Erinnerung an Rosa Luxemburg
In:
Neue Wege 45, 1951
Der Name Rosa Luxemburg
ist weltbekannt; aber wenn man ihn hört, denkt man an Kampf, an die große
Kämpferin, man denkt auch vielleicht an die große wissenschaftliche Leistung, die
diese Frau vollbracht hat. Man denkt an Parteitage, an Kommunismus,
Straßenkämpfe, vielleicht auch an die dunklen Gefängnisse, in denen sie
jahrelang schmachtete, an das grauenvolle Ende, das sie fand – and diese ganze
härteste, bitterste und furchtbarste Atmosphäre der Wirklichkeit, in der sich
ihr Leben und Wirken nach außen sichtbar abspielte. Und willkürlich malt sich
auch in diesen Farben ihr Bild selbst, man sieht eine harte, düstere, fast
männliche Frau in scharfen Umrissen in die proletarische Bewegung
eingezeichnet, eine Erscheinung, die mit Wort und Tat ganz im öffentlichen
Wirken aufgeht.
Wie anders – wie erschütternd
anders ist das Bild, das uns aus ihren Briefen entgegentritt: aus diesen
Briefen aus dem Gefängnis, die eine ganze Welt innerer und äußerer Herrlichkeit
vor uns ausbreiten. Ja – auch äußere Herrlichkeit, obwohl sie aus der engen,
dunklen Zelle, höchstens aus dem jämmerlichen kleinen Gefängnishof kommen; denn
alles Außen wiederstrahlt nur ihr Innen: Herrlichkeit, Schönheit, lebendigste
Offenbarung finden die Augen dieser Begnadeten überall – zwischen den
Pflastersteinen des Gefängnishofes, in dem Leben und den eigentümlichen
Schicksalen der kleinen Tiere, die dort nisten, im Blühen und Wachsen der
kargen Pflanzen um sie her, der paar Baumkronen, die über die Mauer winken, vor
allem aber in der Luft, in dem Flug und den Stimmen der kleinen, geliebten, so
gut gekannten Vögel, in den schimmernden, weich geballten Wolken – im Kleinsten
wie im Größten, im Nächsten wie im Fernsten lebt, blüht, redet ihr die Welt.
Mehr Leben und Reichtum, mehr Entzücken an neuer Offenbarung lebt in diesen
Gefängnisbriefen als in mancher Schilderung fremder Länder und Zonen aus der
Feder weitgereister Männer. Noch die einsame, schlaflose, schwarze Nacht im Gefängnis
durchströmt sie mit einer geheimnisvollen, brennenden Freude, mit der
unendlichen Seligkeit des Lebens, das in ihrem eigensten Innern aufblüht.
Es ist, als hätte sie in der Nachtigall im Gewitter, von
der sie einmal so ergriffen schreibt, unbewußt ihr eigenes Leben gezeichnet:
„Und mitten in all dieser gespenstischen Stimmung schlug plötzlich vor meinem
Fenster auf dem Ahorn die Nachtigall! Mitten in all dem Regen, im
Wetterleuchten, im Donner, schmetterte sie wie eine helle Glocke, sie sang wie berauscht,
wie besessen, wollte den Donner übertönen, die Dämmerung erhellen..., ich hab'
nie so Schönes gehört.“
Das schrieb sie aus ihrem achten Gefängnis, aus dem sie
bald darauf ins neunte überführt werden sollte, an die Frau ihres Freundes Karl
Liebknecht. Und wie sie über diese zarte, sensible, offenbar wesentlich
künstlerisch gerichtete Natur in diesen Briefen den ganzen Reichtum ihres
verstehenden Herzens ausschüttet, wie sie sie in das weiche Tuch ihrer Liebe
gleichsam einhüllt, so ist es auch, als fühlte sie sich ihr ganz und gar
verwandt in einer tiefen Hingabe an das Schöne, in welcher Gestalt immer es ihr
in ihrer Abgeschiedenheit begegnet. „Wenn es solche Farben, solche Formen
gibt“, ruft sie ihr einmal angesichts einer großen, glänzenden Wolke zu, „dann
ist das Leben schön und lebenswert, nicht wahr?“
Ist das die unermüdliche, leidenschaftliche
Parteikämpferin, die aufrüttelnde Straßenrednerin, die so scharf ins
öffentliche Leben eingreifende, dem Staat so gefahrvolle Persönlichkeit, die da
in der tiefen Einsamkeit der Gefangenschaft sich der Seligkeit des eigenen
Innern, der Liebe zu allem Lebendigen hingibt, die wie der innigste,
weltloseste Mystiker an den paar dürftigen Dingen um sie her die tieferen
Gesetze des Lebens abliest, sich wie der reinst künstlerische Mensch an Natur
und Dichtung immer neu berauscht, wie ein Falter beglückt von einem Kelch in
den andern sinkt? Verbot ihr nicht ihr reines Empfinden für Schönheit und
Anmut, wie es aus jedem dieser Briefe spricht, das der Frau so schlecht
anstehende Wirken auf offener Straße? Verbot ihr nicht ihre durch Einsamkeit
und Studium gereinigte Geistigkeit, sich an die Massen auf der Straße zu
wenden? Wurde ihr nicht an der Fülle geistiger Güter, die sie genießend und
erkennend in sich aufnahm, die ganze geistige Armut und Dürftigkeit der paar
parteipolitischen Propagandagedanken klar? Ja, mußte nicht die materialistische
Herkunft des Sozialismus als Partei ihr so geistig gerichtetes Wesen abstoßen?
Wo ist zwischen der geistigen Persönlichkeit dieser Briefe und der lauten,
Fanfaren schmetternden Parteikämpferin die Brücke?
Dagegen erhebt sich die ganz andere Frage: Wie kam es, daß
vor mehr als einem halben Jahrhundert das Herz eines jungen, noch fast
kindlichen Mädchens, das in denselben Verhältnissen wie andere junge
Bürgermädchen jener Zeit aufgewachsen war, so mächtig von der Frage nach der
Not und dem Elend ihm fremder Menschen erschüttert wurde, von dem Drang, den
unbekannten Brüdern zu helfen, daß es alles tat und auf sich nahm, alles ließ und
litt, um sein einziges Ziel zu erreichen: ihnen Hilfe zu bringen?
Es ist unter ihren Briefen der vielleicht ergreifendste und
aufschlußreichste von allen, in dem die Brücke zwischen diesen beiden Seiten
ihres Wesens plötzlich sichtbar wird. In ihm schlägt die tiefe, innere
Seligkeit des Erlebens um in unermeßliches Leid, weil lebendige, wehrlose
Geschöpfe, ein Paar vor einen Lastwagen gespannter rumänischer Büffel, die eine
Ladung alter Uniformen in den Gefängnishof ziehen, von einem im Kriege verrohten
Soldaten bis aufs Blut – wörtlich bis aufs Blut – gepeinigt, zerrissen und
gepeitscht werden. „Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und
Zähigkeit, und die war zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz
still, erschöpft, und eins, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin
mit dem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften, schwarzen Augen, wie
ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft
worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der
rohen Gewalt entgehen soll...ich stand davor und das Tier blickte mich an, mir
rannen die Tränen herunter – es waren
seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken,
als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte.“
Das ist es: Das Leben in seiner in sich kreisenden, seligen
Fülle ist durch das menschliche Tun verletzt. Der Mensch greift ein, der durch
seine eigenen Einrichtungen von seiner eigenen, schlichten Natur gewaltsam
losgerissene Mensch greift ein in das Leben der schuldlosen Kreatur. Es ist der
Mensch, wie man ihm auf Schritt und Tritt begegnet, in der Geschichte wie im
Leben, im Krieg und nach den beiden Kriegen mehr als je – und wie ihn die
reinen, wahrhaftigen, dem Leid und der Freude lebendig geöffneten
Menschenseelen nie ertrugen; wie ihn diese allem Lebendigen so selig und
schmerzhaft aufgetane Seele nimmermehr ertragen kann. Und aus der brennenden
Unerträglichkeit des Geschehens kommt bei solchen Naturen die Frage: wie kam es?
und dann die Fragenreihe: Wie sollte es sein? Wie kann man es ändern? Was kann
ich, ich selbst, der ich diese Zustände nicht will, nicht ertrage, dagegen tun?
Wie kann ich helfen, bessern, lindern? Und indem diese Fragen übermächtig
werden, geschieht das Opfer: alles Erkennen und Wissen und Bilden, jeder Traum
von Glück und Liebe und Schönheit tritt in den Dienst der einen
Sehnsucht, des einen Willens: zu helfen.
Es war eine Rede gegen die Soldatenmißhandlung, die Rosa
Luxemburg im Jahre 1915 ins Gefängnis gebracht hatte, von dem sie dann weiter
von Gefängnis zu Gefängnis wandern sollte, weil man ihre ungeheure Gefahr für
die Kriegsgesinnung, die gewaltige Wirkung, die von ihr ausging, erkannte und
scheute. Keine Erkenntnis der tieferen Lebenszusammenhänge also, keine der
religiös erlebten Gewißheiten ihres Herzens, keine Würdigung und Verkündung
reinster Schönheit, wie sie sie zu erleben und auszusprechen vermochte, trieb
sie zum Reden, und hatte sie von jeher dazu getrieben – nur eine dunkle,
nackte, alltägliche Erfahrung. Alles Wissen, Sehnen und Schauen trat still
hinter dem Leid ihrer Brüder zurück.
Darum war sie Sozialistin, weil nur in dieser Partei ihr
der Kampf möglich schien für die Entrechteten, Enterbten. Sicher war der
Sozialismus bei ihr trotz der streng wissenschaftlichen Begründung, die sie ihm
als Schülerin des in seiner echten Tiefe verstandenen Marx gab, nicht eine
Lebensanschauung im Sinne einer bestimmten Überzeugung von den Zusammenhängen
des Lebens; denn eigentlich sah sie, die aus jeder Blume, aus jedem Grashalm
sich Schönheit und Erschließung zu trinken vermochte, das Leben von einer
anderen Seite an. Sie war, so seltsam es scheinen mag, im Grunde ihres Herzens
mit allen Lebenserscheinungen, auch denen, deren grausame Härte sie so klar
erkannte und durchlitt, wie durch eine ihr gewordene unfaßliche Gnade versöhnt,
von ihrer Notwendigkeit im Ganzen des Lebens durch ein tiefes, fast mystisches
Wissen überzeugt. „Sie fragen in Ihrer Karte: „Warum ist alles so? Sie Kind, so
ist das Leben seit jeher, alles gehört dazu! Leid und Trennung und Sehnsucht.
Man muß es immer mit allem nehmen und alles schön und gut finden. Ich tue es
wenigstens so. Nicht durch ausgeklügelte Weisheit, sondern einfach so aus
meiner Natur. Ich fühle instinktiv, daß das die einzig richtige Art ist, das
Leben zu nehmen, und fühle mich deswegen wirklich glücklich in jeder Lage. Ich
möchte auch nichts aus meinem Leben
missen und nichts anders haben, als was war und ist.“ Und immer wieder kehren
in ihren Briefen die mahnenden Worte: Seien Sie ruhig und heiter. Selbst unter
dem schmerzlichsten, qualvollsten ihrer Briefe, in dem ihre ganze Seele vor
Leid zittert, schreibt sie zuletzt: „So ist das Leben, und so muß man es
nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.“
Dies „Trotz alledem“ ist das Siegel ihres Lebens und ihres
Todes geworden: in diesem Zeichen lebte sie und starb sie; im Zeichen eines
stetigen, ständigen immer wiederkehrenden Sieges des allesumfassenden Geistes,
der allversöhnenden Seele, der allverbrüdernden Liebe über den brutalen
Ungeist, das seelenlose Auseinanderfallen, die ungeheure Lieblosigkeit der
Welt, in der sie lebte. Denn der wunderbare innere Friede, der aus all ihren
Briefen strömt, ist ja nicht nur der einer mit dem eigenen Schicksal Versöhnten,
sondern auch der einer Seele, die alles Lebendige, selbst noch das Häßliche und
Gemeine mit der Kraft einer segnenden Liebe umschließt und so in ihrem Herzen
gleichsam erlöst. Weit entfernt davon, die Menschen und Dinge mit irgendwelchem
Optimismus zu betrachten, von der Gräßlichkeit und Grausamkeit des Daseins
vielmehr bis in die Wurzeln ihres Lebens überzeugt und verwundet, war ihr der
notwendige, ja offenbar in einem tiefen, unaussprechbaren Sinn gerechte
Zusammenhang des Ganzen dennoch immer einer lebendigen Offenbarung gleich
gegenwärtig. So war sie ihrer Natur nach eigentlich das Gegenteil einer
Empörerin – vielmehr ein allem Lebendigen wirklich sich an – und
einschmiegendes Wesen. Nichts von der Entzweitheit mit der Natur, der
Heimatlosigkeit in der Unmittelbarkeit des Lebens, wie sie gerade der
Parteileidenschaft so oft entspricht, finden wir bei ihr, der die Natur
unmittelbare Heimat und Erschließung war. Die leidenschaftliche Kommunistin,
die Freundin und Mitarbeiterin Karl Liebknechts, die als „die hervorragendste
Führerin der sozialistischen Internationale, als die genialste Vertreterin des
wissenschaftlichen Sozialismus seit Marx und Engels“ bezeichnet wird, macht
selbst einmal das erstaunliche Geständnis: „Innerlich fühle ich mich in so
einem Stückchen Garten oder im Felde unter Hummeln und Gras viel mehr in meiner
Heimat als auf einem Parteitag.“ Und wenn sie dann fortfährt: „Sie wissen, ich
werde trotzdem hoffentlich auf dem Posten sterben, in einer Straßenschlacht
oder im Zuchthaus“ – so ahnen wir die ganze Größe dieses Opfers. Weder ihr
Testament noch ihre Erkenntnis kann sie, nach diesen Briefen zu schließen, auf
die äußerste Linke getrieben haben: auch ihr Sozialismus muß ein „Trotz
alledem“ gewesen sein. Er war vielleicht, nur ohne den dämonischen Einschlag,
etwas Ähnliches wie das Zurückgeben der Eintrittskarte zur großen Weltharmonie,
wie bei Iwan Karamasoff, dem der Preis: das Leiden eines, auch nur eines unschuldig gequälten Kindes, für
den Glanz dieser allgemeinen Erlösung und Versöhnung zu hoch erscheint.
Denn für sie, die überströmend Lebendige, Allgenießende lag
in dem Leben, das sie auf sich nahm, der Verzicht auf die höchsten Güter: auf
Fülle eigensten Schauens und lebendiger Lebensschönheit, auf alle so tief in
ihrer Seele wurzelnden Träume bis empor zur Selbsterlösung – um der Menschen
willen, denen alle diese Güter durch ihre äußeren Umstände von vornherein
versagt sind. Was Rosa Luxemburg für die Erfüllung ihrer innersten Sehnsucht
bei dieser Entscheidung eintauschte, war ein erbarmungsloses Schicksal und ein
gewaltsamer Tod. Durch neun Gefängnisse ist sie in ihrem schweren und
fruchtbaren Leben gewandert, weil sie dies ganze Leben hindurch mit
Leidenschaft in Wort und Schrift gegen den Krieg und für die Internationale
wirkte, weil sie mit allem, was sie war und besaß, für ihre armen Brüder
einstand. Das Volk hing mit Leidenschaft an ihr; von allen Sozialistenführern
des damaligen Deutschland hat keiner die geistig-seelische Kraft und Bedeutung
dieser Frau in der Verbindung mit dem Volk erreicht. Im Gefängnis erfährt sie
im Jahre 1916 die Verurteilung des Freundes Karl Liebknecht zu vier Jahren
Zuchthaus. Sie tröstet, selbst – und nicht nur persönlich, sondern auch in der
Sache, für die sie lebte, schwer getroffen – mit den zartesten Worten seine
Frau. Niemals klagt sie, niemals verlangt sie für sich Trost – immer ist sie die Tröstende. Und diese verklärende
Heiterkeit bleibt ihr bis zuletzt.
Im Januar 1919 wurde Rosa Luxemburg, nachdem sie im
November 1918 wie auch Karl Liebknecht durch die Revolution aus dem Gefängnis
befreit worden war und in dieser Spanne Zeit zusammen mit dem Freunde
unermüdlich und furchtlos für ihre Aufgabe gewirkt hatte, auf dem Wege zu neuer
Gefangenschaft in bestialischer Weise ermordet – am gleichen Tage wie Karl
Liebknecht. – Immer hatte sie es gewußt, auch in ihren stillen begnadeten
Stunden im Gefängnis inmitten ihrer sanftesten Hingabe an das geliebte Leben,
daß sie eines Tages aus ihm gewaltsam weggerissen werden würde. Und es war ihr recht
so. Sie erkannte darin das Gesetz ihres selbstgewählten Schicksals. Wie erst
ihre Ermordung ihre Feinde wirklich von der Gefahr befreite, die diese Frau
war, und die kein lebenslanger Kerker hätte brechen können, so war auch ihres
Lebens reine Linie selbst erst mit ihrem Opfertod vollendet.
Wir denken an ihre Worte aus der schlaflosen Gefängnisnacht
in Breslau: „Da liege ich still allein, gewickelt in diese vielfachen Tücher
der Finsternis, Langeweile, Unfreiheit, des Winters – , und dabei klopft mein Herz
von einer unbegreiflichen, unbekannten inneren Freude, wie wenn ich im
strahlenden Sonnenschein über eine blühende Wiese gehen würde. Und ich lächle
im Dunkeln dem Leben, wie wenn ich irgendein zauberhaftes Geheimnis wüßte, das
alles Böse und Traurige Lügen straft und in lauter Helligkeit und Glück
wandelt. Und dabei suche ich selbst nach einem Grunde zu dieser Freude, finde
nichts und muß wieder lächeln über mich selbst. Ich glaube, das Geheimnis ist
nichts anderes als das Leben selbst; die tiefe nächtliche Finsternis ist so
schön und weich wie Sammet, wenn man nur richtig schaut.“ Glaubt man nicht
einen chassidischen Heiligen zu vernehmen?
So denken wir sie uns und so bleibt sie uns: in der
finstern Nacht des jahrelangen Kerkers durchströmt und durchstrahlt von der
innern Helligkeit ihres Seins. Daß die begnadete, von Liebe und Leben
leuchtende Gestalt das Opfer einer gemeinen Mörderbande wurde – es wäre nicht
im Sinne Rosa Luxemburgs und nicht im Sinne dessen, was uns ihr Leben und
Sterben lehrt, darüber in wilder Verbitterung nutzlos zu klagen. Viel eher
würde sie es verstehen und uns mit ihren wehen, wissenden Augen zulächeln, wenn
wir mit ihren Worten sprächen: „So ist das Leben, und so muß man es nehmen,
tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.“ Das ist ihr Vermächtnis an die Überlebenden aus der Revolution,
die mit ihrem und des Freundes Leben zusammenbrach: ein tapferer Glaube an den
Sieg trotz dem blutigen Unterliegen. Aber nicht nur einen Glauben hat sie uns
hinterlassen, sondern eine Wirklichkeit. Wie eine große unschuldige Sonne
strahlt uns aus der Nacht ihres Lebens und Todes ihre Seele entgegen, strahlt
über menschliche Verworfenheit und Niedrigkeit, über Dumpfheit und Trägheit und
Verbrechen: der Sieg der unsterblichen Liebeskraft, der menschlichen Reinheit
und Opfergröße – trotz alledem.