Schönheit ist der Gott selbst in das
Leben herabgestiegen, und das Leben, in dem er sich offenbart, ist dasselbe,
das ihn in unaufhörlichem Wandel in sich zurücknimmt. Aber das Göttliche als
seinem Wesen nach Ewiges kann nicht sterben. Sein Tod ist nur scheinbarer Tod.
Was stirbt, ist nur seine Form. Es selbst bleibt im Wechsel erhalten, um in
immer neuer Form aufzuerstehen.
Wir selbst aber
sind Gestalt – und Liebende der Gestalt. Und indem wir als vergängliche
Gestalten in den ewigen Kreislauf eingehen, entströmt uns zugleich als
Liebenden die Klage über den Tod jeder einzelnen Offenbarung des Göttlichen,
jeder Schönheit, die unser Auge in ihrer Einmaligkeit schaut, an die unser Herz
in dieser Einmaligkeit sich verliert.
Aber diese
Totenklage um die einzelne Erscheinung des Göttlichen im Irdischen, um den
»süßen Leib des Schönen« zieht selbst den Blick vom Irdischen hinweg in das
Mysterium der Verwandlung, in die das Göttliche sterbend eingeht. Von der Liebe
zum einzelnen Schönen wird durch seinen Tod selbst der sehnende Geist
hinabgezogen in das Geheimnis der ewigen Auferstehung.
So führt die
Schönheit mitten in das Mysterium der Unsterblichkeit hinein. Nur geweihten
Augen offenbart es sich: Nur denen, die im vergänglichen Schönen den
unsterblichen Gott erfahren, denen so die Totenklage um das Schöne schon
durchweht ist von der ahnungsvollen Verheißung seiner Auferstehung.
Laßt die Klage
uns erneuern!
rufet zu
geheimen Feiern
die Adonis
heilig nennen,
seine Gottheit
anerkennen,
die die Weihen
sich erworben
denen auch der
Gott gestorben.
Brecht die
dunkle Anemone
sie, die ihre
Blätterkrone
sinnend still
herunter beuget,
leise sich zur
Tiefe neiget
forschend, ob
der Gott auf Erden
wieder soll
geboren werden.
Wie die dunkle Anemone
neigt die Seele der Dichterin sich lauschend über das Mysterium des Todes, aus
dem ihr die Verkündung des großen Kreislaufes von Liebe, Tod und Auferstehung
aufrauscht. Der Tod selbst war ihr so letzte Erschließung, Sinn und Mittelpunkt
des Lebens. In seinem Zeichen weihte sich ihre Seele dem Gott, dessen
Priesterin sie war. Es war ein dunkler unerbittlicher Gott, obwohl es der
berauschte selige Gott war, der in Platos Gastmahl den festlichen Hintergrund
des Lebens wie einen Vorhang aufhebt und die bekränzten Zecher auf das große
ewige Meer der Schönheit hinausblicken läßt: dies Meer, das dem, der es schaut,
Glanz und Entzücken, dem, der sich hinauswagt, Gefahr und Tod ist.
Sie selbst aber
kannte keinen Unterschied zwischen Schauen und Sein. Im Schauen selbst wagte
sie sich, und das Wagnis ihres Seins selbst lag im Schauen.
Wer die
Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode
schon dahingegeben –
so hat
ein späterer Dichter, Platen, das Mysterium solcher Einheit ausgesprochen. Dies
war Karoline von Günderode: eine vom Eros Getroffene, von der Schönheit bis in
Tod und Auferstehung hinein Entflammte. Das Leben, das sie trug, ging in
größeren Wellen als das der anderen Sterblichen. Und sie konnte sich ungestört,
unabgelenkt diesem Rhythmus ihres Lebens überlassen. In ihrem abgesonderten,
rein nach innen gewandten Dasein mußte sie früh erfahren, daß sie in ihm
wehrloser und schrankenloser als andere gebundenere Menschen den Stürmen ihres
leidenschaftlichen Herzens preisgegeben war. Wir wissen von einer frühen
Leidenschaft, die schon der entscheidenden vorausging, die zweifellos einen nie
wieder ganz gelichtetenSchatten über ihr Dasein gelegt hat.
Neunzehnjährig,
im Juli 1799, lernte sie auf einem Gut bei Freunden den späteren großen
Rechtsgelehrten Savigny kennen. Er war um ein Jahr älter als sie; ernst,
scharfblickend, früh gereift, sanft und verschlossen. – »Dieser Mensch
ist ganz wie ein inhaltreiches, tiefes Buch, das man lange studieren kann, ohne
es ganz zu erkennen«, hat Creuzer später einmal von ihm gesagt. Und: »Du
glaubst nicht, wie Wenige man findet in der Welt, die ganz frei sind vom
Schlechten und Gemeinen, und wie ein Mann gleich Savigny ein wahres Wunderwerk
ist«, schreibt Clemens an Bettina. Alle Menschen seiner Umgebung sind trotz seines
einsamen abgeschlossenen Gelehrtenlebens und seiner großen Schweigsamkeit einig
in dem Lobe seiner reinen Güte und großartigen Menschlichkeit. Ein klares Bild
dieser tiefen, geistdurchströmten Menschlichkeit geben die Briefe, die er
später an die Günderode geschrieben hat. Aber auch noch etwas anderes hat
Creuzer an Savigny gesehen: »Er ist zurückhaltend wie im Wort so in den Gütern
dieses Lebens. Ihm fehlt die Gabe zu verschwenden.« Und hierin hat er
zweifellos den für Karolinens Schicksal verhängnisvollen Wesenszug des streng
zusammengefaßten, herben Menschen ausgesprochen.
Schon beim
ersten Anblick machte Savigny einen tiefen Eindruck auf sie, und sehr bald
wurde ihr klar, daß es eine mächtige Leidenschaft war, die sie zu dem
außerordentlichen Menschen hinzog. »Zürnen möchte ich mit mir selbst«, schreibt
sie ihrer Freundin Karoline von Barkhaus, »daß sich mein Herz so schnell an
einen Mann hingab, dem ich wahrscheinlich ganz gleichgültig bin; aber es ist
nun so.«
Sie ist Savigny
keineswegs gleichgültig gewesen, das sieht man klar aus manchenspäteren
Äußerungen gegen sie. Und daß er sein Gefühl nicht Herr über sich werden ließ
und eine strenge Zurückhaltung bewahrte, beruht sicher nicht auf der Schwäche
dieses Gefühls, sondern auf einer eigentümlichen Klarheit seiner Person. Sicher
hatte er in seiner planvollen Art bald erkannt, daß eine so schicksalhafte
Liebe, wie es die zu dieser Frau notwendig werden mußte, den ihm
vorgezeichneten Weg gestört hätte. Bei der genauen und tiefen Kenntnis von
Karolinens Wesen, die seine späteren Briefe an sie zeigen, empfand er
zweifellos schon damals, welcher Art ihre Liebe war: daß sie flammend
gegenwärtig, doch nicht verläßlich und tragend: ganz Ewigkeit, Traum und
Dichtung, aber nicht geschaffen sich in der Zeit zu bewähren, nicht das Leben
des Tages unterbauende Ruhe und Festigkeit war, – selbst ein glänzendes,
weit hingebreitetes Meer, dem sein Lebensschiff anzuvertrauen Gefahr war. Bei
Karolinens reiner Offenheit in der rasch aufblühenden Freundschaft beider mußte
Savigny sehr bald das durchschauen, was er später oft ihre Narziß-Natur nannte:
eben jenes sehnsüchtige Hingerissen- und Fortgezogenwerden von jeder lebendigen
Schönheit um den Preis einer vollen schlichten irdischen Treue, das in
Karolinens Dichtung immer wieder gestaltet ist, das sie in ihrem Zwiegespräch
»Wandel und Treue« am unmittelbarsten ausgesprochen hat:
Ich liebe
Menschen nicht und nicht die Dinge,
Ihr Schönes
nur – und bin mir so getreu;
Ja Untreu’ an
mir selbst wär andre Treue,
Bereitete mir Unmut,
Zwist und Reue,
Mir bleibt nur
so die Neigung immer frei.
Die Harmonie
der inneren Gestalten
Zerstören nie
die ordnenden Gewalten,
Die für
Verderbnis nur die Not erfand. –
Drum laß mich,
wie mich der Moment geboren.
In ew’gen
Kreisen drehen sich die Horen,
Die Sterne
wechseln ohne festen Stand,
Der Bach
enteilt der Quelle, kehrt nicht wieder,
Der Strom des
Lebens woget auf und nieder
Und reißet mich
in seinen Wirbeln fort.
Sieh alles
Leben! es ist kein Bestehen,
Es ist ein
ew’ges Wandern, Kommen, Gehen,
Lebend’ger
Wandel! buntes reges Streben!
O Strom! in
dich ergießt sich all mein Leben!
Dir stürz’ ich
zu! vergesse Land und Port!
Die Günderode
hat diese ihr so sehr eigentümlichen Worte, in denen die Idee des platonischen
Eros im romantischen Lebensrhythmus Gestalt gewonnen hat, selbst dem Narziß in
den Mund gelegt. Die fortstürzende Liebe des ewig vom Eros, von jeder neuen
lebendigen Schönheit Entflammten enthüllt sich dem rein nach innen gewandten
romantischen Lebensgefühl zuletzt als bloße täuschende Selbstspiegelung; der
Liebende wirft sich der geschauten Schönheit entgegen und sinkt sehnsüchtig in
seine eigene Schönheit, seine eigene Unendlichkeit hinab. Diese Liebe des
Narziß, des unentrinnbar an sich selbst hingegebenen Todes- und
Unsterblichkeitssüchtigen, in der ewig die Priesterin neu um den Tod des Gottes
klagt, um in immer neuer verwandelter Form seine Auferstehung zu erleben: diese
echte Dichterliebe war die Form von Karolinens Liebe. »Sich in andern liebt der
Mensch« – dies Mysterium unersättlicher romantischer Liebe hat sie in
unzähligen Formen immer wieder ausgesprochen.
So mochte
Savigny mit seinem untrüglichen menschlichen Instinkt bald erkannt haben, daß
für dies schöne und einzig im Schönen lebende Wesen die Treue gegen das
Wirkliche und der reale Alltag des Lebens nicht existierten, daß sie ihm keine
Gestaltung würde geben können. Er selbst aber hatte sich seinen Lebensplan des
großen Wissenschaftlers früh mit voller systematischer Klarheit entworfen. Die
Wissenschaft ging bei ihm dem Leben voraus und gliederte und ordnete sein
persönliches Dasein. Er verheiratete sich fünf Jahre später mit Bettinas
älterer Schwester Gundel, die unter allen Brentanos am wenigsten hervortritt
und wohl eine lebendige, kluge, aber keineswegs eine außergewöhnliche Frau war.
Wir erfahren
nichts darüber, wie diese erste schwere Zurückweisung in sich selbst Karoline
traf. Sie war nach seiner Verheiratung öfter auf Savignys Gut zu Gast und mit
ihm herzlich befreundet. Er hat alles getan, um sich ihre Freundschaft zu
erhalten, ihre Zurückhaltung ihm gegenüber zu brechen; er hat wie ein Liebender
und wie ein Künstler neckend und ernst an ihrer Gestalt gebildet und sie zum
Verständnis ihrer selbst, zu einer größeren Straffheit und Bewußtheit in Leben
und Arbeit und zu einer stärkeren Verantwortung gegenüber dem Wirklichen zu
erziehen gesucht.
Trotzdem hat
sicher dies Erlebnis in ihrer Seele unauslöschliche Spuren hinterlassen und sie
noch tiefer in die Einsamkeit ihres Wesens und ihrer Liebe hinabgestoßen. Aus
der Zeit ihrer Liebe zu Savigny stammt das Gedicht:
Du innig
Rot bis an den Tod
soll meine
Lieb’ dir gleichen,
soll nimmer
bleichen,
bis in den Tod
du glühend Rot
soll sie dir
gleichen.
Es ist ein
Gelübde an ihre einsame, rein in sich lebende Liebe. Ihr Eros war ein einsamer
Gott. Da er in ihrem ersten großen Gefühl aus seiner Einsamkeit nicht erlöst
wurde, wandte er sich noch tiefer in ihr Inneres zurück und prägte damit ihre
Narzißnatur noch traumhafter und verhängnisvoller aus.
Später nahm
Clemens Brentano, der auf seine Art heftig und verwirrend in Karoline verliebt
war, durch die Schönheit seiner Dichtung und durch seinen großen persönlichen
Zauber eine kurze Zeitlang ihr Herz gefangen; aber an der Augenblicklichkeit
und Vielfachheit ihres Wesens, in der sie sich nicht zurechtfand, zerbrach ihre
Neigung schnell.
Karolinens
Schicksal erfüllte sich, als sie Friedrich Creuzer kennen lernte, der Professor
der Philologie und Geschichte in Heidelberg war. Er war damals dreiunddreißig
Jahre alt und seit mehreren Jahren verheiratet.
Creuzer und
Karoline begegneten sich an einem Augustmorgen auf dem Altan des Heidelberger
Schlosses; der erste Anblick Karolinens entschied über Creuzers Schicksal. Die
schwebende Schönheit, die griechische Anmut ihrer Erscheinung riß ihn hin, und
ihr Geist und ihr Wesen bestätigten alles, was ihr Anblick verhieß. Es war ihm,
als ob in ihr der reinste Traum seines Geistes in das Leben herabgestiegen
wäre. Denn sein ganzes Schaffen kreiste um die Welt der griechischen Antike; es
war seine Sehnsucht, sie im Sinne der Romantik aus einer zentralen Idee heraus
als einen in sich ruhenden Organismus, eine lebendige Gestalt zu erfassen.
Dieser Idee des Griechentums, die ihm bis dahin nur unbestimmt vorgeschwebt
hatte, entsprach Erscheinung und Wesen, Weltanschauung und Dichtung der
Günderode in so wunderhafter Weise, daß seine Idee sich durch sie mit Blut und
Leben füllte und das Griechentum unmittelbar aus ihr sich ihm zu einem klar
geschauten Bilde gestaltete. So wurde sie ihm für sein Leben und sein Werk
gleich entscheidend.
Nicht lange
nach diesem ersten Zusammentreffen schon schreibt er ihr: »Das Vertrauen, das
Sie in den ersten Stunden unserer Bekanntschaft gegen mich zeigten, war das
gegen einen alten Freund. Aus mir aber sprach Liebe vom ersten Augenblick an.
Kann ich es sagen, wie sie ward? Wer kann der Gottheit widerstehen?« Als eine
Gottheit kam diese Liebe in sein Leben; als Gottheit ist ihm Karoline selbst
erschienen. Und fast ist es, als hätte er bei aller Sehnsucht nach ihrer Liebe
gewünscht, sie möchte ihm Gottheit bleiben, als wäre seine eigene Liebe ihm
genug des Glücks gewesen. Es ist in diesem Brief nicht das einzige Mal, daß er
sie darauf hinweist, daß sie anfänglich für ihn nur Freundschaft und Vertrauen
empfunden habe. Er war äußerlich unschön, ein verheirateter Mann. Sein
mühseliges und eingeschränktes Gelehrtendasein, seine Ehe mit einer um dreizehn
Jahre älteren Professorenwitwe hatten ihn bereits innerlich gezeichnet. Aber im
Maße, als die seltene geistige Übereinstimmung zwischen Creuzer und Karoline
sich bestätigte, als seine starke und bewundernde Liebe wuchs, griff ihre
Flamme auf Karoline über. Indem er sich mit ihrem Geist, mit ihrem Leben
erfüllte, wuchs er selbst, wurde weiter, reicher, blühender, ihr gemäßer. Man
kann sich kein wunderbareres geistiges Erblühen an einer Liebe denken als das
seine. Aber auch er hatte ihr viel zu geben, er brachte ihr eine fremde, ihr
tief gemäße Metaphysik: Schelling, Spinoza, den Neoplatonismus vor allem nahe, die
ihr philosophischer Geist mit lebendiger Leidenschaft ergriff und in ihre
eigene Weltanschauung einschmolz. So führte er sie ein entscheidendes
Stück tiefer und weiter in ihre eigene Welt hinein. Aber immer fühlte er sich
durch ihre ursprünglich größere, weitere, dichterischere Anschauungsweise,
durch die Schönheit ihres ganzen Seins als der Beschenkte, der zu ihr
Aufblickende, der vor ihr Knieende.
Creuzer war
eine reine, gütige, wahrhaftige Natur, mit einer tiefen Sehnsucht nach
Schönheit des Denkens und des Lebens. Aber er war nicht nur durch eine ihm
ungemäße Ehe gebunden; er war auch Professor und von allen Schranken seines
Berufes eingeengt. Er war in seiner Wissenschaft wie in seinem Leben gebunden.
Er stand den Gedanken der Romantik mehr in Sehnsucht als in Wirklichkeit nahe.
Seinem Leben wie seiner Geistesart nach war er ihnen fern, weil er auf der
einen Seite ein in allen Elendigkeiten des bürgerlichen und insbesondere des
kleinstädtischen Universitätslebens gebundener Mensch – auf der anderen
Seite ein rein wissenschaftlicher, objektiver Denker war. Was ihm an
ursprünglicher Lebendigkeit und Intuition gegeben war, war gerade genug, um ihn
die Schranken seines Lebens wie seines Denkens empfinden zu lassen und ihm die
Augen zu öffnen für die Schönheit und Fülle einer Totalität, die er zu schauen
vermochte, von der er aber selbst schicksalsmäßig ausgeschlossen war. Das
Verhältnis seines Geistes zur Romantik war dasselbe, wie das seines Lebens zu
Karoline, die ihn über die Grenze seines Wesens hinausführte, in die Lücke
seines Lebens selbst eintrat und ihn mit dem Versagten beschenkte.
Er konnte dies
Geschenk nur noch als ein Hingerissener annehmen und sich geistig mit ihm
erfüllen. Erwidern konnte er es nicht. Seiner schönen Natur waren in dürftigen
Verhältnissen, in sorgenvoller Berufsarbeit und in einer seinem Wesentlichsten
völlig fremden Ehe, die er wohl nur aus einer zu frühen Selbstbescheidung
geschlossen hatte, die Flügel geknickt. Als er in seiner neuen, großen,
überwältigenden Liebe die Flügel ausbreiten wollte zu vollem beseligendem
Fluge – da trugen sie ihn nicht mehr.
Er überschüttet
die Geliebte in seinen Briefen mit Strömen verklärender Liebe. Er gibt ihr alle
Namen seiner Sehnsucht, er nennt sie die Herrliche, die Große, er nannte sie
zuletzt nur die Poesie selbst. Mit all dem sonderte er sie aber zugleich von
seinem persönlichen Leben ab, wies er ihr ein schimmerndes Reich für sich: das
Reich ihres eigenen Seins an, in dem er sie wie in einem Heiligtum verehrte,
das er selbst zu betreten sich aber nicht getraute.
Von dem
Augenblick an, wo er ihrer Gegenliebe inne wird, taucht die Angst herauf, ihrem
Schönheitssinn vor allem durch sein Äußeres, aber auch durch sein Wesen und
Leben nicht genügen zu können. Er ist darin von Anfang an von tiefer
Wahrhaftigkeit. Immer wieder sagt er, daß er unwürdig sei, von der Poesie
geliebt zu werden, daß ihm die Anmut der Erscheinung und des Ausdrucks fehle,
die Schönheit, die doch ihre Lebensluft sei. »Die Natur war ja überhaupt
ungütig gegen mich im Äußeren; besonders auch in der Kunst und im Reiz des
Ausdrucks«, schreibt er ihr. »Ich bin eine von den hölzernen Silenenfiguren,
wie einmal Plato sagt im Gastmahle, die, selber schlecht, zu Behältern dienen
von herrlichen Götterbildern, die man darin verschließt des Staubes wegen. Das
Götterbild ist mein Gemüt, das fähig war, Ihren Wert zu fühlen.« So verlegt er
immer wieder allen Wert seines Lebens in das ihre. Und als sie ihm dennoch ihre
Liebe immer wieder beteuert, als er nicht mehr daran zweifeln kann, daß er von
ihr geliebt ist, taucht noch eine andere Angst herauf: er beginnt zu fürchten,
daß sie ihm die Schönheit, die ihm fehlt, andichte, daß sie ihn
idealisiere – daß er gar nicht der sei, für den sie ihn halte, daß er sie
darum durch seine Wirklichkeit immer wieder um so schwerer enttäuschen müsse.
Und wirklich scheint oft beim Wiedersehen nach längerer Trennung ein Schatten
der Enttäuschung an ihm sich über die Beziehung gelegt zu haben. Zum mindesten
empfand er es so, und es quälte und beunruhigte ihn im tiefsten.
»Nun darf ich
mich doch der Hoffnung überlassen, Sie den Sommer zu sehen«, schreibt er ihr
einmal. »Sie fragen, ob ich mich darauf freue – wie die finstere Welt auf
das Erwachen des Tages! Ob ich mich freue? Nein, dennoch, ich freue mich
nicht – ich bin bang und sehe mutlos entgegen dieser Zusammenkunft
– denn ich ahne es: die längere Entfernung hat in Ihrer Seele wieder
untergeschoben ein günstigeres Bild von mir, gemalt mit den Farben Ihrer
idealisierenden Dichtung – und nun ich dann selber komme in meiner
Armut – so kann ich nicht bestehen – und das verwundet mich
tief – und ich muß trauern. «
Die
eigentümliche, etwas gespreizte Art des Ausdrucks, die pathetische Umstellung
der Worte, die sich wie in diesem Brief so auch sonst zuweilen in seinen
Briefen an sie findet und seinen sonst so freien und klaren Stil
beeinträchtigt, scheint auf ein Bestreben hinzuweisen, sich der »Poesie« und
ihrer poetischen Denk- und Sprechweise anzunähern – ein Bestreben, das in
seiner rührenden Vergeblichkeit den Abgrund, den es zu überbrücken strebt, um
so deutlicher offenbar werden läßt.
Immer
angstvoller empfand Creuzer, daß ihre Liebe gar nicht ihn meinte, sondern einen
Traum, ein selbstgeschaffenes Wunschbild, daß die Geliebte an ihm selbst, an
seiner Wirklichkeit vorbeiliebte. Diese Befürchtungen blitzen freilich zunächst
nur zwischen den Beteuerungen glühendster Liebe und Verehrung und mitten im
Beglücktsein durch ihre Liebe auf. Aber sie kehren immer wieder.
Wir besitzen
nur Creuzers Briefe; die Karolinens sind bis auf einige wenige verloren. Aber
der Reflex ihrer Briefe ist in den seinigen deutlich sichtbar. Und Schritt um
Schritt entrollt sich darin das Schicksal.
Die Bande
seiner Ehe werden zuerst im schwebenden Glück der Beziehung kaum gefühlt, dann
namentlich für Creuzer immer drückender; schließlich wird die Scheidung
erwogen. Aber nun tritt das schwerste Hindernis dazwischen – das kein
harter Stein ist, den man mit Mut überspringen, kein verzweifelter Knoten, den
man mit dem Willen durchhauen kann – sondern etwas Weiches, Elastisches,
das immer zurückweicht und doch immer dableibt: die Güte von Creuzers Frau.
»Ach wäre doch Sophie recht groß – oder recht schlecht!« schreibt er
verzweifelt seinem Freunde. »Aber bei dieser tötenden Güte!« – und gleich
darauf leidenschaftlich: »Du siehst, daß hier zwei Personen aufgeopfert werden,
weil sie eine dritte nicht aufopfern können.« Der Wahnsinn solchen Opfers war
also Creuzer vollkommen klar; aber gegen die Güte seiner Frau besaß er keine
Waffen. Und für Menschen so zarten Gewissens wie Creuzer und Karoline mußte
diese immer nachgiebig zurückweichende Güte wohl in der Tat das
Unüberwindbarste sein.
Und doch wurde
der Entschluß zur Scheidung gefaßt; Creuzers Frau selbst gab in einem wirklich
guten, wenn auch vielleicht etwas zu guten und zu leidenden Brief ihre
ausdrückliche Einwilligung dazu. Ob aber die Nachgiebigkeit gegen seine Frau
vielleicht doch ein ihm unbewußter Selbstschutz Creuzers gewesen war?
Jedenfalls treten nun, wo das Äußere sich zu entwirren beginnt, erst die in der
Beziehung selbst liegenden Schwierigkeiten hervor. Auf einen Sturm von
Seligkeit Creuzers folgt bald der leise, aber auch immer wiederkehrende Zweifel,
ob das geliebte Mädchen – die frei über den Dingen schwebende Jungfrau –
die »Poesie« geschickt sei, eine Ehe zu führen und immer Treue zu ihm zu
bewahren. Zuerst berichtet er diese Zweifel immer als Bedenken anderer –
aber, wenn sie seine Seele nicht berührt hätten, hätte er sie sicher nicht
gegen die Geliebte geäußert.
Überhaupt ist
für unser Gefühl die Rolle, die die Anderen – lauter gute, oft allzu gute
Freunde – in diesem Verhältnis spielen, störend und oft peinvoll. Es beweist
eine innere Unsicherheit Creuzers, daß er in dieser Sache immer andere zu Rate
zog, und auch Karoline ist davon, wenn auch sicher nur unter dem Einfluß seines
Schwankens, nicht frei. Wäre die Beziehung in sich selbst problemlos gewesen –
so hätten die Liebenden gewiß die schwierigen äußeren Verhältnisse allein
bezwungen. Am entscheidensten hat wohl Savigny auf beide eingewirkt, als sie
den Entschluß zur Scheidung und damit zur Heirat bald schon wieder fallen
ließen. Savigny hatte gesagt, daß er die Scheidung, zu der der Entschluß
Creuzers Frau nur abgerungen sei, als ein Unrecht an ihr empfinde, und ihnen
darum davon abgeraten. Ob aber nicht seine abgründige Klugheit diesen Grund
vorschob, weil er die beiden ihm teuren Menschen vor einer Verbindung schützen
wollte, aus der er für beide nur Verwirrung und Unheil hervorgehen sah?
Abenteuerliche,
echt romantische Pläne tauchen nun auf. Karoline will als Jüngling verkleidet
in Creuzers Nähe leben; sie wollen nach Rußland auswandern – alles Pläne einer
vollkommen unwirklichen Phantasie, bei der Creuzers Natur und Verhältnisse ganz
aus dem Spiel gelassen waren. Mitten in diesen Kämpfen und verwirrten
hoffnungslosen Plänen, die Karolinens zarte Natur in der Tiefe erschütterten,
war der Todesgedanke ihr steter Begleiter. Es war in dieser Zeit, daß die
letzte ihrer drei jüngeren Schwestern, die ihr im Alter und in der Empfindung
am nächsten gewesen war, plötzlich starb. Bettina berichtet uns von einer
Erscheinung, die Karoline drei Wochen später hatte. Sie lag im Bett bei
brennendem Nachtlicht, als plötzlich die Schwester zu ihr hereintrat. Sie
schritt auf das Bett zu, ergriff den Dolch, den Karoline immer neben sich
liegen hatte, hob ihn empor und legte ihn langsam wieder hin, und sah dabei die
Schwester fragend an, ob sie verstände. Darauf nahm sie die Nachtlampe und
blies sie aus – »denk nur«, sagte sie voll Schauer – »ausgeblasen«.
So nah wandelte
Karoline damals immer am Rand des Todes, daß diese Erscheinung ihr nur einen
lang erwogenen Gedanken sichtbar machte. Der Tod war ihrer sonst so zaghaften
Natur nichts Fremdes; er war nicht nur der Mittelpunkt ihrer Weltanschauung,
sondern auch das Grunderlebnis ihres Daseins. In ihrem Lebensgefühl selbst war
er ihr beständig nah. Es war, als wäre das lose gewirkte, durchscheinende
Gewebe ihres Lebens an sich durchsichtiger für den Tod. Ihr Wesen war
ursprünglich wie von tieferen Mächten aufgelockert. Er hielt dem Leben nicht
stand. Die Gewalt ihrer Empfindungen traf auf eine blumenhaft zarte, schwache
Vitalität. Ihre Leidenschaften waren, als schüttelte der Sturm eine zarte weiße
Rose, die nur noch leicht am Stengel hängt.
So erscheint
ihre Weltanschauung als die Auseinanderfaltung ihres Lebensgewebes selbst, in
das der Tod klarer und erkennbarer als in das gewöhnliche Menschenleben seine
reine Linie eingezeichnet hatte. Und ihr Schicksal grub diese Linie einem
Schnitt gleich noch tiefer und verhängnisvoller ein und gab dem Tode wachsende
Gewalt über ihr Leben. Wenn jedes nahen und geliebten Menschen Tod unser Leben
dem Tode um eine Spanne näher bringt – wie nah mußte Karolinens Leben ihm
kommen, dadurch, daß ihre drei jüngeren Schwestern eine nach der anderen in
kurzem Zeitraum vor ihr hinstarben. Man sieht ihr Leben tiefer und tiefer in
den Schatten des Todes hineinrücken.
Man sieht
zugleich in ihren Dichtungen und Briefen, wie in diesem Schatten ihre Liebe
immer süßer, duftender, lebenssehnsüchtiger ihre große Traumkrone entfaltet und
aus der Todbefangenheit alles Schönen in seine Unsterblichkeit hineindrängt.
Und Creuzer?
Fast könnten wir ihn vergessen, wenn wir von ihrem Leben sprechen – so sehr ist
sie ein Geschehen in sich selbst.
Der irdische
Mann, den sie liebte, muß es in wachsendem Maße gefühlt haben, daß er diesem
Leben, dieser Liebe fremd war. Und doch war er ihrem Leben nötig zu seiner
höchsten Blüte und zur Vollstreckung ihres Schicksals. Und seine Liebe wuchs
unter allen Gefahren; sie überstieg ihn selbst. Das Übermaß war – nach seinem
eigenen Wort – Gebot und Sinn seines Lebens geworden – Gebot und Sinn eines
Lebens, das diesem Übermaß nicht gewachsen war.
Nach einem
kurzen Wiedersehen mit Karoline schreibt Creuzer in dem vergeblichen Bemühen,
die verwirrten Verhältnisse auseinanderzulegen, an seinen Freund: »Ich weiß das
alles nicht – das aber weiß ich, daß dieses Leben eher aus meinem Leibe weicht
als diese Liebe aus meinem Herzen. . . Kein Mensch wird es ändern – denn es ist
nicht Menschenwerk.«
Karoline hatte
der schon beschlossenen Ehe mit Creuzer voll Milde und Hoheit entsagt. Als dann
auch alle anderen phantastischen Pläne nach und nach scheiterten, faßten beide
den Entschluß, in entsagender Liebe für einander zu leben. Aber dies
Verhältnis, obwohl von den schönsten Worten und Versprechungen umrankt, war ein
zu künstliches, zu unwahres, um durchführbar zu sein. Bald zeigen sich
Schwierigkeiten, Mißverständnisse, Reizungen. Und zwar ist es diesmal Karoline,
die zuerst die Sinnlosigkeit und Halbheit einer solchen Entsagung empfindet.
Creuzer dagegen schreibt ihr, er dürfe sie nicht binden; er beginnt zu bereuen,
daß er ihr Leben gestört habe durch Wünsche, die er nie hätte nähren dürfen,
teils weil er unfrei gewesen sei, teils weil es ihm an allem dem gebreche, was
ihn berechtigt hätte, sich das Schönste zu dauerndem Besitz zu unterwerfen.
Und Karoline
schreibt ihm darauf in ahnungsvoller Angst: »Mein ganzes Leben bleibt Dir
gewidmet. Liebe mich auch immer, Geliebter! Laß keine Zeit, kein Verhältnis
zwischen uns treten. Den Verlust Deiner Liebe könnte ich nicht ertragen.
Versprich mir, mich nimmer zu verlassen. O du Leben meines Lebens, verlasse
meine Seele nicht!«
Karoline hat
Creuzer damals das gewiß größte Opfer gebracht, das sie ihm zu jener Zeit
bringen konnte: sie hat auf seinen Wunsch mit Bettina kurz gebrochen. Creuzer
hatte Bettina kennen gelernt; und sie, die von der Liebe Karolinens zu ihm
nichts wußte, hatte ihn, als er darauf hindeutete – zugleich von heftiger
Eifersucht auf ihn und von leidenschaftlicher Abneigung gegen seine Häßlichkeit
ergriffen, die ihr Karolinens Liebe zu ihm unmöglich erscheinen ließ –, in
ihrer unbesonnenen Art tödlich verletzt. Er verlangte von Karoline, daß sie
Bettina aus ihrem Leben weise, und sie, die nichts als ihre Liebe kannte, gab
ihm nach.
Creuzer
versuchte allmählich sein Leben wieder zu sammeln. Er sucht der Beziehung die
rein geistige Seite abzugewinnen. Er versenkt sich in seine Arbeit. »Doch ich
weiß, was ich will – schreibt er zu dieser Zeit an Karoline – ich will: die
beste Blüte meiner männlichen Geisteskraft auf ein Werk verwenden, das, indem
es den Mittelpunkt des frommen heiligen Altertums
zu enthüllen sich bestrebt, nicht unwert wäre, der Poesie zum Opfer dargebracht
zu werden.«
Dies Gelöbnis
hat Creuzer gehalten. Kein Wort seines Hauptwerks: »Die Symbolik und Mythologie
der alten Völker« – das ohne Karoline denkbar wäre, hinter dem nicht ihre
Gestalt steht. Aber um welchen Preis?
Wir können die
schauerliche Wendung, die das Verhältnis nahm, aus dem Reflex ihrer Briefe in
den seinen nur ahnen. Im Maße, als Creuzer seine Liebe aus dem vollen Leben in
das rein geistige zurückzog, wuchs Karolinens schmerzvolle Leidenschaft. Mit
Schrecken sah Creuzer die Göttin als liebendes, begehrendes Weib in die volle
Wirklichkeit herabsteigen und ihr verlorenes Leben einklagen. »Um Gotteswillen,
Lina, überlaß Dich doch solchen Stürmen nicht«, heißt es angstvoll in einem
seiner letzten Briefe. Er mahnt sie zur Ruhe, er weist sie an ihr Reich. Er
fühlt, daß ihm hier etwas Übermächtiges, Schrankenloses entgegentritt, mit dem
er nicht gerechnet hatte, und dem sein Leben mit all seinen Hemmungen und Fesselungen
in keiner Weise gewachsen ist. Er hatte die Muse, die schöpferische Verklärerin
seines Lebens und seines Werkes in entsagender Liebe anbeten wollen, und er
traf auf ein Element.
Die täuschenden
Hüllen eines vorläufigen und halben Schicksals, einer Liebe ohne den vollen
fordernden Lebensernst der Liebe fallen plötzlich von der ragenden Gestalt der
Günderode ab. Die Frau, die das Wort gesprochen hatte: »Denn ich bin ewig meine
Liebe selbst«, konnte sich bei aller Wirklichkeitsferne ihres Lebens nicht mit
einer lyrischen Fälschung und Vergeistigung der Liebe begnügen. Sie versteht
gar nicht, was in all dem vor sich geht. Ihre Gestalt fällt aus dem
bürgerlichen Drama von Ehescheidung und Entsagung, in dem sie mitspielen soll,
vollkommen heraus. Sie hat darin keinen Raum. Wie ein unruhiger Vogel mit
seinen Schwingen an lauter Gitterstäbe schlagend, flattert sie darin umher. Sie
selbst fühlt, daß sie zur Ehefrau nicht taugt. Sie will auch im Grunde gar
nicht dies: sie will nur eins: den Geliebten.
Jede Form der
Verbindung erschreckt sie – und erst als die Frage nach der Form gefallen ist,
falten sich die mächtigen Schwingen ihrer Liebe zu freiem Fluge los. – Noch ein
kurzes Wiedersehen folgte. Unmittelbar danach brach Creuzer an einem Blutsturz
in schwerer Krankheit zusammen. Man bangte um sein Leben.
Als er das
Bewußtsein wiedererlangte, sprach er mit voller Festigkeit und Besonnenheit die
Erklärung aus, daß das Verhältnis zwischen ihm und Karoline aufgehoben und
vernichtet sein solle.
Sein Freund,
der Theologe Daub, der auch Karolinens Freund war, teilte Creuzers Entschluß
ihrer Freundin Susanne von Heiden mit und bat sie, Karoline, die zu dieser Zeit
bei Freunden in Winkel am Rhein war, die Nachricht zu überbringen. Frau von
Heiden zögert. Sie verlangt ein Zeichen, ein Wort von Creuzer selbst, damit
Caroline ihm glauben könne. »Oder –« schreibt sie –, »was ich fast aus Ihrem
Briefe schließe, ist Creuzer tot? Und mit Liebe für Karolinen gestorben? O so
lassen Sie ihr diesen Trost.«
Die Absage
Creuzers, die ihr durch die Freundin gegeben werden sollte, fiel Karoline, die
schon lange vergeblich auf Briefe gewartet hatte und dem Briefträger
entgegenging, unvermittelt in die Hände. Sie schien vollkommen ruhig. Sie ging
noch kurze Zeit auf ihr Zimmer und schrieb ihre letzten Verfügungen auf.
Dann ging sie
still und unauffällig, wie sie alles tat, zu ihrem gewöhnlichen Spaziergang an
den Rhein hinunter. Dort fand man sie am nächsten Morgen, am 27. Juli 1806, mit
ihrem Dolch im Herzen tot auf.
Wir kennen die Ursachen
von Creuzers schroffem Bruch nicht. Daß er ihn mit sovoller Ruhe und
Besonnenheit vollzog, läßt bei seiner Art auf die innere Notwendigkeit
schließen. Er konnte Karoline nicht halten. Er kam erst wieder zu sich selbst,
als diese große fremde Blüte von dem zu kargen Stengel seines Lebens abgefallen
war. Er war ihrer Liebe noch weniger als ihrem Sein überhaupt gewachsen. Er
mochte zu sehr erfahren haben, daß der Kuß eines Gottes den Sterblichen, den er
berührt, zerschmettert. Er mochte aber auch zu stark empfinden, daß diese Liebe
mit ihrer Gewalt rein in sich selbst kreiste, daß er nur ihre Veranlassung,
aber nicht ihr wirkliches Ziel war, daß er darum der geliebten Frau das für sie
Entscheidende niemals hätte geben können. Dies letzte, und nur dies allein –
kann imstande gewesen sein, das Gefühl der furchtbaren Schuld, das ihn bei der
Nachricht von ihrem Tode überfallen mußte, zu mildern. – Wir erfahren nichts
darüber. Aber wir wissen, daß Creuzer genas. Es ist, als wäre Karoline für ihn
in das ferne Reich zurückgekehrt, das ihre Heimat war: in den Geist und in die
Unsterblichkeit des Geistes, wo sie ihm von Anbeginn heimisch war.
Seine Beziehung
zu ihr lebt von nun an allein im Geist. Wie eine Vorahnung erscheint nun, was
er ihr früher einmal schrieb: »Da werde ich ganz zurückgewiesen aus Gegenwart
und Leben dem Altertum angehören – wie wird es mir da sein? O ich fühle es
deutlich: es wird ein Wandeln sein in einer ernsten Nacht. Ich werde um mich
fühlen in der Finsternis und Marmorwerk eines Meisters ergreifen – im
Dämmerlicht werde ich Götterbilder sehen und Säulengänge und Hallen von
großartigem Bau, und Sphinxe werden stumm am Eingang liegen. Aller Schauer wird
mich fassen über der stillen Größe und der Schmerz der Einsamkeit, und ich
werde zwei warme Hände suchen, die mich führen, >zwei Augen wie Sterne<,
die mir leuchten, und einen begeisterten Blick einer frommen Seherin, die die
Rätsel der Sphinx mir löse aus heiligem Gemüte und mir das Ferne und Fremde der
Vorwelt heimlich und menschlich nahe bringe in ein liebes, warmes Leben – und
das alles wird nicht mehr zu finden sein, und mich wird das Entbehren töten vor
der Zeit.«
Für Creuzers
Werk sind diese Worte wahr geworden nicht aber für sein Leben. Das Entbehren
hat ihn nicht vor der Zeit getötet; er hat Karoline lange: um mehr als ein
halbes Jahrhundert überlebt. Er ist in sein enggebundenes Gelehrtenleben
zurückgekehrt. Ein anderer Creuzer spricht aus den Briefen nach Karolinens Tod.
Er hat gefunden, was Savigny ihm zurückgewinnen wollte und was dieser für sich
selbst nie aus den Augen verloren hatte: Ruhe und ein geordnetes Leben zur
Arbeit – wie sie ihm die, die er die Poesie nannte, nie hätte schenken können –
wohl aber seine brave Sophie. Man mag Creuzers Bruch mit Karoline, der auch ihn
fast das Leben gekostet hätte, und seine Schuld an ihrem Tode als
unvermeidliches Schicksal zu begreifen suchen; man mag seine Redlichkeit selbst
noch in seinem Versagen ehren – unerträglich bleibt die Freude der guten
Freunde über seine »Rettung«, mit der keineswegs nur die körperliche gemeint
ist – unerträglicher noch nach Karolinens Tod sein Wort: »Wenn ich nur meine
Sophie noch recht lange behalte.«
Mit diesem Wort
scheidet Creuzer aus dem Kreis unseres Interesses aus. Er hat damit für sein
persönliches Leben verraten, was in seinem Werk als Entscheidendes geblieben
ist: die unsterbliche Geliebte, Heil und Ewigkeit seines Geistes.
Das reale Leben
mit seinen allzu engen Verhältnissen, das Creuzer zuletzt doch in sich
festhielt, hatte nicht Raum für die schrankenlose Gestalt der Günderode. Es
stieß die Dichterin, die Seherin des Lebens und Todes aus wie eine fremde und
in seinen Zusammenhängen störende Erscheinung. Auch von der griechischen Sappho
wird berichtet, daß sie sich vom leukadischen Felsen stürzte, als ihr Geliebter
sie verließ.
Der Schluß der
schönsten Unsterblichkeitsdichtung der Günderode lautet: »Wohl mir, daß ich die
heilige Ahndung meines Herzens wie der Vesta Feuer, treu bewahrte; wohl mir,
daß ich den Mut hatte, der Sterblichkeit zu sterben und der Unsterblichkeit zu
leben, das Sichtbare dem Unsichtbaren zu opfern.« – So hat sie ihr eigenes
Leben gedichtet und ihre Dichtung gelebt. Sie hat die heilige Ahnung ihres
Herzens treu bewahrt, das Sichtbare ihres Daseins seinem Unsichtbaren geopfert.
Wie sie durch den Tod jedes Schönen hindurch ahnend seine Unsterblichkeit
suchte, so konnte sie, die ihre Liebe selbst war, die Unsterblichkeit der Liebe
nur suchen durch ihren eigenen Tod.
Darum ist
dieser Selbstmord nicht ein schrilles Abreißen, nicht Wahnsinn oder Willkür und
nicht einmal im eigentlichen Sinne eine Tat der Verzweiflung – sondern er ist
ein freies Opfer für ihren Gott. Karoline von Günderode folgte ihrem Gott – mit
dem sie eins war, wie nur ein Mensch mit der letzten Stimme seines Innern eins
sein kann. Sie gab ihr Sterbliches frei dem Kreislauf von Liebe, Tod und
Auferstehung: der wahren Heimat ihrer Seele zurück. Ihre ganze Einsamkeit unter
den Menschen die ganze Einsamkeit ihrer Liebe spricht aus der Grabschrift, die
sie sich noch am letzten Tage bestimmte: der von ihr etwas veränderten
Herderschen Übersetzung der Abschiedsworte eines indischen Einsiedlers:
Erde, du
meine Mutter, und du mein Ernährer der Lufthauch
Heiliges Feuer
mir Freund, und du, O Bruder, der Bergstrom,
Und mein Vater,
der Äther, ich sage euch allen mit Ehrfurcht
Freundlichen
Dank; mit euch hab ich hienieden gelebt,
Und geh jetzt
zur anderen Welt, euch gerne verlassend,
Lebt wohl denn,
Bruder und Freund, Vater und Mutter lebt wohl!
So ist
das Leben dieser ihrer reinsten Gestalt in anderem Sinne als das der übrigen
Frauen für die Romantik repräsentativ. Es erscheint als der Schwanengesang der
Romantik selbst: ihre Vollendung und Auflösung in einem.
Die romantische
Ironie: jenes allentwirklichende Gericht des Ganzen und Absoluten über alles
Einzelne und Bedingte – von Creuzer einmal so schön als die Natursprache eines
höheren Lebens definiert – ist in Karoline von Günderode aus der abgelösten
Sprache des Geistes wie aus der bewußten Gestaltung eines Lebensideals, zur reinen
unmittelbaren Sprache eines leidenschaftlichen Lebens selbst geworden. Ein
höheres Leben hat in ihr das einzelne irdische entwirklicht und wie ein
Rosenblatt ins Nichts verweht. Es ist, als hätte das lose blumenhafte Gewebe
dieses Daseins, das ganz aus Liebe und Unendlichkeit, Traum und Dichtung
gesponnen war, einmal in dervollen geschichtlichen Wirklichkeit ausgebreitet
werden müssen, um das Schicksal der vollendeten Weltlosigkeit der Romantik, ihr
Einmünden in den realen Tod in dem Augenblick, wo sie mit ihrer Wahrheit die
Schwelle zum realen Leben überschreitet, sichtbar werden zu lassen und so das
Gericht der Ironie an der Romantik selbst zu vollziehen.
Die
Weltanschauung der Romantik
Helft uns nur
den Erdgeist binden,
Lernt den Sinn
des Todes fassen
Und das Wort
des Lebens finden.
Einmal kehrt
Euch um!
Novalis
Die romantische
Bewegung im engeren Sinne nimmt in der deutschen Geistesgeschichte eine
eigentümlich paradoxe Stellung ein. Der Tiefsinn und der Leichtsinn, der Überschwang
und die Kühle, die Dunkelheit und die Helle, das Versunkene und das Überwache
der Romantik sind zum Teil aus ihrer geschichtlichen Lage zu verstehen. Wenn
die deutsche Metaphysik und Dichtung von Kant bis Nietzsche ein einziger
Versuch gewesen waren, inmitten des Zerfalls der positiven Religion das
Religiöse im Geist und in der einzelnen Seele noch einmal zu retten, in einem
Kosmos grandioser Symbole das zu bewahren, was in der Wirklichkeit des
Gemeinschaftslebens verloren gegangen war, so hat die deutsche Romantik sich
einerseits mit leidenschaftlichem Rhythmus in diese Bewegung eingeordnet,
anderseits sich ihr aber aus einem völlig anderen Wissen auch entgegengestemmt.
Bis zu ihr hin zeigte das geistige Leben in all seiner Vielfalt eine einzige
Richtung: die vorwärts in immer weitere Erschließungen. Die Romantiker als
erste fühlten, daß die europäische Gesamtentwicklung den Sinn der Welt
entstellt hatte. In Novalis’ Vers »Einmal kehrt euch um« ist das letzte
aufrufende Wort zu einer neuen Lebensrichtung enthalten.
Die Romantiker
traten in dem Augenblick in die Geschichte ein, in dem die Epoche der Klassik
abgelaufen und die in ihr noch nachleuchtende Erscheinung der christlichen
Wahrheit fast im Erlöschen war. Gott war aus seiner lebendigen Verbundenheit
mit dem Menschen gelöst und die Welt dadurch aus einer Welt beseelter Dinge zu
einer leeren, bereits von der Technik geformten Sachwelt geworden. Überall traf
die Romantik statt auf Ursprüngliches auf bereits Gestaltetes und Gedeutetes,
das ihr den Weg zum Eigensten verstellte. Denn Romantik ist das Heraufrufen des
einmal wirklich Gewesenen in das bewahrende Eingedenken. Und es ist dies
Wiederaufleben, diese unmittelbare Vergegenwärtigung eines Vergangenen, die das
ganze Denken der Romantik bestimmt.
Die gesamte
Romantik ruht auf dem Heimweh: Heimweh nach den Quellen und Gründen des Lebens,
nach einer Welt, die die wirkliche Welt, nach einem Leben, das das ganze Leben,
nach einer Wahrheit, die mehr als nur die Wahrheit des Geistes ist. Und dahin
bricht die gesamte Romantik auf. Sie wendet sich um, sie sucht den Weg zurück.
Und indem sie
mit neuem, geschichtlich geschärftem Auge die gesamte Wirklichkeit hinter sich
überblickte, stieß sie neu auf das Grundfaktum, das Ens Realissimum der
abendländischen Geschichte: das Wunder der einmal dagewesenen, im irdischen
Leben verwirklichten Göttlichkeit. Und so tauchte dies Urwunder, von dem die
Entwicklung den Geist immer weiter abgetrieben hatte, ohne daß je der Faden
ganz abgerissen war, alles Geschichtliche überstrahlend, im Kern der
romantischen Welterfassung als Ziel ihres Heimwehs wieder auf. Aus ihrer
Erinnerung heraus hatten die Romantiker so den verwegenen, den echt
romantischen Mut, der Geschichte ihre eigene persönliche Einsicht in das Ganze
des Lebens entgegenzustellen, für sich selbst etwas sein und schaffen zu
wollen, das von der Geschichte schon fast überholt schien.
Aber damit
ändert das Wunder, aus dem die Romantik das Leben wieder aufzubauen strebte,
selbst seine Gestalt.
Denn das
Mysterium ganzen göttlichen Lebens ist nun in der äußeren Wirklichkeit nicht
mehr zu ergreifen. Nur im Innern kann in diesem Augenblick die erinnerte
Göttlichkeit wiedergefunden werden. Und so bedeutet die von der Romantik
geforderte Umkehr des Lebens gegen seinen geschichtlichen Verlauf notwendig
zugleich Abkehr und Einkehr: Abkehr vom Außen und Einkehr ins Innen – bedeutet
sie Erinnerung nicht nur, sondern auch Verinnerlichung. »Nach innen geht der
geheimnisvolle Weg.« Es ist dies dunkle Wort, das den tiefen, ringenden
Definitionen eines Friedrich Schlegel, den trunkenen Todesvisionen eines
Novalis zugrunde liegt, ja, der Begriff der Romantik, so wie sie ihn selbst
konzipierte, ohne je zu seiner vollen begrifflichen Klarheit zu gelangen (»Ich
kann dir meine Bestimmung des Wortes Romantik nicht schicken, weil sie
hundertundfünfundzwanzig Bogen lang ist« schreibt Friedrich an August Wilhelm
Schlegel), weist auf das eigentümliche Bedrängtsein von einem nicht mehr
Aussprechbaren hin.
So ist es
erschütternd zu sehen, mit wie leidenschaftlicher Inbrunst immer neuenSuchens,
mit wie immer neuen und vertieften Wendungen das romantische Denken
konzentrisch, oder eher noch einer in die Tiefe dringenden Spirale gleich,
diese lebendige innere Wirklichkeit umkreist.
»Das Äußere ist
ein in Geheimniszustand erhobenes Innere – vielleicht auch umgekehrt«, – alles
in der Romantik blüht und flammt und wogt von der Entfaltung dieser äußersten
Identität beider uns angewiesener Lebenssphären. Alles Licht sinkt ins Innere.
Alle Philosophien und Dichtungen, alle Märchen und Sagen, die in buntester
Fülle aus allen Ländern und Zeiten einströmen, ja auch alle Religionen sind nur
noch die Hülle dieser Wahrheit. Unendlich ist der mystische Zug in die
gestaltdurchwagte Nacht dieser Innerlichkeit. Noch über Fichte hinaus, der das
schöpferische Selbst als absolutes Ich erfaßt, löst dieser Zug ins Innere alle
äußeren Bestimmungen auf. DasselbeWunder einer nur im Innern erfaßbaren
Wahrheit, das den großen Geist Friedrich Schlegels geistflüchtig unter die festeste
Form der Offenbarung treibt, begründet das mystische Christentum des Novalis.
Das bestimmungslose Absolute allein bleibt der Romantik von dem Wunder der ganz
realen Vergöttlichung des Lebens. Und so radikal entwirklicht ist in diesem
Absoluten der Romantik das Wunder der Ganzheit und Göttlichkeit, das in der
vollen Wirklichkeit des Lebens wiederzuerringen sie ausgezogen war, daß es ihr
zuletzt – erst hierin die ganze Paradoxie ihres Denkens entschleiernd – am
reinsten, am eigentlichsten in der Gestalt des Todes erscheint.
Im Leben hat
sich ihr alles als einzeln, als bedingt, als vorläufig enthüllt, als Wirkliches
bleibt ihr nur der Tod. Der Tod allein ist es, der das Leben zu seiner Ganzheit
vollendet, er schenkt ihm Erlösung aus aller Vereinzelung, Aufhören des
Heimwehs, Vereinigung alles im Leben Getrennten, Heimkehr alles Endlichen in
die Unendlichkeit. » Im Tode ward das ew’ge Leben kund«.
Der Tod wird
zum Sinn des Lebens selbst. Nicht mehr vom Leben, sondern vom Tode aus wird das
Leben verstanden und gelebt. Die Romantik hat, um die Tiefe der Erinnerung
kreisend, diese Richtungsänderung vollzogen. Vor allem Novalis, von dem Tod
seiner frühverstorbenen Braut ihr nachgezogen, selbst von den Schatten frühen
Todes angeweht, wird nicht müde, das Wunder des Todes und seinen
unergründlichen Sinn für das Leben zu preisen. Seine ganze, besonders seine
spätere Dichtung erscheint wie ein wunderbar leuchtender See, in dem die
Landschaft des Lebens umgekehrt steht. Diese Umkehrung des Lebens durch den Tod
singt er in süßen schwelgenden Melodien als die, die der Welt des Tages alle
Schauer des Geheimnisses, des Entzückens, der Schönheit, der Liebe und Freude
schenkt.
Helft uns nur
den Erdgeist binden,
Lernt den Sinn
des Todes fassen
Und das Wort
des Lebens finden;
Einmal kehrt
euch um.
In diesem
Geisterruf der Toten an die Lebenden hat Novalis sein letztes Wissen um den
Sinn des Todes für das Leben niedergelegt. Vom Tode, vom Ende aus leben heißt
aus der Urrichtung, der Wahrheit des Daseins leben. Und so trifft Novalis hier
mit unmittelbarer Wucht sich ganz dem Tode übergebend in den Mittelpunkt der
lebendigen Existenz. Und selbst wenn das ganz andere, das tiefe, das finstere
Schweigen über den Tod, wie es der späte Goethe den Menschen gegenüber wahrte –
nicht weil er zu wenig, sondern weil er zuviel vom Tode wußte, um zu
Sterblichen vom Tode zu reden, dies »niemand, nur den Weisen« sagte – in
schroffem Gegensatz zu den überströmenden Todesgesängen des Novalis steht, so
waren diese beiden einander so fremden, so grundverschiedenen Todeserfassungen
an diesem Punkt doch nur in ihrer gleich intensiven Beziehung zum Tode in der
deutschen Geistesgeschichte möglich.
Wie an der
Erfassung des Todes als der Grenze des Lebens sich am klarsten dieGestalt einer
Epoche abzeichnet, am deutlichsten ihre Wirklichkeit abzulesen ist, so auch an
der Todeserfassung der Romantik. Es ist nicht die religiöse, es ist auch nicht
die begrifflich philosophische Sphäre – alle Sphären mischen sich in ihr. Man
könnte sie die Sphäre des subjektiven Mythos nennen. Dies aber ist die Sphäre
der Lyrik. Die Glut der sehnsüchtigen, vom Tod gezeichneten, auf das Ewige
gerichteten Einzelseele, die so viel wissender, beladener, verlassener vor dem
Ewigen steht als die von einem gemeinsamen Glauben und Geist getragene, mündet
in der Romantik in die lyrische Gestaltung. Lyrik ist in der Tat ihr
eigentliches, jede ihrer Äußerungen durchdringendes Lebenselement. Die ganze
schwere ringende Lebensproblematik ist, unablässig durch ihr Saitenspiel
rauschend, in ihrer Lyrik zu Klang und Schönheit geworden. Wie dem
morgenländischen König alles, was er berührte, zu Gold wurde, so wurde ihr
alles, was sie berührt – es sei das Finsterste oder das Lichteste – zu Lyrik.
Im vollen Strom des singenden Innern findet sie alles im wirklichen Leben
Verlorene wieder. Nichts lag der Romantik ferner als das düstere Wissen um das
Überwältigtwerden des Menschentumsvom Schöpfertum, wie es im Blutpakt Fausts
mit Mephistopheles gestaltet ist, oder als die verzweiflungsvolle Selbstentzauberung
Prosperos, der nach dem Abwerfen seines Zaubermantels sich nackt der Gnade
anheimgibt. Die Romantik hat nie im Schöpfertum die Stimme des bösen Geistes
vernommen, wie es alle großen Künstler seit der Renaissance getan hatten. Sie
hat es schrankenlos bejaht.
Dennoch war ihr
zugleich das Wissen um die Ganzheit des Wirklichen zu unverrückbar
eingepflanzt, als daß sie in der Schönheit und Vollendung eines einzelnen
Gestalteten sich hätte beruhigen können. Gerade dies konnte sie nicht, gerade
dies war der Stachel, der sie überall aufjagte: daß dennoch mit aller
Schönheit, die sie im einzelnen Gebilde sah und anbetete, kein noch so
gewaltiges Einzelne – sei es ein Werk oder eine Gestalt – ihr das Ganze
ersetzen oder verdecken konnte. Aber nicht, indem sie sich von allem Bilden
abwandte zur Unmittelbarkeit der Tat, zum Leben im Wirklichen – sondern rein
negativ: nicht vom Leben, sondern vom Tode und seiner vom Leben nie zu
erreichenden Ganzheit aus gab die Romantik diesem unmittelbaren Wissen um das
Ganze Gestalt.
Der Tod und das
romantische Todeswissen wirkt so nicht nur in der geistig-lyrischen Sphäre –
sondern er wird zu der vom schöpferischen Geist selbst an allem Gestalteten zu
vollziehenden Aufgabe. Die Wahrheit des Todes als des allein Ganzen soll vom Menschengeist
selbst an allem Einzelnen vollzogen werden. Dieser geistige Vollzug des Todes
am Lebendigen ist die romantische Ironie.
»Wir müssen uns
über unsere eigene Liebe erheben und was wir anbeten, in Gedanken vernichten
können, sonst fehlt uns der Sinn für das Unendliche« – in diesem Wort Friedrich
Schlegels, das nur die subjektive Seite seines anderen Wortes ist: »Denn von
des Einzelnen Tod blüht ja des Ganzen Gebild«, ist der Begriff der Ironie und
damit das Verhältnis der Romantik zum Ganzen und zum Einzelnen mit voller
Klarheit niedergelegt. Der Geist setzt sich in der Ironie über die Liebe. Es
ist der Sinn des Geistes für die Unendlichkeit des Ganzen, der die
Endgültigkeit alles Endlichen und Einzelnen vernichtet. Dem beschränkten
vorläufigen Einzelnen kommt der Unendlichkeit des Ganzen gegenüber kein voller
Ernst zu. Und sei es das Schönste, das Geliebteste, das Angebetetste: ein
Mensch, ein Kunstwerk, die Verwirklichung einer Idee in irgendeiner Form – wer
den Sinn für das Ganze und seine Unendlichkeit hat, der kann nicht an ihm und
nicht an der Liebe zu ihm haften bleiben: er muß an ihm das Vereinzelte, das
Vergängliche und Unvollkommene sehen und so an ihm das Gericht der Ironie
vollziehen.
Vom Absoluten,
vom Ganzen aus gesehen ist die Würde und Wahrheit alles Einzelnen hinfällig: es
ist ein Anklang an spinozistische Erkenntnis, der in diesem Wissen ihr selbst
unbewußt die ganze Welt der Romantik durchdringt. Nur aber in einem völlig
veränderten Weltaugenblick. Die Welt war nicht mehr Gott, alles Göttliche war
ins Innere gesunken. Und so springt hier wiederum die tiefe Paradoxie der
Romantik auf. Nur vom einzelnen Menschen kann das Gericht des Ganzen über das
Einzelne vollzogen werden, und nur darum ist der Einzelne überhaupt fähig zum
Vollzug des Gerichtes der Ironie, weil in ihn, in sein Inneres die Göttlichkeit
des Lebens sich zurückgezogen hat. Aber eben darum kann nicht jeder Einzelne es
sein, nur der Mensch als Vertreter des Weltganzen: das Genie, die schauende schöpferische Vertretung des Absoluten ist
dazu berufen.
Der romantische
Geniebegriff ist von der romantischen Ironie unabtrennbar. Weitentfernt, eine
allgemein menschliche Position auszudrücken, überfliegt sie vielmehr das
eigentlich Menschliche und führt in der Genialisierung des Göttlichen die
Vergöttlichung des Schöpferischen auf ihren Gipfel. In dem romantischen
Geniebegriff scheint der Mensch alle menschliche Fragwürdigkeit und Bedingtheit
abgelegt zu haben. Das Genie ist der Romantik das Sichtbarwerden des
Weltgesetzes selbst. So liegt in der Vollstreckung der Ironie die Gefahr
schrankenloser Selbstüberhebung, weil sie eine grundsätzlich das Menschliche
übersteigende Haltung ist. Das Gericht des Ganzen über das Einzelne zu
vollziehen, kommt letzthin nur Gott zu, ist nur von ihm aus möglich. In dieser
bewußten Repräsentation Gottes durch den Genius liegt die Quelle des
intransigenten Hochmuts der Romantik.
Und dennoch
liegt in dieser übermütigen gottähnlichen Haltung, in der sich Spielund Ernst,
Frivolität und Religiosität, Witz und Tragik unheimlich nahe berühren, auch
wieder eine letzte Bescheidung und Selbstbescheidung alles Menschlichen. Wenn
Friedrich Schlegel mit dem Wort Lamartines: »C’est pour la vérité que Dieu fit
le génie«, die Bestimmung des Genius ausspricht, die ihn zum legitimen
Vollstrecker des Gerichtes des Ganzen über das Einzelne werden läßt, so liegt
in dem stolzen Wort doch auch eine letzte wahrhaftige Demut. Die Ironie hebt
sich gleichsam selber auf. Denn nicht vom Subjekt – auch nicht vom genialen
Subjekt – sondern von der Idee des Ganzen, von der Wahrheit selbst aus, die es
repräsentiert, durch die es zugleich aber auch selbst gerichtet wird, geschieht
ja das Gericht der Ironie. Die späte Einordnung so vieler Romantiker in einen
bestimmten bestehenden Religionskreis drückt nur diese andere, ins Objektive
umgeschlagene Seite des ironischen Lebensverhältnisses aus.
Denn indem die
Ironie die Bewegung und Funktion des Todes am Leben nachzeichnet, indem in ihr
die Vergänglichkeit alles Einzelnen nicht als natürliches Schicksal, sondern
als Ausdruck der unbedingten Überordnung des Ganzen über das Einzelne erfaßt
und verwirklicht wird, mündet die Ironie zuletzt notwendig in Selbstvernichtung
in irgendeiner Form. Der Traum von der Vollendung in der Vernichtung alles
Einzelnen als eines Unvollkommenen, von der Selbstwerdung im Zerbrechen des
Selbst, muß in seiner Erfüllung alle Grenzen des Einzellebens sprengen. So hat
die Gewißheit »Denn von des Einzelnen Tod blüht ja des Ganzen Gebild« das
feste, lebenbejahende, tatenfrohe Ideal des Bürgers völlig umgekehrt. Der
romantischen Ironie als geistiger Haltung entspricht mit Notwendigkeit das
Ideal eines Lebens aus dem Ganzen, in dem alles Einzelne seinen letzten Ernst
verliert. Dasselbe allvernichtigende Todeswunder, das in seinen trunkenen
nächtlichen Melodien Novalis immer aufs neue singt, das in strengen schwer
erfaßbaren Gedankenreihen die romantische Philosophie entwirft, aus dem heraus
sie jene einzige leuchtende Fähigkeit der Kritik entwickelt, die ihr eine
besondere Stellung in der Geistesgeschichte anweist, ist es, dessen
Unendlichkeitsrhythmus die Romantiker in ihrem Leben gestaltet haben. Hiermit –
und nur hiermit – ist es der Romantik im Tiefsten Ernst gewesen.
Ihr Ernst liegt
also an völlig anderer Stelle als der des Bürgers: des den Ernst gerade im
Realen und Einzelnen Erkennenden. Verantwortung kennen die Romantiker nur
gegenüber dem Ganzen. Der Wert des einzelnen Lebens lag für sie ausschließlich
in seinem Verhältnis zum Ganzen und in dessen unabgelenkter Verwirklichung. Nur
wo sie diese fanden, liebten sie, verehrten sie, beteten sie an. Sie erkannten
keine einzelnen Tugenden und Handlungen an, sondern nur das Wesen, sei es einer
Zeit, eines Werkes oder eines Menschen. Die Weise, wie alle diese untereinander
so ungleichen Menschen ihr Leben auffaßten und formten, wie sie durch alle
Einzelheiten, Pläne, Beziehungen und Schicksale, Erkenntnisse und Bekenntnisse
hindurchgingen, ohne sich je gebunden zu erachten – und ohne doch letztlich
sich selbst: ihre unmittelbare Beziehung zum Ganzen in diesem oft
erschreckenden Wechsel zu verlieren, ja, in der Gewißheit, erst in ihm sich
selbst wahrhaft zu finden – auch dies war in der Romantik der Versuch, allein
aus der Unendlichkeit eines Ganzen zu leben.
Gewiß war es
nichts Geringes, was mit diesem neuen Lebensideal für immer verloren ging. Der
große Begriff der in sich selbst begründeten Humanität beginnt in der Romantik
sich aufzulösen. Zwei Begriffe – eben die, die in der großen klassischen
Humanitätsepoche ihre vollkommenste Erfüllung gefunden hatten: Maß und
Charakter, waren der Welt der Romantik versagt. Es ist dieser Lebenserfassung
durchaus eigen, nach allen Seiten über das Menschliche hinauszuschweifen, das
menschliche Leben aus außermenschlichen Bezirken fortwährend mit Auflösung zu
bedrohen und sie in bunten schwebenden Erscheinungen überall hineinspielen zu
lassen. Traum, Spuk, Zauber und Phantastik umlagern überall ihr Gebiet; Sterne
fallen ihr mitten in das Alltagsleben hinab, wie dem Kind im Märchen in den
Suppenteller. Die Wirklichkeiten vermischen sich; bunt verwickelte Schicksale,
Scherz und Witz heben Ernst und Wirklichkeit alles Einzelnen immer wieder wie
in einem einzigen lachenden Sommernachtstraum auf.
Und wenn es die
ganz großen Geister der modernen Welt charakterisiert, daß sie sich durch das
Bekenntnis zur freien Tat von dem Fluch der Verwirrung des Unglaubenszu erlösen
suchten, daß sie wie der alte Faust das Spiel der regellosen, sinnlosen
Elemente durch die gesetzhaft freie Menschentat zu überwinden und zu ordnen
suchten: der Romantik war dieser Weg versagt. Während jener Größte in freier
Selbstbeschränkung, die titanische Entwicklung seines Geistes anhaltend, in die
bürgerliche Lebensgemeinschaft, über die sein Geist sich so unermeßlich erhob,
sich wieder einordnete, schweiften die Romantiker nach allen Seiten, in Denken
und Leben, in Erkennen und Bilden, in Trotz und Übermut über diese bürgerliche
Welt hinaus.
Und damit
springt auch hier – in ihrem Leben selbst noch einmal notwendig ihre paradoxe
Lage auf und führt sie mitten im Wirklichen aus der Wirklichkeit heraus. Auch
in dieser ganz realen Gestaltung ihres Lebens verfuhren die Romantiker rein
kontemplativ, handelten sie lebensfremd, abgesondert vom Wirklichen. Denn dies
selbe Geschlecht, das die bürgerlichen Lebensformen unbedenklich verschmähte
und überflog, war doch ohne sie als Grundlage seines Lebens und Schaffens nicht
denkbar. Gerade in dem Abstrahieren von den sie selbst konstituierenden
Lebensbedingungen ist die unbürgerliche Lebenserfassung und Lebensführung der
Romantik eine spezifisch bürgerliche Haltung, und das ganze sprudelnde
Durcheinandermischen der Wirklichkeiten in ihrem Leben erscheint so gesehen als
eine einzige blendende Flucht und Ausflucht vor der tatsächlichen Realität, die
sie trug. Die Einordnung Goethes in die bürgerliche Welt, die die Romantiker
nicht verstehen und nicht verzeihen konnten, die ihnen als eine bloße Verengung
erschien, ist eine weit unbürgerlichere Haltung, insofern Goethe in ihr die
Wirklichkeitsbedingungen seines Lebens durchschaute und auf sich nahm. Mehr als
einmal hat dieser ihnen selbst nie aufgegangene innere Widerspruch in die
Lebensschicksale der einzelnen Romantiker verwirrend und fälschend eingegriffen
und sie vor allem für die Gegenwart des kollektiven Daseins, für alles
praktische Wirken im Realen, für politische und soziale Aufgaben untauglich
gemacht. Dasselbe Verhältnis zum Leben, das sie zu den großen, überschauenden
Kritikern machte, die mit ihrem völlig unbeirrbaren Blick in das Wesen eines Werkes,
einer Erscheinung, einer Epoche eindrangen, die gewissermaßen ein Werk, eine
Zeit, eine Erscheinung nur anzuschauen brauchten, damit das Wesenlose abfiel
und das Wesenhafte sich offenbarte, machte sie im politischen Leben zu
phantastischen Reaktionären, die nirgends einer Wirklichkeit gewachsen waren.
Dieselben Menschen, die mit Leidenschaft auf eine Umgestaltung der Welt im
Ganzen und von einem geschauten Ganzen aus drängten, waren blind für das
Einzelne, Gegenwärtige, das ihnen keine selbständige aufrufende Bedeutung haben
konnte. Denselben Menschen, die die schönsten, vollkommendsten Träume von
irdischer Gemeinschaft, von Staat und Kirche geträumt und ausgebaut haben, die
goldene Zeitalter und chiliastische Erfüllung himmlisch-irdischer Durchdringung
heraufführen wollten, mußte darum die unmittelbar tätig männliche Umgestaltung
der Welt völlig mißlingen.
Ihre wahren
Sünden und grotesken Unzulänglichkeiten sind immer da entstanden, wo sie sich
dennoch, sich selbst und ihre Sendung mißverstehend, in das Leben des Tages
einmischten. Die politische Haltung der Romantiker ist fast immer qualvoll,
eine spezifische Steigerung noch jenes unglückseligen Verhältnisses, in dem die
deutsche Metaphysik von je zur deutschen Wirklichkeit stand.
Die Romantik
selbst aber kann aus diesen Mißverständnissen niemals begriffenwerden. Als
Ganzes freilich und von ihrem eigensten Wollen aus betrachtet war sie Versuch
und mußte Versuch bleiben. Die Romantiker haben nichts verwirklicht; sie haben
erkannt und geschaut. Aber überall drangen sie auf Letztes, Erschöpfendes.
Ungeheuer ist die geistige Bemühung dieser Menschen um Unmittelbarkeit, um
Ganzheit und Wahrheit des Lebens, um die Wiederversöhnung von Gott, Geist und
Leben. Es ist wie ein Greifen sehnsüchtiger Arme ins Leere: Tantalus’ goldene
Früchte glänzen über dem Haupt dieser zu höchsten Träumen beflügelten und
verurteilten Geister. Aber nichts von dem, was sie erblickten, ist in ihrer
Gestaltung verloren.
Romantik, das
ist die Zeit, in der die Seele mit aller versunkenen Göttlichkeit des Lebens
genährt, in einsamer Selbstherrlichkeit dem Abgrund der Glaubenslosigkeit
entsteigt und ihren schweigenden, strahlenden Weg in die Nacht antritt. Wo sie
wandelt, da verklärt sich das Leben, da blüht und funkelt jeder Weg und Steg.
Tränen des Leides wie der Freude werden zum Tau, der das ganze Leben in
unzähligen Tropfen aufleuchten läßt: zu dichterischen Sinnbildern innerer
Wirklichkeit. Aber das Ziel dieses unendlichen Weges läuft in seinen
Ausgangspunkt zurück: es verliert sich in der Nacht des Inneren.
Keine
Neubelebung und Neubeseelung einer für alle gültigen Erlöserbotschaft, keine
Schöpfung einer neuen religiösen Wirklichkeit, keine neue Gestaltung des
Gemeinschaftslebens – dies ihr letztes utopisches Ziel – ist der Romantik gelungen.
Neben der Leistung der Ironie hat sie nur ein Gebiet wirklich umgestaltet: das
der Beziehung zwischen Mann und Frau. Was ihr in der Gemeinschaft notwendig
versagt bleiben mußte: die Rückführung des Lebens in die erinnerte
Göttlichkeit, das hat sie im einzelnen Leben gerade dadurch, daß sie allen Wert
und Sinn des Lebens ins Innere verlegte, so nah wie keine andere Zeit
angerührt. Und obwohl sie uns so ihr überschwängliches Persönlichkeitsideal
deutlich als ein zeitlich bedingtes, als das äußerste Gegenbild einer
entseelten Welt enthüllt hat, ist doch der Duft dieser großen Blüte für immer
über der europäischen Welt hängen geblieben.
Es ist der Duft
der blauen Traumblume des Ofterdingen, die unter dem Bilde der durchsichtigsten
und vollendetsten Gestalt des Lebens die Seele in immer weitere Fernen und auf
immer weitere Höhen hinauslockt, ohne ihr ein anderes Ziel zu zeigen als immer
nur dies ihr eigenes Traumbild, dies reinste Symbol der lyrisch-ironischen
Lebensgestaltung der Romantik: des Weges der Seele in einer entgöttlichten Welt
zu einem nicht mehr angebbaren Heil, das nur die Spiegelung ihrer Träume ist:
nichts anderes als die Vergöttlichung des Lebens durch die Seele selbst in
ihrem rastlosen Hindurchgehen durch alle seine Pfade und Möglichkeiten.
Denn sie findet
nichts mehr, an das sie sich binden könnte. Wie sie sich an keineeinzelne
Gestalt des Lebens für immer binden kann, so auch an keinen festen sittlichen
Maßstab. Die Ethik der Romantik ruht einzig auf der Gewißheit der im Leeren
hängenden einzelnen Menschenseele. Jede außerhalb ihrer liegende Gewißheit hat
sie verworfen. Die Kraft des Gewissens, die Kant als Auswirkung des moralischen
Gesetzes mit eherner Festigkeit begründet hatte, kann in der Romantik keine
Quelle mehr außerhalb ihrer haben. Das Gewissen ist hier nicht mehr
Verantwortung, es ist Schöpfer; es
ist selbst zum Weltschöpfer geworden. Novalis nennt es geradezu »die sinn- und
welterzeugende Macht, den Keim aller Persönlichkeit, und wiederum den
eingeborenen Mittler jedes Menschen, des Menschen eigenstes Wesen in voller
Verklärung, den himmlischen Urmenschen.«
So ist der
Grundgedanke der romantischen Ethik der eines schöpferisch organischen
Weltwachstums, das im innersten Keim der Persönlichkeit, der
Persönlichkeitsform überhaupt, seinen Anfang nimmt und im Traum vom großen,
Natur und Gott versöhnenden Messias endet. Und so mündet die Erinnerung der
Romantik in die Hoffnung – oder Erinnerung und Hoffnung einen sich in ihr im
zeitlosen Bilde göttlich erfüllten Menschentums.
Der romantische
Messias, das Bild des göttlichen Menschen, der in der eingeborenen Identität
mit allem Leben zugleich die Natur erlöst: so hat sich in der Romantik das Bild
Christi gewandelt. Und so ist die Liebe, die in diesem Christus verkörpert ist,
nicht die christliche Agape: nicht das aus Gott herabfließende Band realer
menschlicher Gemeinschaft, sondern es ist eine irdischere zugleich und
geistigere Liebe, die Erde und Himmel mystisch verknüpft: die Liebe des
todberührten Unendlichkeitstraumes der romantischen Lyrik: Eros.
Aber der
romantische Eros ist nicht nur der antike Eros als Weltbildner und auch nicht
allein der Gott des Plato, der durch die Schönheit des einzelnen erblickten
Bildes zum Urbild aller Schönheit emporreißt; obwohl er auch dies beides ist,
ist er noch ein drittes: er ist zugleich der ironische Gott der Vernichtung. Im
romantischen Eros lebt das Hingegebensein an die Schönheit jeder einzelnen
Erscheinung im Erblicken ihres Getroffenseins vom Tode, das sehnsüchtige
Erkranken der Seele an jeder einzelnen Vollendung, das Fortgezogenwerden durch
sie in immer weitere und tiefere Zusammenhänge: diese einzige Fähigkeit, die
letzte Schönheit, Symbolik und eigenste Tiefe jeder Erscheinung zu begreifen
und in ewiger Liebe zu jedem vergänglichen Bild eines Ganzen zu entbrennen, um
dennoch ahasverisch durch alles Einzelne hindurchzurasen, sich in keinem
beruhigen, keines in sich selbst genießen zu können: dieser Rhythmus des ewig
erotisch Entflammten, den nur der göttlich erlösende Mensch, den nur der romantische
Christus zuletzt ganz in sich aufnehmen und zur Ruhe bringen kann. Aber wenn so
aus der unendlichen Nacht des Inneren Christus im reichgewebten Mantel
lyrischer Symbolik, verwandelt als Natur und Geist in sich versöhnender
Messias, als eine Gestalt unendlicher Zukunft hervortritt, so tritt neben ihn
noch eine andere, bescheidenere, irdischere und gegenwärtigere Gestalt, die, in
ihrer höchsten Form gleichfalls aus dem Inneren hervorgezogen, doch in
erblickbarer Wirklichkeit dem romantischen Sehnen entgegenkam: die Frau! Christus und Sophie – Novalis
hat den Mut, sie nebeneinander zu stellen: die höchste göttliche Gestalt des
Lebens und die frühverklärte kindliche Braut: gleichsam als Symbol der
Welterlösung und der persönlichen Erlösung – auch hier wieder der Erschließer
und Vermittler tiefsten romantischen Schauens. Denn nur am Mittelpunkt der
romantischen Welterfassung ist die eigentümliche Beziehung der Romantik zur
Frau zu verstehen. Sie selbst hat messianische, hat erlösende Bedeutung.
Christus und
Sophie, Sophie und die Madonna, die Geliebte, die Mutter und Erlöserin sind
eins. Die Frau als die, die in den Mittelpunkt des männlichen Denkens trifft
und es zu sich selbst entzündet, ist zugleich die, die unabgelenkt von einer
leblosen zerstückelten Sachwelt: aus dem reinen mystischen Verhältnis zum
Ganzen des Lebens lebt und es so aus seiner Unmittelbarkeit ursprünglich zu
gestalten vermag. Unendlichkeit, Nacht, Tod und Frau gehören zusammen. Das
Lebensreich der Frau ist jenes erstgesetzte, vor allem menschlichen Eingriff,
aller menschlichen Ordnung Seiende, das Hegel als die unbewußte Substanz, als
Träger der Einzelheit unterhalb aller Allgemeinheit mit dem Namen des
göttlichen Gesetzes ausgesprochen hat. Diese dunkle vorbewußte Sphäre des in
sich ruhenden Einzellebens, die Hegel der des menschlich-männlichen Gesetzes
nur als tragende zugleich und feindliche Nachtwelt unterbaut, mußte für die
Romantiker, die die allzu helle Welt des männlichen Gesetzes und seiner
allgemeinen Ordnungen verachteten, denen die geheimnisvollen, tragenden
Daseinsmächte, die für Leben und Wirklichkeit entscheidend waren, zum Quell
letzter Erschließung werden. Und wenn Hegel selbst das weibliche Prinzip der
Einzelheit »die ewige Ironie des Gemeinwesens« genannt hat, so hat er damit
jene Funktion des Weiblichen am Lebensreich des Mannes bezeichnet, die es den
Romantikern gerade zur Erfüllung ihres Lebensideals selbst werden ließ. Im
Grunde konnte nur die Frau das romantische Lebensideal wirklich erfüllen, da
ihr die männlichen Ordnungen überhaupt fremd und nachträglich sind. Jener
dunkle schöpferische Mittelpunkt des Universums, den Novalis das Gewissen nennt
– dies in keiner Weise mehr moralisch oder christlich zu verstehende Urphänomen
des Menschendaseins überhaupt – war der Frau fragloser zu erfahren, reiner zu
bewahren gegeben als dem Mann. So repräsentiert sie die unmittelbare
Möglichkeit eines Lebens, das der Mann nur sucht und denkend und dichtend
darstellt. Aber auch sie nur der Möglichkeit nach, auch sie nur als Ideal, nicht
als Wirklichkeit. Die »selbständige Diotima« Friedrich Schlegels, die Frau, die
aus dem Geheimnis und der Liebe, deren Erfassung der Mann sich immer nur im
Geiste annähert, unmittelbar lebt und redet, und die zugleich aus ihnen heraus
ein neues rein zentral bestimmtes, in alle Sphären sich ausbreitendes Leben
entfaltet, die unbekümmert um alles Gesetzte wie »eine moralische Anadyomene«
frei und leuchtend aus dem großen Weltmeere der Vorurteile herauf taucht und so
aus ihrer tieferen ursprünglicheren Gesetzlichkeit alle nachträglichen, vom
Mann gesetzten Ordnungen und Gesetze mit göttlicher Ironie auflöst – diese Frau
ist noch keine Wirklichkeit.
Die wirkliche
Frau aber wird angeschaut als reinste Gewähr und als tiefstes Sinnbild des
romantischen Erlösungstraumes. »Könntest du nur sehen, wie du mir erscheinst,«
sagt Heinrich von Ofterdingen zu Mathilde, »welches wunderbare Bild deine
Gestalt durchdringt und mir überall entgegenleuchtet, du würdest kein Alter
fürchten. Deine irdische Gestalt ist nur ein Schatten dieses Bildes. Die
irdischen Kräfte ringen und quellen, um es festzuhalten, aber die Natur ist
noch unreif; das Bild ist ein ewiges Urbild, ein Teil der unbekannten heiligen
Welt.«
Die Natur ist
noch unreif – das, was eigentlich an der Geliebten geliebt wird, ist in ihrer
natürlichen Erscheinung noch nicht vollendet; in ihr reift es erst zu seiner
Vollendung; die Erfüllung göttlicher Menschlichkeit ist in der irdischen Frau
nur symbolisch dargestellt und wirklich angelegt. Darum fordern auch die Romantiker
unablässig von der wirklichen Frau, daß sie ihrer Vollendung entgegenreife, daß
sie sich zu dem vollende, was sie ist. Nie hat das hohe Bild von der Frau, das
sie in sich trugen, ihr klares Urteil über die wirkliche Frau getrübt:
unablässig haben sie von ihrem Frauenideal aus neue Forderungen herangetragen.
Das vom romantischen Eros in seiner Unmittelbarkeit vergöttlichte und doch
zugleich aller Dumpfheit enthobene weibliche Menschentum als Gegenstand der
Verehrung, aber eben darum auch der unnachsichtigen Forderung, erlegte der Frau
eine Verantwortung auf, wie sie sie bis dahin in der Geschichte noch nicht
gekannt hatte: in ganz bewußter menschlicher Freiheit den tiefer in das
Unbewußte hinabgesenkten natürlichen Kern ihres Wesens zur höchsten geistigen
Blüte zu entfalten, um aus ihm heraus Richter aller männlichen Werke und Werte
zu werden. Nichts hat der Romantiker an der Frau so sehr geliebt wie ihre
unmittelbar einschlagende Kritik aus einem Gewißheitsgrunde, der sich ihm
entzog.
Was mit alldem
von der Frau gefordert war, war keineswegs die Verwirklichungeines rein
weiblichen Lebensideals – sondern es war die reinere Verwirklichung des
romantischen Lebenideals überhaupt. Und weil die Frau dies ihrem Wesen nach
reiner als der Mann zu verwirklichen vermochte, weil das, was er von ihr
verlangte, nicht etwas durch ihn von außen her an sie Herangetragenes, sondern
eben ganz und gar das ihr Eigene war, fand die Frau im romantischen Kreis den
Boden einer Lebenswahrheit, in dem sie wie niemals früher Wurzel schlagen
konnte. Ihre Entwicklung zum Geistigen aber brachte sie in der Entfaltung des
Eigenen zugleich dem Leben des Mannes wieder näher, als Freundin und als
Gefährtin. Wie in der Romantik alle Werte und Beziehungen des persönlichen
Lebens sich erneuten und vertieften, so vor allem das Verhältnis zwischen Mann
und Frau. Nie klang der Akkord zwischen dem Wesen des Mannes und dem der Frau
reiner zusammen als in dieser Zeit; nie hat darum das Leben der Frau voller,
erfüllter geblüht.
So hat die
romantische Frau wirklich etwas von der messianischen Bedeutung, die der Mann
ihr lieh, bewahrheitet, indem sie von seinem Bild aus den Horizont der
romantischen Welt selbst an mehr als einem Punkt erweitert und sogar
überschritten hat.
Und doch hat
die Romantik auch hier wie in jeder ihrer Erscheinungen die Lage einer
glaubenslosen Welt vollendet, indem sie die Erinnerung an das göttliche Dasein,
die in ihr lebte, als eine Fata Morgana in unerhörtem, unwirklichem Glanz am
Horizont ihres Lebens aufsteigen ließ. Aber sie hat uns auch damit unmittelbar
an alle Probleme unserer heutigen Welt herangeführt. Denn mit dem Erlöschen des
zauberhaften Luftbildes wurde erst die drohende Leere eines Horizontes
sichtbar, den zu verhüllen sie die ganze Leuchtkraft ihrer schwermütig-strahlenden
Schönheit ausgesandt hatte.
Ferne Spiegel
Margarete
Susmans
»Frauen der
Romantik«
Nachwort von
Barbara Hahn
Nicht die Nähe
faszinierte Margarete Susman an den Frauen der Romantik, als sie ihnen 1929 das
vorliegende Buch widmete. Im Gegenteil. Keine »Lebensstimmung« liege den
Menschen der zwanziger Jahre ferner als die der Romantik, so schreibt sie im
Vorwort zur zweiten Auflage ihres Buches. Doch gerade in dieser Ferne sieht
Margarete Susman eine Chance. Von niemandem ließe sich im eigenen Leben
Entscheidenderes lernen als von einem »wirklich erkannten, ehrlich gewürdigten
Gegner«[i]. Und keine andere historische Zeit, so könnte man daraus schließen,
lehrt so viel über die Gegenwart wie die, die am fernsten erscheint.
Liest man
Margarete Susmans Buch heute, bald siebzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen,
geraten Nähe und Ferne erneut durcheinander. Die Frauen der Romantik, die uns
in Textsammlungen und Biographien in den letzten Jahren sehr nahe gebracht
wurden, rücken wieder von uns ab. Margarete Susman entwirft ein anderes und
sehr ungewohntes Bild von ihnen. Fern wird damit auch die Zeit der Weimarer
Republik, in der dieses Buch entstand. Eine vergangene, ja zerstörte Denkwelt,
an die die heutige nicht einfach anzukoppeln ist. Margarete Susman zufolge also
die beste Voraussetzung für eine Lektüre, die Züge und Umrisse des eigenen
Denkens nur dann wirklich erkennt, wenn sie in ferne Spiegel schaut.
Wir wissen
nicht, warum sich Margarete Susman entschloß, dieses Buch zu schreiben. In den
Jahren zuvor hatte sie ausschließlich kürzere Texte in Zeitungen und
Zeitschriften publiziert; ihre letzte Buchveröffentlichung lag fast zwanzig
Jahre zurück. Sehr viele und sehr verschiedene Fragen hatten sie interessiert:
In der Frankfurter Zeitung waren ihre
Besprechungen wichtiger Bücher erschienen, in Zeitschriften Aufsätze über das
Verhältnis der Juden zur Revolution, über Jean Paul und die Unsterblichkeit,
über neue Übersetzungen der Bibel oder auch das »Frauenproblem in der
gegenwärtigen Welt«, über den Expressionismus, Spinozas Leben oder die
Psychoanalyse. Nun also eine Phase äußerster Konzentration, die Arbeit an einem
Buch.
Folgt man einem
Hinweis in Margarete Susmans Autobiographie, Ich habe viele Leben gelebt, dann schrieb sie das Buch in einer
Zeit der Trennung und Entfernung. Nach fünfundzwanzig Jahren war ihre Ehe
auseinandergegangen, sie selbst in eine tiefe Krise geraten: »Ich versuchte zu
jener Zeit streng zu arbeiten. Langsam entstand das Buch Frauen der Romantik, bei dem ich mich nur an die Quellen hielt.
Aber die Schattenwelt um mich her ließ sich von meiner Arbeit nicht
bannen.«[ii]
Wer war diese
Frau, die den fernen Spiegel der Romantik auch entwarf, um mit einer tiefen
Depression umgehen zu können? Margarete Susman wurde am 14. Oktober 1872 in
einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus in Hamburg geboren; sie starb am 16.
Januar 1966 in Zürich. Ihr langes Leben zeigt einen eigenartigen Rhythmus:
Während die erste Hälfte äußerlich und sicher auch innerlich sehr bewegt war,
wirkt die zweite nach außen hin sehr ruhig. Wie auf dem Grat dazwischen: das
Buch über die Frauen der Romantik.
Die Kindheit
verbrachte Margarete Susman in Hamburg, dann zog die Familie nach Zürich. Erst
nach dem Tod des Vaters durfte sie studieren. Sie wurde in Malerei und
Kunstgewerbe ausgebildet, wanderte über Düsseldorf, München und Berlin nach
Paris. Nach ihrer Heirat mit dem Maler Eduard von Bendemann 1906 zog sie nach
Berlin, wo der Sohn Erwin geboren wurde. 1912 verließ sie Deutschland, um in
Rüschlikon in der Schweiz zu leben. Nach zwei schwierigen Kriegsjahren in
Frankfurt am Main kehrte sie 1917 in die Schweiz zurück. Nachkriegszeit und
Inflation erlebte sie in Säckingen, nahe der Schweizer Grenze, wo ihr Mann
einen Bauernhof gekauft hatte, den er zu bewirtschaften versuchte. Nur in der
Nacht blieb Margarete Susman Zeit für Lektüren und Schreiben; dort begann
wahrscheinlich auch die Arbeit am Romantikbuch. Nach der Trennung zog sie nach
Frankfurt am Main, und noch im Sommer 1933 emigrierte sie in die Schweiz, um
nie mehr nach Deutschland zurückzukehren. In einer Züricher Dachwohnung
verbrachte sie die letzten dreißig Jahre ihres Lebens. Keine Ortswechsel mehr,
doch Ruhe konnte nicht einziehen. In ganz Europa war Krieg, und langsam wurden
die bösen Ahnungen über das Schicksal der europäischen Juden zur Gewißheit.
1946 erschien Margarete Susmans Buch Hiob
und das Schicksal des jüdischen Volkes, ein Kaddisch für ihr ermordetes
Volk, ein Buch, in dem »mein ganzes Leben ist«[iii].
Das furchtbare
Wissen um die Shoa veränderte im Rückblick auch die früher verfaßten Bücher.
Als Margarete Susman 1960 ein neues Vorwort für die dritte Auflage der Frauen der Romantik schrieb, sah sie im
fernen Spiegel der Romantik ganz nah den »schonungslosen deutschen
Nationalismus«, der um 1800 begonnen und jetzt zu einer »letzten und höchsten
Aufgipfelung des Irrationalen« geführt hatte, »dem Millionen von Toten keine
Gewissenslast bedeuteten«. Nun, wo es kein deutsches Judentum mehr gab, war ihr
Buch »unter einen anderen Stern getreten«, wie sie schreibt. Die intellektuelle
Welt, in der es entstanden war, existierte nur noch in der Erinnerung der
wenigen Überlebenden.
Vergleicht man
die Wirkung der Frauen der Romantik in
der Bundesrepublik mit der, die das Buch am Ende der Weimarer Republik hatte,
dann zeigt sich deutlich, daß es im Nachkriegsdeutschland kaum noch ein
Publikum fand. In den fünfziger und sechziger Jahren wurde Margarete Susman als
Autorin gelesen, die zum Verhältnis von Deutschen und Juden befragt wurde,
nicht aber zu Frauen. Zwar wird das Romantikbuch in den Bibliographien der
vielen Studien genannt, die seither den Frauen der Romantik gewidmet wurden,
doch nirgendwo findet man einen Dialog oder eine Auseinandersetzung mit den
Gedanken, die Margarete Susmans Buch durchziehen. Eine Ausnahme bildet Konrad
Feilchenfeldts Aufsatz »Rahel-Philologie im Zeichen der antisemitischen
Gefahr«, der dem Buch allerdings nicht viel abgewinnen kann, weil es »geradezu
konventionell« sei, was Feilchenfeldt auch auf Susmans »feministische«
Interpretation zurückführt.[iv]
Anders zur Zeit
der Weimarer Republik. Als das Buch 1929 zum ersten Mal erschien, traf es
offenbar einen Nerv; bereits nach zwei Jahren wurde eine weitere Auflage nötig.
Obwohl in den großen Tageszeitungen keine Besprechungen erschienen, fanden sich
genügend Leserinnen, wie zu vermuten
ist. Denn alle nachgewiesenen Rezensionen in Zeitschriften stammen von Frauen,
und fast alle waren Jüdinnen. Sie berichten durchweg von dem tiefen Eindruck,
den ihnen das Buch gemacht habe, und alle lasen es wie einen Schlüsseltext –
allerdings zu sehr unterschiedlichen Problematiken.
Ina
Britschgi-Schimmer attestiert Margarete Susman einen »gewissen Mut«, da sie
sich in einer »der neuen Sachlichkeit verfallenen Zeit« mit einer so weit
weggerückten Epoche befaßt habe. Sie liest das mit »besonderer Wärme«
geschriebene Buch in Blick auf dessen Autorin, der es »in hohem Maße gegeben
(ist), in allen Erscheinungen des geistigen Lebens und der menschlichen
Persönlichkeit den tiefsten Wesenskern aufzuspüren und von diesem zentralen
Punkt aus Wesen und Bedeutung zu erhellen«.[v] Aus dieser Rezension erfahren
wir auch, daß Margarete Susman in Berlin eine Reihe von Vorträgen über die
Frauen der Romantik gehalten und damit eine neue und interessante
Produktionsform erprobt hatte: Nicht erst das fertige Buch wurde dem Publikum
präsentiert, sondern Vorformen, über die öffentlich debattiert wurde.
»Man kann kaum
zu hoch sprechen von dem Glanz und der Schönheit dieser Frauenbildnisse«, so
beginnt Marie Joachimi-Dege ihre Besprechung und sieht in Margarete Susmans
Buch »ein neues Verständnis für das Wesen der schöpferischen Frauennatur
überhaupt.«[vi] Einen Schritt weiter geht die Hebbel-Forscherin Elise
Dosenheimer, wenn sie schreibt, daß es kein Zufall sei, wenn »wohl das Beste
über [die Romantik] vorerst von einer Frau geschrieben wurde. Denn wenn die
vorliegendem Buch zugrundeliegende Ansicht zu Recht besteht, wonach der Geist
der Romantik am ehesten in den Frauen zur Erscheinung kommt, so dürfte diese
Kongenialität wie jenen unmittelbar erlebenden, so auch den
einfühlend-darstellenden Frauen zukommen.«[vii]
Damit liegt der
Schwerpunkt dieser drei Besprechungen auf der Achtung vor der intellektuellen
Arbeit einer Frau, die Stimmen von Frauen aus einer vergangenen Zeit allererst
hörbar gemacht hat. Anders Margarete Susmans enge Freundin Gertrud Kantorowicz,
deren Rezension im Morgen erschien,
einer Zeitschrift, in der Margarete Susman selbst viele Artikel publiziert
hatte. Hier werden Die Frauen der
Romantik gleichsam weitergeschrieben. Dem Text ist deutlich anzumerken, daß
Gertrud Kantorowicz nicht erst das fertige Buch las, sondern bereits dessen
Entstehung mitdenkend und mitdebattierend begleitet hatte. Leider läßt sich
diese gemeinsame Arbeit aus der Korrespondenz der beiden Frauen nicht mehr
rekonstruieren: Die Briefe von Margarete Susman gingen zusammen mit dem
gesamten Nachlaß von Gertrud Kantorowicz verloren, als diese 1942 nach
Theresienstadt deportiert wurde, wo sie 1945 starb. Und in dem dicken Paket von
Briefen, die Gertrud Kantorowicz an die Freundin schrieb, finden sich keine aus
den Jahren 1923 bis 1928.[viii] So bleibt uns nur, die Rezension von Gertrud Kantorowicz
als großen Brief an ihre Freundin Margarete Susman zu lesen, den diese im
Vorwort für die Neuauflage 1931 präzise beantwortete.
Gertrud
Kantorowicz beginnt programmatisch: »Margarete Susman stellt die großen Frauen
der Romantik unmittelbar in deren letzten Wurzelgrund: sie, und nur sie, sind
Erfüllung des romantischen Lebensideals, weil im Wesen der Romantik, in ihrer
besonderen historischen Problematik ein notwendiger Zusammenhang mit dem Wesen
der Frau besteht.«[ix] Margarete Susman hat also nicht ein Buch über einen
Aspekt der Romantik geschrieben, den man vernachlässigen könnte, sie hat
vielmehr das Wesentliche dieser geistigen Konstellation allererst erfaßt und
zur Darstellung gebracht. Die Frauen der
Romantik sind daher das Buch über
die Romantik in Deutschland – kein Beiwerk zu vorliegenden Studien, keine
Ergänzung, kein Zusatz. Hier artikuliert sich ein Selbstbewußtsein
intellektueller Frauen, das auch in späteren, frauenbewegten Zeiten lange nicht
wieder erreicht wurde. Keine Spur von Legitimation. Es scheint völlig
selbstverständlich, daß eine Frau sich mit ihren Texten ins Zentrum
theoretischer Debatten setzt. Jegliche intellektuelle Arbeitsteilung zwischen
den Geschlechtern, in der Zuständigkeiten verteilt und Wertigkeiten
festgeschrieben sind, wird hier souverän durchquert.
Von diesem
Gestus ließ sich Margarete Susman offenbar anstecken: Während dieErstausgabe
ihres Buches mit dem Kapitel über Die
romantische Weltanschauung begann, änderte sie die Anordnung der Kapitel
für die zweite Auflage und setzte dieses Kapitel an den Schluß. Am Anfang steht
nun ein Vorwort, in dem Margarete Susman die Argumentation der Freundin bis in
die Metaphorik hinein aufnimmt. Sprach Gertrud Kantorowicz gleich im ersten
Satz vom »letzten Wurzelgrund«, in den die Frauen der Romantik gestellt würden,
so präzisiert und bestätigt dies Margarete Susman, wenn sie nun ebenfalls im
ersten Satz ihres Vorwortes »vom gemeinsamen geschichtlichen Wurzelgrund«
spricht, aus dem das Leben der ausgewählten Frauen »aufsteige«. Eine sehr
genaue Antwort also, fast ein Echo. Und tatsächlich beginnt jetzt auch
Margarete Susman mit den »fünf Frauengestalten«, die sie ohne Umweg in den
Mittelpunkt stellt. Es bedarf keines Rahmens, keines Überblicks mehr, um sich
ihnen zu nähern. Der neue, andere Beginn soll zeigen, daß »durch das Leben der
Frauen selbst die Geisteswelt der Romantik so weit sichtbar werden wird, daß es
einen Zugang auch zu deren dunkler und komplizierter gedanklicher Ausgestaltung
zu eröffnen vermag«.[x]
Der öffentliche
Dialog der Freundinnen verträgt dabei durchaus Differenzen. Über den Sinn von
Geschichtsschreibung sind sie zum Beispiel nicht einer Meinung. Gertrud
Kantorowicz’ Rezension endet folgendermaßen: »Zauber und Rausch der Romantik
sind vielleicht nie leuchtender gemalt worden als in diesem Buch, das dennoch
in jedem Moment fühlbar macht, wie sehr heut eine andere Verantwortung den
Menschen zwingt, sich vor der vollen Wirklichkeit zu bewähren. So besitzt es
die Gerechtigkeit jedes wahren Geschichtswerks, vorwärts gerichtet, den Sinn
der Vergangenheit zu bewahren.«[xi] Dieser Blick nach vorn fehlt in Margarete
Susmans Text. Sie scheint eher zurückzuschauen, um sich in der »Schärfe der
Trennung« von den Menschen der damaligen Zeit gleichzeitig auch dessen zu vergewissern,
was »innerlich vertraut«[xii] ist. Sie nähert sich der »Doppelstellung alles
geschichtlichen Lebens«, indem sie sich der Fremdheit des Vergangenen aussetzt.
Bertha
Badt-Strauß schließlich liest die Frauen
der Romantik als grundlegende Studie zur Geschichte des deutschen
Judentums.[xiii] Vor allem in der Schilderung der beiden Jüdinnen Dorothea
Mendelssohn und Rahel Levin sei Margarete Susman »weit über alle ihre Vorgänger
und Vorgängerinnen hinausgelangt«, auch über Ricarda Huchs große Romantikstudien
von 1901/02. Den Grund dafür sieht Bertha Badt-Strauß darin, daß in Susmans
Buch »unsere Sprache gesprochen wird, unser Schicksal wird hier verhandelt«.
Und nun zeige sich, daß auch eher zionistisch ausgerichtete Juden im
Deutschland der Weimarer Republik von den beiden getauften »abtrünnigen
Jüdinnen« im hier präsentierten »neuen Spiegelbilde« einiges lernen könnten. So
will Bertha Badt-Strauß Dorothea Mendelssohns Hinwendung zu Friedrich Schlegel
stärker noch als Margarete Susman nicht unter dem Zeichen einer unbedingten
romantischen Liebe sehen, in der man – wie Schlegel schreibt – »in Einem leben
und über Einem alles vergessen« kann und soll, sondern als Substitution des
Einen Gottes des Judentums durch den Einen weltlichen Gott der Liebe. In Rahel
Levins Briefen findet sie gar das »Grundgefühl des entwurzelten Juden in
deutscher Umwelt«: »Verletzung, schicksalhaft wiederholt, bestimmt das
Grundverhältnis ihres Daseins zur Welt; und das Judentum wird ihr zum Symbol
dieser Verwundungen.« Bei beiden Frauen sieht Bertha Badt-Strauß schließlich
eine Bewegung der Rückkehr. In den Altersbriefen an Henriette Herz spreche
nicht mehr Dorothea Schlegel, sondern noch einmal und wie am Anfang ihres
Lebens Dorothea Mendelssohn, verwurzelt im »alten Vätererbe«. Und Rahel Levin
finde am Ende ihres Lebens »so schlicht zu Gott wie ein müdes Kind nach Hause«.
In Margarete Susmans Buch liest Bertha BadtStrauß also die Möglichkeit, daß man
als Jude in Deutschland leben kann, daß Deutscher und Jude keine sich
gegenseitig ausschließenden Möglichkeiten sein müssen: »Es gibt
keineabtrünnigen Juden, so scheint es, wenn man die Seelengeschichte dieser
romantischen Jüdinnen betrachtet. Einmal kehren sie alle zurück.« 1933, drei
Jahre später also, hat sich diese Hoffnung zerschlagen. Ebenso wie Margarete
Susman verläßt auch Bertha Badt-Strauß Deutschland, um nicht mehr
zurückzukehren.
Die Frauen der Romantik
Fünf Frauen
stellt Margarete Susman in ihrem Buch vor, die in verschiedenste
Konstellationen miteinander treten: Caroline Schlegel Schelling, Dorothea
Schlegel, Rahel Levin Varnhagen, Bettina von Arnim und Karoline von Günderode.
Zwei Jüdinnen also und drei Christinnen. Vier Briefschreiberinnen und eine
Frau, die als Autorin präsentiert wird. Zwei Frauen, die sich schön, und zwei,
die sich häßlich fanden. Zwei, die das Leben schwer, zwei, die es eher leicht
nahmen. Margarete Susman begründet nicht, warum sie diese und keine anderen
Frauen gewählt hat. Bekanntlich wurden auch andere Frauen unter dem großen und
weiten Begriff der Romantik tradiert: Sophie Mereau wäre in Frage gekommen oder
auch Henriette Herz, Caroline de la Motte Fouqué oder auch Charlotte von Kalb.
Doch bei einer anderen Anordnung wäre ein wesentliches Gestaltungsprinzip des
Buches nicht anwendbar gewesen. Margarete Susman hat die Porträts der Frauen,
die sie dem Alter nach anordnete, kunstvoll miteinander verwoben. Mit einer
Ausnahme: das der Karoline von Günderode wird ans Ende gestellt, auch wenn
diese fünf Jahre älter war als Bettine von Arnim, weil sie die einzige ist, die
im Buch als Autorin gelesen wird. Verbindungen der Frauen ergeben sich durch
persönliche Bezüge, auf die Margarete Susman hinweist, weit stärker aber
dadurch, daß sie die Schreibweisen und Denkwelten der Frauen immer wieder
vergleicht, voneinander abhebt und verknüpft. Folgt man diesen Bewegungen, dann
wird die Lektüre zu einer aufregenden Wanderung in einem eng verschlungenen
Ring von Essays. Margarete Susman, diese »Grenzgängerin zwischen Dichtung und
Theorie«[xiv], wie Ingeborg Nordmann schreibt, hat in diesem Buch ihre Form
gefunden.
Man könnte die Frauen der Romantik als ein
theoretisches Selbstporträt der Margarete Susman lesen, das in vielfacher
Brechung in fernen Spiegeln entsteht. Sie schreibt nicht über historische Figuren, sondern tritt in einen Dialog mit
Gedanken und Problemen ein, denen sie in der Lektüre von Texten um 1800
begegnet. Um diesen Dialog nicht im Monolog dessen stillzulegen, der später
alles klarer sieht und besser weiß, wählt Margarete Susman gerade nicht das
Genre, das in der Beschäftigung mit Frauen bis heute vorherrschend ist: die
Biographie. Sie erzählt zwar immer wieder biographische Details, doch der Bau
der einzelnen Essays orientiert sich an anderen Ordnungsmomenten, vor allem der
Choreographie von Begegnungen. In dieser Darstellungsweise ähneln die Frauen der Romantik Margarete Susmans
später verfaßten Autobiographie Ich habe
viele Leben gelebt, denn auch hier wird nicht die Entwicklung einer
Persönlichkeit aus sich selbst heraus dargestellt, sondern eine Vielfalt von
Begegnungen mit anderen Menschen und anderen Büchern.
An zwei Frauen
der Romantik schildert Margarete Susman diese Fähigkeit zumDialog, zur
Begegnung als einer neuen und äußerst produktiven Form intellektueller Arbeit.
Caroline Schlegel Schellings Beziehung zu Friedrich Schlegel sei »eine jener
wahrhaft fruchtbaren (gewesen), deren es in der Geistesgeschichte nur einige
wenige gibt, in denen im Geben und Nehmen eine neue Gestalt des Geistes sich
bildet«. (36f.) Und Rahel Levin Varnhagen steht geradezu für eine Geistigkeit,
die sich nur im Austausch realisiert. Die Beschäftigung mit ihr bildet daher
ein eher verborgenes Zentrum des Buches, gerade weil Rahels »Lebens- und
Wesensform uns die denkbar fremdeste ist«, wie Margarete Susman 1933
schreibt.[xv] Die Faszination dieser Fremdheit ist so stark, daß Margarete
Susman immer neu den Versuch wagt, Rahel Levin Varnhagens »ganzes großes
Gedankensystem« zu rekonstruieren, das »wie Goldadern in Urgestein« in ihre
Briefe eingesprengt ist. Nur deren Texte, nicht aber die der anderen Frauen der
Romantik, wollen immer neu gelesen und analysiert werden: Neben dem Buchkapitel
sowie dem bereits zitierten Aufsatz von 1933 sind zwei weitere Arbeiten
überliefert, die zeigen, wie intensiv sich Margarete Susman mit ihrer fernen
und fremden Schwester befaßte, die hundert Jahre vor ihr gelebt hatte.[xvi]
An Rahel Levin
Varnhagens Texten liest Margarete Susman ein Problem, das man das Unbehagen am
Werk, am großen geschlossenen theoretischen Wurf nennen könnte. Sie begreift es
– wohl zum ersten Mal – nicht als Mangel oder Defizit, daß Rahel Levin
Varnhagen »nur« Briefe und Tagebuchnotizen schrieb, und sieht darin kein
Beispiel für die vermeintliche Unfähigkeit von Frauen zu schöpferischer Arbeit,
sondern eine große Chance: »Mag man das Fehlen eines geschlossenen Werkes bei
der eminenten Kraft dieses Geistes beklagen – es ist dennoch nicht abzumessen,
was Rahels unmittelbare, ganz persönlich hingeworfene, aber zugleich weit ins
Überpersönliche hineingeworfene Äußerungen dafür an Freiheit, Unmittelbarkeit,
ja an uneingeengter Unbedingtheit der Wahrheit gewinnen.«[xvii] Vorgegebene und
überkommene Schreib- und Überlieferungsformen reglementieren das Denken. Sich
von ihnen zu entfernen, andere Wege des theoretischen Schreibens einzuschlagen
erfordert allerdings einen hohen Preis: Man wird leicht vergessen und
übergangen und bekommt keinen gesicherten Platz in der Geschichte des Denkens.
Über den Platz,
der den Frauen der Romantik in dieser Geschichte zukommt, reflektiert Margarete
Susman lediglich im Kapitel über die romantische Weltanschauung. In den
einzelnen Porträts dagegen enthält sie sich einer Wertung. Damit die
Unterschiede deutlich hervortreten, arbeitet sie mit Parallelisierungen, nicht
jedoch mit Hierarchisierungen. Diese würden im überkommenen Wertungsraster
bleiben und pauschalisierende Urteile über die Frauen der Romantik nur noch
einmal bestätigen. Im Schlußkapitel dagegen wechselt sie die Darstellungsweise.
Hier geht es nicht um Frauen, sondern um die Frau. Der Blick wandert von
historischen Individuen mit ihren Widersprüchen, von Briefen und anderen Texten
zu einem kulturgeschichtlichen Konstrukt, dem Bild der Frau – einer durch und
durch männlichen Projektion. Bereits in früheren Aufsätzen hatte Margarete
Susman die europäische Kultur als »extrem männlich« charakterisiert, in der die
Frau in »vorethischer Existenz« verharre, im Bild des Mannes verschwinde und
als Ort des Schweigens imaginiert würde.[xviii] Die europäische Frau, so
folgert sie, »war bisher nichts anderes als ein Bestandteil der männlichen
Welt«.[xix] Ein Bild, sprachlos.
Wie aber ist
auf diesem Hintergrund die Zeit der Romantik zu lesen? Hier tut sich in
Margarete Susmans Texten ein interessanter Widerspruch auf. Im Blick auf die
Frauenbewegung der Weimarer Republik, im Blick auf den Kontext also, in dem das
Buch über die Frauen der Romantik entstand,
kommt Margarete Susman zu einer wenig optimistischen Sicht auf frühere Frauen:
»Wir stehen heute inmitten eines Versuches weiblicher Selbsterkenntnis, wie ihn
Europa so noch nicht gesehen hat. Denn wohl hat es schon mehrmals in der
Geschichte der extrem männlichen europäischen Kultur Frauenbewegungen gegeben;
aber sie sind immer wieder versunken und versandet, ohne deutliche Spuren
zurückzulassen.«[xx]
Im Buch selbst,
das man ja auch als erfolgreiche Suche nach den Spuren von Frauen lesen könnte,
wird ein optimistischerer Ton angestimmt. Die romantische Frau habe vom
männlichen Bild der Frau aus »den Horizont der romantischen Welt selbst an mehr
als einem Punkt erweitert und sogar überschritten«. (S. 219) Doch gerade in
diesem Widerspruch zeigt sich ein weiteres Mal die äußerst produktive, offene
und auch vorsichtige Herangehensweise Margarete Susmans. Keiner einzelnen Frau
der Romantik wird ein Konzept der Kultur Europas aufgebürdet, keine wird an
etwas gemessen, jede darf eine einzelne bleiben. Keine spricht für alle, keine
repräsentiert die anderen. Nur auf der Ebene einer kulturtheoretischen
Reflexion wird ein Maßstab eingezogen. Doch der mißt gerade nicht das Denken
und Leben historischer Individuen, sondern dient zum Vergleich historischer
Konstellationen.
Daher
demontiert Margarete Susman die überlieferten Bilder der Frauen der Romantik,
in dem sie sie seiten- und spiegelverkehrt betrachtet. Ihre Suche gilt nicht
deren wahrem und unverfälschtem Bild hinter dem projektiven des Mannes,
vielmehr konstruiert sie eine Collage aus den Splittern und Bruchstücken der
Überlieferung. Sie entwirft sie als »Gestalt« – und diesen Begriff könnte man
geradezu als Gegenbegriff zum immer projektiven Bild lesen. Caroline Schlegel
Schelling wird als die »geschichtliche« Gestalt bezeichnet, Rahel Levin
Varnhagen als die »problematische« und Bettine von Arnim als die
»schöpferische«. Dorothea Schlegel dagegen ist geprägt von »der tiefen
Unsicherheit der religiösen Naturen in der modernen Welt«, und Unsicherheit
bildet keine »Gestalt«. Weit stärker als in die anderen Porträts sind daher in
das ihre die Züge ihres Vaters Moses Mendelssohn und ihres Ehemanns Friedrich
Schlegel eingetragen. Karoline von Günderode scheint dagegen nur lesbar zu
sein, wenn sie im Dialog mit der griechischen Antike gesehen wird. Sie
signalisiert im Buch die stärkste Ungleichzeitigkeit, gerade auch weil sie die
einzige Frau ist, die den Schritt zur Autorschaft wagte. In ihr – so heißt es –
hat die Welt der Antike eine »reine innere Gestaltung gefunden«.
Die Frauen der Romantik ergeben also kein
einheitliches Bild, sondern zeigen eine Vielfalt von Annäherungen und Zugängen.
Doch gerade weil Margarete Susman den Plural Frauen so ernst nimmt und Unterschiede in den Mittelpunkt stellt,
ist das Buch so lebendig geblieben.
Zu dieser Ausgabe
insel
taschenbuch 1829: Margarete Susman, Frauen der Romantik. Der Text folgt der
Ausgabe: Margarete Susman, Frauen der Romantik. Mit 16 Bildtafeln. JosephMelzer
Verlag, Köln 1960. Einzelne Sachfehler wurden nach einem Vergleich mit der
ersten Auflage, die 1929 im Eugen Diederichs Verlag, Jena erschien, korrigiert.
Für die zweite Auflage von 193I veränderte Margarete Susman die Anordnung der
Kapitel: Das Kapitel “Die Weltanschauung der Romantik„ bildete nun nicht mehr
den Anfang, sondern den Schluß des Buches. Dem Buch wurde ein Vorwort
vorangestellt, das hier ebenso abgedruckt wird wie das der Nachkriegsausgabe
von 1960. Diese dritte Auflage wurde von Margarete Susman redigiert: In den
Kapiteln über Caroline Schlegel-Schelling und Bettina von Arnim strich sie
mehrere Sätze und veränderte einzelne Passagen geringfügig. Das Schlußkapitel
dagegen wurde erheblich gekürzt und teilweise auch umgeschrieben.
Für die Ausgabe
von 1960 wurden andere Abbildungen ausgewählt, auf denen die Akteure durchweg
jünger sind als in den ersten beiden Ausgaben. Diese Abbildungen werden zum
großen Teil in der vorliegenden Fassung beibehalten. Die Reproduktion erfolgt
mit freundlicher Genehmigung von: AKG photo, Berlin: S.45; Archiv für Kunst und
Geschichte, Berlin: S.113; Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin: S. 17,
25, 35,56,65 (Foto: Jörg P. Anders), S. 123 (Foto: Jörg P. Anders), S.136, 143,
151; Ursula Edelmann, Frankfurt am Main: S.162; Freies Deutsches Hochstift -
Frankfurter Goethe-Museum, Frankfurt am Main: S.191 (Foto: Ursula Edelmann);
Historisches Museum, Hanau: S. 183; Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig,
Archiv: S. 172. Umschlagabbildung: Friedrich Overbeck, Italia und Germania. Öl
auf Leinwand, 1811/1828. Ausschnitt. Neue Pinakothek, München. Foto: Artothek.
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[i] Vgl.S.10.
[ii] Margarete
Susman, Ich hahe viele Leben gelebt.
Erinnerungen, Stuttgart 1964, 5.120.
[iii] Ebd., S.
159.
[iv] Konrad
Feilchenfeldt, Rahel-Philologie im Zeichen der antisemitischen Gefahr, in: Rahel Levin Varnhagen. Die Wiederentdeckung
einer Schriftstellerin, hrsg. von Barbara Hahn und Ursula Isselstein,
Göttingen 1987, S. 188.
[v] Jüdische Rundschau 13 (1930), S. 89.
[vi] Die schöne Literatur 31 (1930), S. 608.
[vii] Die neue Generation 26 (1930), S. 195.
[viii] Ein Teil
der Briefe von Gertrud Kantorowicz bewahrt das Deutsche Literaturarchiv,
Marbach, den größeren das Leo-Baeck-Institut, New York.
[ix] Der Morgen 6 (1930), S. 207-209; hier S.
207.
[x] Vgl. S. 11.
[xi] Der Morgen, S. 209.
[xii] Vgl. S.
11.
[xiii] Dorothea
Mendelssohn und Rahel Levin. Gedanken zu Margarete Susmans Buch >Frauen der
Romantik<, in: Bayerische
Israelitische Gemeindezeitung 6 (1930), S. 330-332.
[xiv] Ingeborg
Nordmann, Wie man sich in der Sprache fremd bewegt. Zu den Essays von Margarete
Susman, in: Vom Nah- und Fernsein des
Fremden, Essays und Briefe, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von
Ingeborg Nordmann, Frankfurt a.M. 1992, S. 230.
[xv] Rahel
Varnhagen von Ense. Zu ihrem 100. Todestag, in: Die literarische Welt 9 (1933), Nr. 10, S. 7-8; Nr. 11/12, S.
11-12. Nachdruck in: Vom Nah- und
Fernsein des Fremden, S. 169-178, hier S. 169.
[xvi] Vgl.
Rahels geistiges Wesen, in: Neue Jüdische
Monatsschrift 2 (1918), S. 464-477; sowie: Rahel, in: Der Morgen 4 (1928), S. 118-138.
[xvii] Rahel
Varnhagen von Ense, S. 170.
[xviii] Vgl.
Margarete Susman, Das Frauenproblem in der gegenwärtigen Welt, in: Vom Nah- und Fernsein des Fremden, S.
143-167.
[xix] Ebd., S.
150.
[xx] Ebd., S.
143.